«En Afang, wiener müesst si.»

Wir sind live in 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1: Pünktlichst stürmen Marcel Gschwend aka Bit-Tuner und Manuel Stahlberger auf die Bühne des Stadttheaters Solothurn, tanzen wild zum immer lauter werdenden Beat, springen auf der beleuchteten Fläche hin und her. Stahlberger heizt die Masse auf, die sofort hastig mitklatscht.

Die Masse besteht aus möglicherweise zwanzig Personen. Ein Traum habe sich Stahlberger erfüllen wollen: «En Afang, wiener müesst si: Mir klatsched mitenand, i wür crowd surfe, mir würed eus abschlecke.» Doch dieses Konzert wurde – wie alles – vor allem gestreamt. Das anwesende Publikum hatte entweder Glück oder sich risikofreudig einer grossen Gefahr ausgesetzt, wofür sich Stahlberger am Schluss dann auch noch bedanken wird.

«i derä Show» heisst das Album, welches, begleitet von löblicher Kritik letzten Oktober 2020, inmitten der Pandemie und darum dann doch eher leise und verhältnismässig unbeachtet herauskam. Dem Tourplan entnimmt man, wie erwartet, Absagen und Verschiebedaten, so dass sich vermuten lässt, es könnte dies eines der ersten Konzerte seit der Plattentaufe sein.

Das Leben: eine Krisensammlung

Abseits der Einschränkungen geht es hier aber vor allem um das gesprochene Wort, die Sprache und die Geschichten – Stahlberger und Bit-Tuner wurden nicht etwa Opfer einer schlechten Programmation. Die Texte auf «i derä Show» überzeugen durch eine unangestrengte Tiefe. Sie erzählen von den grossen (auffallend oft auch weiblichen) Lebenskrisen im mittleren Alter und dies so, als ob es sich um blosse Alltagsbeobachtungen handeln würde. Das sind sie vermutlich auch, doch schaut und hört man genau hin, offenbaren sich die Abgründe schnell. Manuel Stahlberger beobachtet nicht nur scharf, er versteht es auch, die Sätze so einfach wie möglich zu belassen. Keine sprachliche Überhöhung, nur die präzise Beschreibung banaler Augenblicke und simpler Tages- und Lebensabläufe. Darin steckt die Tragik.

Bedächtig singt Stahlberger von der Scheinheiligkeit.

Und Bit-Tuner? Seine Klänge sind es, die ordentlich aufwühlendes Gewitter unter die beabsichtigt monoton erzählten Geschichten legen. Man spürt, was sich darunter zusammenbraut: Ein zäher Start in ein Leben voller austauschbarer Geschichten, die immer zugleich erschütternd und lächerlich einfach sind, ein Leben in Wiederholung und glanzloser Scheinheiligkeit. Plötzlich ertappt man sich beschämt, dass das Album trotz aller Tristesse vor allem dank des Beats erstaunlich viel Spass macht.

Spassig sein kann auch Manuel Stahlberger, das wissen wir. Und so hat es wenig erstaunt, dass das Konzert teilweise etwas an eine Comedy-Aufführung erinnerte. Nötig gewesen wäre das allerdings nicht: Die Songs überzeugen auch ganz für sich genommen.

Aufforderung zum Durchhalten

Das letzte Lied – «dureringe» – versprüht etwas (trügerische) Hoffnung und könnte durchaus als Aufforderung zum Durchhalten verstanden werden. Mit einem optimistischen Blick in die Zukunft möchte man sich vor allem darüber freuen, endlich wieder einmal an einem Konzert dabei gewesen zu sein. Insofern was es tatsächlich «en Afang, wiener müesst si» und eine Heimfahrt im Glück.

Wie man das so macht: Brav nach dem Konzert eine Platte kaufen und die Künstler unterstützen.

Wie ernst nimmt Josephine Berkholz Lyrik?

Sehr ernst. Das ist nicht nur Fatima Moumouni bewusst, die den Veranstaltungstext verfasst hat, sondern jetzt auch mir. Berkholz findet Lyrik fantastisch, und wie sie selbst verdeutlicht: die Konkretheit und Vieldeutigkeit dabei. Ein Gedicht kann konkrete Bilder erzeugen, die aber jede*r anders deuten und die sich auch ändern können.

Josephine Berkholz hat am Literaturinstitut in Leipzig studiert und absolviert nun noch ein Studium der Philosophie in Berlin. Sie kam damit weg vom Poetry Slam hin zu Spoken Word, denn die Texte, die nun entstehen sind doch anders als früher. Sie versucht die verschiedenen Textsorten zusammenzubringen und nicht immer klar voneinander zu trennen. Berkholz hat Lust herauszufinden was geschieht, wenn sie beispielsweise Musik und Lyrik zusammenführt. Daraus kann ein Gedicht mit Beat entstehen oder sie experimentiert mit einer Loop Station. Extra für die Solothurner Literaturtage hat Berkholz sich von ihrem akademischen Unistoff inspirieren lassen und neue Worte geschrieben. Die Hausarbeit für die Universität ist allerdings noch nicht fertig, doch das Projekt wurde zu einer Vorstudie dafür und lässt Berkholz die Frage, die sie beschäftigt, auf eine andere, neue Art anschauen.

Es handelt sich hierbei um die Frage, ob wir mit der Natur verbunden sind. Berkholz stellt sich vor, wie es wäre, wenn alle Ozeane ineinanderflössen oder dass wir im Grunde den Atem des Waldes einatmen. Dabei hatte Josephine Berkholz auch einen Lyrik Ohrwurm im Kopf, den sie bei Maren Kames, einer deutschen Lyrikerin, aufgeschnappt hat: “Zu gleichen Teilen bin ich der Landschaft ausgesetzt wie die Landschaft mir“.
Landschaftsbilder ploppen auf, kaputte und ganze. Sie wirft mit Worten um sich, sie vermehren, wiederholen sich, explodieren fast. Und ich denke: Doch, Josephine Berkholz ist das Experiment mit der Loop Station gelungen.

Als eine von zehn Veranstaltungen fand die Spoken Word Performance analog statt. Ich sass allerdings zu Hause vor dem Laptop. Die Freude von Josephine Berkholz, endlich wieder vor Publikum auftreten zu dürfen, habe ich trotzdem gespürt und mich gefreut, dass ich ihren Worten und Gedanken lauschen konnte, die politisch, kritisch und philosophisch sind.