Die letzten Zeilen

Jetzt verirren sich nur noch wenige Besucher*innen ins Buchjahr-Büro, Notizbücher, Guetsli-Packungen und Ladekabel verschwinden nach und nach von unseren Tischen. Die Solothurner Literaturtage 2019 sind bald vorbei.

Einige Studierende machen sich mit gepackten Taschen auf den Weg zu den letzten Lesungen, danach geht es für viele direkt nach Hause. Andrina sitzt noch hinter ihrem Laptop, sie will ihren Artikel noch in Solothurn zu Ende schreiben.

«Es waren so viele Eindrücke in diesen drei Tagen, dass ich noch gar nicht alles verarbeiten konnte. Ich hätte am liebsten viel mehr Veranstaltungen besucht, aber dann wäre ich mit dem Schreiben wohl nie mehr fertig geworden. Es war auch gut, einmal aus dem „Elfenbeinturm“ herauszukommen und über einen Event wie die Solothurner Literaturtage zu schreiben.»

Und dafür hat sich das Festival auch das beste Wochenende ausgesucht. «Das Wetter war einmalig, die Stimmung im Buchjahr-Team war super und ich bin wirklich beeindruckt von der Stadt Solothurn. Alles in allem drei sehr intensive, eindrückliche Tage – ich freue mich schon auf das nächste Jahr.»

Mehrstimmigkeit

Ond was machsch du eigentlech?

Ich sitze im heissen und vollen Kino im Uferbau. Auf der Bühne steht ein Mikrofon, eine Loop Station, ein Kontrabass und zwei Künstlerinnen: Amina Abdulkadir und Stefanie Kunckler.

Stefanie Kunckler entlockt dem Kontrabass einen schnellen Rhythmus und gewollt unsaubere Doppelgriffe – ein vielstimmiger Klang. Eine weitere, menschliche Stimme tritt hinzu: die von Amina Abdulkadir. Worte fliessen, die Mehrstimmigkeit der Kontrabassmelodie verwandelt sich in ein pochendes Pizzicato. «Öpper…Öpper het emol gseit…» zögert die Stimme. «Nüt isch me wie früehner!» Die Stimme wiederholt sich, weitere Aussprüche schalten sich ein – die Loops werden zum Gespräch, zum Geschwätz.

Die Kontrabass-Stimme nimmt viele Gestalten an: Sie wird bald zur Gesprächspartnerin, bald zum Herzschlag, bald zum Zweifel, der sich sogleich auch auf die menschliche Stimme überträgt. Es is ein Neben-, In- und Aneinander von Stimmen und Stimmungen, das sich weit ab von jeder einschläfernden, mit Musik begleiteten Lesung bewegt.

Im dunklen Saal treten durch dieses Arrangement viele Zweifel, viele Fragen und viel Kritik ans Licht. Das Duo bringt eingeschliffene Floskeln zum Missklang, so dass sie sich selbst entlarven.

 

5 Aktivitäten für zwischendurch

Während der 41. Literaturtage ist in Solothurn ganz schön viel los. Menschenmassen, die vor dem Stadttheater auf Einlass warten, die zielstrebig auf den letzten freien Tisch der In-Restaurants zusteuern oder die sich vor der Aussenbühne Landhausquai zusammendrängen, um wenn möglich nicht in der prallen Sonne stehen zu müssen.

So interessant und faszinierend der ganze Rummel auch ist, irgendwann braucht das sensorische Zentrum eine Pause. Solothurn hat aber auch ausser Buchstaben ganz schön viel zu bieten, deswegen hier unsere Top 5 Aktivitäten zur Gehirn-Entlastung, denen hervorragend zwischen zwei Veranstaltungen nachgegangen werden kann.

 

Aktivität Nummer 1: Idyllische Seitenstrassen erkunden

Einmal links abbiegen und schon ist das ganze Treiben nur noch ein Rauschen im Hintergrund. Zahlreiche Gassen finden sich in der Solothurner Altstadt, die sich als Schauplatz für den nächsten Roman eigenen könnten (ob Tatort eines skurrilen Verbrechens oder geheimer Treffpunkt einer Romanze, die Möglichkeiten sind endlos).

 

Aktivität Nummer 2: Auf den Treppen der Kathedrale ausspannen

Das imposante Bauwerk ist nicht nur schön anzusehen, sondern spendet auch reichlich kühlenden Schatten. Wer sich für Kirchenarchitektur interessiert, wird auch vom Innern der Kathedrale nicht enttäuscht werden (um sicherzugehen, dass man nicht mitten in die Fürbitten hineinplatzt, sind die Messezeiten in einem Glaskasten an der Aussenmauer publiziert).

 

Aktivität Nummer 3: Tore in andere Welten

Wer tiefer in die Altstadt vordringen möchte und von bunten Toren, reich verzierten Türklopfern und steinernen Mauern genauso begeistert ist wie wir, wird in Solothurn nicht enttäuscht. Welche Welten sich wohl hinter den Toren verbergen?

 

Aktivität Nummer 4: Kaffee am Wasser geniessen

Sobald die Literaturtage voll im Gange sind, findet sich kaum noch ein freier Platz an der cafébar. Aber für die Frühaufsteher ist es die ideale Adresse, um den Koffeinspeicher mit Blick auf die Aare aufzufüllen, ehe der ganze Ansturm losgeht (Cappuccino gibt es für 4.70).

 

Aktivität Nummer 5: Auf den Spuren der Figuren

Es wimmelt nur so von Statuen und Denkmälern, von denen viele künstfertige Details aufweisen. Könige, die aussehen wie Gartenzwerge und sich ans Fussgelenk von Justizia klammern; Ritter, die in ihren hautengen Hosen vermutlich nicht mal ihre Zehen berühren könnten – insbesondere die Gesichtsausdrücke der Figuren entlocken das eine oder andere Schmunzeln. Unser Liebling ist Engel Gabriel, der so lustlos in die Weite starrt, als hätte man ihm gerade verkündet, dass die Literaturtage auf unbestimmte Zeit ausfallen.

 

Nach ausgiebiger Gehirn-Entspannung (und der inklusiven Rundtour durch Solothurn) sind die grauen Zellen wieder aufnahmefähig und bereit, sich voll und ganz auf die nächste Veranstaltung einzulassen. Wir wünschen viel Vergnügen!

Definitiv cool

Matto Kämpf betritt die Bühne und legt sofort los: «Er stand auf und starb.» Endlich einmal ein vernünftiger Romananfang sei das, meint die Kulturjournalistin und Ich-Erzählerin von Kämpfs Roman Tante Leguan, und mit ihr möchte man sagen: Endlich einmal ein vernünftiger Lesungsanfang.

Das Publikum hat Kämpf auf jeden Fall sofort auf seine Seite geholt. Man merkt, dass der Thuner (genau genommen: Steffisburger) Spoken Word Künstler und Satiriker sich gerne auf Bühnen aufhält und dass auch sein erster Roman dort problemlos funktioniert. Mit der linken Hand lässig im Hosensack lässt Kämpf sich beim Vorlesen Zeit, sein breiter Berner Dialekt dehnt jedes «Ä» ins Unendliche, so dass auch kleinste Nuancen des Textes zu klingen beginnen oder zu Pointen werden. Auch ein gelegentlicher Hustenanfall (der Husten verfolge ihn schon durch ganz Solothurn) bringt ihn nicht aus dem Konzept.

Schon bald ist man vollends eingetaucht im normalen Redaktionswahnsinn seiner drei lakonischen Protagonisten, macht sich mit ihnen lustig über ihren Vorgesetzten, den «Idioten», und ihren Mitarbeiter, den «Sportarsch». Kämpf beschränkt sich auf den ersten, zweifellos stärksten Charakter seines Buches, nimmt sich Zeit, die Misere der Kulturredaktion anschaulich zu gestalten. Ihr journalistisches Vorgehen ist so simpel wie effizient: «Ist das cool, oder ist das nicht cool?». Grunge-Musik – cool; Musicals – weniger. Dass der popkulturlastige Text vor dem im Alter doch schon eher fortgeschrittenen Publikum so gut ankommt, ist eigentlich erstaunlich. Doch Satire über den Kulturbetrieb, gepfeffert mit Seitenhieben gegen Heavy Metal und den Büroalltag im Allgemeinen wird eindeutig generationsübergreifend als lustig empfunden.

Da die Zeit noch reicht – Kämpf ist sich des straffen Zeitmanagements in Solothurn durchaus bewusst, wie er in einer seiner wenigen Zwischenbemerkungen anmerkt – gelangen die drei Journalisten dann noch nach China, wo sie in less than ideal Englisch mit chinesischen Musikern zu kommunizieren versuchen. Auch hier werden im Publikum Tränen gelacht.

Nach kurzweiligen 35 Minuten ist die Lesung zu Ende. Frei nach dem Bewertungsraster von Kämpfs Kulturjournalisten – cool oder nicht cool? – darf man sagen: definitiv cool. Oder in den Worten von einer auf der Gasse aufgeschnappten Publikumsreaktion: «I finds totau sympathisch wieners macht!».

Von Stimme und Verstummen

Ton statt Bild – so beginnt Lukas Hartmanns Lesung im Solothurner Landhaussaal. Durch den Raum schallt der Dreissigerjahre-Gassenhauer Ein Lied geht um die Welt. Aus einer anderen Welt, aus einer anderen Zeit dringt diese Musik zu den Ohren des Publikums vor. Es dauert ein Weilchen, bis Ruhe herrscht und alle der Stimme lauschen. Es ist dieselbe Stimme, die auch im Zentrum von Hartmanns neuem historischen Roman Der Sänger steht. Hartmann erzählt darin aus dem Leben des bekannten Tenors Joseph Schmidt.

Im Verlauf der Dreissigerjahre verblasste Schmidts Bekanntheit zunehmend, ins Zentrum wurde ein ganz anderer biographischer Fakt gerückt: Schmidt war Jude. Auf der Flucht vor den Nazis legte Schmidt eine Odyssee durch Europa zurück; 1942 gelangte er schliesslich als «illegaler Flüchtling» in die Schweiz. Die Schweiz stellte sich allerdings nicht als der erhoffte sichere Hafen heraus: Im Internierungslager Girenbad starb Schmidt, mangelhaft medizinisch untersucht und betreut, noch im selben Jahr an Herzversagen.

Hört man Hartmann beim Lesen zu, könnte man meinen, man lausche einem Hörbuch – so ruhig, so nachdrücklich, so ausdrucksstark liest der Autor. Nur selten und flüchtig stellt er dafür Blickkontakt zum Publikum her. Ruhig sitzt er da, bis auf seine Lippen bewegt er sich kaum. Nicht sein Körper, sondern vielmehr seine Stimme nimmt Raum ein. Im Gespräch mit Moderatorin Gabrielle Alioth wird klar: Hartmann ist voll und ganz auf das konzentriert, was er gerade tut. Mühelos entspinnt sich ein Gespräch zwischen den beiden: Hartmann gibt lebendig Auskunft und geht dabei besonders auf die Historizität seines Romans ein. «Soweit ich sie herausfinden konnte, stimmen die Fakten», hält er fest. Hartmann, der unter anderem auch Geschichte studiert hat, erzählt davon, wie sich sein Bild von der geschilderten Zeit im Laufe seiner Recherchen verändert habe. Es sei inzwischen «weniger schwarz-weiss», es sei «grauer». Berührt habe in zum Beispiel der Umstand, dass durchaus auch spontane Hilfe aus der Zivilbevölkerung gekommen sei; etwa indem man den Geflüchteten von den rationierten Lebensmitteln abgegeben habe. Dass es aber natürlich auch in der Schweiz überzeugte Antisemiten gab, dürfte selbst den Allerletzten mit der Lektüre von Hartmanns Roman klar geworden sein.

Alioth hat bereits zu Beginn auf die Relevanz des Buches für alle Schweizer*innen hingewiesen, werde hier für einmal das Augenmerk auf die Schweiz zu Beginn der Vierzigerjahre gelegt. Auch macht Hartmann den Bezug zur Gegenwart stark: «Ähnliche Konflikte, ähnliche Polarisierungen» würden immer wieder auftreten. Gegen Ende liest Hartmann die Szene vor, in der die zwischenzeitlich verloren gegangene Stimme Schmidts ein letztes Mal zu ihm zurückkehrt, um dann für immer zu verstummen. Dieser Schwanengesang gibt Schmidt in Hartmanns Roman seine Eigenmächtigkeit, seine Würde, wieder und fördert eine rührende Bescheidenheit zu Tage. Nach dem Applaus ertönt leise Una furtiva lagrima aus den Lautsprechern. Ein guter Moment, um kurz innezuhalten und über den Umgang mit geflüchteten Menschen im Hier und Jetzt nachzudenken.

Le parole in volo. Ein filmisches Portrait des Poeten Fabio Pusterla

Die Solothurner Literaturtage zeigen nicht nur geschriebene, sondern auch kinematographische Werke. So widmet der Regisseur Francesco Ferri dem Tessiner Poeten Fabio Pusterla und seinem Alltag den Dokumentarfilm „Libellula gentile: Fabio Pusterla, il lavoro del poeta“ (2018), eine Produktion von ventura film in Koproduktion mit RSI Radiotelevisione svizzera.

Le Giornate Letterarie di Soletta presentano non solo opere letterarie, ma anche opere cinematografiche. Il regista Francesco Ferri dedica a Fabio Pusterla, noto poeta ticinese, e alla sua quotidianità il documentario „Libellula gentile: Fabio Pusterla, il lavoro del poeta“ (2018) una produzione di ventura film in coproduzione con RSI Radiotelevisione svizzera.

Dem Publikum präsentiert sich ein intimes 73 minütiges Portrait von Fabio Pusterlas kreativem poetischen Schaffensprozess. Er hat als Dichter, Übersetzer und Essayist bereits ein beeindruckendes und vielfach prämiertes Œuvre geschaffen. Mit einer Kamera und einem Live-Mikrophon ausgestattet folgt der Regisseur dem Poeten, dessen unverfälschter Alltagsroutine er sich behutsam und respektvoll annähert.

Per 73 minuti il pubblico assiste al lavoro del poeta e al processo creativo della parola. La figura poliedrica di Pusterla – come poeta, traduttore e critico letterario – ha creato molteplici produzioni letterarie, il cui valore è stato riconosciuto da numerosissimi premi. A dirigere la camera c’è solo il regista e un fonico per l’audio in presa diretta: è questa la modalità con cui la cinepresa si avvicina il più possibile alla quotidianità del poeta, immortalandone l’autenticità, senza però essere invasiva.

Die Dokumentation bietet dem Publikum aber nicht etwa eine Selbstdarstellung des Poeten selber – nein – sie begleitet seine Suche nach einem authentischen sprachlichen Ausdruck. Diese Sprache ist es, womit Fabio Pusterla seit Jahren eine tiefgründige und innige Beziehung zu seinen Lesern und Leserinnen zu schaffen vermag. Das Schreiben einer solchen Sprache sei eine grausame und unbarmherzige Kunst, welche ihm viel abverlangen würde – vielleicht zu viel. Wer diesen Weg einschlägt, so sagt Fabio Pusterla, muss bereit sein, sich vielen Prüfungen zu stellen.

La cinepresa non restituisce la rappresentazione di un’immagine del poeta stesso, bensì documenta la sua ricerca per trovare un linguaggio autentico che gli permette, da anni, di instaurare un rapporto profondo e intimo con i lettori e le lettrici. Come dice Fabio Pusterla: „Il linguaggio artistico è crudele e impietoso: chiede molto, forse troppo. Chi si incammina su questo sentiero dovrà essere pronto ad affrontare molte prove.“

Francesco Ferri porträtiert einen Dichter, dessen Worte zwar auf Papier fixiert sind, aber in den Gedanken des Lesers und der Leserin wie eine Libelle weiterfliegen.

Francesco Ferri ha provato a fornire un ritratto di un poeta, le cui parole, pur essendo fissate sulla carta, continuano a volare nella mente del lettore e della lettrice, come una libellula.

 

Zum Trailer/ Per il trailer

Jolanda Brennwald & Marica Iannuzzi

Mutig, mutig

Ein seitlich geöffneter Anhänger ist die Bühne, auf Festbänken sitzt das erwartungsvolle Publikum, Skepsis spiegelt sich auf den Gesichtern. Niemand weiss, was von den Lesungen auf der Offenen Bühne erwartet werden darf. Ob die Autor*innen denn auch wirklich Talent haben?

Mut haben sie auf jeden Fall. Sich vor den Besucher*innen zu exponieren, die den ganzen Tag von Lesungen und Podiumsdiskussionen verwöhnt werden und von den Texten auf der Offenen Bühne nicht weniger erwarten, strapaziert die Nerven doch ganz schön. Die Temperaturen von bis zu 28 Grad tragen auch nicht gerade zum persönlichen Wohlbefinden bei.

Die Schreiberlinge meistern die Herausforderung jedoch mit Bravur. Von bibliografischen Erzählungen über humorvolle Gedichte bis hin zu einzigartigen Wortexperimenten – im breiten Angebot der Texte findet sich so ziemlich alles, was in 30 Minuten Bühnenzeit präsentiert werden kann.

Auch vorgetragen wird mit grossem Elan, mal mit mehr Witz, mal mit stark ironischem Unterton. Sich auf die Lesungen auf der Offenen Bühne einzulassen, ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Und wer weiss, vielleicht traut sich sogar jemand bis auf die Bühne?

 

Kreuzweg

In der Reihe Skriptor öffnen Autorinnen und Autoren seit vier Jahren ihr Schreibstübli für andere. Dieses Jahr stellte Mariann Bühler ein paar kurze Kapitel aus einem noch unveröffentlichten Werk vor – und sich damit aus. Im kleinen Saal über dem berüchtigten Solothurner Kreuz fand sich eine Gruppe für die Tuchfühlung mit der Autorin ein. Unveröffentlicht heisst meist fehlerhaft, unfertig. Die Situation ist also eine intime. Deshalb gilt auch Sprechverbot, was den Inhalt betrifft.

Besprochen, gelobt, vor allem gelobt haben die fünf Kolleginnen und Kollegen, moderiert von Donat Blum. Bis Ruth Schweikert sich gemüssigt fühlte, advocatus diaboli zu spielen. Da setzten dann alle nach, gruben tiefer und förderten Strukturen des Textes zutage. Zum Schluss äussern sich auch Stimmen aus dem Publikum. Allesamt gut kritische Stimmen.

Bühler findet sich in einem fruchtbaren Umfeld für das Experiment. Was davon Früchte trägt, das dürfen wir hoffentlich bald lesen.

Von Kompost, unheimlichen Booten am Strand und einer gehörnten Frau

Die Jury des diesjährigen Schreibwettbewerbs für Nachwuchsschriftstellerinnen und -schriftsteller «OpenNet», der jeweils im Rahmen der Solothurner Literaturtage durchgeführt wird, hatte bei 205 Einsendungen die Qual der Wahl. Bei nur einem italienischen und einer unbekannten Anzahl an französischen Texten, fiel die Auswahl vorwiegend deutschsprachig aus. Nur wenig überraschend also, dass auch alle Siegertexte auf Deutsch verfasst waren.

An der Lesung, die gleichzeitig auch Teil des Preises für die Gewinnerinnen und den Gewinner ist, konnte man die drei Siegertexte hören und in Gesprächen mit den Jurymitgliedern etwas über ihre Gedanken und Intentionen hinter den Texten erfahren. Den Anfang machte Micha Frieml mit Kompost. Der Text, der durch viel Schreiben und noch mehr Streichen entstanden sei, erzählt von der Stille und dem Gefühl, dass sich ein Raum durch den Tod zugleich verändere und trotzdem derselbe bleibe. Ein Merkmal des Textes sei, dass Familien- und Beziehungsstrukturen unkommentiert blieben. Frieml sagt: «Beziehung ist immer auch das, was sie nicht ist.»

Als nächstes war der Gewinner Christian Zeier an der Reihe. Lara erzählt von aktuellen Themen wie Flucht und Migration und ist bei einem Besuch auf Lesbos entstanden. Zeier möchte damit gegen die mediale Abstraktion von Migration ankämpfen und durch die Erzählperspektive eines Kindes die unterschiedliche Betroffenheit der Menschen aufzeigen. Er äusserte den Wunsch einer «globalisierten Empathie».

Den Schluss machte Jasmine Keller mit ihrem Text gehörnt. Zweifelsfrei der skurrilste Beitrag, in dem ein schwarzer Kriegsfotograf von einer gehörnten Frau in den Gotthard-Bunker geführt wird. Anlass zu diesem Text boten u.a. kursierende Verschwörungstheorien um die Eröffnungsfeier der zweiten Röhre. Man merkt schnell: Es handelt sich auch hier um einen sehr politischen Text, geschrieben von einer «linken widerständigen» Frau, welche die nicht-weisse Geschichte der Schweiz thematisiert.

Das Ende dieser Veranstaltung gestaltete sich so wechselhaft wie ihr Inhalt und wurde mit zwei jubelnden Zuschauern – einer davon Kellers Lebensgefährte – und einigen Buhrufen beschlossen.