#whatislove

Liebe kann man nicht definieren. Aber man kann versuchen, über sie zu reden. Dies hatten sich Gina Bucher, Martin R. Dean und Peter Passett in einer Podiumsdiskussion vorgenommen, die von der Schriftstellerin Gabrielle Alioth moderiert wurde. Die drei geladenen Gäste sollten sich alle mit dem Sujet auskennen: Bucher befragte in ihrem Buch „Ich trug ein grünes Kleid, der Rest war Schicksal“ ältere Menschen zum Thema Liebe. Dean hat vor kurzem seinen Roman „Warum wir zusammen sind“ veröffentlicht, in dem es besonders um die ausgelaugte Liebe bei Ü-40-Paaren geht. Passet ist pensionierter Psychotherapeut/-analytiker und hat deshalb viel Erfahrung und genügend Zeit, sich mit dem zu beschäftigen, was Menschen „im Innersten zusammenhält“ – oder eben nicht.

Doch was ist es nun, dieses Phänomen der Liebe, dieses kuriose Abstraktum? Zunächst einmal ein Paradoxon: Alle haben die Liebe erlebt – oder erleben sie gegenwärtig -, doch niemand kann sie benennen. In der Podiumsdiskussion nähern sich die Teilnehmenden dem Konzept der Liebe, dieser schwummrigen Blase an; sie brechen sie auf einzelne Komponenten herunter, deren Definitionen leichter fallen.

Zentral für den Begriff der Liebe ist zum Beispiel der Sex. Sex sei eine spezifische Form von Lust, die sich biologisch erklären lasse und Lebewesen zuerst einmal zusammenbringe. Wie wichtig ist Sex aber für eine längerfristige Beziehung? Wird Sex überbewertet, und sind wir eine oversexed generation? Laut Bucher müssen wir ständig über Sex reden und Dean findet, Sex werde als notwendig eingestuft in unserer Gesellschaft. Was passiert jedoch im Alter, wenn die sexuelle Lust nach und nach schwindet? Schwindet dann auch die Liebe? Dies sei nicht zwingend der Fall, sagt Passett. Zudem müsse zwischen Sex und Erotik unterschieden werden. Sex ist also nicht alles. Die sexuelle Revolution ’68 sei ausserdem gescheitert, denn – so Passett – wir sind heute „verklemmter als die Viktorianer[Innen]“. Dean widerspricht: Nicht vergessen dürfe man, dass durch ebendiese 68er Revolution sich auch Frauen ihre Sexualität zueigen machen konnten.

Die Diskutierenden sind sich einig, dass Liebe nicht nur biologischer Drang sein kann. Menschen seien eine Spezies – vielleicht die einzige -, bei der die Liebe ein metaphysisches Konzept und nicht der blosse Überlebens- und Fortpflanzungstrieb sei. Wir jagen nicht nur dem schnellen Glück hinterher, sondern haben eine Sehnsucht nach Konstanz und Stabilität in der langanhaltenden Liebe. So ähnlich wie das Gefühl von Heimat.

Die Ehe als traditionelle und institutionalisierte Form der Liebe sei nicht besonders geeignet, um deren Erhalt zu garantieren. Dean sieht die Ehe als utopischen Horizont, demenstsprechend sei sie längerfristig zum Scheitern verurteilt. Während sich die Liebe selbst über die Jahre verändere, bliebe der gesellschaftliche Zwang der Ehe bestehen. Wie ein Käfig hindere die Ehe die Liebe daran, davon zu flattern. Laut Bucher existiere die Liebe bei älteren Ehepaaren daher oft nur noch in Erinnerungen. Erinnerungen, die sehr trügerisch sein können, weil sie Schönes verschönern und Schlimmes verschlimmern. Doch warum sind viele ältere Paare trotz Ausbleiben von Sex und Liebe immer noch zusammen?

Womöglich, weil sie in einer Zeit aufgewachsen sind, nach deren Sebstverständnis man sich – einmal verheiratet – schlichtweg nicht mehr trennte. Man arrangierte sich mit der Situation und redete mit niemandem darüber. Dies sei heute anders: Die Liebe wurde frei und die Ehe-Traditionen wurden durch die Emanzipation gesprengt. Dean zufolge leben wir in einer Multioptions-Gesellschaft. Apps wie Tinder vermarkten die Liebe schnell und grossflächig. Das Potential dieser neuen Liebe ist jedoch zugleich deren Schwäche: Weil wir uns nicht mehr festlegen müssen, können wir es nicht mehr. Fazit: Die Liebe war und ist also kompliziert und wird es vermutlich auch bleiben. Die Antwort auf die Frage, warum wir zusammen sind, müssen wir selbst finden.

Alioth entlässt uns in die Freiheit mit einem durchaus treffenden Zitat, das ausgerechnet von Augustinus stammt: Dilige et quo vis fac. Uralt und gleichzeitig hochaktuell. Genauso wie die Liebe selbst.

Ihr dürft schon ein bisschen näher kommen

Niemand getraut sich so richtig, die erste Sitzreihe direkt am grossen Tisch in Beschlag zu nehmen, an dessen Kopfende bereits Donat Blum, Anna Stern, Ivona Brđanović, Lou Meili, Martin Frank und Lino Sibillano sitzen.

«Ihr dürft schon ein bisschen näher kommen», sagt darum Donat Blum, und alle Besucher*innen rücken eine Reihe nach vorn, sodass jetzt auch die Stühle direkt am Tisch besetzt sind und die Autor*innen mit dem Publikum im Kreis sitzen.

Dem Publikum Autor*innen und ihre gemeinsamen Arbeit an einem Text näher zu bringen, ist das Ziel der Veranstaltungsreihe «Skriptor». Das Format soll einen Begegnungsort schaffen, sagt Donat Blum, der «Skriptor» ins Leben gerufen hat, den literarischen Schaffensprozess für Leser*innen sichtbar machen.

Heute sitzen Autor*innen von «Glitter*», dem ersten und einzigen Magazin für queere Literatur im deutschsprachigen Raum, in der Runde. Besprochen wird ein Text von Lino Sibillano. Er nennt den Auszug eine «Baustelle, einen Anfang von Etwas».

Sibillano liest seinen Text vor, die Autor*innen und Besucher*innen hören zu, verfolgen die Zeilen mit den Augen oder lauschen einfach der Stimme des Autors. Dann eröffnet Donat Blum die Diskussion. Wer jetzt erwartet hat, die Autor*innen würden nach dem Prinzip «zuerst drei positive Punkte, dann Kritik» vorgehen, wird überrascht.

Die Kritik kommt ohne Umschweife, ist ehrlich, präzise, zielt auf Inhaltliches, aber auch Sprachliches. Dabei sind die Autor*innen nicht immer gleicher Meinung. Uneinigkeit entsteht etwa um die Wahl eines Wortes, das auf «-chen» endet. Während sich Donat Blum fragt, was das hier zu suchen habe, sieht Lou Meili darin eine gekonnte Charakterisierung des Erzählers.

Man merkt, wie genau sich die Autor*innen in den Text hineingedacht haben. Hier soll die beste Form eines Textes aus dem Sprachmaterial herausgeschält werden. Dann darf sich auch das Publikum zum Text äussern, auch hier werden genaue Beobachtungen beschrieben. Lino Sibillano hört aufmerksam zu, macht sich Notizen, nimmt auch die direkteste Kritik mit einem Lächeln zur Kenntnis, etwa als Ivona Brđanović eine Textstelle als «Coelho-Moment» bezeichnet.

Zum Schluss sind sich aber alle einig, die Autor*innen und das Publikum: Sibillanos Text hat Potential, einen spannenden Ansatz, der verschiedene Textsorten vereint und mit fiktionalen Ebenen spielt. Wir dürfen also gespannt sein, wie sich sein fertiger Text lesen wird.

„Traut euch und probiert aus“ – Autorengespräch mit Tabea Steiner

Tabea Steiner hat an den Solothurner Literaturtagen ihr Erstlingswerk „Balg“ gelesen. In den vergangenen Jahren hat sie selbst viele Literaturfestivals organisiert und sogar initiiert. Am heissen Sonntagnachmittag hat sie sich viel Zeit für meine Fragen genommen. 

Du warst das erste Mal als Autorin am Literaturfestival dabei, vorher hast du Festivals organisiert und initiiert. Wie war der Perspektivenwechsel für dich?

Sehr schön. Als Organisatorin stehe ich stetig unter Strom, was hier zwar auch der Fall ist, aber die Verantwortung ist nicht so gross. Als Organisatorin nehme ich jede Kritik und jeden Zwischenfall sofort wahr und auf. Dadurch, dass ich beide Seiten kenne, schätze ich die Arbeit der Organisatoren und Organisatorinnen hier sehr und weiss die kleinen Details zu schätzen. Das Publikum in Solothurn ist sehr wohlwollend, das ist unglaublich schön.

Wir, die hier am Blog arbeiten, studieren alle Germanistik. Ich wage zu behaupten, dass alle Germanistikstudentinnen und -studenten irgendwie den Wunsch hegen, ein eigenes Buch zu veröffentlichen. Hattest du diesen Wunsch schon immer, ein eigenes Buch zu schreiben?

Der Wunsch war schon immer da. Es war sogar der Grund, weshalb ich Germanistik studieren wollte. Ich wollte mehr wissen, mich auskennen und austauschen. Ich habe dann im Studium schnell gemerkt, dass Germanistik und literarisches Schreiben nicht viel miteinander zu tun haben. Das Studium hat mir dennoch viel gebracht und mein analytisches Denken weiterentwickelt. Kurz nach Beginn meines Studiums wurde das Literaturinstitut in Biel eröffnet. Ich habe kurz überlegt, mich dort zu bewerben, habe mich aber schlussendlich dagegen entschieden und mein Germanistikstudium beendet. Darüber bin ich im Nachhinein auch froh. Ich glaube aber, dass die Leute, die am Literaturinstitut waren, es einfacher haben, ein Selbstverständnis als Autor oder Autorin zu entwickeln. Das Aufnahmeverfahren mit einzuschickenden Texten legitimiert die Bewerberinnen und Bewerber bereits. Ansonsten muss man sich gewissermassen selber dazu befähigen oder ernennen. Ich habe früher immer gesagt, dass ich schreibe, also: dass ich Autorin bin. Seit ich das Buch zum ersten Mal in den Händen hatte, sage ich, dass ich Schriftstellerin bin. Ich finde, dass das ein schöner Begriff ist. Dazu beigetragen hat sicher, dass ich ein Stipendium am LCB bekommen habe, was für mich extrem wichtig war.

Du hast von dem Moment gesprochen, in dem du das Buch das erste Mal in den Händen hattest. Wie lange hat der Prozess gedauert, bis du das Buch das erste Mal in den Händen hattest?

Ziemlich genau sechs Jahre.

War es eine bewusste Entscheidung, in deinem Roman keine Kapiteleinteilungen zu machen, sondern nur Absätze als Marker für Fokalisierungswechsel?

Die Entscheidung fiel, als Timon (Anm.d.Red.: der Protagonist des Textes) dazugekommen ist. Da verspürte ich den Wunsch, alle zur Sprache kommen und ihre eigene Perspektive erläutern zu lassen. So hat sich die Frage nach den Kapiteln eigentlich erledigt. Nicht zuletzt konnte ich damit Timons Entwicklung aufzeigen. Kapitel wären unnötige Brüche gewesen. Es gibt ja immer noch die Absätze. Anfangs wollte ich nach jedem Absatz eine neue Seite beginnen, aber so konnte ich die unterschiedliche Perspektivierung auf das gleiche Geschehen besser darstellen. Ich habe mich da sehr am Film orientiert.

Valentin ist der Postbote im Dorf. Postboten bringen normalerweise eine Botschaft. Welche Botschaft übermittelt Valentin?

Das ist eine spannende Frage. Ich glaube, seine Botschaft bestünde in der Bereitschaft, Haltungen zu überdenken, sie sogar zu ändern. Für mich ist er als Briefträger (und auch als Lehrer) vor allem wichtig, da er extrem viel weiss, alle kennt, die Mechanismen versteht und gleichzeitig ein Aussenseiter ist.

Dein erstes Buch ist jetzt abgeschlossen. Hast du schon neue Projekte geplant, von denen du erzählen kannst?

Ich habe bereits vor etwas mehr als einem Jahr mit einem neuen Projekt begonnen. Die Idee hatte ich schon länger und ich arbeite momentan vor allem daran. Ich freue mich besonders auf diesen Sommer, wo ich im Rahmen eines Stipendiums für drei Monate am LCB schreiben darf und mich ganz auf dieses Projekt konzentrieren kann. Gerade um Figuren entwickeln zu können, tut mir so eine intensive Schreibphase sehr gut. Das Thema des neuen Projektes hat sehr viel mit meiner eigenen Biografie zu tun, das ist schwierig. Zunächst habe ich begonnen, über eine Figur in der dritten Person zu schreiben. Das hat sich aber noch zu sehr nach mir selbst angefühlt. Dann habe ich es mit der Ich-Perspektive versucht. So konnte ich mich in eine Figur versetzen, die ich mir ausgedacht habe, die aber nicht mehr ich bin. Viele Charakterzüge der Figur kenne ich, dennoch bin ich es nicht. Das war für mich ein sehr spannender Effekt.

Merkst du eine Veränderung deines Stils bei verschiedenen Projekten?

Ich denke ja, ich hoffe es jedenfalls. Die Figuren sind völlig verschieden mit unterschiedlichen Geschichten. Das sollte sich meiner Meinung nach auch in der Sprache niederschlagen. Ich denke, dass Themen sich ihre Formen nehmen. In meinem neuen Projekt gibt es nur einen Perspektivenwechsel. Der Rest wird aus der Perspektive einer Figur erzählt, in einem Schwall sozusagen. Aber es ist ähnlich szenisch aufgebaut. Schon bei Balg hatte ich je nach Perspektive andere Schreibstile. Grundsätzlich habe ich meinen Stil, der sich zwar stetig weiterentwickelt, sich aber nie völlig verändert.

Philipp Theisohn meinte, ich muss dich unbedingt nach Erika Burkart fragen…

(Lacht) Aha. Also, Erika wurde 1922 geboren und ist 2006 gestorben. Sie würde also bald 100 Jahre alt werden. Sie war Lyrikerin und hat sich stark mit der Natur befasst, hat aber auch Romane geschrieben. Ich finde, dass sie eine sehr spannende Position hat. Zudem wurde mit ihr etwas ganz Seltsames gemacht. Sie hatte lange, blonde Locken, später lange, weisse Locken, sah immer etwas unterdrückt aus. Sie war damit das Bild der Lyrikerin, was sich auch sehr stark auf ihre Rezeption niedergeschlagen hat. Jetzt ist sie in Vergessenheit geraten. Mein Text von gestern Abend (a.d.R. Tabea Steiner las am Samstag Abend im Rahmen des Festivals einen Text zum Thema „Alte Meisterinnen“) sagt eigentlich aus, dass man sie wieder mehr beachten sollte, ihre Texte hervornehmen und genau anschauen. Sie war für mich immer die Lyrikerin der Schweiz. Ich habe sie einmal zum Literaturfestival in Thun eingeladen, da war sie aber leider krank und eingeschneit. Sie wird oft als Mythische, sehr esoterisch beschrieben, schrieb viel Übersinnliches und nahm dies auch sehr ernst, war aber eine unglaublich wache, klare Zeitgenossin mit klaren politischen Zügen. Sie geht zum einen vergessen, wird aber auch extrem verniedlicht. Ich finde, Philipp Theisohn sollte zu ihr ein Symposium an der Uni Zürich veranstalten.

Möchtest du zum Abschluss noch etwas erzählen oder sagen?

Ja, du hast ja gesagt, dass es viele Germanistikstudentinnen und -studenten gibt, die schreiben möchten. Die will ich ermuntern. Denkt euch weg vom Studium und probiert es aus. Die Theorie aus dem Studium könnt ihr dann beim Überarbeiten wieder nutzen. Der Schreibprozess dauert, sechs Jahre in meinem Fall sind lang, aber davon darf man sich nicht entmutigen lassen. Ich würde mich freuen, in einigen Jahren Bücher von euch zu lesen.

Soletta: luogo ameno e letterario

La 41esima edizione delle Giornate Letterarie di Soletta, svoltasi da venerdì 31 maggio a domenica 2 giugno, ha proposto un programma di grande varietà, sia linguistica, sia tematica: quattro lingue (francese, italiano, tedesco, romancio) e temi che spaziano dalla letteratura alla cultura, dalla geografia alla politica, dalla storia all’attualità… Più di settanta autori e autrici come protagonisti, un pubblico gremito come co-protagonista e un’ospite d’eccezione: la Natura. Tre giorni illuminati dai raggi del sole e dalla vivacità degli incontri letterari.

Seduta in riva all’Aar, con il sole che si rifletteva sul mio taccuino, rare brezze di vento che alzavano i ciuffi ribelli dei miei capelli, il mio sguardo si è posato su dei piccoli fiori gialli che cercavano di farsi breccia tra le righe del cemento. Mi sono così ritrovata a riflettere sul fatto che nella Natura ci sono i segni e l’idea di resistenza, poiché, nonostante tutto, essa continua ad esserci e a manifestarsi. L’idea di resistenza c’è anche nelle parole – io credo – anche nelle riflessioni fatte e ascoltate degli autori e autrici delle Giornate Letterarie di Soletta. Così come i nostri piedi lasciano impronte nella Natura, anche le nostre parole lasciano tracce nello spazio e per questo anche le riflessioni, di tutti e di tutte, hanno lasciato segni a Soletta.

Il rapporto tra essere umano e Natura, nel bene o nel male, cambia con il tempo, e lo stesso vale per le definizioni o le etichette, letterarie e non. Ormai lo sappiamo, quando si agitano questioni di linguaggio c’è qualche sommovimento sociale in atto. Sintonizzandoci sulla frequenza del nostro presente, ci è facile percepire che stiamo vivendo in un’epoca di cambiamenti sociali. E nella nostra società la capacità più difficile ma fondamentale da acquisire è proprio quella di osservare: saper vedere la Natura, o meglio, tutto ciò che ci circonda. Ma non basta solo vedere, bisogna anche saper guardare e, ancora, bisogna saper scegliere dove indirizzare lo sguardo. L’atto stesso di scrivere richiede la capacità di saper fare una scelta, una selezione di quanto visto, di saper decidere cosa raccontare e cosa no. La scrittura, infatti, muove il nostro sguardo e la penna veicola le immagini viste.

Partecipare alle Giornate Letterarie di Soletta è stata per me un’esperienza meravigliosa e ci tengo a ringraziare l’Università di Zurigo, in particolare Cristoph Steier e Philipp Theisohn, professori presso il Deutsches Seminar, e Tatiana Crivelli, professoressa presso il Romanisches Seminar, per avermi dato la possibilità di partecipare attivamente a questo evento letterario.
Concludo, condividendo un desiderio (o una promessa): tornare a Soletta e partecipare alla 42esima edizione!

 

Der Meister hat nichts über Bomben zu berichten

Das Thermometer klettert beinahe auf 30 Grad, die Aare fliesst verlockend durch Solothurn. Eine Abkühlung im Fluss wäre eigentlich ganz schön. Aber es geht auch anders: „Sprache ist wie eine frische Brise“, begrüsst Beat Mazenauer das Publikum am Sonntagnachmittag. Er überlasse nun lieber „dem Meister“ das Wort. Sodann tritt Gerhard Meister ans Mikrophon – begleitet von einigen pflichtschuldigen Lachern.

Der Spoken-Word-Künstler berichtet in sympathischem Berndeutsch von Erfahrungen mit Self-Scan-Automaten, einem Termin bei der Berufsberatung – Astronaut war der einzige Beruf, der passte –  oder darüber, wie Engel den lieben Gott beobachteten, wie dieser auf den Wald „abägschnudderät“ habe.

Eines ist klar: Die Texte aus „Mau öppis ohni Bombe“ sind alle bühnentauglich. Und sehr angenehm anzuhören. Selbst bei fast 30 Grad. Bei einem Gespräch zwischen Meister und Mazenauer erfährt das Publikum, dass in Meisters Texten durchaus „kreuzbrave, biedere Begebenheiten“ zu finden seien. Auf die Frage, weshalb er den Dialekt als Ausdrucksform gewählt habe, erzählt Meister, dass er sich mit hochdeutschen Texten auf der Bühne gehemmter fühle. Das sei wahrscheinlich der Grund.

Weshalb aber hat Gerhard Meister nichts über Bomben zu berichten? Diese Frage stellt Beat Mazenauer dem Spoken-Word-Künstler nicht. Die Antwort hätte mich brennend interessiert. Immerhin hält sich Gerhard Meister beim Auftritt genau an sein Versprechen: „Mau öppis ohni Bombe“. Die Bombe kommt in der Spoken-Word-Aufführung tatsächlich nicht vor. Und noch beim Verlassen des Kinos im Uferbau blicke ich gedankenversunken zur Aare und frage mich, was es denn mit den Bomben auf sich hat.

F wie Familie

Die ersten Tage im Kindergarten überstehen, sich nach der Schule mit Freunden verabreden, der Fragerei der Verwandten beim jährlichen Treffen mit diplomatischen Fragen ausweichen – Aufwachsen ist nicht leicht.

Im Literaturgespräch von Tabea Steiner und Rolf Hermann dreht sich alles ums Thema Familie, Erziehung und Erwachsen werden. Dazu haben die beiden Autoren reichlich zu sagen – hoffentlich auch, wo sich die Romane der beiden, Balg beziehungsweise Flüchtiges Zuhause, mit eben dieser Thematik auseinandersetzen.

„Die Menge macht´s nicht aus, sondern, dass es schön wird“, meint der Moderator am späten Sonntagnachmittag in die schmale Runde, die sich in der Säulenhalle zusammengefunden hat.

Schnell kristallisiert sich die leitende Frage der Diskussion heraus. Wie definiert sich Familie? Die verschiedensten Theorien werden daraufhin angerissen: Blutsverwandtschaft, gemeinsame Erlebnisse, Familienmythen und Geheimnisse, Rituale. Und wie konzipiert sich eine literarische Familie?

Als Grundlage dient je eine Passage aus den Texten von Tabea Steiner und Rolf Hermann. Während die fiktive Familie in Steiners Roman durch Zerrüttung strukturiert ist und den spärlichen Zusammenhalt in ebendieser Zerrüttung findet, basiert Hermanns Roman auf Anekdoten der eigenen liebevollen Familiengeschichte. Leider misslingt es dem Gespräch, eine gemeinsame Basis für eine interessante Diskussion zu finden und die 45 Minuten enden ohne eine Verknüpfung von Fiktion und Realität.

Dennoch zeigt sich das Publikum äusserst zufrieden und lobt in der anschliessenden Fragerunde den Einblick in die Werke.

Altmeister der Verknappung

Klaus Merz ist ein altbekanntes Gesicht in Solothurn. 1996 wurde er hier für sein dichterisches Werk mit dem Literaturpreis ausgezeichnet. Nun ist er mit seinem jüngsten Werk firma erneut zu Gast. Merz spricht ruhig und besonnen. Seine Antworten machen – wie seine Literatur – aus wenig viel, beantworten auch einmal die zwei nächsten Fragen, die seine Gesprächspartnerin Bernadette Conrad für ihn auf Lager gehabt hätte.

Der erste Teil von firma ist eine Firmenchronik von 1968 bis 2018. Wer nun denkt, er müsse sich mit einem 500-seitigen Wälzer herumschlagen, irrt sich. Verdichtung und Reduktion sind Programm. «Wir führen nur sporadisch Buch. Es geht um die Denkwürdigkeiten.», stellt der anonyme Wir-Erzähler dem Buch voran. Das Private von Angestellten der Firma trifft in den insgesamt 50 Einträgen auf Ereignisse der Weltgeschichte. Beides wird festgehalten, beides ist Merz wichtig. So geht es um Prager Frühling und Pensionierung, Berliner Mauer und Badeanstalt, Krankheiten und Kantinenessen.

Diese kurzen Skizzen sind mal ironisch, mal mit einer sanften Pointe am Schluss, mal melancholisch. Was vom Tage übrigbleibt, sind erzählte Schicksale, in denen Merz, wie er selbst kommentierte, einen «glühenden Punkt» ausfindig machen wollte, bei welchem die Lesenden selbst andocken können. Mit Gattungszuordnungen tut er sich schwer. Sind es nun Prosagedichte oder Tagebucheinträge mit lyrischem Einschlag? Wichtig für ihn ist nur, dass es im Ganzen über das isolierte Individuelle hinausgeht. In den Worten von Merz’ Gedicht «Rauriser Notiz» geht es darum:

Eine Sprache finden,
Worte, die nicht
über das Erzählte
hinweg flutschen,
sondern Reibung
erzeugen, Wärme,
Licht.

Dies liest sich als poetologische Absichtserklärung des zweiten Teils von firma, die Gedichtsammlung «Über den Zaun hinaus»: Das zuvor ausgesteckte «Firmengelände» wird aufgesprengt. Das In-sich-Gefundene, das Erinnerte, das Assoziierte und nicht zuletzt das Erfundene – all das vermischt Merz in seinem Schreiben. So wird die Firma schlussendlich zum Firmament, ein Sternenhimmel voller glühenden Punkte, an welche Leser*innen gerne andocken werden.

Die letzten Zeilen

Jetzt verirren sich nur noch wenige Besucher*innen ins Buchjahr-Büro, Notizbücher, Guetsli-Packungen und Ladekabel verschwinden nach und nach von unseren Tischen. Die Solothurner Literaturtage 2019 sind bald vorbei.

Einige Studierende machen sich mit gepackten Taschen auf den Weg zu den letzten Lesungen, danach geht es für viele direkt nach Hause. Andrina sitzt noch hinter ihrem Laptop, sie will ihren Artikel noch in Solothurn zu Ende schreiben.

«Es waren so viele Eindrücke in diesen drei Tagen, dass ich noch gar nicht alles verarbeiten konnte. Ich hätte am liebsten viel mehr Veranstaltungen besucht, aber dann wäre ich mit dem Schreiben wohl nie mehr fertig geworden. Es war auch gut, einmal aus dem „Elfenbeinturm“ herauszukommen und über einen Event wie die Solothurner Literaturtage zu schreiben.»

Und dafür hat sich das Festival auch das beste Wochenende ausgesucht. «Das Wetter war einmalig, die Stimmung im Buchjahr-Team war super und ich bin wirklich beeindruckt von der Stadt Solothurn. Alles in allem drei sehr intensive, eindrückliche Tage – ich freue mich schon auf das nächste Jahr.»

Mehrstimmigkeit

Ond was machsch du eigentlech?

Ich sitze im heissen und vollen Kino im Uferbau. Auf der Bühne steht ein Mikrofon, eine Loop Station, ein Kontrabass und zwei Künstlerinnen: Amina Abdulkadir und Stefanie Kunckler.

Stefanie Kunckler entlockt dem Kontrabass einen schnellen Rhythmus und gewollt unsaubere Doppelgriffe – ein vielstimmiger Klang. Eine weitere, menschliche Stimme tritt hinzu: die von Amina Abdulkadir. Worte fliessen, die Mehrstimmigkeit der Kontrabassmelodie verwandelt sich in ein pochendes Pizzicato. «Öpper…Öpper het emol gseit…» zögert die Stimme. «Nüt isch me wie früehner!» Die Stimme wiederholt sich, weitere Aussprüche schalten sich ein – die Loops werden zum Gespräch, zum Geschwätz.

Die Kontrabass-Stimme nimmt viele Gestalten an: Sie wird bald zur Gesprächspartnerin, bald zum Herzschlag, bald zum Zweifel, der sich sogleich auch auf die menschliche Stimme überträgt. Es is ein Neben-, In- und Aneinander von Stimmen und Stimmungen, das sich weit ab von jeder einschläfernden, mit Musik begleiteten Lesung bewegt.

Im dunklen Saal treten durch dieses Arrangement viele Zweifel, viele Fragen und viel Kritik ans Licht. Das Duo bringt eingeschliffene Floskeln zum Missklang, so dass sie sich selbst entlarven.

 

Definitiv cool

Matto Kämpf betritt die Bühne und legt sofort los: «Er stand auf und starb.» Endlich einmal ein vernünftiger Romananfang sei das, meint die Kulturjournalistin und Ich-Erzählerin von Kämpfs Roman Tante Leguan, und mit ihr möchte man sagen: Endlich einmal ein vernünftiger Lesungsanfang.

Das Publikum hat Kämpf auf jeden Fall sofort auf seine Seite geholt. Man merkt, dass der Thuner (genau genommen: Steffisburger) Spoken Word Künstler und Satiriker sich gerne auf Bühnen aufhält und dass auch sein erster Roman dort problemlos funktioniert. Mit der linken Hand lässig im Hosensack lässt Kämpf sich beim Vorlesen Zeit, sein breiter Berner Dialekt dehnt jedes «Ä» ins Unendliche, so dass auch kleinste Nuancen des Textes zu klingen beginnen oder zu Pointen werden. Auch ein gelegentlicher Hustenanfall (der Husten verfolge ihn schon durch ganz Solothurn) bringt ihn nicht aus dem Konzept.

Schon bald ist man vollends eingetaucht im normalen Redaktionswahnsinn seiner drei lakonischen Protagonisten, macht sich mit ihnen lustig über ihren Vorgesetzten, den «Idioten», und ihren Mitarbeiter, den «Sportarsch». Kämpf beschränkt sich auf den ersten, zweifellos stärksten Charakter seines Buches, nimmt sich Zeit, die Misere der Kulturredaktion anschaulich zu gestalten. Ihr journalistisches Vorgehen ist so simpel wie effizient: «Ist das cool, oder ist das nicht cool?». Grunge-Musik – cool; Musicals – weniger. Dass der popkulturlastige Text vor dem im Alter doch schon eher fortgeschrittenen Publikum so gut ankommt, ist eigentlich erstaunlich. Doch Satire über den Kulturbetrieb, gepfeffert mit Seitenhieben gegen Heavy Metal und den Büroalltag im Allgemeinen wird eindeutig generationsübergreifend als lustig empfunden.

Da die Zeit noch reicht – Kämpf ist sich des straffen Zeitmanagements in Solothurn durchaus bewusst, wie er in einer seiner wenigen Zwischenbemerkungen anmerkt – gelangen die drei Journalisten dann noch nach China, wo sie in less than ideal Englisch mit chinesischen Musikern zu kommunizieren versuchen. Auch hier werden im Publikum Tränen gelacht.

Nach kurzweiligen 35 Minuten ist die Lesung zu Ende. Frei nach dem Bewertungsraster von Kämpfs Kulturjournalisten – cool oder nicht cool? – darf man sagen: definitiv cool. Oder in den Worten von einer auf der Gasse aufgeschnappten Publikumsreaktion: «I finds totau sympathisch wieners macht!».