WOLKENBRUCH ohne Blitz und Donner

Wolkensbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse wurde verfilmt. Nach dem gefeierten Erfolg des Debütromans von Thomas Meyer 2012 ist dies kaum verwunderlich. So war auch die Vorpremiere im Rahmen von „Zürich liest“ seit Wochen ausgebucht. Für mich gab es leider keinen Platz mehr, weshalb ich nur den zweiten Teil dieser Veranstaltung beurteilen kann. Dieser verlief entgegen meiner Annahme ohne Regisseur Michael Steiner und Hauptdarsteller Joel Basman, wodurch der Fokus nur noch auf das Buch zu liegen kam und der Film ausgeklammert wurde. Somit war es eine klassische Lesung des Autors Thomas Meyers aus seinem Erfolgsroman in der Buchhandlung Orell Füssli.

Nachdem sich Thomas Meyer gleich zu Beginn humorvoll über «schwachen» Applaus beschwerte und sein Buch zuhause vergessen hatte, wusste der Zuhörende, dieser Mann ist erfolgreich, hat schon zahlreiche Lesungen mit Wolkenbruchs wunderliche Reise… hinter sich und muss sich hier mit keiner Faser dem Publikum beweisen.
Zu Recht! Der Autor zeigte, dass er jede Zeile seines Romans inkorporiert hat und ihn dem Publikum spontan mit gekonnt ausgewählten Textstellen näherbringen kann. Anhand der Schlüsselstellen erzählte er vom jüdischen Motti Wolkenbruch, der an den Verkupplungsversuchen seiner „Mame“ mit einem jüdischen „Mejdl“ wenig Interesse zeigt. Stattdessen riecht der 23-jährige Motti die Freiheit und verliebt sich in seine Mitstudentin Laura. Das einzige Problem: als orthodoxer Jude ist jegliche körperliche Beziehung mit einer „Schikse“ (= nichtjüdische Frau) eine Sünde und daher strikt untersagt.

Thomas Meyer liest Mottis Reise mit viel dramaturgischem Gespür in der Stimme und sorgt vor allem mit der Nachahmung der jüdischen Mutter für Gelächter im Publikum. Das Erzähltheater unterbricht er hie und da mit humorvollem Wortspiel und Witz, sodass man sich teilweise beinahe an einer Comedyshow wähnt. Obschon dem Autor vor der Zuhörerschaft pudelwohl scheint, ist die Lesung nach kurzen 40 Minuten schon wieder vorbei. Als vertröstenden Ausblick deutet er auf die Weiterführung des Romans hin: Motti soll jüdischen Weltverschwörern zu Hilfe kommen. Wir sind gespannt.

Zum Abschluss nimmt Thomas Meyer die drei häufigsten ihm gestellten Fragen vorweg und liefert sogleich kurz und bündig die Antworten.

«Bin ich Jude?» – Ja, aber er sei nicht orthodox aufgewachsen.
«Ist der Roman autobiografisch?» – Ursprünglich sei es nicht seine Absicht gewesen und er hätte diese Frage verneint. Nachdem sich aber seine Mutter in der „Mame“ erkannt hat und ihn seine Therapeutin auf autobiografische Züge verwies, sei er sich dem nicht mehr so sicher.
«Wie reagieren orthodoxe Juden darauf?» – Ein richtig orthodoxer Jude gäbe in der Öffentlichkeit niemals zu, dieses Buch gelesen zu haben.

Interesse an weiteren Fragen aus dem Publikum zeigt er nicht. Dafür posiert er am Schluss liebend gerne für Fanfotos –  auch wir konnten nicht widerstehen.

Wolkenbruch und der verhängnisvolle Schicksappeal

Nach sechs Jahren als Dauergast jeder Schweizer Buchhandlung hat es Thomas Meyers «Wolkenbruch» endlich auf die Leinwand geschafft. Überaus überzeugend verkörpert von Joel Basman, der für diese Rolle Jiddisch gelernt hat und sich in den jüdisch-orthodoxen Traditionen unterweisen liess.

Am Mittwoch gab es im Rahmen von «Zürich liest» nun die Vorpremiere zu sehen – inklusive Nachgespräch mit Hauptdarsteller, Regisseur, Autor und Produzentin. Wir waren auch dabei – und es hat sich definitiv gelohnt. Thomas Meyer hat für das Drehbuch direkt selbst zur Feder gegriffen und die Geschichte des unbeholfenen Motti Wolkenbruch liebevoll für die Leinwand adaptiert. Es sei aber – so Meyer vor dem Start der Vorführung – nicht einfach eine komprimierte Version des Romans, sondern ein komplett neues Werk, dass auf seinem Erstling beruht. Einige Dialoge wird der Leser dennoch wieder erkennen, einzelne Figuren dagegen wurden ganz weggelassen. Regie geführt hat Michael Steiner, der sich nun nach sechsjähriger Pause erstmals wieder an das Projekt eines Kinofilms gewagt hat.

Neben dem bereits erwähnten Basman macht auch Inge Maux als überbehütende, dominante Mutter mit einem Hang zum Dramatischen eine gute Figur. Vor allem die Auseinandersetzungen zwischen der Mame und ihrem Sohn, der sich partout nicht in die Frauen verlieben will, die sie ihm ausgesucht hat, sorgen immer wieder für Lacher im Kinosaal. Denn obwohl die Geschichte durchaus eine tragische Seite besitzt, ist sie vor allem erst einmal unterhaltsam. Teilweise fehlt es etwas an Tiefe – aber da tritt das Drehbuch pflichtbewusst in die Fussstapfen des Romans. Auch darf bezweifelt werden, dass der verfilmte «Wolkenbruch» – wie der Regisseur hofft – für «mehr Toleranz» sorgen kann.

Nach der Vorführung des Films konnte man sicherlich guter Laune sein, anders verhielt es sich mit der Lesung des Autors – da waren wir im Anschluss nämlich auch. Aber darüber wird Wanda Seiler mehr berichten.

 

 

Für uns bei «Zürich liest »:
Leonie Walder

Wo Zürich liest, schaut sich Leonie dieses Jahr zum ersten Mal als Bloggerin einmal um.
Als Einstieg freut sie sich darauf Wolkenbruchs frisch verfilmte – wunderliche und schicksenhafte – Reise auf der Leinwand zu sehen. Und mindestens so fest auf Meyers anschliessende Lesung.

Bei Arno Camenisch wird am Donnerstag mit einer mündlichen Kostprobe aus seinem neusten Roman der Winter vorgezogen, mit der grossen Hoffnung, dass die Lesung hält, was die Lektüre versprochen hat.

Leonie studiert Germanistik und Philosophie in Zürich – und auch immer wieder gerne die neusten literarischen Erscheinungen der Schweiz.

Für uns bei «Zürich liest»:
Wanda Seiler

Fürs Schweizer Buchjahr zum ersten Mal bei Zürich liest 2018 mit dabei, ist Wanda Seiler gespannt, was die gegenwärtige Literaturszene zu bieten hat.

Dafür stürzt sie sich am Mittwochabend in eine Begegnung mit Motti Wolkenbruch und erhascht dabei gleichzeitig einen Blick auf die aktuelle Schweizer Filmindustrie. Freitags ist es mit Fiktion vorbei: Mit einem Briefwechsel zwischen zwei ehemaligen Heimkindern widmet sich Wanda Seiler der Frage nach Wiedergutmachung. Im Anschluss verfolgt sie die Biografie der starken Künstlerfrau auf der ehemaligen 50er-Note und rundet ihr Wochenende Sonntags mit einer weiteren pionierhaften Frauenposition ab: der ersten Stewardess der Swissair. Besonders gespannt ist sie auch auf die geschmierten Brote aus der GateGourmet-Küche. Keep you updated!

Wanda Seiler studiert Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Zürich. Nebst dem Studium arbeitet sie als kuratorische Assistenz im Kunsthaus Glarus.