#whatislove

Liebe kann man nicht definieren. Aber man kann versuchen, über sie zu reden. Dies hatten sich Gina Bucher, Martin R. Dean und Peter Passett in einer Podiumsdiskussion vorgenommen, die von der Schriftstellerin Gabrielle Alioth moderiert wurde. Die drei geladenen Gäste sollten sich alle mit dem Sujet auskennen: Bucher befragte in ihrem Buch „Ich trug ein grünes Kleid, der Rest war Schicksal“ ältere Menschen zum Thema Liebe. Dean hat vor kurzem seinen Roman „Warum wir zusammen sind“ veröffentlicht, in dem es besonders um die ausgelaugte Liebe bei Ü-40-Paaren geht. Passet ist pensionierter Psychotherapeut/-analytiker und hat deshalb viel Erfahrung und genügend Zeit, sich mit dem zu beschäftigen, was Menschen „im Innersten zusammenhält“ – oder eben nicht.

Doch was ist es nun, dieses Phänomen der Liebe, dieses kuriose Abstraktum? Zunächst einmal ein Paradoxon: Alle haben die Liebe erlebt – oder erleben sie gegenwärtig -, doch niemand kann sie benennen. In der Podiumsdiskussion nähern sich die Teilnehmenden dem Konzept der Liebe, dieser schwummrigen Blase an; sie brechen sie auf einzelne Komponenten herunter, deren Definitionen leichter fallen.

Zentral für den Begriff der Liebe ist zum Beispiel der Sex. Sex sei eine spezifische Form von Lust, die sich biologisch erklären lasse und Lebewesen zuerst einmal zusammenbringe. Wie wichtig ist Sex aber für eine längerfristige Beziehung? Wird Sex überbewertet, und sind wir eine oversexed generation? Laut Bucher müssen wir ständig über Sex reden und Dean findet, Sex werde als notwendig eingestuft in unserer Gesellschaft. Was passiert jedoch im Alter, wenn die sexuelle Lust nach und nach schwindet? Schwindet dann auch die Liebe? Dies sei nicht zwingend der Fall, sagt Passett. Zudem müsse zwischen Sex und Erotik unterschieden werden. Sex ist also nicht alles. Die sexuelle Revolution ’68 sei ausserdem gescheitert, denn – so Passett – wir sind heute „verklemmter als die Viktorianer[Innen]“. Dean widerspricht: Nicht vergessen dürfe man, dass durch ebendiese 68er Revolution sich auch Frauen ihre Sexualität zueigen machen konnten.

Die Diskutierenden sind sich einig, dass Liebe nicht nur biologischer Drang sein kann. Menschen seien eine Spezies – vielleicht die einzige -, bei der die Liebe ein metaphysisches Konzept und nicht der blosse Überlebens- und Fortpflanzungstrieb sei. Wir jagen nicht nur dem schnellen Glück hinterher, sondern haben eine Sehnsucht nach Konstanz und Stabilität in der langanhaltenden Liebe. So ähnlich wie das Gefühl von Heimat.

Die Ehe als traditionelle und institutionalisierte Form der Liebe sei nicht besonders geeignet, um deren Erhalt zu garantieren. Dean sieht die Ehe als utopischen Horizont, demenstsprechend sei sie längerfristig zum Scheitern verurteilt. Während sich die Liebe selbst über die Jahre verändere, bliebe der gesellschaftliche Zwang der Ehe bestehen. Wie ein Käfig hindere die Ehe die Liebe daran, davon zu flattern. Laut Bucher existiere die Liebe bei älteren Ehepaaren daher oft nur noch in Erinnerungen. Erinnerungen, die sehr trügerisch sein können, weil sie Schönes verschönern und Schlimmes verschlimmern. Doch warum sind viele ältere Paare trotz Ausbleiben von Sex und Liebe immer noch zusammen?

Womöglich, weil sie in einer Zeit aufgewachsen sind, nach deren Sebstverständnis man sich – einmal verheiratet – schlichtweg nicht mehr trennte. Man arrangierte sich mit der Situation und redete mit niemandem darüber. Dies sei heute anders: Die Liebe wurde frei und die Ehe-Traditionen wurden durch die Emanzipation gesprengt. Dean zufolge leben wir in einer Multioptions-Gesellschaft. Apps wie Tinder vermarkten die Liebe schnell und grossflächig. Das Potential dieser neuen Liebe ist jedoch zugleich deren Schwäche: Weil wir uns nicht mehr festlegen müssen, können wir es nicht mehr. Fazit: Die Liebe war und ist also kompliziert und wird es vermutlich auch bleiben. Die Antwort auf die Frage, warum wir zusammen sind, müssen wir selbst finden.

Alioth entlässt uns in die Freiheit mit einem durchaus treffenden Zitat, das ausgerechnet von Augustinus stammt: Dilige et quo vis fac. Uralt und gleichzeitig hochaktuell. Genauso wie die Liebe selbst.

Von Siegern und Besiegten

Es gibt SiegerInnen und Besiegte. Eine der Siegerinnen ist Karen Duve. Sie hat nämlich den diesjährigen Solothurner Literaturpreis abgeräumt. Und das, obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – sie eine Frau ist.

Duve arbeitet seit über zwanzig Jahren als freie Schriftstellerin, nachdem sie für 13 Jahre als Taxifahrerin unterwegs war. Die deutsche Autorin befasst sich mit Machtstrukturen, Geschlechterrollen, Umweltpolitik und schwarzmalerischen Zukunftsvisionen. Ihre Werke sind laut Jury-Mitglied und Laudatorin Nicola Steiner überraschend, schonungslos und scharfzüngig. Duve provoziert, protestiert, polarisiert und probiert Neues. So wird sie zum Beispiel schrittweise zur Veganerin oder adoptiert ein Huhn. Weil es doch einfach nicht sein kann, dass ein Brathähnchenteller weniger als drei Franken kostet. Duve hält uns einen Spiegel vor Augen, dessen Anblick uns gezielt zu schmerzen versucht. Mit kritischem, streitbarem und humorvollem Blick aber auch mit viel Fingerspitzengefühl fordert sie gekonnt zum Widerspruch auf.

Eindeutig affirmativ verhält sich die Preisträgerin indessen zum Preis und zum Lob ihres literarischen Schaffens. Ihre Freude ist gar so gross, dass sie zu früh auf die Bühne stürmt, um den Preis entgegenzunehmen. Im Gegenzug würde sie nach eigener Aussage am liebsten anschliessend gleich rauslaufen und zu schreiben beginnen, zuerst muss sie jedoch noch ein bisschen lesen. Und zwar aus ihrem neuen Werk „Fräulein Nette’s kurzer Sommer“, einem historischen Roman über Annette von Droste-Hülshoff. Fräulein Nette ist aber nicht nur nett, denn sie schreibt lieber, statt sich im Haushalt zu betätigen. Damit setzt sie ihre Weiblichkeit aufs Spiel. Zum Glück befinden wir uns im 21. Jahrhundert, wo Frauen wie Karen Duve im Literaturbetrieb nicht mehr verschmäht, sondern ab und zu auch ausgezeichnet werden.

Paradiesvögel auf der Suche nach dem Paradies

Unkonventionelles Styling, unkonventionelle Texte, unkonventionelle Musik und ein unkonventioneller Auftritt. Das ist das erfrischende Sprechkonzert des Duos Loretta Shapiro, bestehend aus Katja Brunner und Sophie Aeberli. Katja Brunner studierte literarisches Schreiben in Biel und szenisches Schreiben in Berlin. Ihre Kollegin Sophie Aeberli ist Pianistin und Performerin. Die beiden stechen heraus, heben sich von der Masse ab, lassen sich schwer kategorisieren und sind darüber hinaus sehr sympathisch. Aeberli trägt blauen Lippenstift und eher alternative Kleidung. Brunner eine knallrote Merida-Mähne und mehrere Statement-Ketten. Ein Statement ist auch ihr Sprechkonzert. 

Es ist ein buntes, wildes und ziemlich schräges Gesamtkunstwerk, das uns die Beiden präsentieren. Sie sprengen die Erwartungen gleich zu Beginn und brechen bereits beim Eintreten in den Kinosaal das erste Tabu. Die Gäste werden nämlich am Eingang mit einer Blume ausgestattet und mit den Worten „mis herzliche Biileid“ begrüsst. Es folgt der Abstieg in makabere Thematiken. Richtig traurig wird’s dann aber doch nicht. Eher lustig und warmherzig. Mit viel Witz, starker Sprache und einnehmender Performance unterhalten sie auf allen Ebenen und regen zum Nachdenken an. 

Der Tod ist ein wiederkehrendes Motiv in den jeweils etwa 2-6 minütigen Stücken, deren Reihenfolge der Zufall bestimmt. Das nächste Stück wird nämlich jeweils von jemandem aus dem Publikum aus einer Wollmütze gezogen. Es geht um Mütter, die sich fragen, aus welchem „hässlichen Teil der Gehirnlandschaft“ ihrem jugendlichen Sohn die Idee zugelaufen ist, sich umzubringen. Um hungrige Maden, die sich darüber beschweren, dass Menschen einfach nicht mehr sterben. Oder um die Frage, wie so ein grosser Opa in so eine kleine Urne passt. 

So allgegenwärtig wie der Tod ist auch die Frage nach der Zukunft. Was kann man denn unseren Kindern noch bieten, in einer Welt mit „schäbigen Perspektiven“ wo uns bald „nur noch die Schaben bleiben“? In einer digitalisierten, rationalisierten, oberflächlichen, schein-harmonischen Welt, in der es Sex-Roboter gibt, die lernen wollen, was Liebe heisst. Und in der man sich die Genitalien chirurgisch verschönern kann: Es gibt vierzehn verschiedene Typen von Schamlippen zur Auswahl. Hinter den oft konfusen Geschichten steckt nicht nur viel Galgenhumor, sondern auch eine grosse Portion Gesellschaftskritik.

Die Texte von Loretta Shapiro sind teilweise derb, sie strotzen vor Ehrlichkeit und Unverblümtheit und machen die Sprache spürbar. Durch die experimentelle musikalische Untermalung wird sie noch fassbarer. Die verschiedenen Stücke könnten nicht unterschiedlicher sein. Von lateinischer Gregorianik über stimmverzerrte Roboter-Philosophie zu derartig schnell vorgetragenem Sprechgesang, dass man ihn kaum versteht. Man muss auch nicht alles sofort verstehen. Loretta Shapiro gehen einem definitiv nicht so schnell aus dem Sinn.

Unser Team in Solothurn: Laura Hertel

Laura Hertel studiert Germanistik und Englisch an der Universität Zürich. Dies zeigt schon ihr Interesse an verschiedenen Ländern, Kulturen und vor allem an verschiedenen Sprachen. Sie ist bereits viel gereist – Moskau, New York, Melbourne, Vietnam – doch Solothurn ist für sie noch Neuland. Viele der vor kurzem erschienenen literarischen Beiträge auch. Deshalb freut sie sich umso mehr, nun einmal tatsächlich in die Welt der Bücher einzutauchen und über aktuelle Themen der Schweizer Gesellschaft zu bloggen.