Schlaflieder übers Dadasein

Endo Anaconda besingt das Dadasein in Schlafliedern, auch wenn er dadurch unter Pathosverdacht gestellt wird.

Die «seelischen Zimperlein und Neurosen der Gegenwart», so Pablo Haller in seiner Einführung, entlarve Endo Anaconda, «einer der begnadetsten Performer der Schweizer Gegenwart», wortgewaltig.

Endo Anaconda wirbelt durch unsere Sprache: Er betreibt eine poetische Etymologie, nimmt Metaphern wörtlich und kalauert. Er phantasiert zum «Bazenheidi», sinniert über «Mohnblumenträume», übers Altern und die Liebe, über die Bewahrung der Schweizer Identität – tsch tsch – oder sch sch? –, über das Corona-Jahr und über den Identitätsdiskurs.

Das musikalische Bühnenbild gestaltet der Gitarrist Boris Klečić, der auch in der Band «Stiller Haas» mit dem Sänger arbeitet. Seine Musik setzt deutliche Ironiesignale, sie ermöglicht ab und an ein Durchatmen und an manchen Stellen erhöht sie die Dringlichkeit der Worte.

Die Schalflieder sind so dicht bebildert und das Tempo so hoch, dass mir trotz der musikalischen Unterstützung fast schwindelt: Ich bin im freien Fall mit Endo Anaconda, der die Kleinen belächelt, die zwar vom Grossen träumen, aber nur das Kleine bewahren wollen. «Ich habe kein Laudanum, sollte dringend dichten!», heisst es im zweiten Lied – ein bisschen Beruhigung hätte ich vertragen können.

Und doch: Eine bissige Gesellschaftskritik liefert der Poet nicht ab – dafür müsste ihm, so wie dem alten Mann im zweiten Lied, wohl auch zuerst eine Schwester die Zähne holen. Seine Performance berührt indes dort, wo sie im Poetischen ist, wo der Stoff nicht «zerdichtet», aber der Blues hörbar wird. 

Le rap est une affaire KT Gorique

Soleure a vibré, ce samedi soir, au son lyrique d’une rime accordée avec grâce et panache. La rappeuse KT Gorique a ébloui son public avec son maquillage d’inspiration tribale et son style unique et authentique. 

La talentueuse KT Gorique a réussi à enflammer la scène et divertir son public, qui la suivait à distance.

Elle a interprété certains titres de son album Akwaba, son single Djessimi Djeka sorti la veille du concert ainsi que la Servante écarlate issu de son nouvel album, Heda, qui sera publié le 4 juin prochain.

KT Gorique était soucieuse de transmettre le sens de ses textes engagés à son public germanophone et n’a pas hésité à traduire en anglais certains passages clés de ses chansons au grand plaisir de celui-ci. Une véritable osmose s’est créée entre la jeune artiste et ses spectateurs en dépit de la pandémie et de ses contraintes.

Claudio Landolt: Nicht die Fülle nicht Idylle nicht der Berg

Die Töne flirren und girren und surren und gurgeln und rumpeln und dröhnen und dösen und pfeifen und keifen bei Claudio Landolt. Es ist die Performance zu seinem multimodalen Werk Nicht die Fülle nicht Idylle nicht der Berg. Um den im Titel negierten Berg handelt es sich dann trotzdem in diesem Buch. Der 37-jährige Glarner hatte sich nämlich zum Ziel gesetzt, den Vorderglärnisch – den «alten Chlotz» – zu dem er jeden Tag emporschaut, als Geräuschkulisse einzufangen. Wie klingt diese perfekte «Triangel von einem Berg»? Gar nicht, habe sein sechsjähriger Sohn zunächst behauptet, was für Landolt die Initialzündung zu einem Field-Recording-Projekt gab, aus dem letztlich auch ein Buch hervorging.

Zunächst waren da aber die Aufnahmen. Über hundert Stunden sind es, Aufnahmen elektromagnetischer Felder, aufgespürt auch mithilfe eines Seismografen. Der Berg schwingt in einer Eigenfrequenz, mit blossem Ohr nicht hörbar; aber schneller abgespielt, fängt der Glärnisch auch für den Menschen an zu klingen. Und nicht nur der Berg wurde aufgenommen, auch was auf ihm und an ihm ist, das Seil einer Heubahn als alternative E-Gitarre oder der Widerschall einer mit einem Alphorn beblasenen Wand – alles sammelte der Ohrenmensch Landolt, der später im Gespräch mit Nora Zukker sagen wird, dass er eine Leidenschaft für Störgeräusche habe.

An der Performance erlebt das Publikum die Symbiose zwischen einem dramaturgisch überzeugend aufbereiteten Klangstück und einem Ensemble von Texten, die auf dem Fundament der Tonaufnahmen entstanden sind. Die Texte sind dabei eine weitere Art, den Klang des Bergs zu verarbeiten. Denn Sprache sei auch Klang, einfach semantisch aufgeladen, meint der Musiker, der durch dieses Werk unverhofft auch zu einer Art Autor geworden ist.

Diese Performance von Nicht die Fülle nicht Idylle nicht der Berg funktioniert. Die auf dem Buchcover schemenhaft skizzierten Bergbänder leuchten übergross in Pink auf einer Leinwand, die Szenerie wirkt wie elektrisch aufgeladen, der «Gleiterbach» reisst tatsächlich durch Landolts Mund, das «seismische Rauschen» beginnt Geschichten zu erzählen. Die Inszenierung aus Klang, Sprache, Geräusch und Bild wirkt betörend, obsessiv, fesselnd. Man spürt dabei auch den Bühnenkünstler Claudio Landolt. Rhythmus, Übergänge, Dynamik, Stimmungen – diese Klaviatur beherrscht er. Aber ohne seine Präsenz möchte man sich weder das Klangstück noch das Buch vorstellen, denn für sich allein sind seine «Flausen», wie sie der Field-Recording-Artist selber bezeichnet, dann doch allzu abgespaced.

Dass Nicht die Fülle… entrückt, sperrig und technisch wirkt, hat auch mit Landolts Einstellung zu «Berg-Kitsch» zu tun. Im Gespräch mit Nora Zukker gibt er freimütig zu, dass sein Werk, eigentlich die Abschlussarbeit von seinem Studium an der ZHdK, vor allem auch eine Negation von ebendiesem Kitsch darstellt. Nur ja keine Idylle, nur ja kein Heidi, nur ja keine Toblerone. Hier schert Claudio Landolt etwas gar viel über einen (Berg-)Kamm. Das Antiprogramm haftet dem Projekt als hinderliches Kalkül an, was nur schon die Negationen im Titel verraten. Nicht einmal den Berg lässt dieser noch stehen.

Das Problem daran: Durch die Negationen nimmt das, was nicht sein soll, gerade Überhand. Das verhinderte Alphorn beschwört die Klangleitern erst recht herauf, und der Nicht-Alpsegen lässt ihn erst recht auferstehen.

Ironischerweise ist Landolts Performance gerade da am stärksten, wo menschliche Emotion spürbar wird. Die Sprachmemos, die eigentlich gar nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollten, integrierte er aus einer Laune heraus in die Performance. Man hört hier den Klangkünstler, wie er über die Herbststimmung am Berg sinniert, über dessen mächtige Ruhe, die den Winter zu antizipieren scheint. Dazu Atmen und Gehen, die Begegnung von Mensch und Berg. Davon hätte Landolt mehr in sein Experiment einfliessen lassen können, denn: nicht jede menschliche Regung am Berg ist Kitsch.

«En Afang, wiener müesst si.»

Wir sind live in 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1: Pünktlichst stürmen Marcel Gschwend aka Bit-Tuner und Manuel Stahlberger auf die Bühne des Stadttheaters Solothurn, tanzen wild zum immer lauter werdenden Beat, springen auf der beleuchteten Fläche hin und her. Stahlberger heizt die Masse auf, die sofort hastig mitklatscht.

Die Masse besteht aus möglicherweise zwanzig Personen. Ein Traum habe sich Stahlberger erfüllen wollen: «En Afang, wiener müesst si: Mir klatsched mitenand, i wür crowd surfe, mir würed eus abschlecke.» Doch dieses Konzert wurde – wie alles – vor allem gestreamt. Das anwesende Publikum hatte entweder Glück oder sich risikofreudig einer grossen Gefahr ausgesetzt, wofür sich Stahlberger am Schluss dann auch noch bedanken wird.

«i derä Show» heisst das Album, welches, begleitet von löblicher Kritik letzten Oktober 2020, inmitten der Pandemie und darum dann doch eher leise und verhältnismässig unbeachtet herauskam. Dem Tourplan entnimmt man, wie erwartet, Absagen und Verschiebedaten, so dass sich vermuten lässt, es könnte dies eines der ersten Konzerte seit der Plattentaufe sein.

Das Leben: eine Krisensammlung

Abseits der Einschränkungen geht es hier aber vor allem um das gesprochene Wort, die Sprache und die Geschichten – Stahlberger und Bit-Tuner wurden nicht etwa Opfer einer schlechten Programmation. Die Texte auf «i derä Show» überzeugen durch eine unangestrengte Tiefe. Sie erzählen von den grossen (auffallend oft auch weiblichen) Lebenskrisen im mittleren Alter und dies so, als ob es sich um blosse Alltagsbeobachtungen handeln würde. Das sind sie vermutlich auch, doch schaut und hört man genau hin, offenbaren sich die Abgründe schnell. Manuel Stahlberger beobachtet nicht nur scharf, er versteht es auch, die Sätze so einfach wie möglich zu belassen. Keine sprachliche Überhöhung, nur die präzise Beschreibung banaler Augenblicke und simpler Tages- und Lebensabläufe. Darin steckt die Tragik.

Bedächtig singt Stahlberger von der Scheinheiligkeit.

Und Bit-Tuner? Seine Klänge sind es, die ordentlich aufwühlendes Gewitter unter die beabsichtigt monoton erzählten Geschichten legen. Man spürt, was sich darunter zusammenbraut: Ein zäher Start in ein Leben voller austauschbarer Geschichten, die immer zugleich erschütternd und lächerlich einfach sind, ein Leben in Wiederholung und glanzloser Scheinheiligkeit. Plötzlich ertappt man sich beschämt, dass das Album trotz aller Tristesse vor allem dank des Beats erstaunlich viel Spass macht.

Spassig sein kann auch Manuel Stahlberger, das wissen wir. Und so hat es wenig erstaunt, dass das Konzert teilweise etwas an eine Comedy-Aufführung erinnerte. Nötig gewesen wäre das allerdings nicht: Die Songs überzeugen auch ganz für sich genommen.

Aufforderung zum Durchhalten

Das letzte Lied – «dureringe» – versprüht etwas (trügerische) Hoffnung und könnte durchaus als Aufforderung zum Durchhalten verstanden werden. Mit einem optimistischen Blick in die Zukunft möchte man sich vor allem darüber freuen, endlich wieder einmal an einem Konzert dabei gewesen zu sein. Insofern was es tatsächlich «en Afang, wiener müesst si» und eine Heimfahrt im Glück.

Wie man das so macht: Brav nach dem Konzert eine Platte kaufen und die Künstler unterstützen.