Der Meister hat nichts über Bomben zu berichten

Das Thermometer klettert beinahe auf 30 Grad, die Aare fliesst verlockend durch Solothurn. Eine Abkühlung im Fluss wäre eigentlich ganz schön. Aber es geht auch anders: „Sprache ist wie eine frische Brise“, begrüsst Beat Mazenauer das Publikum am Sonntagnachmittag. Er überlasse nun lieber „dem Meister“ das Wort. Sodann tritt Gerhard Meister ans Mikrophon – begleitet von einigen pflichtschuldigen Lachern.

Der Spoken-Word-Künstler berichtet in sympathischem Berndeutsch von Erfahrungen mit Self-Scan-Automaten, einem Termin bei der Berufsberatung – Astronaut war der einzige Beruf, der passte –  oder darüber, wie Engel den lieben Gott beobachteten, wie dieser auf den Wald „abägschnudderät“ habe.

Eines ist klar: Die Texte aus „Mau öppis ohni Bombe“ sind alle bühnentauglich. Und sehr angenehm anzuhören. Selbst bei fast 30 Grad. Bei einem Gespräch zwischen Meister und Mazenauer erfährt das Publikum, dass in Meisters Texten durchaus „kreuzbrave, biedere Begebenheiten“ zu finden seien. Auf die Frage, weshalb er den Dialekt als Ausdrucksform gewählt habe, erzählt Meister, dass er sich mit hochdeutschen Texten auf der Bühne gehemmter fühle. Das sei wahrscheinlich der Grund.

Weshalb aber hat Gerhard Meister nichts über Bomben zu berichten? Diese Frage stellt Beat Mazenauer dem Spoken-Word-Künstler nicht. Die Antwort hätte mich brennend interessiert. Immerhin hält sich Gerhard Meister beim Auftritt genau an sein Versprechen: „Mau öppis ohni Bombe“. Die Bombe kommt in der Spoken-Word-Aufführung tatsächlich nicht vor. Und noch beim Verlassen des Kinos im Uferbau blicke ich gedankenversunken zur Aare und frage mich, was es denn mit den Bomben auf sich hat.

Mehrstimmigkeit

Ond was machsch du eigentlech?

Ich sitze im heissen und vollen Kino im Uferbau. Auf der Bühne steht ein Mikrofon, eine Loop Station, ein Kontrabass und zwei Künstlerinnen: Amina Abdulkadir und Stefanie Kunckler.

Stefanie Kunckler entlockt dem Kontrabass einen schnellen Rhythmus und gewollt unsaubere Doppelgriffe – ein vielstimmiger Klang. Eine weitere, menschliche Stimme tritt hinzu: die von Amina Abdulkadir. Worte fliessen, die Mehrstimmigkeit der Kontrabassmelodie verwandelt sich in ein pochendes Pizzicato. «Öpper…Öpper het emol gseit…» zögert die Stimme. «Nüt isch me wie früehner!» Die Stimme wiederholt sich, weitere Aussprüche schalten sich ein – die Loops werden zum Gespräch, zum Geschwätz.

Die Kontrabass-Stimme nimmt viele Gestalten an: Sie wird bald zur Gesprächspartnerin, bald zum Herzschlag, bald zum Zweifel, der sich sogleich auch auf die menschliche Stimme überträgt. Es is ein Neben-, In- und Aneinander von Stimmen und Stimmungen, das sich weit ab von jeder einschläfernden, mit Musik begleiteten Lesung bewegt.

Im dunklen Saal treten durch dieses Arrangement viele Zweifel, viele Fragen und viel Kritik ans Licht. Das Duo bringt eingeschliffene Floskeln zum Missklang, so dass sie sich selbst entlarven.

 

Quallentherapie und Pornos gegen Schlaflosigkeit

Sibylle Aeberli hat ein Problem. Sie leidet an Schlaflosigkeit. Schon seit einer gefühlten Ewigkeit hat sie nicht mehr richtig gut geschlafen. Genügend Schlaf zu bekommen wäre allerdings genau in dieser Nacht von Vorteil. Denn am nächsten Morgen muss Aeberli ein wichtiges Konzept für ein Musical vorstellen. In Zeiten von #meToo soll das Musical Abhängigkeit und Missbrauch im Kunstmilieu kritisch verhandeln. Das Konzept bereitet ihr Kopfzerbrechen. Tausend Gedanken gehen ihr durch den Kopf und halten sie die ganze Nacht wach.

Auch Stefanie Grob findet einfach keinen Schlaf. Wie schafft sie es nur, an das Erbe ihrer Grosstante zu kommen? Wie kommt die alte Dame überhaupt auf die blöde Idee, Geld an Blindenhunde zu spenden? Das sei doch absolut unsinnig. Sowieso: Diese armen Hunde dürfen ihr Hundeleben doch gar nicht richtig geniessen. Es wäre doch eigentlich endlich einmal Zeit, Tesla-Blindenhunde zu erfinden.

Aeberli und Grob lassen das Publikum am Samstagabend an ihrer wirren Gedankenwelt teilhaben. Es sind Gedanken, welche ohne Zusammenhang, sprunghaft und unerbittlich ehrlich sind. In einem Ausschnitt aus ihrem Programm „Schlaflos – Ich wach mich kaputt“ zeigen Sibylle Aeberli und Stefanie Grob eine Mischung aus Literatur, Kabarett, Schauspiel und Musik. „Es freut uns, dass ihr die ganze Nacht mit uns verbringt“, verkünden sie zu Beginn schelmisch. Sie würden es übrigens nicht persönlich nehmen, wenn die eine oder andere Person aus dem Publikum einschläft oder gar zu nachtwandeln beginnt. Das Publikum sei sowieso ein schönes „Wachfigurenkabinett“, sind sie sich mit einem Blick in die Runde einig. Schöne „Nachtschattengewächse“.

Aeberli und Grob entführen die Zuschauer*innen sowohl in eine Welt des Halbschlafs als auch des absoluten Wachzustandes, der einen nicht einschlafen lässt. Wenn die beiden mit weissen Nachthemden über die Bühne hüpfen oder als Quallen verkleidet eine „Quallentherapie“ durchführen, welche zu mehr Entspannung führen soll, können sich manche Personen nicht mehr halten vor lachen. Der Gedankenfluss zieht einen in einen Sog, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt. Nur: Wie gelingt das Einschlafen?

Youtube-Videos helfen womöglich. Oder vielleicht Pornos? Sibylle Aeberli ist sich da allerdings nicht sicher. „Die spielen doch immer so schlecht.“ Ausserdem sei doch das blaue Licht vom Laptop für das Einschlafen absolut kontraproduktiv. Und plötzlich ist da wieder der Krampf im Bein. Genau dann, wenn der Schlaf kommt.

Am Ende finden denn Aeberli und Grob beide keine einzige Minute Schlaf. Aber einen Vorteil hat die Schlaflosigkeit: Sie gibt einem die Zeit, sich unzählige Schmink-Tutorials anzuschauen. So kommt Aeberli am Ende immerhin schön geschminkt zu ihrer Konzept-Vorstellung.

Pause, pose, ose

Une voix, sonnante, une harpe, absente, remplacée par une seconde voix, qui chante.

La première voix lit, rit, vit.

La seconde vibre, tout en échos et en harmoniques.

Parfois mélancolique, parfois comique.

De la musique dans la poésie.

Du récit dans la mélodie.

 

Meloe Gennai et Makeda Monnet,

Une performance qui met la réalité en pause.

 

Une pause sans aucun doute unique dans le sens où

Pause

Dans le sens où

Pause

Qui ne serait pas qu’une pause qui emporte tout sur son passage mais bien plus que ça

 

Une performance qui met la réalité en pose. Une pose de la voix, une voix de la pose.

Une performance qui met la réalité en « ose ». Ose être toi-même, ose partager.

 

Anthony Ramser

Mondschein am Nachmittag

Das ist also mein erster Spoken Word-Vortrag. Der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt und man vernimmt wildes Gemurmel. Als sich dann Andri Beyeler, Sebastian Krähenbühl und Matto Kämpf auf die Bühne begeben, wird es plötzlich still. Alle sind gespannt, so auch ich. Das erste Wort hat Kämpf, der erklärt, dass es sich bei Andri Beyelers Buch Mondscheiner um drei innere Monologe dreier Figuren handelt. Die Figuren heissen «er», «der Andere» und «die Eine». Bereits hier geht das erste Gelächter los. Nach dem kurzen Einstieg verlässt Kämpf die Bühne und sogleich erklingt eine akustische Gitarre. Beim Lied handelt es sich um ein Cover von Bob Dylans Moonshiner. Nun wird auch klar, woher Beyelers Buchtitel herrührt.

Nach dem Lied geht es endlich los. Vorgetragen werden die drei Monologe vom Schauspieler Sebastian Krähenbühl. Andri Beyeler sitzt währenddessen stillschweigend an seiner rechten Seite und stellt jeweils eine selbstgezeichnete Karikatur auf den Tisch, damit die Zuschauer erkennen, um wessen inneren Monolog es sich gerade handelt.

Der erste Monolog beginnt damit, dass eine Figur beim Verlassen eines Zuges unglücklich hinfällt, sich wieder aufrafft und sich in eine Bar begibt, in welcher mit der Zeit alle drei Figuren landen. Die Gedanken der Figuren springen von der Strasse, zur Bäckerei, zu einem Plakat bis hin zu den Personen in der Bar. Gelegentlich streitet die eine oder andere Figur mit sich selbst, beschimpft sich und nimmt den Zuhörer auf absurde Gedankengänge mit, die abrupt enden, hin- und herspringen und sich wiederholen können. «Was wäre wenn»-Fragen werden völlig zer- und überdacht. Es wird sogar über das Denken nachgedacht, wenn sich eine Figur zum Beispiel fragt was wohl die anderen denken, was man selbst denkt. Ebenso verzwickt wird es, wenn eine Figur vom Willen gewollt zu werden spricht. Solcher Ketten mit mehreren Metaebenen bedient sich Beyeler gerne, weshalb es nicht immer einfach ist, dem Vortrag zu folgen. Zudem unterscheiden sich die Figuren vom Sprachstil kaum voneinander. Das ist aber nicht weiter schlimm, schliesslich gibt es – Gott sei Dank – die Karikaturen. Krähenbühl liest das Ganze zwar grandios vor und weiss mit seiner Stimme die Zuschauerinnen und Zuschauer zu fesseln, jedoch hat er an manchen Stellen einen solchen Affenzahn drauf, dass ich nach dem lediglich 30-minütigen Vortrag erschöpft den Saal verlasse.

Ich hätte nie gedacht, dass mein erster Spoken Word-Vortrag so viel Konzentrationsfähigkeit von mir abverlangen wird. Laut vorgelesen klingen die Gedankenströme teilweise wie die Worte eines Wahnsinnigen, der eingewiesen gehört und trotzdem muss ich gestehen, dass ich mich an mehr Stellen ertappt gefühlt habe, als mir lieb ist. Der Vortrag hat mich zur Selbstreflexion angeregt und ich kann ihn jedem ans Herz legen. Entspannen wird man sich während dieser Achterbahnfahrt allerdings nicht können.

NINIB HANNO