Kreativität auf Knopfdruck

Drei Autor*innen, drei Stichwörter, eine Dreiviertelstunde Zeit und drei Vorträge, bei denen man das kreative Denken schon fast hören konnte.

Beim Instantdichten hatten Judith Keller, Josefine Berkholz und Lukas Maisel die Aufgabe, mit drei Wörtern eine Geschichte zu schreiben. Diese Wörter – bebrillt, Habitus und Fischmaul – konnte das Publikum vorher per Chat und vor Ort beisteuern. Als die Stunde der Wahrheit sich näherte und Maisel gefragt wurde, wie die Vorbereitungszeit war, bekannte er: «Ganz, ganz schlimm!» Kreatives Schreiben auf Knopfdruck funktioniert nicht immer. Nach dem Toilettengang hatte aber auch er eine Idee und trug seine Geschichte vor, die von einer überfürsorglichen Freundin handelt.

Die zweite Autorin, Judith Keller, las ihre «Sonntagmorgen-Geschichte» vor, wie sie sie nannte. In ihrem Text spaziert ein Habitus durch die Zürcher Strassen. Ganz anders bastelte Josefine Berkholz ihre Geschichte um die drei Wörter herum: Da sitzt einer einfach und bietet eine Bildfläche, auf die man Allerlei projizieren kann. Ihre Vortragskunst war beeindruckend.

Der Anlass und die drei völlig verschiedenartigen Texte führen einmal mehr vor, wie schöpferisch die Vorstellungskraft ist und auf wie viele Weisen man eine Erzählung generieren kann. Und auch, dass es verschiedene Autoren braucht, die ihre Versionen zu Papier bringen.

Von Figuren, die ihren Texten davonlaufen

Adelheid Duvanels Texte widersetzen sich ihrer Leserschaft. Die Meisterin der kleinen Form erzählt von Figuren, die ihren Geschichten scheinbar immer einen Schritt voraus sind und sie schreibt Texte, die sich einer abschliessenden Deutung entziehen. Kaum hat man ein Motiv entschlüsselt, wird es in einem anderen Kontext wieder eingeführt. Duvanels Kurzerzählungen verlangen aktive Leser*innen, die sich auf die Figuren und ihre Erlebnisse einlassen.

Wer sich mit Duvanels anspruchsvollen Erzählungen auseinandersetzt, wird belohnt. Die Autorin spielt mit Motiven, spinnt sie weiter, dreht sie um. Heraus kommen dabei Texte, die chaotisch und doch einheitlich, drastisch und doch humorvoll, widerspenstig und doch verführend sind. Die bildgewaltige Sprache weckt verschiedene Sinne. Wohlgeformte Sätze kann man sich regelrecht auf der Zunge zergehen lassen. Ebene um Ebene lässt sich abtragen, um immer neue Bedeutungen, Assoziationen und Irritationen freizulegen.

Die Form der Kurzgeschichten mag auf den ersten Blick zwar einfach erscheinen. Bei näherem Hinschauen entdeckt man aber, dass die Verknüpfungen fehlen: das Warum ist nicht geklärt. Es gibt auch kein Kernthema, sondern viele kleine Elemente, die sich zu einem kunstvoll arrangierten Mosaik zusammensetzen. Die einzelnen Mosaiksteine bestehen einerseits aus unterschiedlichten Themen, andererseits scheinen immer wieder ähnliche Muster auf. Beispiele dafür sind die Motive ‹Brille› oder ‹Fenster›. Auch das Personal der Kurzgeschichten hat eines gemeinsam: stets begegnet man in Duvanels Welten versehrten Figuren. Da wäre beispielsweise die beinahe blinde Selbstmörderin, der sich völlig verfremdende Eugen oder die junge Olga aus der psychiatrischen Klinik.

Dieses Jahr markiert das 25. Todesjahr von Adelheid Duvanel. Friederike Kretzen nimmt das mit einer Kollegin zum Anlass, die gesammelten Erzählungen der Baslerin in einer Neuaflage unter dem Titel Fern von hier zu veröffentlichen. Kretzen unterhält sich mit Samuel Moser und Schriftstellerin Patricia Büttiker über die Raffinesse der Texte. Sie sind sich einig: Duvanels Kurzerzählungen sind wie gut getarnte Sprengsätze. An jeder Stelle im Text könnte man eine Frage entwickeln – auf die man dann aber keine Antwort findet. Zu diesem Problem meint Samuel Moser: «Man soll den Text nicht erpressen.»

Unser Team in Solothurn:
Julia Sutter

Heutzutage muss alles schnell gehen und «in der Kürze liegt die Würze». Daran halte ich mich selbst zwar gar nicht – ich rede gerne viel und verstricke mich in verschiedenen Themen – in Solothurn springe ich aber auf diesen Zug auf. Aus meinem Wohnzimmer beame ich mich in eine Veranstaltung über Adelheid Duvanels Kurzgeschichten und ich freue mich auf literarisches Schaffen innerhalb kürzester Zeit, das unter dem Titel «Instantdichten» stattfindet. Ausserdem bin ich gespannt auf die Sprengkraft einer der kleinsten Einheiten von Literatur: das einzelne Wort. Mal sehen, wie ich bei Manfred Papsts Wörterquiz abschneide!

Muss beim Übersetzen auch gekürzt werden? Oder entsteht in der Übertragung sogar mehr Sinn? Über diese Fragen mache ich mir gemeinsam mit Daniel Oesch Gedanken, einem «Übersetzer in Aktion». Als Anglistin und Germanistin klingt das für mich natürlich besonders attraktiv. Kurz und gut: ich freue mich auf die Denkanstösse und die eine oder andere längere Diskussion im Anschluss daran.