Mord & Totebeinli

An diesem Donnerstag Abend steigen wir hinab in die Tiefe, auf die Ebene der Toten. Nach einer kurzen Tramfahrt gehen wir zu Fuss eine vielbefahrene, hell erleuchtete Strasse entlang, bis der Torbogen des Friedhof Forums plötzlich vor uns aufragt. Dahinter erwartet uns eine andere Welt: In dichter Dunkelheit erstreckt sich der Friedhof. Wir entdecken einen Pfad aus Kerzen, der zu einer Treppe führt und steigen hinab in den Untergrund, zu Isabel Morf und ihren mörderischen Begleitern.

Die Zürcher Krimiautorin liest an diesem Abend zwei unveröffentlichte Kurzgeschichten. Die erste, Totebeinli, erzählt von einem ziemlich morbiden Leidmahl, bei dem das Publikum auch nicht leer ausgeht: Passend zum Thema darf es während der Lesung an den kleinen ‹Beinli› des entsprechenden Weihnachtsgebäcks knabbern. Isabel Morfs gutes Gespür für Atmosphäre bemerke ich an an diesem Abend immer wieder: Von der an eine Grabkammer erinnernden Location zu Witzen über den Halszither-Musiker Beat de Roche, der anfangs einfach nicht auftauchen will (natürlich möglich, dass er ermordet wurde) bis zu Morfs Poncho, der selbstverständlich immer zum Lesestoff passen muss (von schwarz passend zur Beerdigung in Kurzgeschichte Nr. 1 zu aschgrau in Nr. 2) ist alles perfekt inszeniert. Die Geschichten selbst sind zwar nicht allzu unheimlich aber dafür urkomisch und voll bissig schwarzem Humor. Vor allem als in Kurzgeschichte Nr. 2 plötzlich ein rachsüchtiges Aschehäufchen Vergeltungspläne gegen seine Mörderin namens Ehefrau ausheckt, gibt es einige Lacher. Das ist umso ironischer, da das Publikum an diesem Abend fast ausschliesslich aus Frauen besteht. Den Grund dafür vermag ich mir nicht wirklich zu erklären – solange an der Sache mit dem Aschehäufchen nicht doch etwas dran ist…

Für uns bei „Zürich liest“:
Fabienne Suter

Zürich liest und Fabienne hört zu. Sei es im Krimitram mit Severin Schwendener, beim Workshop zur Buchherstellung oder beim Gespräch über Schreiben als Denken – spannende Eindrücke, neues Wissen und herausfordernde Perspektiven stehen auf dem Programm und werden mit grosser Vorfreude erwartet.

Fabienne studiert Germanistik, Geschichte und Philosophie an der Universität Zürich und arbeitet neben dem Studium im Museum Aargau und beim Bluesfestival Baden.

Für uns bei «Zürich liest »:
Leonie Walder

Wo Zürich liest, schaut sich Leonie dieses Jahr zum ersten Mal als Bloggerin einmal um.
Als Einstieg freut sie sich darauf Wolkenbruchs frisch verfilmte – wunderliche und schicksenhafte – Reise auf der Leinwand zu sehen. Und mindestens so fest auf Meyers anschliessende Lesung.

Bei Arno Camenisch wird am Donnerstag mit einer mündlichen Kostprobe aus seinem neusten Roman der Winter vorgezogen, mit der grossen Hoffnung, dass die Lesung hält, was die Lektüre versprochen hat.

Leonie studiert Germanistik und Philosophie in Zürich – und auch immer wieder gerne die neusten literarischen Erscheinungen der Schweiz.

Für uns bei «Zürich liest»:
Valentina Berchtold

Bisher vor allem in der zweisprachigen Stadt Fribourg und der Reizüberflutung Londons unterwegs, erkundet Valentina Berchtold nun die ihr unbekannten Literatur-Gewässer von Zürich. Nebenbei studiert sie Germanistik und Anglistik und verbringt einen Grossteil ihrer Freizeit beim Buchhändler.

Ihre ersten Blogging-Erfahrungen machte sie 2008 mit einem nur mässig erfolgreichen Bastel-Blog; später schrieb sie regelmässig für die Studentenzeitschrift der Uni Fribourg. Nun freut sie sich darauf, bei «Zürich liest» in die düstere Krypta des Grossmünsters hinabsteigen zu dürfen, wenn Lyrik bei Kerzenschein zum Leben erwacht. Ausserdem wird sie mehr über die tragische Vergangenheit zweier ehemaliger Heimkinder erfahren.

Für uns bei «Zürich liest»:
Sarah Mühlebach

Verschiedener Jobs wegen pendelt Sarah Mühlebach fast täglich von der Zürcher Homebase in die Luzerner Heimat. Heimisch fühlt sie sich im durch die Gegend sausenden Zug ebenso wie in den eigenen vier Wänden «füüf Minute vom HB empfärnt». Hauptsache es gibt Kaffee und die Möglichkeit für ein regenerierendes Nickerchen.  Etwas weiter weg, nämlich „acht stumpfo züri empfernt“, befindet sich der Protagonist in der gleichnamigen Mundart-Novelle des Zürchers Dominic Oppliger. Im sogar theater wird sich Sarah Mühlebach von dessen rasantem Sprechfluss berieseln lassen und ist besonders gespannt darauf, wie Antoine Chessex mit amplifiziertem Saxophon auf Oppligers Sprachperformance reagiert. Dem Zusammenspiel von Worten und Tönen ist sie bereits am Mittwoch Abend auf der Spur. Dann nämlich besucht sie die sprach-überschreitende «Lecture-chant» unter dem vielversprechenden Titel «Deux voix pour dire l’exile» der in Albanien geborenen und in Genf lebenden Schriftstellerin Bessa Myftiu zusammen mit ihrer Tochter, der Jazzsängerin Elina Duni. Am Sonntag schliesslich verspricht «Kosovë is everywhere», das neueste Projekt des Spoken-Word-Ensemble Bern ist überall, ein vielstimmiges Fest der Sprachen mit Textkunstwerken in der inoffiziellen 5. Landessprache der Schweiz.

Sarah Mühlebach studiert Kunstgeschichte im globalen Kontext mit Nebenfach Germanistik. Daneben betreibt sie einen Offspace für zeitgenössische Kunst in Luzern und schreibt für das 041-Kulturmagazin Artikel über Ausstellungen, die sie noch nicht gesehen hat.

Für uns bei «Zürich liest»:
Shantala Hummler

Shantala wird nicht mit Emeritus Tanner in den Ring der Ideologiekämpfe steigen, um sich den guten alten Tell-Mythos zerschlagen zu lassen. Sie wird sich auch nicht von Anna Schreiber auf die rote Couch legen lassen, um den Abgründen ihrer Grenzerfahrung als Prostituierte nachzuspüren. Weder wird sie sich fragen, ob die heutigen Prekariat-Journis zu Romanschreiberlingen werden, weil ihnen der Zaster fehlt oder weil der Unterschied zwischen harten Fakten und Fiktion hinfällig geworden ist, noch wird sie sich auf ein expressionistisches Pas de deux mit Dada-Pionierin Sophie Taeuber-Arp einlassen.

All das hätte Shantala zweifellos gemacht, täte sie nicht, was ganz Zürich tut: Sie liest. Aber nicht irgendeinen Schund, sondern die Shortlist für den Schweizer Buchpreis. Denn beim Kritiker*innengespräch des Schweizer Buchjahrs wird sie ganz sicher sein, um dort die wichtigen Fragen zur Schweizer Gegenwartsliteratur zu klären: Ist das noch dystopisch oder nur noch kulturpessimistisch – oder etwa einfach realistisch? Sind die „Eidechsenkinder“ die neuen Verdingkinder? Und gibt es eine arkane Verbindung zwischen dem fürchterlichen Revival der 90s Airbrush-Shirts und der aktuellen Prominenz des Wolfmotivs in der Schweizer Literatur?

Wenn sie sich dann den Mund fusselig geredet hat und ihr die brennenden Augen vom exzessiven Lesen tränen, bleibt ihr nur noch Eines: Schreibend zu denken. Was das heissen könnte, hofft sie an der Sonntagsmatinée des «Wochenende über Schrift» zu ermitteln. Es wird aufregend!

Shantala Hummler studiert Kulturanalyse und Germanistik im Master an der Universität Zürich und ist nun schon zum zweiten Mal als Bloggerin für das Schweizer Buchjahr unterwegs.

Für uns bei «Zürich liest»:
Simon Leuthold

Schon zum wiederholten Mal fürs Buchjahr bei «Zürich liest» dabei, begibt sich Simon Leuthold dieses Jahr auf die Suche nach Hunden im Weltall.

Er ist gespannt, ob man auf dem Friedhof zusehen kann, wie sich Autor*innen in ihren Gräbern umdrehen, und ob der Kosovo wirklich überall ist.

Die Frage «Was soll das alles?» treibt ihn schon seit längerer Zeit um. Nun hofft er, am Samstagabend in der Bar des Hotels Greulich vielleicht Antworten zu finden.

Für uns bei «Zürich liest»:
Alexandra Wittmer

Alexandra freut sich, auch in diesem Herbst Teil des Buchjahr-Blogger-Teams zu sein. Sie möchte den Gesprächen zweier Philosophinnen an der Bartheke lauschen und beim Sonntagsfrühstück im Odeon dem Kriminalfall des schnurrbärtigen Toten Harry nachspüren.

Alexandra studiert Germanistik und Philosophie in Zürich und begeistert sich für Geschichten auf der Theaterbühne.

 

Für uns bei Zürich liest:
Anja Schmitter

Anja Schmitter freut sich auf ein thematisch sehr durchmischtes und spannendes Zürich liest.

Am Donnerstag besucht sie das sogar theater, wo Dominic Oppliger seinen Roman Acht schtumpfo züri präsentiert. Anscheinend soll der Spoken Word Künstler sein Werk in einem rasanten Tempo vortragen – Anja Schmitter hält sich fest und ist gespannt zu erfahren, was denn alles 8h von Zürich entfernt ist.

Am Freitag geht’s dann ins Sozialarchiv, wo das neue Buch von Lisbeth Herger vorgestellt wird. Die Autorin bearbeitet darin den Briefwechsel zwischen zwei ehemaligen Heimkindern. Es geht um die Fragen von Trauma, Spätfolgen und Wiedergutmachung.
Danach folgt mit Matto Kämpfs neuestem Buch Tante Leguan ein (vermutlich) etwas lockererer Tagesabschluss: Kämpf präsentiert im Helsinki. Mit Musik.

Am Sonntag besucht Anja Schmitter eine Matinee im Karl der Grosse, welche der Biographie der ersten Schweizer Stewardess gewidmet ist. Anja Schmitter freut sich jetzt schon auf das Flugzeug-Frühstück (laut Homepage soll es, anders als der Name sagt, ein Gourmet-Zmorge sein) und darauf, mehr über den „Engel der Lüfte“ zu erfahren.
Nach einer kurzen Siesta geht’s dann wieder ins sogar theater zu einer weiteren Spoken Word-Veranstaltung. Diese hat die Beziehung zwischen dem Kosovo und der Schweiz zum Thema und ist, dank albanischen Texten, auch ein bisschen der fünften, inoffiziellen Landessprache der Schweiz gewidmet.

Anja Schmitter studiert Germanistik und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft in Zürich.