Die-Erfindung-des-Ungehorsams

Welten, die aufploppen

Sanftes Klavierspiel überbrückt die Pause. Punkt 20 Uhr stellt Manfred Papst «eine der interessantesten Gegenwartsautorinnen» vor: Martina Clavadetscher, die Innerschwyzerin, die bereits etliche Theaterproduktionen realisiert hat, und deren letzter Roman «Knochenlieder» für den Schweizer Buchpreis nominiert war.
Nun liest sie aus ihrem neusten Roman «Die Erfindung des Ungehorsams» vor – mit ruhiger Stimme und in einem angenehmen Tempo. Fast hat man den Eindruck, das Klavierspiel dauere noch an. Es sind keine harten Staccatosätze wie aus den «Knochenliedern», sondern die Erzählung hat eine sanfte, beinahe dahinplätschernde Satzmelodie.

Das passt auch zur ersten vorgelesenen Szene, die spielt nämlich an einer Dinnerparty in New York. Hier wohnt Iris, eine der drei Frauen, um die es in diesem Buch geht. Das sanfte Dahinplätschern passt aber nicht wirklich zu dem, was erzählt wird. Und darin liegt für mich als Zuhörerin der besondere Reiz. Es wird nämlich erzählt von einem bestimmten Waldfrosch, der sich über den Winter einfrieren lässt. Blut erstarrt, keine Atmung – fast wie tot, aber nur fast. Das Interssante sei, dass der Frosch keinen Schaden nehme, weil er sich mit Glukose vollpumpe. Vom Scheintod zum Leben und immer wieder hin und her. Eine faszinierende Geschichte. Auch für Iris: «Und wie aktiviert der Frosch sein Herz im Frühling?»

Um dieses Aktivieren geht es auch im zweiten Textausschnitt. Dieses Mal schauen wir Ling über die Schultern. Sie ist eine Angestellte in einer Sexpuppenfabrik in China. Ihr Job ist die Überprüfung der Leiber auf kleine Unebenheiten, Fehler, auf überschüssiges Silikon. Sie tastet den ganzen Körper genau ab – nur den Kopf nicht, der ist tabu. Da wird ganz zum Schluss die Programmierung angebracht, denn die Sexpuppen sollen zum Denken, Reden, Reagieren gebracht werden. Wie schon bei der Froschszene beschreibt Martina Clavadetscher sehr detailliert die verschiedenen Fabrikationsstufen, die Arbeiten, die es braucht, bis so eine Sexpuppe «makellos» hergestellt ist.

Von Manfred Papst gefragt, wie fest sie von Sagen und Erzählungen beeinflusst sei, wo doch ihr Vater ein bekannter Sammler von Sagen und Legenden aus der Region sei, meint Martina Clavadetscher: «Ja, jede Form von Erzählung ist wichtig, Sagen, Urban Legends … Jede Erzählung im Roman öffnet ein Türchen zu einer neuen Erzählung. Es geht um Welten, die aufploppen.»

Manfred Papsts Fazit zum Buch: Es ist kein düsteres Buch, obwohl es krass ist. Denn die Figuren erzählen um ihr Leben. Erzählen ist die rettende Kraft in dieser Welt.

Und nach einer aufgrund der fortgeschrittenen Zeit fast hastigen Verabschiedung geht es in der Pause weiter mit Gitarrenklängen … Das Geklimper erinnert mich an die aufploppenden Welten, die ich gern demnächst lesend erkunden möchte.

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