Moderation, du wirst vermisst! Kunst trifft Politik

Was geschieht, wenn man eine Historikerin und eine Autorin eines historischen Romans zusammenbringt? Sie reden über Geschichte. Dass die Veranstaltung dabei «Kunst trifft Politik» heisst, hat darauf keinen grossen Einfluss. Und genau so kam es, als die Moderatorin nach einer kurzen Sockenwerbung und Vorstellung der beiden Teilnehmerinnen Regula Rytz und Zora del Buono ankündigte, die beiden nun zu verlassen und erst in einer Stunde wieder zu kommen. «Warum geht sie weg? Hat sie noch einen Termin?»

Gemäss Zora del Buono kennen sie und Regula Rytz sich nicht, einen Plan gebe es auch nicht. Sicher haben sich die beiden aber vorbereitet. Denn das, was nun beginnt, ähnelt mehr einem gegenseitigen Interview als einem Gespräch. So wird die von der Moderatorin zurückgelassene Frage nach Optimismus in dieser Krisenzeit von del Buono aufgenommen und auf den Klimawandel gelenkt. Ob Rytz dabei noch optimistisch sei. Rytz aber hat del Buonos neues Buch Die Marschallin gelesen und möchte das nun zur Sprache bringen. So zieht sie aus dem Buch, dass man nicht alles sofort ändern könne, sondern Optimismus brauche und weitermachen müsse. Aber die Klimajugend gebe ihr Hoffnung, da diese mit ihrem Engagement auch sehr viel technisches Wissen verbindet. Ist es wirklich optimistisch, wenn eine der führenden grünen Politikerinnen ihre Hoffnung auf Schüler*innen statt auf die Politik setzen muss?

Doch diese Frage bleibt aus. Kritische Fragen bleiben generell aus. Denn schnell ist man sich einig, man versteht sich. Del Buono ist Wählerin von Rytz, Rytz ihrerseits begeistert von del Buonos neuem Buch. Und so stellen sie die Fragen, die sie persönlich interessieren. Wie ist es, eine öffentliche Person zu sein? Gibt es dabei einen Unterschied zu Deutschland? Welchen Einfluss haben die sozialen Medien bei Baerbock? Wie geht man mit Kritiken auf Amazon um? Welchen Einfluss hat die Sympathie zum Autor, zur Autorin auf die Lektüre? Ist die Grossmutter im Roman eine zwiespältige Person? Das mögen nicht alle Leser*innen. Wie können sie so lebendig schreiben?

Es ist angenehm, dass die beiden offenbar ein aufrichtiges Interesse an der Welt des anderen haben. Auch sind die Vergleiche des historischen und des literarischen Schreibens interessant, wie auch Anekdoten über Tests der genetischen Abstammung, die Frage, welchen Einfluss die Herkunft auf das Selbstbild hat oder der Umstand, dass die durchfahrenden Züge mit Kriegsgefangenen im zweiten Weltkrieg vor dem Bahnhof Zürich gehalten haben, damit die Anwohner*innen die Schreie der Gefangenen nicht hörten.

Die Themenvielfalt war sehr gross, die Tiefe entsprechend gering. Die Themen, die angesprochen wurden, sind durchaus vielversprechend. Ein Gespräch muss nicht strikt auf den Titel der Veranstaltung beschränkt werden. Auch kann man nicht erwarten, dass alle Fragen, die in der Inhaltsangabe gestellt werden, beantwortet werden. Aber dass sie zumindest besprochen werden, das darf erwartet werden.

Doch diese Themen bleiben im Hintergrund. Kurz fragt Rytz, ob nicht Autor*innen, wie einst Max Frisch, erneut ein Manifest schreiben müssten, wie die Welt sich ändern müsse. Doch del Buono erwidert darauf nur, dass dies eher die Aufgabe des Journalismus sei und Autor*innen heute nicht mehr einen solchen Einfluss haben und Moralisierung in der Literatur nicht mehr erwünscht sei. Flüchtig geht man noch auf die Sprache der Politik ein. Wie wird die politische Sprache zur Erhaltung des Status Quo instrumentalisiert? Wann kam die Polemik? Doch viel Zeit bleibt nicht mehr. Wäre der Fokus gezielt auf einzelne Themen gelenkt worden, wäre das vermutlich für die Zuhörenden interessanter gewesen, als dieses sich kennenlernen der beiden.

Nach 59 Minuten kommt die Moderatorin wieder: Ob es ein Schlussstatement gebe. Kurzes Schweigen der beiden Gesprächsteilnehmerinnen. Ein Schlussstatement kann es bei diesem Gespräch zu diesem Zeitpunkt nicht geben. Es ist Zora del Buono anzurechnen, dass sie doch eines findet, das, wenn auch nicht inhaltlich, so doch vielleicht die Stimmung des Gespräches einfängt: Begeisterung wirke ansteckend. Regula Rytz stimmt zu. Die Moderatorin wirkt zufrieden. Wäre sie doch geblieben.

Marc Fritschi hat sich das Gespräch angehört.

Man sollte nie aufgeben, weder literarisch noch politisch.

Ein Gespräch zwischen Zora del Buono und Regula Rytz

Kunst trifft Politik – was kann man als Zuhörer*in von einem spontanen Gespräch zwischen Regula Rytz und Zora del Buono erwarten? Wie sich herausstellt, eine ganze Menge. Es entsteht ein lebensnaher, lebendiger und spannender Austausch zwischen zwei starken sprachlich versierten Frauen, die mit grosser Leichtigkeit über Leben, Literatur und Politik parlieren.

Anfangs erwähnt Zora del Buono, dass sich die beiden erst seit zehn Minuten kennen, und ohne vorgefassten Plan oder Fragenkatalog in das Gespräch gehen. Zora del Buono beweist, dass sie eine versierte Erzählarchitektin ist und in Regula Rytz ein Gegenüber auf gleicher Augenhöhe gefunden hat.

Angeregt durch die Frage der Moderatorin, wieviel Optimismus es heute brauche, gibt Zora del Buono zu bedenken, dass wir uns in einer Krisensituation befinden, die schwierig zu steuern sei. Regula Rytz greift das Thema sofort auf und überträgt es auf das Buch «Die Marschallin»: Auch hier gibt es eine Zeit voller Umbrüche und Unsicherheiten, aber die Figuren schaffen es, ihren Optimismus zu bewahren. Ein Leben voller rabenschwarzer Zuversicht, in dem Veränderung möglich ist.

Diese eng verwobene Verbindung von Literatur, Politik und eigenen Erfahrungen wird zum roten Faden, der sich durch das gesamte Gespräch zieht. Für beide ist die heutige junge Generation der Hoffnungsträger, der Veränderung bringt. Am Beispiel von Annalena Baerbock diskutieren sie die Rolle einer jungen Politikerin, die sich als Frau – intensiver als ein Mann – den Auswüchsen der Sozialen Medien zu stellen hat. Dabei betont Regula Rytz, dass man sich als öffentliche Person einerseits mit vielen kritischen Meinungen auseinandersetzen muss und zugleich davon abhängig  ist. Auch als Autorin erfährt man dies – ergänzt Zora del Buono – dabei ist es wichtig «bei sich zu bleiben».

Regula Rytz bemerkt, dass dies auch der Protagonistin in Die Marschallin gelinge und sie gerade dadurch eine faszinierende, aber auch dominante Persönlichkeit werde, die eigene Wege sucht – gerade wie die junge Generation heute. Eine zwiespältige Figur, gibt Zora del Buono zu bedenken. In diesem Kontext möchte Regula Rytz wissen, wie es ihr gelungen sei, die Figuren so lebendig zu gestalten. Die Autorin führt aus, dass sie ein Herz für jede Figur und den Roman als Möglichkeit begriffen habe, um das Haus ihrer Grossmutter, das verloren gegangen war, wieder auferstehen zu lassen. Auch schätze sie die Arbeit der Historiker*innen sehr, die die komplizierte europäische Geschichte rekonstruiert haben.

Für  Regula Rytz ist nicht nur Europa voller lebenspraller Geschichten, auch  in der Schweiz laufen solche Geschichten zusammen. Zora del Buono ergänzt, dass die Schweiz eben nicht nur das schöne kleine Alpenland mit der niedlichen Sprache sei, sondern ein supermodernes, globalisiertes Land, in dem Integration besser funktioniere als in Deutschland. Indes mache gerade die Coronakrise die Probleme und Abhängigkeiten der Globalisierung deutlich und man könne sich fragen, inwieweit diese Krise literarische Stoffe hervorbringen könne oder müsse. Die Bedeutung von literarischem und politischem Schreiben rücke damit ins Zentrum.

Die grundsätzliche Frage, so Zora del Buono, sei doch aber folgende: Wann beginnen Menschen sich zu verändern oder wann verändern sie ihre Haltung? Im Gegensatz zu Regula Rytz glaubt Zora del Buono nicht, dass Schriftsteller*innen Manifeste verfassen sollten, dies sei eher die Aufgabe von Journalist*innen. Die Aufgabe einer Autorin bestehe darin, Geschichte(n) zu beleben und sich in Menschen hineinzufühlen. In diesem Moment verschmelze Historisches mit Literarischem.

So wie die Literatur bewusst mit Sprachbildern arbeitet, so geschieht dies auch in der Politik. Regula Rytz und Zora del Buono sprechen über die «neue Sprache der Politik», die der deutsche Grünpolitiker Robert Habeck thematisiert. Er versucht, die politisch instrumentalisierte, auf Konfrontation ausgerichtete Sprache in einen konstruktiven Diskurs zurückzuführen und damit auch die politische Kultur wieder zu verändern.

Abschliessend bemerkt Regula Rytz, dass in der politischen Sprache mit Bildern gearbeitet werde, die die alte Ordnung zementierten. Ihrer Ansicht nach ist der konstruktiv sprachliche Diskurs Kern der Demokratie. Gemeinschaft besteht Zora del Buono nach im offenen Gespräch – sei es in der Politik, in der Geschichte oder in der Literatur: «Viele wollen zusammen, was richtig ist.»

Simone von der Geest und Regula Weber waren aufmerksame Zuhörerinnen dieses inspirierenden Gespräches.