Altmeister der Verknappung

Klaus Merz ist ein altbekanntes Gesicht in Solothurn. 1996 wurde er hier für sein dichterisches Werk mit dem Literaturpreis ausgezeichnet. Nun ist er mit seinem jüngsten Werk firma erneut zu Gast. Merz spricht ruhig und besonnen. Seine Antworten machen – wie seine Literatur – aus wenig viel, beantworten auch einmal die zwei nächsten Fragen, die seine Gesprächspartnerin Bernadette Conrad für ihn auf Lager gehabt hätte.

Der erste Teil von firma ist eine Firmenchronik von 1968 bis 2018. Wer nun denkt, er müsse sich mit einem 500-seitigen Wälzer herumschlagen, irrt sich. Verdichtung und Reduktion sind Programm. «Wir führen nur sporadisch Buch. Es geht um die Denkwürdigkeiten.», stellt der anonyme Wir-Erzähler dem Buch voran. Das Private von Angestellten der Firma trifft in den insgesamt 50 Einträgen auf Ereignisse der Weltgeschichte. Beides wird festgehalten, beides ist Merz wichtig. So geht es um Prager Frühling und Pensionierung, Berliner Mauer und Badeanstalt, Krankheiten und Kantinenessen.

Diese kurzen Skizzen sind mal ironisch, mal mit einer sanften Pointe am Schluss, mal melancholisch. Was vom Tage übrigbleibt, sind erzählte Schicksale, in denen Merz, wie er selbst kommentierte, einen «glühenden Punkt» ausfindig machen wollte, bei welchem die Lesenden selbst andocken können. Mit Gattungszuordnungen tut er sich schwer. Sind es nun Prosagedichte oder Tagebucheinträge mit lyrischem Einschlag? Wichtig für ihn ist nur, dass es im Ganzen über das isolierte Individuelle hinausgeht. In den Worten von Merz’ Gedicht «Rauriser Notiz» geht es darum:

Eine Sprache finden,
Worte, die nicht
über das Erzählte
hinweg flutschen,
sondern Reibung
erzeugen, Wärme,
Licht.

Dies liest sich als poetologische Absichtserklärung des zweiten Teils von firma, die Gedichtsammlung «Über den Zaun hinaus»: Das zuvor ausgesteckte «Firmengelände» wird aufgesprengt. Das In-sich-Gefundene, das Erinnerte, das Assoziierte und nicht zuletzt das Erfundene – all das vermischt Merz in seinem Schreiben. So wird die Firma schlussendlich zum Firmament, ein Sternenhimmel voller glühenden Punkte, an welche Leser*innen gerne andocken werden.

Ein sprudelnder, erfrischender Auftritt

„Es wird gerade abgeklärt, ob wir den Coca-Cola-Schirm wirklich brauchen dürfen“, sind die ersten Worte, die Klaus Merz an diesem Sonn(ig)tag in das Mikrophon der Aussenbühne am Landhausquai spricht. Es ist nämlich so sonnig, dass die Aussenbühne kurzerhand um 90° gedreht und die Zuschauerbänke in den Schatten verschoben wurden. Für die Bühne selbst musste ebenfalls eine Notlösung her. Augenscheinlich war kein neutraler Schirm auffindbar, so wird eben ein knallroter Coca-Cola-Schirm herbeigetragen. Das Team versucht fieberhaft, die beschrifteten Banner des Schirms mit Sicherheitsnadeln wegzupinnen. Klaus Merz legt gleich selbst Hand an, das Publikum, zahlreich erschienen, wartet amüsiert.

Merz setzt sich, richtet das Mikrophon und seine Sonnenbrille und erklärt, dass er einen Text lesen werde, der zeitlich einen Monat vor der Firma, seinem Roman, angesiedelt ist – im Juni 1968. Der Text handelt von einer Stellenausschreibung, Bratwurst am Bellevue, der Kronenhalle, und ich werde für kurze Zeit in die Zürcher Innenstadt versetzt, die ich allzu bald tatsächlich wieder sehen werde. Das zweite Gedicht – es fragt danach, wo Gedichte überall gefunden werden können – liest Merz nur bis zur Mitte. Er habe versehentlich den zweiten Teil des Blattes, auf dem der Rest des Gedichts gewesen wäre, heute Morgen abgeschnitten, erklärt er entschuldigend. Zum Abschluss liest er noch einige Passagen aus der Firma, während sich über ihm der Coca-Cola-Schirm langsam dreht und die Banner doch wieder zum Vorschein kommen.