Simone F. Baumann über ihre Graphic Novel «Zwang»

Die Geschichte von Simone F. Baumanns erster Graphic Novel Zwang ist schnell erzählt: Eine junge Frau geht ins Krankenhaus, kommt zuerst in einen Brutkasten für Erwachsene und wird schliesslich einer Mutter, die gerade ein Kind zur Welt brachte, in den Bauch eingeführt. Alles bildlich dargestellt.

Inspiriert habe sie zur Geschichte eine «absurde» Aussage ihrer Eltern vor zwei Jahren. Diese überlegten, ob Simone F. im Brutkasten einen Hirnschaden erlitten habe. Und aus der Empörung über diese Aussage entstand die Geschichte, in der ihr Alter Ego zurück in den Brutkasten und in den Mutterleib geht, um vollständig «ausgebrütet» zu werden. Ein Beispiel dafür, wie ihre Comics funktionieren. Inspiriert von der eigenen Erfahrung, vermischt mit Fantasie und ins Absurde gedacht.

Die Moderatorin geht nicht weiter darauf ein. Ich aber frage mich, wie es wohl für die Eltern ist, wenn man in den Geschichten der Tochter so dargestellt wird. Ist ihre ungehörte Sicht nicht eine ganz andere, eine, die selbst falsch verstanden wird? Die gleiche Frage beschäftigt mich, als das Heft «Grüsel-Werner» zum Thema wird. Der Name sei echt, nur das Grüsel habe sie hinzugefügt. Werner ist der alte Mann, zu dem Simone F. Baumann mit 18 Jahren zur Untermiete zog. Er habe Frauenkalender in der Küche gehabt und sei täglich mit dem Rad ins Migros Restaurant gefahren um ein Stück Kirschtorte zu essen. Kein Wunder, habe er einen sauren Magen gehabt.

Simone F. Baumann sieht im Heft «Grüsel-Werner» den grossen Sprung, da ihre Geschichten autobiografisch wurden. Die erlebten Geschichten seien die besseren als die ausgedachten. Dasselbe gelte für «Loser»-Protagonisten. Superhelden seien langweilig. Sie verstehe nicht, wie Leuten Superhelden mögen können. Wenn alles gut und schön sei, so sei das langweilig und Langweiliges müsse sie nicht erzählen.

Dann geht es um Zürich als Schauplatz. Städte seien für sie eher Hintergrund, ob Zürich oder nicht, sei nicht wesentlich, in einem gewissen Sinne seien alle Städte gleich. Wäre sie auf dem Land aufgewachsen, wäre der Hintergrund wohl ländlicher. Überhaupt bewege sie sich nicht viel in der Stadt.

Interessant waren die Ausführungen zur eigenen Arbeitsweise. So erstelle sie zwar eine Liste mit Ideen für den Fall, dass ihr mal nichts einfalle. Doch der Listenplatz sei das Todesurteil der Geschichte. Nur, was sie sofort verarbeitet, wird Realität. Denke sie davor zu viel nach, so fände sie die Idee doof. Auch skizziere sie nicht, sie korrigiere zwar, aber nie so viel, dass sie neu anfangen müsse. Die Geschichte entstünden während der Bearbeitung, sie wisse selbst nicht genau, wohin der Weg führen würde. Von den gezeichneten Geschichten fände sie aber keine schlecht.

Auf die Frage, was sie sich für die Protagonistin wünsche, erwidert sie nur, dass es nicht darum gehe, die Welt zu ändern, sondern die eigene Einstellung.

In Zukunft werde sie weitermachen wie bisher. Das Heft weiter machen. Und wenn genug Material gesammelt sei, vielleicht erneut ein Buch.

Noch ein Schluck Bier

Rauh, dreckig und nur mit Humor zu ertragen: Simone F. Baumanns erste Graphic Novel «Zwang» zeigt eine unangenehme Welt. Mit ihrem Alter-Ego, einer Grosstadt-Antiheldin, führt die Zürcher Comiczeichnerin in albtraumhafte Szenen. Ihr geht es nicht darum, die Welt zu ändern. Sie will am liebsten mit ihrer Katze auf dem Schoss zeichnen können und dazwischen ab und an in den Supermarkt huschen. So beschreibt sie sich im Gespräch mit Anette Gehrig. Darin geht es um langweilige Superhelden, «Grüsel-Werner» und Underground Comics.

«Noch ein Schluck Bier», so leitet Simone F. Baumann die Lesung aus ihrer im April erschienenen Graphic Novel «Zwang» ein. Den brauchen die Zuschauenden auch, als es in der ersten Kurzgeschichte aus dem Band ziemlich schnell zur Sache geht: Die Protagonistin wird von ihrem Therapeuten gefragt, ob sie denn ihr eigenes Gehirn auch krank fände. Sie bejaht vorsichtig und meint dann, dass sie ja aber nur dieses eine hätte.

«Wie es wohl wäre mit einem anderen Hirn?», fragt Baumann an dieser Stelle der Lesung dazwischen. Überhaupt liest sie frei von der Leber, sie beschreibt, was zu sehen ist. Dazwischen kommentiert sie die Bilder spontan. Die Idee für das krankhafte Hirn kam von Baumanns Eltern. Die hätten ihren Lebensstil als Künstlerin damit zu begründen versucht, dass sie damals im Brutkasten einen Hirnschaden erlitten haben soll. Und genau diesen absurden Vorwurf verarbeitete Baumann in der Geschichte. Vom Therapeuten fährt die erwachsene Protagonistin darin direkt ins Spital. Dort gehört sie hin, denkt sie sich. Neben die Frau mit der Schere im Auge und dem Mann, der es nicht mal mehr ins Gebäude reingeschafft hat. Sie geht hinein und wird von Krankenschwestern in einer Zwangsjacke in den XXL-Inkubator gesteckt. Danach geht es zurück in den Mutterleib. Kurzerhand stopfen sie die Schwestern in den Bauch einer Frau, die gerade erst geboren hat. Rasch hängt nur noch der Stiefel raus. So schnell kann es gehen bei Simone F. Baumann.

Ihr Zeichenstil wirkt oft so brutal wie das Dargestellte. Die Kontraste sind scharf, die Texte kurz und einfach, die Gesichter hässlich. Die Protagonistin ist in diesen Welten auf der Suche, sie will eine Lösung finden, einen Platz für sich in dieser Gesellschaft, in der sie sich als Fremdkörper fühlt. So erklärt Baumann die Grundstimmung der Bilder.

Ganz ernst nehmen kann man die Szenen in ihrer Absurdität nicht, sonst wären sie kaum zu ertragen. Ganz ernst nimmt sich auch Baumann selbst nicht. Ihre Augen leuchten im Gespräch. Sie lacht viel und ist genauso wie ihre Figuren auch in ihren Antworten salopp und kurz angebunden. Warum ihre Protagonistin keine Superheldin ist, das erklärt sie damit, dass die Looser doch die Interessanten seien und Superhelden «das Langweiligste, was es gibt». Die Geschichte über den «Grüsel»-Werner, der von ihrer ersten WG in Zürich zusammen mit einem 80-Jährigen Typen mit Pornokalendern am Kühlschrank erzählt, tut sie lachend ab. Sie habe es nur zwei Monate ausgehalten.

Angefangen hat Baumann als 18-Jährige mit komplett selbst hergestellten und vertriebenen Comicheften. Die Idee dahinter war, immer das Neuste zeigen zu können. Noch immer erscheint alle zwei Monate ein Heft in ihrer Reihe 2067. Abonnieren kann man es nur per Mail, eine Webseite hat Baumann nicht.

So gern man dieser jungen, unangepassten Künstlerin zuschaut, die ihren Kopf abstützt oder beim Sprechen auf der Gummierbse in ihrer Hand rumdrückt; die Chemie zwischen ihr und Gehrig stimmt nicht. Da hilft auch das Bier auf dem Tisch nicht. Die Lockerheit fehlt auf Seiten der Moderation. Die konzentriert sich einen Grossteil des Gesprächs auf die grossen Themen der Autofiktion und die künstlerischen Vorbilder Baumanns aus der Underground-Comicszene. Sie scheint die Antworten, die sie will, durchweg nicht zu bekommen – auch nicht, als gegen Ende des Gesprächs dann das Thema Zwang zur Sprache kommt, das titelgebend für die Graphic Novel ist. Angekündigt war im Programm eine Künstlerin, die ihre Erfahrungen mit Zwangsstörungen verarbeitet. Im Gespräch redet Gehrig um den heissen Brei herum, wenn sie nach Zwängen der Gesellschaft fragt. Baumann nimmt den Faden dennoch auf und spricht vom zwanghaften Verhalten der Protagonistin, das in einigen Geschichten verhandelt wird. Eine davon liest sie als Abschluss dann auch noch.

Und damit zum Fazit des Abends: Am besten sprachen die Zeichnungen von Baumann für sich. Oder wie die Künstlerin selbst über sich sagte: Sie will nichts und macht einfach. Und was sie da macht, wirkt jung, echt und relevant.