Von Figuren, die ihren Texten davonlaufen

Adelheid Duvanels Texte widersetzen sich ihrer Leserschaft. Die Meisterin der kleinen Form erzählt von Figuren, die ihren Geschichten scheinbar immer einen Schritt voraus sind und sie schreibt Texte, die sich einer abschliessenden Deutung entziehen. Kaum hat man ein Motiv entschlüsselt, wird es in einem anderen Kontext wieder eingeführt. Duvanels Kurzerzählungen verlangen aktive Leser*innen, die sich auf die Figuren und ihre Erlebnisse einlassen.

Wer sich mit Duvanels anspruchsvollen Erzählungen auseinandersetzt, wird belohnt. Die Autorin spielt mit Motiven, spinnt sie weiter, dreht sie um. Heraus kommen dabei Texte, die chaotisch und doch einheitlich, drastisch und doch humorvoll, widerspenstig und doch verführend sind. Die bildgewaltige Sprache weckt verschiedene Sinne. Wohlgeformte Sätze kann man sich regelrecht auf der Zunge zergehen lassen. Ebene um Ebene lässt sich abtragen, um immer neue Bedeutungen, Assoziationen und Irritationen freizulegen.

Die Form der Kurzgeschichten mag auf den ersten Blick zwar einfach erscheinen. Bei näherem Hinschauen entdeckt man aber, dass die Verknüpfungen fehlen: das Warum ist nicht geklärt. Es gibt auch kein Kernthema, sondern viele kleine Elemente, die sich zu einem kunstvoll arrangierten Mosaik zusammensetzen. Die einzelnen Mosaiksteine bestehen einerseits aus unterschiedlichten Themen, andererseits scheinen immer wieder ähnliche Muster auf. Beispiele dafür sind die Motive ‹Brille› oder ‹Fenster›. Auch das Personal der Kurzgeschichten hat eines gemeinsam: stets begegnet man in Duvanels Welten versehrten Figuren. Da wäre beispielsweise die beinahe blinde Selbstmörderin, der sich völlig verfremdende Eugen oder die junge Olga aus der psychiatrischen Klinik.

Dieses Jahr markiert das 25. Todesjahr von Adelheid Duvanel. Friederike Kretzen nimmt das mit einer Kollegin zum Anlass, die gesammelten Erzählungen der Baslerin in einer Neuaflage unter dem Titel Fern von hier zu veröffentlichen. Kretzen unterhält sich mit Samuel Moser und Schriftstellerin Patricia Büttiker über die Raffinesse der Texte. Sie sind sich einig: Duvanels Kurzerzählungen sind wie gut getarnte Sprengsätze. An jeder Stelle im Text könnte man eine Frage entwickeln – auf die man dann aber keine Antwort findet. Zu diesem Problem meint Samuel Moser: «Man soll den Text nicht erpressen.»

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