Atomsemiotik und Kung Fu

Ein Kloster zum Gedächtnis der Atomendlagerung? Auch Annette Hug traute ihren Ohren nicht so recht, als ihr diese Idee ausgerechnet auf einem Ausflug ins Felslabor Mont Terri, das die Lagerung radioaktiver Abfälle in Opalinuston erforscht, unterbreitet worden sei. Deutlich wird: Das Kernproblem ist und bleibt nicht die Technik, sondern die Tatsache, dass Atommüll auch noch in einer Million Jahren gefährlich strahlt. Wie sagen wir das unseren Nachfahren? Da scheint ein Klosterorden als stabilste Institutionsform zur Wissensübermittlung nicht mehr so abwegig. Ein Gedankenspiel, das Annette Hug für die nächsten sechs Jahre nicht mehr loslässt und darin mündet, dass sie zumindest auf literarisch-hypothetischem Boden einen solchen Orden ins Leben ruft. 

Soweit die Prämisse ihres neuen Romans Tiefenlager, den sie im Gespräch mit Lukas Gloor vorstellt. Hugs erste Neuveröffentlichung nach Wilhelm Tell in Manila, für die sie 2017 mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet worden ist. Tiefenlager ist ein vielschichtiger Text, sprachlich präzise ausgearbeitet. Die drei vorgetragenen Textausschnitte zeigen denn auch die drei Ebenen, die der Roman bespielt: die Gründung und Organisation des Ordens, die Lebensgeschichten der Hauptfiguren und die Zukunftsszenarien, die sich die Ordensmitglieder gegenseitig erzählen. Und über alledem steht die Frage, wie man gewissermassen ein Warnsystem ohne «Halbwertszeit» entwickeln kann. 

Es ist wohl ungehört, dass in einem Gespräch zugleich von Atomsemiotik und Kung-Fu-Filmen der 70er, von Wissenstradierung in Klöstern und Schweizer Atomendlagerung die Rede ist. Schade nur, dass die Unterhaltung nicht so richtig ins Rollen kommt. Dass die sinnbildlichen «grossen Kisten» aufgemacht werden, nur um sie auch gleich wieder zu schliessen. Es ist jedoch definitiv ein Roman mit Tiefgang, darauf machte Lukas Gloor eingangs schon aufmerksam. Im Gespräch hätte man tiefer bohren können – trotz der äusserst knapp bemessenen vierzig Minuten. 

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