«Un italiano con più angoli, meno rotondo»

Ruth Gantert im Gespräch mit Vincenzo Todisco

Ruth Gantert benennt, was unausgesprochen im (virtuellen) Raum steht: Zwar leite sie eine Veranstaltung, die sich «Übersetzer im Porträt» nennt, doch sei «Übersetzer» nicht das Erste, was ihr zu Vincenzo Todisco einfällt. Sie denke da vielmehr an den Autor, der schon seit über zwanzig Jahren Erzählungen und Romane auf Italienisch publiziere. Oder den Professor an der PH Graubünden. Elegant spielt sie somit ihrem Gesprächspartner Vincenzo Todisco den Ball zu und möchte nun selbstverständlich mehr über seine Übersetzungsarbeit wissen.

Das Eidechsenkind ist Todiscos erster Roman auf Deutsch. Mit Il bambino lucertola legt er auch gleich die italienische Übersetzung vor. Diesen Transfer des eigenen Textes in die andere Sprache verstehe Todisco aber weniger als Übersetzungsarbeit sondern vielmehr als «lavoro di riscrittura», also einer Art Umschreiben. Er habe dieselbe Geschichte mit einem anderen «Instrument» erzählt. 

Diese Geschichte ist beklemmend, fast schon kafkaesk: Das titelgebende Eidechsenkind muss sich verstecken, soll kein Geräusch machen, darf eigentlich nicht sein. Ein klandestines Schicksal, erzählt durch die alles beobachtenden Augen des Saisonnierkindes. Aus unmenschlichen Bedingungen heraus entwickelt es «animalische» Begabungen, den Wohnblock mit seinen verschachtelten Verstecken und dem vierstöckigen Treppenhaus macht es heimlich zu seinem «Revier».

Weshalb er sich ursprünglich dazu entschieden habe, diesen Roman auf Deutsch zu schreiben? Todisco wechselt für seine Antwort kurzerhand die aktuelle Konversationssprache von Italienisch auf Deutsch. Von da an findet das Gespräch im fliegenden Wechsel zwischen Deutsch und Italienisch statt. Das hat mitunter auch den lehrreichen Nebeneffekt, dass die unterschiedlichen Charakteristika der Sprachen gleich ungezwungen mitvorgeführt werden. Das Italienische sei für Todisco eine «Bauchsprache», das Deutsche «Kopfsprache» – ein Bild, das er häufig verwendet. Da habe er in erster Linie einfach das Bedürfnis gehabt, Deutsch auch zu einer «Bauchsprache», einer intuitiveren Sprache, zu machen. Deutsch sei für «Das Eidechsenkind» aber schlicht auch das geeignetere «Instrument» gewesen. Es bedurfte ihm der «lingua molto più asciutta», dem «knapperen, dichteren» Deutsch anstelle des «barocken, emphatischen» Italienisch. 

«Quando voltano l’angolo, gli altri bambini fanno una curva, il bambino lucertola invece disegna un angolo retto, in modo da poter contare ogni singolo passo.»

Eine der Herausforderungen beim Übersetzen war denn auch, durch den «Filter» der deutschen Sprache das Italienische zu entschlacken. Für dieses knappere Italienisch findet Gantert gleich ein schönes Sprachbild im vorgetragenen Textbeispiel: Das Eidechsenkind nimmt die Kurve im rechten Winkel – also «eckig» anstelle von «rund». Könne man das so ähnlich nicht auch von der «eidechsenartigen, eckigen» Sprache des Romans behaupten? Todisco ist ganz begeistert von dieser Parallele. «Un italiano con più angoli, meno rotondo», so habe er das noch nie erklärt. 

Aber auch ein Italienisch «mit mehr Ecken» reicht zuweilen nicht hin, um die flüchtige Konzeption des Kindes entsprechend einzufangen. So habe er «das Kind» im deutschen Text verstecken können, es gibt seine Identität nicht Preis. «Il bambino» jedoch zeichnet ein viel konkreteres Bild, man wisse aufgrund des Genus sofort, dass es sich um einen Jungen handelt. 

Zum Schluss die obligate Frage, wie es weitergehe, auf Deutsch oder Italienisch? Zu viel möchte Todisco von seinem neuen Romanprojekt nicht preisgeben. Doch wird es ein deutscher Text mit italienischem Schauplatz sein. Aber in einem «elaborierteren» Deutsch als im Eidechsenkind, weniger knapp. Das sei das Schöne an der «neuen Bauchsprache», er könne sie je nach Herausforderung anders einsetzen.