Milena Moser im Land ihrer Söhne

Nachdem Milena Moser am Freitagmittag im SRF Tagesgespräch bereits über ihre neue Heimat und den Vergleich zur Schweiz gesprochen hatte, durften Michelle Holz und Laura Barberio am Nachmittag ein sehr persönliches Gespräch mit der Autorin führen. Sie besucht die Schweiz mittlerweile nur noch zwei Mal pro Jahr und arbeitet den Rest ihrer Zeit in Santa Fe an ihrem neuen Buch. Ein Zwiegespräch zweier Kulturen soll es werden und wird bei ihrem neuen Verlag Kein & Aber erscheinen. Mit uns sprach sie aber auch über die Entstehung von Land der Söhne.

Sie sind ja momentan hier zu Besuch in der Schweiz, wo Ihre Familie und ihre Kinder nach wie vor leben. Sind sie hier im Land Ihrer Söhne?

Lacht Der ist gut, den hab ich noch nie gehört. Es ist noch lustig: Meine Kinder lesen eigentlich meine Bücher nicht unbedingt, aber als ich Land der Söhne angekündigt hatte, hat mein jüngerer Sohn seinen Bruder angerufen und gesagt: „Lino, hast du gesehen, wie das Buch heisst? Land der Söhne?“ Aber sie haben dann schnell gemerkt, dass es nicht autobiografisch ist.

Sie sprechen immer wieder vom Gefühl der Freiheit, das Sie in der Schweiz immer vermisst haben und nun in Santa Fe gefunden haben. Die Freiheit spielte für Sie beim Schreiben von „Land der Söhne“ eine wichtige Rolle und hat als Thema auch Eingang in den Text selber gefunden. Was bedeutet Freiheit für Sie persönlich?

Für mich privat heisst Freiheit einfach, dass ich mich selber sein kann. Wie auch immer das aussehen mag. In meinem Fall ist das nichts Spektakuläres, aber ich empfinde das in der Schweiz nicht so. In der Schweiz empfinde ich mich als jemand, der ständig irgendwo anstösst und aneckt. Vielleicht auch zu unrecht, aber das ist einfach mein Lebensgefühl. Im politischen Sinne ist die Freiheit in Amerika natürlich auch nicht unproblematisch, aber da hab ich eine Sondersituation als Schweizerin. Mir kann nicht so viel passieren: Wenn ich ausgeschafft werde, komme ich zurück in dieses wunderschöne, sichere Land. Deshalb stehe ich nicht so unter Druck wie andere meiner Freunde.

Die Geschichte von Luigi beginnt in den 1940er Jahren, als er als kleiner Junge aus dem Tessin in die USA kam. Aus welchem Grund haben Sie sich genau für diesen Ausgangspunkt entschieden?

Es gibt ein Vorbild für die Schule im Buch, die Los Alamos Ranch School for Boys. Diese war von 1917 bis 1943 geöffnet und wurde dann verdrängt vom Manhattan Project, das dann die Räumlichkeiten übernommen hat. Viele ehemalige Schüler dieser Schule haben über die Missbräuche des Schulleiters gesprochen, aber ich wollte das ganz klar fiktionalisieren. Wenn man diesen Hintergrund kennt, kann man die Verbindung zu dieser Schule vielleicht erahnen, aber er ist bestimmt nicht offensichtlich. Aus diesem Grund habe ich die Geschichte auch geografisch von Los Alamos nach Española versetzt. Ich habe auch zeitlich eine Verschiebung unternommen. Indem ich den Beginn der Geschichte in die 40er Jahre legte, konnte ich außerdem auch noch die Jetztzeit integrieren, ohne eine zusätzliche Generation berücksichtigen zu müssen.

Im Tagesgespräch haben Sie bereits erwähnt, dass Luigi, die erste Figur war, die für Sie feststand. Wie hatten Sie die Idee für Luigi und die anderen Charaktere?

Ich war in Santa Fe und wartete darauf, dass sich mir meine Geschichte aufdrängt. In dieser Zeit wurde ich von unterschiedlichen Seiten immer auf Los Alamos angesprochen. Das Thema verfolgte mich fast schon. Dann stiess ich auch noch auf eine Fernsehserie über das Manhattan Project. Da ich auch ein bisschen an solche Zeichen glaube, habe ich mich schliesslich dazu entschieden, diesen Ort einmal zu besuchen. Im Ortsmuseum hatte es dann eine kleine Nische mit Fotos von dem Gebäude und den Kindern und den Pferden, die davor standen. In der Bildbeschreibung hiess es, dass die Schule gegründet wurde, um den verweichlichten amerikanischen Mann von dem übermächtigen Einfluss seiner Mutter zu befreien und ihn in einer frauenlosen Gesellschaft aufwachsen zu lassen. Als ich das gelesen habe, hatte ich so etwas wie einen elektrischen Schlag und ich sah sofort das Bild dieses Jungen mit seiner Mutter im Zug, die ihn in die Schule bringt. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich allerdings noch nicht, dass dieser Junge Luigi ist. Es war wie ein Film und plötzlich hörte ich, dass die Italienisch miteinander reden. Sind die aus dem Tessin? Ich habe null Bezug zum Tessin und trotzdem sprachen die Italienisch. Trotz mehreren Versuchen, diese Figuren zu Deutschschweizern zu machen, gelang es mir nicht. Nachdem ich mich lange bei Luigi aufgehalten hatte, kam sein Sohn dazu und anschliessend irgendwann Sofia. Entlang der Generationen.

Sie sagen, dass im Verlaufe der Zeit immer mehr Figuren hinzugekommen sind. Wie wird aus diesen einzelnen Charakteren eine zusammenhängende Geschichte? 

Ich widme mein Schreiben immer dem, der gerade am lautesten ist in meinem Kopf und so entsteht eine total chaotische erste Fassung. In einer Version war die Geschichte auch einmal zeitlich linear strukturiert, indem ein Jahrzehnt nach dem anderen beschrieben wurde. Natürlich wäre das leserfreundlicher gewesen, aber ich dachte, ich muss die Geschichte auf gut Schweizerisch «zöpfeln».

Sie sagen, diese neugewonnene Freiheit sei für Ihren Schreibprozess sehr wichtig gewesen. Was hat sie in der Schweiz denn an diesem grenzenlosen Schreiben gehindert?

Meine Kreativität hat sich einfach den Platz genommen, der noch frei war. Aber ich spürte, dass da noch mehr war, was einfach keinen Platz hatte, weil ich mich ständig verzettelt habe. Neben Kolumne, Radio und Theater blieb das Schreiben an sich «sehr dünn ausgewallt». Nachdem ich das alles aufgegeben hatte, kam das Schreiben mit einer Wucht zurück. Für mich ein sehr schönes Erlebnis, das ich nicht missen möchte. Vorher hatte ich noch nie ein Buch geschrieben, das von mehreren Generationen handelte oder das nicht in der Jetztzeit spielt. Nicht das ich das nicht wollte, aber das wäre mir gar nie in den Sinn gekommen, weil ich die innere Freiheit dazu nicht hatte. Wer weiss, vielleicht schreibe ich als nächstes einen Fantasyroman. Ich habe irgendwie so das Gefühl, es ist alles möglich, wohingegen ich mich vorher in einem festgesteckten Rahmen bewegte. Auch dass es praktisch keine Frauenfiguren gibt, ist völlig neu für mich und ist mir zuerst aber gar nicht aufgefallen.

Lesen Sie überhaupt noch Schweizer Literatur?

Ich lese natürlich vor allem auf Englisch und habe deshalb auch nicht so viel Ahnung davon, was momentan im Literaturbetrieb in der Schweiz so los ist, aber so richtig drin war ich eigentlich sowieso nie. Schon meine ersten Bücher habe ich in Eigenverlag veröffentlicht und so war ich nie wirklich in der „Literaturszene“. Ich hatte immer das Gefühl, meinen eigenen Spielplatz zu haben. Meine ersten Bücher hatten dann auch fürchterlich schlechte Kritiken, aber irgendwie ging es dann trotzdem. Ich seh mich dennoch immer irgendwie als aussen.

Sie sagen ja, dass es zu Ihnen gehört, dass Sie schon immer Geschichten im Kopf hatten, die Sie dann aufschreiben. Wann haben Sie eigentlich damit angefangen, Geschichten zu schreiben?

Ich wuchs in einem Schriftstellerhaushalt auf, daher war es für mich nicht so besonders. Meine Mutter erzählt gerne, dass ich als Dreijährige vor mich hin gekritzelt hätte und sie mich gefragt hätte, was ich da mache. Ich antwortete: Ich schreibe ein Buch. Ein Buch über eine Preiselbeere. Ich hatte noch alte Kinderbücher meiner Mutter, zum Beispiel Die braven und die schlimmen Beeren von Ida Bohatta. Das sind so kitschige Zeichnungen von so kleinen Mädchen, die dann so riesige Röckchen haben und das hat mir gefallen. Schon ganz früh war dann für mich absolut klar, dass das Schreiben vom Lesen kommt. Ich bin eine süchtige Leserin und habe schon früh gemerkt, dass ich auch selber eine Geschichte erzählen kann und nicht darauf angewiesen bin, dass zum Beispiel noch ein zweiter Band auf das Lieblingsbuch folgt. Man kann ihn einfach selber schreiben. Als Kind habe ich dann alle meine Lieblingsbücher um- und nachgeschrieben. Mit 20 habe ich dann angefangen, längere Geschichten zu schreiben. Nach sechs Jahren erfolgloser Suche nach einem Verleger war dann mein erstes veröffentlichtes Buch Gebrochene Herzen auch bereits das vierte Manuskript. Unterdessen kann ich die ersten drei auch nicht mehr auffinden, da ich auch so oft umgezogen bin.

Was ist momentan ihr Lieblingsbuch?

Ich habe zwei absolute Lieblingsbücher. Nein, drei, die ich immer wieder lese, aber nicht aus dem neuen Programm. Das eine ist Arbeit und Struktur von Wolfgang Herrndorf, das eine ist Fremde Signale von Katharina Faber. Und dann lese ich immer wieder gern Mein Name ist Eugen von Klaus Schädelin. Das ist eigentlich ein Kinderbuch aus den 50er Jahren und widerlegt alles, was man der Schweizer Literatur so vorwirft. Es ist so schwer, so behäbig, es hat keinen Humor. Es ist eines der anarchischsten Kinderbücher, die es überhaupt gibt. Das ist super. Und das sind die drei Bücher, die ich immer wieder lese und die mehr sind als „nur Literatur“. Es ist fast so ein moralisches, spirituelles – das ist ein grosses Wort – aber ein tröstliches Gerüst, an dem ich mich festhalte.

Können sie auch Bücher mehrmals hintereinander lesen?

Ja, wenn ich sie wirklich liebe. Manchmal hat man doch sowas wie ein Gefühl, dass das Buch für einen selbst geschrieben wurde. Was ich auch wahnsinnig gerne lese, sind die Tagebücher von Max Frisch. Ich kann von Max Frisch nicht weiter entfernt sein, aber ich fühle mich ihm in seinen Reflexionen über das Schreiben total verbunden. Und denke oft: ja, genau. Ich habe das auch oft in meinen Kursen verwendet, um den Lernenden beizubringen: Hört mal, jeder hat seins, sogar Max Frisch hatte ein Tagebuch auf dem Höhepunkt seiner Karriere.

Aber Sie hatten nie Zweifel, dass die Kreativität mal nicht mehr da ist?

Doch, aber die Geschichten versiegen nicht. Natürlich habe ich immer Zweifel, ob ich die Geschichte so erzählen kann, wie sie erzählt werden will oder muss oder ob ich der Geschichte gerecht werde. Das sind immer wieder Zweifel, vor allem während ich im Prozess noch drin bin. Irgendwann kommt der Punkt, an dem ich merke, „okay, das ist es“. Take it or leave it, aber während der Arbeit – klar, da zweifelt man dauernd. Das gehört dazu.

Aber das hatten sie auch gesagt, dass Sie am Ende einen anderen Luigi hatten, als sie vorher im Kopf hatten.

Ich habe einfach Luigi als Kind kennen gelernt und ihn begleitet. Ich habe mitgefühlt, als er von einem Schulleiter missbraucht wurde und dann habe ich auch gesehen, wie er alle Hilfsangebote ausschlägt. Als mir dann klar wurde, dass er selbst seinen Sohn missbraucht, hat mir das wirklich mein Herz gebrochen. Das war völlig klar, die Geschichte muss so sein – die Geschichte kann nicht irgendwo anders durch -, aber das war wirklich schlimm für mich.

Aber Sie können das dann nicht für sich abändern?

Nein, eben das geht dann nicht. Ich muss ja die Geschichte erzählen, welche da ist. Mir ist das schon klar, dass die aus meinem Kopf kommt. Dass das meine Geschichte ist. Aber es fühlt sich wirklich so an, als wäre die Geschichte eigentlich fertig. Sie zeigt sich mir Satz für Satz für Satz für Satz, und ich bin vielleicht 2 bis 3 Sätze hintendrein, aber ich sehe nicht das Ganze. Ich kann das nicht nach meinem Geschmack verändern.

Es ist so faszinierend, wie Sie von den Figuren sprechen, als wären sie Menschen, die mit uns am Tisch sitzen könnten. Wie kommen diese Geschichten zu Ihnen?

Mit dem Schreiben sind sie da und dann ist irgendwo auch so ein Luigi dabei. Dann kommt ein Gio und dann bin ich plötzlich in den 70er Jahren. Dann muss ich denken: Okay, dann breche ich hier ab und folge den Bildern in meinem Kopf. Ich habe eine Freundin, sie ist auch Schriftstellerin. Wir reden manchmal dann über die Figuren und dann sagt sie: „Die Verenice macht mir Sorgen“, und ich sage irgendwie, „ja, der Luigi mir auch“. Wenn uns jemand zuhören würde, würde er denken: Ihr habt ja einen traurigen Freundeskreis. Verkehrt ihr nur mit Neurotikern und Kriminellen? Aber nein, das sind unsere Figuren. Das ist eben so und es lässt sich schwer erklären.

Haben Sie jetzt keine Probleme auf deutsch zu schreiben, wenn sie die ganze Zeit im englischsprachigen Raum leben?

Nein, das ist für Deutschschweizer Autoren anders. Wir schreiben sowieso schon in einer fremden Sprache. Und ich glaube: Die Autoren, die wirklich so schreiben wie sie denken und reden – für die ist das sicher schwieriger.

Wäre es für Sie demnach keine Option, ein Buch auf Schweizerdeutsch zu schreiben?

Nein, das hat mich nie interessiert.

Gibt es Informationen zum nächsten Buch? Wir haben gehört, dass es das Cover schon geben soll.

Ja, nicht mehr. Ich hab in einer Nacht und Nebelaktion den Verlag gewechselt und das Buch erscheint jetzt nicht mehr bei Nagel & Kimche, sondern bei Kein und Aber. Der neue Verlag macht einen eigenen neuen Umschlag, aber es wird in dem Stil sein.

Verraten Sie uns, worum es in dem neuen Buch gehen wird?

Es wird um den Tod gehen. Es heisst „Die Toten haben das schönste Leben“. Das Buch handelt vom mexikanischen Totenbrauch „día de los muertos“. Die meisten kennen den Brauch von James Bond, einer der Filme hat in Mexiko City mit einem Umzug mit riesigen Skeletten begonnen. Die Kultur beruht auf der Vorstellung, dass – nicht wie im Christentum, wo man erst ein guter Mensch sein muss, um in den Himmel zu kommen – nach dem Tod alles möglich sei. Das ist ein sehr weltliches Paradies. Da wird auch gegessen und Tequila getrunken und man hat Sex mit diesen Skeletten. Also mir ist es sehr fremd, aber ich finde es einfach extrem tröstlich. Das Buch ist in gewisser Weise auch eine Kulturgeschichte, weniger ein Roman.

Unterstützt ihr Freund Victor Sie dabei und erklärt Ihnen den Brauch und was dahintersteckt?

Ja, er ist auch Mitautor. Wir geben das Buch zusammen raus.

Ist es das erste Mal, dass Sie ein Buch zusammen rausgeben?

Ja, ich schreibe es und ich interviewe ihn auf englisch. Dann schreib ich das auf und lese es ihm wieder vor. Das geht hin und her und ist natürlich auch eine Vertrauensfrage.

Es ist aber schön, dass ihr Partner auch Interesse dran hat. Denn es gibt ja bestimmt auch oft Partner, die mit all den Figuren und Geschichten nicht so viel anfangen können.

Ich hatte endlich mal Glück… Späte Liebe ist sehr schön. Ich hatte auch schon andere Beziehungen, in denen das ein Problem war. Ich habe eigentlich immer aus meiner Erfahrung heraus gesagt: Es kann nur einen Künstler in einer Beziehung geben. Victor ist Künstler und es geht prima. Ich glaube, es geht mehr um die Konstellation.

Schreibt er selber auch Bücher?

Nein, er ist bildender Künstler.

Sie haben ja den Verlag gewechselt und sie haben oft darüber gesprochen, dass sie die Freiheit als Inspiration sehen, als Schaffensquelle. Verlage haben immer einen gewissen Einfluss – können die Verlage einen vielleicht zurückhalten?  

Ich darf einfach nichts über die Umstände des Verlagswechsel sagen. Aber Nagel & Kimche hat vor zwei oder drei Wochen eine Pressemitteilung herausgegeben. Den Rest kann man sich zusammen reimen, ohne das ich jetzt zu viel sage.

Wie viel wird auf Verlagsseite noch an einem Buch geändert, bis das fertige Manuskript vorliegt?

Das Lektorat ist sehr wichtig. Wie der Verlag heisst oder wo das Büro ist, das ist nicht so wichtig. Wichtig ist, wer ist mein Lektor, meine Lektorin? Das ist etwas ganz Persönliches. Bei „Land der Söhne“ etwa hatte ich den Schluss noch nicht fix und habe ihn nach dem Gespräch mit dem Lektor nochmal umgeschrieben. Zunächst habe ich mich dagegen gewehrt, aber dann habe ich gemerkt, dass er vielleicht schon recht hat. Das kann manchmal weiter gehen und manchmal weniger weit. Aber letzten Endes habe ich natürlich da auch das letzte Wort. Bei „Land der Söhne“ gab es etwa den Einwand, es sei einfacher, wenn chronologisch erzählt würde. Aber ich wollte die Geschichte so erzählen. Beim Umschlag oder beim Titel ist die Vorstellung des Verlags freilich bestimmend.

Das Interview mit Milena Moser wurde von Michelle Holz und Laura Barberio geführt.

 

Ein Gespräch über Bücher

Das zweite Branchengespräch der Literaturtage drehte sich um die Frage, wie aus einem Text ein Buch wird. Als Podiumsgäste waren Annette Beger, die Leiterin des Zürcher Kommode Verlags, und Gabriel de Montmollin, bis 2015 Leiter der Éditions Labor et Fides und mittlerweile Leiter des Musée international de la Réforme in Genf. Geleitet wurde das Gespräch von Dani Landolf, seines Zeichens Geschäftsführer des Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verbands SBVV. Landolf verwies auf die Sonderstellung, die dem Schweizer Buchmarkt aus seiner Viersprachigkeit erwächst: Die Verlage in der Westschweiz orientieren sich nach Frankreich, die im Tessin nach Italien und die Deutschschweizer schauen nach Deutschland und Österreich. Dass diese Länder Euroländer sind, hat einen grossen Einfluss auf die Schweizer Verlage, nicht zuletzt seit die Buchpreisbindung 2008 in der Schweiz aufgehoben wurde.

Im deutschsprachigen Bereich der Schweiz gibt es zur Zeit circa 200 Verlage, von denen rund die Hälfte „professionell“ betrieben würden. Thematisch sei die Schweizer Verlagslandschaft breit aufgestellt, fügt Landolf an, dies gälte insbesondere für den Kunst- und Architekturbereich als auch für das Feld der Sach- und Kinderbücher. Auch Wissenschaftsverlage machten ein durchaus herzeigbares Sement aus, wenn sie auch in der Öffentlichkeit nicht sehr präsent seien.

Annette Beger vertiefte sodann das Gebiet der Verlagskalkulation, referierte die prozentualen Anteile, welche sich auf die Buchhandlungen, dem Verlag und den Autor aufteilen, nicht zu vergessen die Kosten für Druck und Distribution. Auf die Frage, wo Verlage denn tatsächlich drucken lassen würden, antwortete Beger, dass der Kommode Verlag in Italien drucken lasse. Dies sei kostengünstiger und trotzdem stimme die Qualität trotzdem. Bücher aus englischen Verlagen fände sie schrecklich, meint Beger, denn diese seien meistens beschichtet, die Beschichtung löse sich nach und nach ab und werde klebrig.

Sodann wurde die Frage diskutiert, wieso es immer noch so wichtig sei, dass die Buchhändler das Recht haben, nicht verkauften Bücher wieder zurück geben zu können. Beger warf ein, dass man bedenken müsse, dass die Buchhandlungen auch Bücher von unbekannten Autoren bestellen und somit immer das Risiko haben, dass die Bücher nicht verkauft werden – was Rolf Lappert, den ersten Gewinner des Schweizer Buchpreises, anmerken liess, dass man ein Buch auch verkaufe, wenn man von ihm überzeugt sei.

Was aber leisten Verlage überhaupt?
Das Podium war sich einig: Sie sind Dienstleister, verwalten die Rechte der Autoren, vertreiben, lektorieren und führen die Promotion für das jeweilige Buch durch. Nicht jeder Autor kann gut lesen, dafür muss man kreative Alternativen entwickeln. Die meiste Zeit nehme das Lektorat ein. Man kann Autoren nur aufbauen, wenn man am Text arbeitet.

Die Frage, ob Autoren Verlage denn auch wirklich als Dienstleister in Anspruch nehmen müssten, bejahte Rolf Lappert. Das Lektorat sei für ihn unglaublich wichtig. Wenn ein Verlag seine Texte zu gut fände und er ein fertiges Manuskript einreiche, welches dann nicht mehr bearbeitet würde, werde er skeptisch. Für ihn sei wichtig, dass das Manuskript richtig überarbeitet werde. Es dürften sich nach einem qualitativen guten Lektorat keine Fehler mehr im fertigen Buch finden. Lappert adressierte dann auch junge AutorInnen der Bieler Schreibschule, deren Manuskripte meist bereits bei Einreichung eine sehr gute Qualität aufwiesen, nicht zuletzt weil sie bereits bei Agenturen überarbeitet worden seien.

Der Austausch gestaltete sich äusserst interessant und eröffnete die Möglichkeit, mehr über die Schweizer Verlagslandschaft zu erfahren. Dani Landolf fragte geschickt nach, blieb hartnäckig, wenn Fragen nicht präzise genug beantwortet wurden und achtete darauf, dass auch die Zuhörer miteingebunden wurden, um deren Französischkenntnisse es nicht so gut bestellt war – wie um die meinen.

 

 

#whatislove

Liebe kann man nicht definieren. Aber man kann versuchen, über sie zu reden. Dies hatten sich Gina Bucher, Martin R. Dean und Peter Passett in einer Podiumsdiskussion vorgenommen, die von der Schriftstellerin Gabrielle Alioth moderiert wurde. Die drei geladenen Gäste sollten sich alle mit dem Sujet auskennen: Bucher befragte in ihrem Buch „Ich trug ein grünes Kleid, der Rest war Schicksal“ ältere Menschen zum Thema Liebe. Dean hat vor kurzem seinen Roman „Warum wir zusammen sind“ veröffentlicht, in dem es besonders um die ausgelaugte Liebe bei Ü-40-Paaren geht. Passet ist pensionierter Psychotherapeut/-analytiker und hat deshalb viel Erfahrung und genügend Zeit, sich mit dem zu beschäftigen, was Menschen „im Innersten zusammenhält“ – oder eben nicht.

Doch was ist es nun, dieses Phänomen der Liebe, dieses kuriose Abstraktum? Zunächst einmal ein Paradoxon: Alle haben die Liebe erlebt – oder erleben sie gegenwärtig -, doch niemand kann sie benennen. In der Podiumsdiskussion nähern sich die Teilnehmenden dem Konzept der Liebe, dieser schwummrigen Blase an; sie brechen sie auf einzelne Komponenten herunter, deren Definitionen leichter fallen.

Zentral für den Begriff der Liebe ist zum Beispiel der Sex. Sex sei eine spezifische Form von Lust, die sich biologisch erklären lasse und Lebewesen zuerst einmal zusammenbringe. Wie wichtig ist Sex aber für eine längerfristige Beziehung? Wird Sex überbewertet, und sind wir eine oversexed generation? Laut Bucher müssen wir ständig über Sex reden und Dean findet, Sex werde als notwendig eingestuft in unserer Gesellschaft. Was passiert jedoch im Alter, wenn die sexuelle Lust nach und nach schwindet? Schwindet dann auch die Liebe? Dies sei nicht zwingend der Fall, sagt Passett. Zudem müsse zwischen Sex und Erotik unterschieden werden. Sex ist also nicht alles. Die sexuelle Revolution ’68 sei ausserdem gescheitert, denn – so Passett – wir sind heute „verklemmter als die Viktorianer[Innen]“. Dean widerspricht: Nicht vergessen dürfe man, dass durch ebendiese 68er Revolution sich auch Frauen ihre Sexualität zueigen machen konnten.

Die Diskutierenden sind sich einig, dass Liebe nicht nur biologischer Drang sein kann. Menschen seien eine Spezies – vielleicht die einzige -, bei der die Liebe ein metaphysisches Konzept und nicht der blosse Überlebens- und Fortpflanzungstrieb sei. Wir jagen nicht nur dem schnellen Glück hinterher, sondern haben eine Sehnsucht nach Konstanz und Stabilität in der langanhaltenden Liebe. So ähnlich wie das Gefühl von Heimat.

Die Ehe als traditionelle und institutionalisierte Form der Liebe sei nicht besonders geeignet, um deren Erhalt zu garantieren. Dean sieht die Ehe als utopischen Horizont, demenstsprechend sei sie längerfristig zum Scheitern verurteilt. Während sich die Liebe selbst über die Jahre verändere, bliebe der gesellschaftliche Zwang der Ehe bestehen. Wie ein Käfig hindere die Ehe die Liebe daran, davon zu flattern. Laut Bucher existiere die Liebe bei älteren Ehepaaren daher oft nur noch in Erinnerungen. Erinnerungen, die sehr trügerisch sein können, weil sie Schönes verschönern und Schlimmes verschlimmern. Doch warum sind viele ältere Paare trotz Ausbleiben von Sex und Liebe immer noch zusammen?

Womöglich, weil sie in einer Zeit aufgewachsen sind, nach deren Sebstverständnis man sich – einmal verheiratet – schlichtweg nicht mehr trennte. Man arrangierte sich mit der Situation und redete mit niemandem darüber. Dies sei heute anders: Die Liebe wurde frei und die Ehe-Traditionen wurden durch die Emanzipation gesprengt. Dean zufolge leben wir in einer Multioptions-Gesellschaft. Apps wie Tinder vermarkten die Liebe schnell und grossflächig. Das Potential dieser neuen Liebe ist jedoch zugleich deren Schwäche: Weil wir uns nicht mehr festlegen müssen, können wir es nicht mehr. Fazit: Die Liebe war und ist also kompliziert und wird es vermutlich auch bleiben. Die Antwort auf die Frage, warum wir zusammen sind, müssen wir selbst finden.

Alioth entlässt uns in die Freiheit mit einem durchaus treffenden Zitat, das ausgerechnet von Augustinus stammt: Dilige et quo vis fac. Uralt und gleichzeitig hochaktuell. Genauso wie die Liebe selbst.

„Es ist schwierig, sich mit historischen Romanen zu behaupten“

Gabrielle Alioth erscheint – trotz meiner sehr kurzfristigen Anfrage – gut gelaunt und aufgeweckt im Café Solheure. Ich freue mich auf unser Gespräch. Mein Interesse gilt ihrem jüngsten Roman Gallus, der Fremde, der den rätselhaften Lebensweg des Wandermönches Gallus neu erzählt. Das Leben von Gallus verbindet sich im Roman mit jenem einer Ich-Erzählerin, die am Ende des 20. Jahrhunderts den umgekehrten Weg geht: von der Schweiz nach Irland (genauso wie Gabrielle Alioth selber). Als Zeitreisende besucht die Ich-Erzählerin Gallus und befragt ihn zu seinem Leben. Es scheint, als wolle sie das Leben des Heiligen ergründen, um etwas über ihr eigenes zu lernen. Der Roman ist ein Oszillieren zwischen verschiedenen Erzählperspektiven und Zeiten. Gedankenstränge verbinden sich zu einem Gemisch an Erinnerungen. Mit Gabrielle Alioth habe ich über ihren unkonventionellen historischen Roman gesprochen. Ich bin der Frage nachgehen, welchen Stellenwert der historische Roman heute noch hat und war erstaunt, dass es Gabrielle Alioth selber nicht immer gefällt, wenn ihre Romane das „Label“ des historischen Romans erhalten.

Gabrielle Alioth, zuerst einmal: Wie ist Gallus, der Fremde bei den Leser*innen angekommen? So wie erhofft?

G. Alioth: (lacht) Sogar besser als erhofft. Ich hatte schon Bedenken. Mein grosser Vorteil ist, dass Gallus in der Ostschweiz stark verwurzelt ist. Die Ostschweizer interessieren sich einfach für Gallus. Es gab Diskussionen, viele interessante Rückmeldungen und ein grosses Interesse an Lesungen. 

Du sprichst von Bedenken. Einige Zweifel am Vorhaben, etwas über Gallus zu erfahren, lassen sich auch während der Lektüre feststellen. So beispielsweise in den Überlegungen der Ich-Erzählerin selber.

G. Alioth: Ich konnte mir bis zum Schluss nicht ganz erklären, was mich an der Geschichte vom grantigen Heiligen in seiner modrigen Einsiedelei wirklich interessiert. Es ist ja eigentlich schon ziemlich „unsexy“. Ich habe grosses Glück mit meinem Verlag. Normalerweise wäre es schwierig, einem Verlag eine solche Geschichte schmackhaft zu machen. Ein anderer Verlag hätte vielleicht gesagt: Da gibt es keinen Sex und keinen Mord. Was willst du eigentlich?

Was hat dich denn an Gallus fasziniert?

G. Alioth: Mich fasziniert, wenn eine Autorin, ein Autor oder ein Leben gradlinig ist. Wenn jemand konsequent seinen Weg verfolgt. Das tat Gallus auf jeden Fall. Deswegen schrieb ich immer weiter. Aber ich habe während dieser fünf Jahre nicht kontinuierlich am Roman gearbeitet. Ich musste das Ganze wachsen lassen. Ich musste Gallus zuerst kennenlernen. Es gibt ja dieses Klischee: Da ist der Punkt, an dem du vielleicht 60 Prozent des Romans geschrieben hast. Dann erst kennst du die Figuren richtig. Von da an läuft es rasch. Bis dahin aber gilt: „rewrite, rewrite, rewrite“, bis die Person in sich stimmig ist. Was mich an Gallus fasziniert, ist seine Widerborstigkeit. 

Vieles hast du offengelassen. Gehören diese Leerstellen für dich zum historischen Roman dazu?

G. Alioth: Ja, das ist meine Vorstellung von einem historischen Roman. Wir können uns nicht vorstellen, wie die Menschen damals gelebt haben. Wir können uns ja schon nicht mehr vorstellen, wie wir uns vor 20 Jahren gefühlt haben. Ich muss immer offenlegen, was möglich ist. Und zwar ohne zu sagen: So ist es! Die Konstruktion der Erzählebenen mit der Ich-Erzählerin hat mir dabei geholfen, alles zu hinterfragen.

Historische Romane kommen oft etwas kitschig daher. Kannst du bei der Gestaltung und Vermarktung deiner Romane mitreden?

G. Alioth: Nur sehr beschränkt. Beim Hardcover noch eher. Aber wenn dann die Taschenbuchrechte verkauft werden, was ja eigentlich schön ist, denke ich mir dann manchmal: Nein, wie kommt das jetzt daher? Es ist schwierig, sich mit historischen Romanen zu behaupten. Das sehe ich auch jetzt an den Solothurner Literaturtagen, wo wir nur ganz wenige historische Romane haben. Da ist natürlich Lukas Hartmann mit seinem wunderbaren Roman „Der Sänger“, aber auch er ist eher eine Ausnahme. 

Wie siehst du den Stellenwert des historischen Romans momentan?

G. Alioth: Es ist schwierig. Ich habe auch andere Romane geschrieben, die ebenfalls als „historische Romane“ betitelt wurden. Es wurde ein wenig zu einem „Label“, mit welchem ich mich nicht ganz wohlfühle. Einige Menschen denken bei „historischen Romanen“ an diese Billigromane. Und mit diesen lässt man sich natürlich nicht gerne ins gleiche Regal stellen. Andererseits ist der historische Roman eine einzigartige Chance, der Gegenwart einen Spiegel vorzuhalten. 

Im weiteren Verlauf des Gespräches habe ich mich mit Gabrielle Alioth darüber unterhalten, inwiefern der historische Roman im englischsprachigen Raum einen anderen Stellenwert einnimmt, als im deutschsprachigen – und nach den Gründen dafür gefragt. Gabrielle Alioth hat mir des weiteren erklärt, was die Erzählebenen in Gallus, der Fremde mit einer keltischen, bisweilen romantischen Vorstellung von Zeit und Ort zu tun haben. Gabrielle Alioth hat mir auch verraten, weshalb sie selber beim Schreiben nach wie vor den historischen Roman gegenüber den Romanen bevorzuge, welche in der Gegenwart oder der Zukunft angesiedelt sind.

Das ausführliche Interview mit Gabrielle Alioth erscheint in Kürze auf der Buchjahr-Seite. Seid gespannt!

Ihr dürft schon ein bisschen näher kommen

Niemand getraut sich so richtig, die erste Sitzreihe direkt am grossen Tisch in Beschlag zu nehmen, an dessen Kopfende bereits Donat Blum, Anna Stern, Ivona Brđanović, Lou Meili, Martin Frank und Lino Sibillano sitzen.

«Ihr dürft schon ein bisschen näher kommen», sagt darum Donat Blum, und alle Besucher*innen rücken eine Reihe nach vorn, sodass jetzt auch die Stühle direkt am Tisch besetzt sind und die Autor*innen mit dem Publikum im Kreis sitzen.

Dem Publikum Autor*innen und ihre gemeinsamen Arbeit an einem Text näher zu bringen, ist das Ziel der Veranstaltungsreihe «Skriptor». Das Format soll einen Begegnungsort schaffen, sagt Donat Blum, der «Skriptor» ins Leben gerufen hat, den literarischen Schaffensprozess für Leser*innen sichtbar machen.

Heute sitzen Autor*innen von «Glitter*», dem ersten und einzigen Magazin für queere Literatur im deutschsprachigen Raum, in der Runde. Besprochen wird ein Text von Lino Sibillano. Er nennt den Auszug eine «Baustelle, einen Anfang von Etwas».

Sibillano liest seinen Text vor, die Autor*innen und Besucher*innen hören zu, verfolgen die Zeilen mit den Augen oder lauschen einfach der Stimme des Autors. Dann eröffnet Donat Blum die Diskussion. Wer jetzt erwartet hat, die Autor*innen würden nach dem Prinzip «zuerst drei positive Punkte, dann Kritik» vorgehen, wird überrascht.

Die Kritik kommt ohne Umschweife, ist ehrlich, präzise, zielt auf Inhaltliches, aber auch Sprachliches. Dabei sind die Autor*innen nicht immer gleicher Meinung. Uneinigkeit entsteht etwa um die Wahl eines Wortes, das auf «-chen» endet. Während sich Donat Blum fragt, was das hier zu suchen habe, sieht Lou Meili darin eine gekonnte Charakterisierung des Erzählers.

Man merkt, wie genau sich die Autor*innen in den Text hineingedacht haben. Hier soll die beste Form eines Textes aus dem Sprachmaterial herausgeschält werden. Dann darf sich auch das Publikum zum Text äussern, auch hier werden genaue Beobachtungen beschrieben. Lino Sibillano hört aufmerksam zu, macht sich Notizen, nimmt auch die direkteste Kritik mit einem Lächeln zur Kenntnis, etwa als Ivona Brđanović eine Textstelle als «Coelho-Moment» bezeichnet.

Zum Schluss sind sich aber alle einig, die Autor*innen und das Publikum: Sibillanos Text hat Potential, einen spannenden Ansatz, der verschiedene Textsorten vereint und mit fiktionalen Ebenen spielt. Wir dürfen also gespannt sein, wie sich sein fertiger Text lesen wird.

„Traut euch und probiert aus“ – Autorengespräch mit Tabea Steiner

Tabea Steiner hat an den Solothurner Literaturtagen ihr Erstlingswerk „Balg“ gelesen. In den vergangenen Jahren hat sie selbst viele Literaturfestivals organisiert und sogar initiiert. Am heissen Sonntagnachmittag hat sie sich viel Zeit für meine Fragen genommen. 

Du warst das erste Mal als Autorin am Literaturfestival dabei, vorher hast du Festivals organisiert und initiiert. Wie war der Perspektivenwechsel für dich?

Sehr schön. Als Organisatorin stehe ich stetig unter Strom, was hier zwar auch der Fall ist, aber die Verantwortung ist nicht so gross. Als Organisatorin nehme ich jede Kritik und jeden Zwischenfall sofort wahr und auf. Dadurch, dass ich beide Seiten kenne, schätze ich die Arbeit der Organisatoren und Organisatorinnen hier sehr und weiss die kleinen Details zu schätzen. Das Publikum in Solothurn ist sehr wohlwollend, das ist unglaublich schön.

Wir, die hier am Blog arbeiten, studieren alle Germanistik. Ich wage zu behaupten, dass alle Germanistikstudentinnen und -studenten irgendwie den Wunsch hegen, ein eigenes Buch zu veröffentlichen. Hattest du diesen Wunsch schon immer, ein eigenes Buch zu schreiben?

Der Wunsch war schon immer da. Es war sogar der Grund, weshalb ich Germanistik studieren wollte. Ich wollte mehr wissen, mich auskennen und austauschen. Ich habe dann im Studium schnell gemerkt, dass Germanistik und literarisches Schreiben nicht viel miteinander zu tun haben. Das Studium hat mir dennoch viel gebracht und mein analytisches Denken weiterentwickelt. Kurz nach Beginn meines Studiums wurde das Literaturinstitut in Biel eröffnet. Ich habe kurz überlegt, mich dort zu bewerben, habe mich aber schlussendlich dagegen entschieden und mein Germanistikstudium beendet. Darüber bin ich im Nachhinein auch froh. Ich glaube aber, dass die Leute, die am Literaturinstitut waren, es einfacher haben, ein Selbstverständnis als Autor oder Autorin zu entwickeln. Das Aufnahmeverfahren mit einzuschickenden Texten legitimiert die Bewerberinnen und Bewerber bereits. Ansonsten muss man sich gewissermassen selber dazu befähigen oder ernennen. Ich habe früher immer gesagt, dass ich schreibe, also: dass ich Autorin bin. Seit ich das Buch zum ersten Mal in den Händen hatte, sage ich, dass ich Schriftstellerin bin. Ich finde, dass das ein schöner Begriff ist. Dazu beigetragen hat sicher, dass ich ein Stipendium am LCB bekommen habe, was für mich extrem wichtig war.

Du hast von dem Moment gesprochen, in dem du das Buch das erste Mal in den Händen hattest. Wie lange hat der Prozess gedauert, bis du das Buch das erste Mal in den Händen hattest?

Ziemlich genau sechs Jahre.

War es eine bewusste Entscheidung, in deinem Roman keine Kapiteleinteilungen zu machen, sondern nur Absätze als Marker für Fokalisierungswechsel?

Die Entscheidung fiel, als Timon (Anm.d.Red.: der Protagonist des Textes) dazugekommen ist. Da verspürte ich den Wunsch, alle zur Sprache kommen und ihre eigene Perspektive erläutern zu lassen. So hat sich die Frage nach den Kapiteln eigentlich erledigt. Nicht zuletzt konnte ich damit Timons Entwicklung aufzeigen. Kapitel wären unnötige Brüche gewesen. Es gibt ja immer noch die Absätze. Anfangs wollte ich nach jedem Absatz eine neue Seite beginnen, aber so konnte ich die unterschiedliche Perspektivierung auf das gleiche Geschehen besser darstellen. Ich habe mich da sehr am Film orientiert.

Valentin ist der Postbote im Dorf. Postboten bringen normalerweise eine Botschaft. Welche Botschaft übermittelt Valentin?

Das ist eine spannende Frage. Ich glaube, seine Botschaft bestünde in der Bereitschaft, Haltungen zu überdenken, sie sogar zu ändern. Für mich ist er als Briefträger (und auch als Lehrer) vor allem wichtig, da er extrem viel weiss, alle kennt, die Mechanismen versteht und gleichzeitig ein Aussenseiter ist.

Dein erstes Buch ist jetzt abgeschlossen. Hast du schon neue Projekte geplant, von denen du erzählen kannst?

Ich habe bereits vor etwas mehr als einem Jahr mit einem neuen Projekt begonnen. Die Idee hatte ich schon länger und ich arbeite momentan vor allem daran. Ich freue mich besonders auf diesen Sommer, wo ich im Rahmen eines Stipendiums für drei Monate am LCB schreiben darf und mich ganz auf dieses Projekt konzentrieren kann. Gerade um Figuren entwickeln zu können, tut mir so eine intensive Schreibphase sehr gut. Das Thema des neuen Projektes hat sehr viel mit meiner eigenen Biografie zu tun, das ist schwierig. Zunächst habe ich begonnen, über eine Figur in der dritten Person zu schreiben. Das hat sich aber noch zu sehr nach mir selbst angefühlt. Dann habe ich es mit der Ich-Perspektive versucht. So konnte ich mich in eine Figur versetzen, die ich mir ausgedacht habe, die aber nicht mehr ich bin. Viele Charakterzüge der Figur kenne ich, dennoch bin ich es nicht. Das war für mich ein sehr spannender Effekt.

Merkst du eine Veränderung deines Stils bei verschiedenen Projekten?

Ich denke ja, ich hoffe es jedenfalls. Die Figuren sind völlig verschieden mit unterschiedlichen Geschichten. Das sollte sich meiner Meinung nach auch in der Sprache niederschlagen. Ich denke, dass Themen sich ihre Formen nehmen. In meinem neuen Projekt gibt es nur einen Perspektivenwechsel. Der Rest wird aus der Perspektive einer Figur erzählt, in einem Schwall sozusagen. Aber es ist ähnlich szenisch aufgebaut. Schon bei Balg hatte ich je nach Perspektive andere Schreibstile. Grundsätzlich habe ich meinen Stil, der sich zwar stetig weiterentwickelt, sich aber nie völlig verändert.

Philipp Theisohn meinte, ich muss dich unbedingt nach Erika Burkart fragen…

(Lacht) Aha. Also, Erika wurde 1922 geboren und ist 2006 gestorben. Sie würde also bald 100 Jahre alt werden. Sie war Lyrikerin und hat sich stark mit der Natur befasst, hat aber auch Romane geschrieben. Ich finde, dass sie eine sehr spannende Position hat. Zudem wurde mit ihr etwas ganz Seltsames gemacht. Sie hatte lange, blonde Locken, später lange, weisse Locken, sah immer etwas unterdrückt aus. Sie war damit das Bild der Lyrikerin, was sich auch sehr stark auf ihre Rezeption niedergeschlagen hat. Jetzt ist sie in Vergessenheit geraten. Mein Text von gestern Abend (a.d.R. Tabea Steiner las am Samstag Abend im Rahmen des Festivals einen Text zum Thema „Alte Meisterinnen“) sagt eigentlich aus, dass man sie wieder mehr beachten sollte, ihre Texte hervornehmen und genau anschauen. Sie war für mich immer die Lyrikerin der Schweiz. Ich habe sie einmal zum Literaturfestival in Thun eingeladen, da war sie aber leider krank und eingeschneit. Sie wird oft als Mythische, sehr esoterisch beschrieben, schrieb viel Übersinnliches und nahm dies auch sehr ernst, war aber eine unglaublich wache, klare Zeitgenossin mit klaren politischen Zügen. Sie geht zum einen vergessen, wird aber auch extrem verniedlicht. Ich finde, Philipp Theisohn sollte zu ihr ein Symposium an der Uni Zürich veranstalten.

Möchtest du zum Abschluss noch etwas erzählen oder sagen?

Ja, du hast ja gesagt, dass es viele Germanistikstudentinnen und -studenten gibt, die schreiben möchten. Die will ich ermuntern. Denkt euch weg vom Studium und probiert es aus. Die Theorie aus dem Studium könnt ihr dann beim Überarbeiten wieder nutzen. Der Schreibprozess dauert, sechs Jahre in meinem Fall sind lang, aber davon darf man sich nicht entmutigen lassen. Ich würde mich freuen, in einigen Jahren Bücher von euch zu lesen.

Soletta: luogo ameno e letterario

La 41esima edizione delle Giornate Letterarie di Soletta, svoltasi da venerdì 31 maggio a domenica 2 giugno, ha proposto un programma di grande varietà, sia linguistica, sia tematica: quattro lingue (francese, italiano, tedesco, romancio) e temi che spaziano dalla letteratura alla cultura, dalla geografia alla politica, dalla storia all’attualità… Più di settanta autori e autrici come protagonisti, un pubblico gremito come co-protagonista e un’ospite d’eccezione: la Natura. Tre giorni illuminati dai raggi del sole e dalla vivacità degli incontri letterari.

Seduta in riva all’Aar, con il sole che si rifletteva sul mio taccuino, rare brezze di vento che alzavano i ciuffi ribelli dei miei capelli, il mio sguardo si è posato su dei piccoli fiori gialli che cercavano di farsi breccia tra le righe del cemento. Mi sono così ritrovata a riflettere sul fatto che nella Natura ci sono i segni e l’idea di resistenza, poiché, nonostante tutto, essa continua ad esserci e a manifestarsi. L’idea di resistenza c’è anche nelle parole – io credo – anche nelle riflessioni fatte e ascoltate degli autori e autrici delle Giornate Letterarie di Soletta. Così come i nostri piedi lasciano impronte nella Natura, anche le nostre parole lasciano tracce nello spazio e per questo anche le riflessioni, di tutti e di tutte, hanno lasciato segni a Soletta.

Il rapporto tra essere umano e Natura, nel bene o nel male, cambia con il tempo, e lo stesso vale per le definizioni o le etichette, letterarie e non. Ormai lo sappiamo, quando si agitano questioni di linguaggio c’è qualche sommovimento sociale in atto. Sintonizzandoci sulla frequenza del nostro presente, ci è facile percepire che stiamo vivendo in un’epoca di cambiamenti sociali. E nella nostra società la capacità più difficile ma fondamentale da acquisire è proprio quella di osservare: saper vedere la Natura, o meglio, tutto ciò che ci circonda. Ma non basta solo vedere, bisogna anche saper guardare e, ancora, bisogna saper scegliere dove indirizzare lo sguardo. L’atto stesso di scrivere richiede la capacità di saper fare una scelta, una selezione di quanto visto, di saper decidere cosa raccontare e cosa no. La scrittura, infatti, muove il nostro sguardo e la penna veicola le immagini viste.

Partecipare alle Giornate Letterarie di Soletta è stata per me un’esperienza meravigliosa e ci tengo a ringraziare l’Università di Zurigo, in particolare Cristoph Steier e Philipp Theisohn, professori presso il Deutsches Seminar, e Tatiana Crivelli, professoressa presso il Romanisches Seminar, per avermi dato la possibilità di partecipare attivamente a questo evento letterario.
Concludo, condividendo un desiderio (o una promessa): tornare a Soletta e partecipare alla 42esima edizione!

 

Nedim Gürsel: un auteur turc à Soleure

Nedim Gürsel est un universitaire chevronné le vendredi et un romancier rêveur le samedi.

Vendredi, Nedim Gürsel entame sa journée avec un entretien pour Le Temps – il me précisera, amusé, qu’une page entière sera dédiée à sa personne et à son œuvre – puis une lecture longue à treize heures, une lecture brève à quinze heures trente : il définit cette première journée de « marathon » organisé et chronométré.

Samedi, quinze heures, l’imposant Nedim Gürsel est attablé sur une terrasse bondée avec quelques amis. Difficile de ne pas remarquer son grand sourire lorsque je m’approche de lui pour le saluer : il s’empresse de me trouver une chaise et m’invite à prendre place avec lui et ses invités. Dès les premiers instants, je suis inclue dans le cercle d’amis d’un auteur de plus de quarante ouvrages – même pas peur! Je pose alors mon portable entre nous deux pour enregistrer l’entretien et nous lance dans une conversation de près d’une heure.

 

  • Dans vos œuvres, vous faites de nombreuses références à la religion musulmane. Quelle est votre position face à cette religion ? Et votre point de vue face à toutes les religions du monde ?

« Dans un siècle comme le nôtre, la religion est incontournable ». En effet, Nedim Gürsel m’explique que la religion fait partie de notre monde, de nos pensées et de notre manière d’agir, c’est pourquoi il est quasiment impossible d’en faire abstraction.

Nedim décrit son rapport à l’Islam comme « conflictuel ». Pendant les jeunes années de sa vie, l’auteur turc est élevé par son grand-père pieux et reçoit donc une éducation religieuse. Plus tard, à l’âge adulte, il se considère comme athée et c’est seulement depuis quelques années qu’il s’intéresse à nouveau à l’Islam : l’âge a fait de lui un homme sceptique. « Je ne m’intéresse pas à la religion sur le plan de la foi, qui est personnelle, mais j’interroge la foi comme un homme curieux de l’histoire des religions ».

 

  • Comment défendez-vous vos œuvres face à la Turquie lorsque le gouvernement juge vos œuvres blasphématoires ?

« La gouvernement turc se réfère à l’Islam, ce qui est une transgression à la Constitution du pays ; le Président lui-même ne respecte pas la Constitution alors qu’il est censé être le garant de celle-ci ». Dans ses écrits souvent très critiques envers le gouvernement turc, Nedim Gürsel dit simplement « ce qu’il pense ». Tous les jours, il se bat contre ce gouvernement qui contrôle tout, ce gouvernement qui refuse de progresser et qui ne permet pas la liberté d’expression car il craint la force de la parole poétique. Dans ce pays, les médias ne parlent qu’à travers une seule voix qui est celle du gouvernement, et plus précisément celle du Président.

 

  • Comment la Turquie peut-elle progresser, d’après vous ?

Nedim Gürsel appelle à une laïcité qui permettrait au gouvernement d’être réellement démocratique et objectif. Un État musulman ne peut être un État démocratique puisqu’il ne respecte pas la diversité et ne revendique pas la laïcité dans sa politique. Il précise qu’il n’est pas critique vis-à-vis de son pays, auquel il reste fidèle, mais il est critique vis-à-vis du gouvernement turc. Je lui demande s’il envisage un retour définitif en Turquie et il me répond par la négative : « C’est en quittant la Turquie que j’ai pu lui porter autant d’intérêt ».

 

Sous un soleil de plomb, je pose de nombreuses questions à Nedim Gürsel, je lui demande des précisions sur son œuvre Le Fils du Capitaine et nous finissons par faire plus ample connaissance. Je lui parle de mes études, il me parle de son amour pour la Suisse, je lui parle de mon intérêt pour la littérature engagée et il me conseille son œuvre L’ange Rouge.

 

Dafina Meha

L’inattendu(e)

Soleure : grand soleil, l’Aar, les montagnes…que demande le peuple ? J’arrive sur les lieux, je me perds, et puis je retrouve mon chemin. On y est, enchaînements de lectures et performances, certaines auxquelles je ne comprends pas grand-chose, d’autres qui me donnent des frissons, d’autres encore qui me transportent d’émotion au point de me tirer des larmes. À ma table, j’ai la chance de rencontrer tout à fait par hasard des autrices et auteurs, dont Rinny Gremaud, Daniel Sangsue, Douna Loup et Meloe Gennai. Sourires et connivences, l’ambiance est bonne, chaleureuse même. Je réalise que ce sont des gens simples, « normaux », loin de la figure mythique du sacro-saint « AUTEUR » là-haut dans le ciel. Et ça me rassure.

 

15h40, je mange une glace au bord de l’eau, quand Douna Loup me rejoint sur un coup du destin. On discute, je suis ravie, j’adore son œuvre, je déblatère. Loin de mon rôle d’étudiante-journaliste, on parle de femme à femme, on se confie avec toute la vulnérabilité qui va avec ce genre d’échanges intimes, où l’on se montre vraie face à une quasi-inconnue, où on ose parler franchement parce qu’après tout, on ne la reverra probablement pas, et que merde, on a envie de parler à Douna et pas à Douna Loup.

 

Tic-tac, 16h00 sonne, c’est l’heure de l’interview, tout le monde rentre dans son carcan préfabriqué. Ready, set, go :

 

Votre livre dénonce-t-il le modèle de couple que notre société nous vend comme le « vrai amour » ? Fidélité, éternité, possession.

 

J’avais envie de raconter autre chose que de la relation amoureuse normée, de parler de ce genre d’amour « hors cadre », qu’il manque parfois à la littérature. Il s’agit de cheminer ensemble par la déconstruction et le déconditionnement. Il faut pouvoir se sentir libre au sein de sa relation, sortir des carcans de l’amour et du couple. Ce n’est pas le propos de mon livre que d’imposer un autre modèle, il ne s’agit pas de promouvoir le couple libre comme un idéal – d’ailleurs les personnages ne finissent pas en relation libre. C’est simplement une invitation à chacun de redéfinir son couple et sa définition de l’amour.

 

Elie et Danis se sont rencontrés avec des idées préconçues de ce que le couple et l’amour devaient être. Il y a un moment de la vie d’Elie où le couple l’enferme, et elle a besoin de faire exploser cette cellule-là pour retrouver sa liberté. Après cette crise, ils cherchent à redéfinir la relation amoureuse qui leur convient à tous les deux, défaits des attentes sociales, quitte à modifier les limites de leur couple en lâchant prise sur la notion de contrôle.

 

Interview over.

 

Le reste des questions et réponses, et surtout les confidences que Douna m’a faites avant l’interview, je les garde pour moi. Cette femme n’est pas du tout ce à quoi je m’attendais, elle est d’une douceur infinie qui me désarçonne et qui me fait du bien. Et cette différence entre mon imaginaire et la réalité, avec la pointe de frustration qu’elle traîne derrière elle, me fait sincèrement chaud au cœur. Les gens ne sont jamais ce qu’on attend d’eux : ils sont.

 

Kaziwa Raim