Claudio Landolt: Nicht die Fülle nicht Idylle nicht der Berg

Die Töne flirren und girren und surren und gurgeln und rumpeln und dröhnen und dösen und pfeifen und keifen bei Claudio Landolt. Es ist die Performance zu seinem multimodalen Werk Nicht die Fülle nicht Idylle nicht der Berg. Um den im Titel negierten Berg handelt es sich dann trotzdem in diesem Buch. Der 37-jährige Glarner hatte sich nämlich zum Ziel gesetzt, den Vorderglärnisch – den «alten Chlotz» – zu dem er jeden Tag emporschaut, als Geräuschkulisse einzufangen. Wie klingt diese perfekte «Triangel von einem Berg»? Gar nicht, habe sein sechsjähriger Sohn zunächst behauptet, was für Landolt die Initialzündung zu einem Field-Recording-Projekt gab, aus dem letztlich auch ein Buch hervorging.

Zunächst waren da aber die Aufnahmen. Über hundert Stunden sind es, Aufnahmen elektromagnetischer Felder, aufgespürt auch mithilfe eines Seismografen. Der Berg schwingt in einer Eigenfrequenz, mit blossem Ohr nicht hörbar; aber schneller abgespielt, fängt der Glärnisch auch für den Menschen an zu klingen. Und nicht nur der Berg wurde aufgenommen, auch was auf ihm und an ihm ist, das Seil einer Heubahn als alternative E-Gitarre oder der Widerschall einer mit einem Alphorn beblasenen Wand – alles sammelte der Ohrenmensch Landolt, der später im Gespräch mit Nora Zukker sagen wird, dass er eine Leidenschaft für Störgeräusche habe.

An der Performance erlebt das Publikum die Symbiose zwischen einem dramaturgisch überzeugend aufbereiteten Klangstück und einem Ensemble von Texten, die auf dem Fundament der Tonaufnahmen entstanden sind. Die Texte sind dabei eine weitere Art, den Klang des Bergs zu verarbeiten. Denn Sprache sei auch Klang, einfach semantisch aufgeladen, meint der Musiker, der durch dieses Werk unverhofft auch zu einer Art Autor geworden ist.

Diese Performance von Nicht die Fülle nicht Idylle nicht der Berg funktioniert. Die auf dem Buchcover schemenhaft skizzierten Bergbänder leuchten übergross in Pink auf einer Leinwand, die Szenerie wirkt wie elektrisch aufgeladen, der «Gleiterbach» reisst tatsächlich durch Landolts Mund, das «seismische Rauschen» beginnt Geschichten zu erzählen. Die Inszenierung aus Klang, Sprache, Geräusch und Bild wirkt betörend, obsessiv, fesselnd. Man spürt dabei auch den Bühnenkünstler Claudio Landolt. Rhythmus, Übergänge, Dynamik, Stimmungen – diese Klaviatur beherrscht er. Aber ohne seine Präsenz möchte man sich weder das Klangstück noch das Buch vorstellen, denn für sich allein sind seine «Flausen», wie sie der Field-Recording-Artist selber bezeichnet, dann doch allzu abgespaced.

Dass Nicht die Fülle… entrückt, sperrig und technisch wirkt, hat auch mit Landolts Einstellung zu «Berg-Kitsch» zu tun. Im Gespräch mit Nora Zukker gibt er freimütig zu, dass sein Werk, eigentlich die Abschlussarbeit von seinem Studium an der ZHdK, vor allem auch eine Negation von ebendiesem Kitsch darstellt. Nur ja keine Idylle, nur ja kein Heidi, nur ja keine Toblerone. Hier schert Claudio Landolt etwas gar viel über einen (Berg-)Kamm. Das Antiprogramm haftet dem Projekt als hinderliches Kalkül an, was nur schon die Negationen im Titel verraten. Nicht einmal den Berg lässt dieser noch stehen.

Das Problem daran: Durch die Negationen nimmt das, was nicht sein soll, gerade Überhand. Das verhinderte Alphorn beschwört die Klangleitern erst recht herauf, und der Nicht-Alpsegen lässt ihn erst recht auferstehen.

Ironischerweise ist Landolts Performance gerade da am stärksten, wo menschliche Emotion spürbar wird. Die Sprachmemos, die eigentlich gar nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollten, integrierte er aus einer Laune heraus in die Performance. Man hört hier den Klangkünstler, wie er über die Herbststimmung am Berg sinniert, über dessen mächtige Ruhe, die den Winter zu antizipieren scheint. Dazu Atmen und Gehen, die Begegnung von Mensch und Berg. Davon hätte Landolt mehr in sein Experiment einfliessen lassen können, denn: nicht jede menschliche Regung am Berg ist Kitsch.

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