Ein abgeschiedenes Zimmer in einem Schweizer Haus

Josefstrasse 106. Ein unscheinbarer Durchgang führt in den Hinterhof, rechts abbiegen… und hier ist es: das 1998 von Peter Brunner und Doris Aebi in der damaligen Kantine des Hauses gegründete sogar theater. Vor dem Eingang des mint-grünen Hauses inhaliert der eine oder die andere noch kurz eine Zigi  – oder bloss die nasskalte End-Oktoberluft? Es ist frisch hier draussen und das wohlig warme Interieur lockt – deshalb ab ins Innere zu Kosovë is everywhere.

Nach der donnerstäglichen Lesung von Dominic Oppliger im stockdunklen Raum mit Nachttischlampe (so bleibt auch das weisseste Notizbuch zwangsläufig leer..) nun schon zum zweiten Mal eine herzliche Begrüssung der Co-Leiterin Tamaris Mayer. Die Literaturveranstalterin Mayer, die von 2011 – 2015 zürich liest mitgegründet und aufgebaut hat und beim Luzerner Verlag Der gesunde Menschenversand  (spezialisiert auf Publikationen von Spoken Word und Bühnentexten) tätig ist, hat in diesem Sommer gemeinsam mit der Regisseurin Ursina Greuel die Verantwortung des beliebten Kleintheaters an der Josefstrasse 106 übernommen. Es ist der erste Leitungswechsel in seiner bereits 20-jährigen Geschichte! Eine Schande, dass ich als mehrjährige Kreis-5-Bewohnerin nicht schon früher den Weg hierhin gefunden habe, denk ich mir… Denn die Atmosphäre ist sehr laid-back und sympathisch, man fühlt sich sofort willkommen im sogar theater. Weder zu gross noch zu klein ist das Lokal, die hauseigene, offene Bar lädt nach der Vorstellung zum Diskutieren und Verweilen ein, und die mal leicht erhobene, mal gar nicht vorhandene Bühne sagt: hier will man Sprache nicht auf den Sockel stellen, sondern direkt und ohne Schnickschnack vermitteln.

Mit vier Autor*innen und einem Musiker ist das Spoken-Word-Ensemble Bern ist überall angereist, im Gepäck Ausschnitte aus ihrem neuesten Projekt Kosovë is everywhere. Ein Dialog zwischen der literarischen Welt des Kosovo und der Schweiz soll in Gang gebracht werden, kündigt das Programmheft an. Doch gelingt dies in der 75-minütigen Präsentation tatsächlich? Die einzeln, im Duo oder im lautstarken Chor vorgetragenen Texte von Antoine Jaccoud, Blerina Rogova Gaxha, Shpëtim Selmani und Ariane von Graffenried führen jedenfalls die Bandbreite aktuellen literarischen Schaffens in den Schweizer Landessprachen Französisch und (Schweizer-)deutsch sowie in Albanisch eindrücklich vor. Die fremdsprachigen Texte sind untertitelt, was vom Publikum ein aufmerksames Mitlesen- und hören erfordert. Oder man konzentriert sich ganz auf die unterschiedliche Musikalität und den Rhythmus der Sprachen und lässt sich vom mal leiseren und nachdenklicheren, mal lauteren und fordernderen Stimmen-Teppich berieseln.

Doch trotz der pointierten, scharfsinnigen Beiträge der Autoren entfaltet der angekündigte Dialog zwischen der literarischen Welt des Kosovo und der Schweiz nicht sein ganzes Potential. Zu platt und oberflächlich, wenn auch sehr unterhaltsam wirken Antoine Jaccouds Beschreibungen von Tattoos und Piercings auf der runzeligen Haut exjugoslawischer Grosis und Grossväter in einem Schweizer Altersheim im Jahre 2063 neben den scharfen, politisch motivierten Sprach-Kreationen von Shpëtim Selmani oder der nachdenklich stimmenden Poesie von Blerina Rogova Gaxha. Ansätze eines fruchtbaren Austauschs zeigen sich immer dann, wenn die einzelnen Sprachen direkt miteinander konfrontiert werden und gleichzeitig erklingen. Denn im allgemeinen Stimmengemurmel scheint sich noch immer die aktuelle Beziehung der Schweiz mit ihrer inoffiziellen fünften Landessprache zu widerspiegeln. Es bleibt also zu hoffen, dass der in Gang gebrachte Dialog weitergeführt und vertieft und der albanischen Kulturproduktion auch in der Schweiz vermehrt eine Bühne gegeben wird. Kosovë is everywhere ist ein wichtiger Anfang für einen sprachübergreifenden Austausch, soll Kosovo in Zukunft kein „abgeschiedenes Zimmer in einem Schweizer Haus“ (Shpëtim Selmani) mehr bleiben.

Cabin crew welcomes you on board!

Zwei Damen in blauen Deux-Pièces gleiten durch das Publikum. Sie verteilen Frühstücks-Boxen und Filter-Kaffee. Die Sitzreihen sind eng und die Beinfreiheit eingeschränkt, doch die beiden Damen meistern die Schwierigkeit bravourös, irgendwann hat jeder Gast eine schwarze Schachtel auf den Knien und einen dampfenden Einwegbecher in der Hand.
Neugierig öffnen wir die Box, betrachten das sogenannte Gourmet-Frühstück, und das Flugzeug-Feeling ist perfekt: alles nett arrangiert, drei Brötchen, ein bisschen Käse, ein bisschen Fleisch, Fruchtsalat und ein Müsli-Topf, dessen Zuckergehalt bestimmt dem sonderbaren Geschmackempfinden über den Wolken angepasst ist. Unser Magen macht schon Loopings, doch wenn wir aus dem Fenster schauen, sehen wir nicht die Welt von oben, sondern den Innenhof des Festivalzentrum Karl der Grosse. Wir befinden uns an der Lesung von Pascale Marder zu ihrem neusten Buch «Nelly Diener. Engel der Lüfte».

Die Nelly, erfahren wir dann, die erste Stewardess der Schweiz, sei der ehemaligen Marketing-Mitarbeiterin der Swissair und heutigen Autorin Pascale Marder schon immer durch den Kopf geflogen. Die hübschen Fotos der jungen Dame – mit Serviertablett in der Hand, kokettem Lächeln im Gesicht und vor einem Flugzeug posierend – seien nämlich in den Swissair-Büros überall präsent gewesen. So hat Pascale Marder eines Tages den Entschluss gefasst, mehr über den berühmten Engel der Lüfte herauszufinden und hat nach langen Recherchen Nelly Dieners Biographie verfasst.

Aus dieser liest sie nun vor, während die Besucher sich über ihre Frühstücksboxen hermachen. Leider geht dabei, zumindest für die hinteren Reihen, der Grossteil des Gesagten im plötzlichen Tumult unter, denn die Verpackungen rascheln, die Menschen murmeln («Mmh fein, sogar es Zöpfli»), und die beiden Service-Damen werden immer wieder in die engen Reihen gerufen und nach einem Extra-Rähmli gefragt.

Doch viele Gäste scheint das nicht zu stören, gewisse Turbulenzen gehören beim Fliegen nun mal dazu und wenn man den Kopf etwas reckt, erkennt man immerhin die Bilder auf der Powerpoint-Präsentation. Da sind viele alte Maschinen zu sehen. Pascale Marder, von Haus aus Historikerin, zeichnet einen interessanten Überblick über die Verhältnisse im Flugbetrieb der 1930er Jahren: die Curtis Condor war beispielsweise gar noch aus Holz gezimmert.

Als mit der allgemeinen Sättigung langsam wieder Ruhe einkehrt, können wir endlich wieder besser verstehen, was die Autorin erzählt, doch da ist die Lesung dann  leider auch gleich zu Ende.

Mit vielen neuen Facts zu den Anfängen der Schweizer Flugbranche verlassen wir den Raum und klammern unser kaum gegessenes „Gourmet“-Flugzeug-Frühstück unterm Arm –  irgendein WG-Kollege wird sich daran schon noch köstlich amüsieren.

 

Scriptus resurrectus oder die Metaphysik des Schriftkörpers

Am Anfang war das leere Blatt und der Gedanke war die Schrift und die Schrift war der Gedanke. Und so füllte sich zirkelnd das Blatt. Voll und rund ist auch die Sonntagsmatinée zu «Schreiben als Denken», die in einvernehmlichem Beschluss des Bezugspunktes dieses Gesprächs enden wird: Schreiben ist Denken. Schreibend, denkend, an diesem Vormittag aber vorwiegend im gesprochenen Trialog wird diese Schlaufe in folgender Formation abgeschritten: Christine Lötscher vertritt als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der Universität Zürich den akademischen Standpunkt, während Bettina Spörri als Buchautorin und Leiterin des Aargauer Literaturhauses ein eher praxisorientiertes Schlaglicht auf die Thematik wirft. Geleitet wird das Gespräch von Sandro Zanetti, seines Zeichens Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Zürich und Experte für den Schriftkörper.

Der Einstieg in jene Materialität des Schreibens führt über persönliche Schreibreminiszenzen: Lötscher tippte sich die Finger an Mutters Schreibmaschine wund, Spoerri verarbeitete Erinnerungen an das metallische Scheppern des Tastenaufschlags in ihren Erzählungen und Zanetti erinnert schmerzlich an das schweisstreibende Nachzeichnen von Lettern im Schönschreibunterricht. Damit wird die Dialektik der Heiligen Dreifaltigkeit des scribere aufgefächert: Körper, Griffel und Geist. Im Schreiben wird Denken folglich mit einer Materialität unterfüttert, die nicht nur Mittel zum Zweck ist, sondern dieses entscheidend formt – bis zu dem Punkt, wo kein Punkt mehr greift und sich das Denken schreibend selbst schöpft.

Diesen Prozess wiederum können die DiskutantInnen nur mit dem Rückgriff auf eine Semantik der Mystik beschreiben: So kommt es, dass Texte durch die Materialität des Schreibens «wie von Zauberhand» entstünden, meint Bettina Spoerri, und Lötscher schildert, wie sie zu der Erleuchtung kam, dass die Maschinen es sind, die schreiben. Die Materialität des Schreibens scheint beständig bedroht von verhüllenden Mystifizierungen, selbst der körperliche Akt bleibt in den Schilderungen Lötschers und Spoerris ein Martyrium, der Pfad zur Erkenntnis ein Leidensweg. Unwillkürlich liefert Zanetti die Causa dafür sogleich nach: Das Schreiben berge ein Versprechen, das im Sinne einer Zukunftsoffenheit als konstitutives Moment lockt. Der Verheissung einer Anapher – unbekannt, unbewusst, unkontrollierbar – sind alle drei schwerstens verfallen. In einem solchen Ausmass, dass die Frage, inwiefern und in welchem Umfang sich denn genau das Schreiben materialisiert, im metaphysischen Nebel wenig konturreich abdriftet.

Als Abschluss befriedet Lacan, denn der zieht (fast) immer, das weiss auch Zanetti. Jener habe den Abbruch einer Behandlung in sein Methodikinstrumentarium als therapeutische Massnahme einverleibt, die den Reflexionsmotor am Laufen halten solle. So verabschiedet Zanetti das Denken in die Freiheit und wir rattern folgsam weiter.

Shantala Hummler und Fabienne Suter

Von Fruchtdetektiven und der trüben Unterwasserwelt New Yorks

Am Sonntagabend debattierten die NZZ-Redaktoren Claudia Mäder, Martina Läubli und Thomas Ribi mit Literaturprofessor Philipp Theisohn über lesenswerte Bücher der Saison. Beim ausverkauften «Literarischen Terzett» im NZZ-Foyer wurden nicht nur Bücherempfehlungen ausgesprochen, sondern auch grundlegende und durchaus kritische Fragen diskutiert, welche die neuen Bücher betreffen: Wie viel detailliebende Beschreibungen verträgt ein Roman, ohne überladen zu wirken? Was verrät Autorinnen und Autoren, welche ihr Handwerk am Literaturinstitut in Biel gelernt haben? Was ist überhaupt Geschichte? Und ganz allgemein: Was gefällt?

«Mit den Himbeeren stimmte etwas nicht.» Mit diesem Satz beginnt der in naher Zukunft spielende Roman von Eckhart Nickel. In Hysteria wird eine Welt beschrieben, welche durch die starke Rückkehr zur Natur geprägt ist und in welcher «Fruchtdetektive» eine wichtige Funktion einnehmen. Es ist dies ein Roman, welcher auf dem Biomarkt beginnt und da auch endet. Da stellt sich die Frage, inwieweit wir möglicherweise selber schon in dieser näheren, vom Öko-Totalitarismus geprägten Zukunft leben. Die Debattierenden waren sich jedenfalls einig, dass Nickels Roman wahrlich einen Lesegenuss darstellt.

Geteilter Meinung war man hingegen bei Eric Vuillards Die Tagesordnung. Das Buch wurde von den Diskutierenden, ähnlich wie in bisherigen Rezensionen, sehr ambivalent aufgenommen. Auf knapp 120 Seiten unternimmt Vuillard den Versuch, zu erklären, wie es zum Zweiten Weltkrieg kommen konnte. Einzelne Szenen fügen sich zu einer scheinbaren Erklärung des grossen Ganzen zusammen. Die Tagesordnung liest sich bisweilen wie eine Art Geschichtsbuch. Es sind hier allerdings Episoden in Hinterzimmern der grossen Politiker beschrieben, welche die historischen Begebenheiten formen. Dies führte die Diskutierenden zu der Frage, was denn Geschichte überhaupt sei. Aber bei derart bedeutsamen Fragen konnte nicht lange verweilt werden, war die Zeit für die Diskussion doch knapp bemessen.

Mit Gianna Molinaris Hier ist noch alles möglich wurde des Weiteren ein Buch besprochen, welches den Anwesenden womöglich am ehesten ein Begriff war, ist es doch eines der Bücher, welches auf der Shortlist des Schweizer Buchpreises steht und von den Medien hoch gelobt wurde. Das literarische Terzett befasste sich durchaus kritisch mit dem Roman und der Frage, wie viel Konstruiertheit ein solcher denn verträgt. Zur Sprache kam unter anderem das Literaturinstitut in Biel, wo Molinari ihr Handwerk gelernt hat. Die Frage, ob bei solchen Romanen von «Institutsprosa» gesprochen werden darf, konnte lediglich angeschnitten werden.

Mit Jennifer Egans neustem Roman Manhattan Beach kam ein zweites Mal ein Text zur Sprache, welcher sich mit der Vergangenheit beschäftigt. Der historische Roman ist im New York der Dreissiger- und Vierzigerjahre situiert und vereint unterschiedliche Genres. Thema des Buches ist die Kriegszeit, die Emanzipation der Frauen, die Mafia oder auch, und vor allem, das Tauchen in der trüben Unterwasserwelt des Hafens. Und dies ist noch längst nicht alles. Egan hat gründlich recherchiert und in ihrem Roman eine immense Stoffauswahl verarbeitet. Die Debattierenden waren sich einig, dass Egan womöglich zu viele Details in die Geschichte einzuflechten versucht hat. Mit dem Resultat, dass der Text bisweilen überladen wirkt.

Das Festival Zürich liest ist für dieses Jahr wieder Geschichte. Aber die Zürcherinnen und Zürcher lesen weiter. Nun ist es an den Besuchern des Festivals, sich auf die lesenswerten Bücher der Saison einzulassen und sich selber eine Meinung zu den Werken zu bilden.

Schreiben und Denken in der Kunsthalle

Im Rahmen des «Wochenendes über Schrift» findet in der Kunsthalle am Sonntag Nachmittag eine Reihe von Kurzvorträgen über das Verhältnis zwischen Schreiben und Denken statt. Dabei geben WissenschaftlerInnen Einblicke in ihren aktuellen Forschung. Am spannendsten ist der Vortrag der Germanistin Christa Dürscheid über den Einfluss der Schreibwerkzeuge auf das Schreiben im heutigen Zeitalter. Sie erwähnt mit Humor wie die Autokorrektur auf dem Smartphone «dir» durch «Bier» ersetzt und so einen spielerischen Umgang mit der Sprache ermöglicht. Die Linguistin zeigt auch, wie die immer häufigere Verwendung von Emojis anstelle von ganzen Wörtern dazu führt, dass unser digitales Schreiben immer mehr aus Bildern und immer weniger aus Buchstaben besteht. Die Zuhörer sind u.a. auch eingeladen, nach China, Japan, Nordafrika oder noch Indien zeitlich in Gedanken zu reisen. Es stellt sich z.B. heraus, dass Schrift in ihren Anfängen nicht nur der Kommunikation diente, wie man aus heutiger Perspektive annehmen könnte, sondern in den unterschiedlichen Kulturräumen zu rituellen, wirtschaftlichen oder noch verwaltungstechnischen Zwecken eingesetzt wurde. Vieles mehr wird in den 30 minütigen Vorträgen präzise angesprochen, aber es stellt sich die Frage, ob der Fokus nicht mehr auf die Vermittlung hätte gesetzt werden können: Wörter wie «logographisch» oder «phonographisch» – um nur einige zu nennen – hätten eine genauere Erklärung verdient. Es hätte ausserdem auf teilweise komplizierte Detaillierungen zugunsten der besseren Veranschaulichung verzichtet werden können. Nach zwei Stunden ununterbrochener Vorträge ist man froh, sich mit einer klassischen indianischen Performanz erholen zu dürfen. Der nächste Schritt der Veranstaltung ist interaktiv gedacht: An fünf Stationen, die im Saal verteilt sind, darf man selber experimentieren, Ansichtskarten auf japanisch schreiben, Memory spielen und noch viel mehr. Die Wissenschaftler sind sehr zugänglich, beantworten unsere Fragen und lassen sich auf spontane Gespräche ein. Eben: Wissenschaft kann auch Spass machen.

 

 

 

Von Zement-Sternen und Waffen aus Brotteig und Bohnen

Yordanka, Martin und Camilo Jaschke präsentierten am Sonntag Nachmittag im Les Halles zusammen mit der Autorin und Bloggerin Nadja Zimmermann und Katrin Sutter, der Verlegerin des Aris-Verlages, das Buch «Mama kann nicht kochen», die 2018 erschienenen Liebeserklärungen an perfekt unperfekte Mütter. Diese setzen sich aus Vor- und Nachwort und aus Erzählungen, von Martin und Camilo über die Kochunfälle ihrer Mutter Yordanka, den Liebeserklärungen von 10 Müttern, wie jene von Susanne Kunz oder Nathalie Sassine-Hauptmann, sowie einem Statement von Yordanka zusammen.

Humorvoll und spritzig eröffnen Martin und Camilo mit den selbst vorgetragenen Auszügen aus ihrem Buch den Nachmittag und lockern damit die Mundwinkel der Zuhörenden. Spontan beginnt darauf das Gespräch über das Muttersein und die Kochkünste von Yordanka, die von sich selbst sagt, dass sie nicht unbedingt schlecht koche, aber die kulinarische Muse nicht immer dabei sei, wenn sie in die Küche eintrete. Perfektion und Fehlerlosigkeit, wie sie in Fachbüchern und auf Social Media oft präsentiert werden, so ist sich die Gesprächsrunde einig, seien keine Anforderungen an eine gute Mutter. Authentisch zu sein, sei viel wichtiger und Defizite hätten wir ja schliesslich alle, ergänzte Zimmermann.

Mit «Mama kann nicht kochen» ist die längst überfällige und ungeschönte Wahrheit über das Muttersein sowie ein geistreiches und humorvolles Plädoyer gegen den Druck der Perfektion endlich in Buchform erschienen.

Lieber Martin, Lieber Camilo: Gerne würde ich mehr über «Papa, den Schirmherrn der Frische» oder darüber, «wie Mama Sandwiches macht», lesen – vielleicht in einem zweiten Band?

Übersetzen – Drahtseilakt zwischen Bewusstsein und Intuition

Meine Reise zum Travel Book Shop war kurz und kalt – die Reise, auf die mich die Übersetzerin Viktoria Dimitrova Popova mitnimmt, ist lang und warm. Sie liest aus dem Buch «Elada Pinjo und die Zeit».

Die Reise führt uns nach Bulgarien, wo anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts ein Mädchen – Pinjo – von seiner Mutter auf der Flucht im Wald zurückgelassen wird. Eine Hirschkuh kümmert sich um sie, bald darauf wird sie von einer jungen griechischen Nomadin entdeckt, die sie in ihre Gemeinschaft aufnimmt. Am Schwarzen Meer angekommen, findet Pinjo ihre Mutter wieder und verliebt sich in einen stummen jungen Mann.

 

Viktoria Dimitrova Popova liest uns verschiedene Passagen vor, auf Bulgarisch und Deutsch. Immer wieder gefragt, ob sie nicht ein bisschen langsamer und lauter sprechen könne, sagt Popova, dass sich ihre Zunge verdrehe beim Wechseln zwischen der bulgarischen und der deutschen Sprache. Wir bekämen jetzt performativ mit, was dieser Wechsel bedeute. Auch in den vorgelesenen Passagen geht es immer wieder um Sprache, um die Fähigkeit des Erinnerns der Muttersprache und um das Sprechen anderer Sprachen – um Mehrsprachigkeit.

Was für sie die grösste Herausforderung beim Übersetzen sei, fragt Susanne Schenzle, die Verlegerin des Buches, die das Gespräch moderiert. Für sie als mehrsprachige Person stelle das Übersetzen an sich keine Herausforderung dar, antwortet Popova. Sie habe, obwohl der magisch-realistische Stil des Buches in unserer Zeit etwas eigenartig anmute, sofort eine Verbindung zu diesem Text gefühlt. Gewisse Herausforderungen stelle speziell dieser Text, da er sehr viele Ebenen aufweise, die alle übersetzt werden möchten und müssen. Die Herausforderung dabei sei, für alle diese Ebenen eine mögliche Übertragung zu finden, die oft nicht direkt erfolge. So sei zum Beispiel das Buch in einem bulgarischen Dialekt geschrieben, sie habe sich für eine Übersetzung ohne Dialekt entschieden und musste also eine andere Art finden, den Aspekt zu übertragen. Hier habe sie es durch eine sehr direkte Sprache gelöst. Sie erzählt, wie das Übersetzen ein Drahtseilakt zwischen Bewusstsein und Intuition ist und die Herausforderung schlussendlich darin bestünde, «ich zu sein», in ihrer Mehrsprachigkeit.

Die traditionelle Sicht, Übersetzer müssten von ihrer Zweitsprache in ihre Erstsprache übersetzen, nimmt sie als eindeutig überholt war. Sie übersetzt in ihre sogenannte Zweitsprache, die sie perfekt beherrscht und mit der sie seit ihrer Kindheit vertraut ist. Die Tatsache, dass über dreissig Prozent der Menschen hier in Zürich und in anderen Städten mit mehreren Sprachen aufwachsen, übersehe die traditionelle Einteilung vollkommen.

Jeder, der da war und sie lesen gehört hat, würde unterschreiben, dass sie genau die richtige Übersetzerin für das Buch ist und dass die traditionelle Übersetzungspraktik in Frage gestellt werden sollte.

Viel Freude mit Harry

Frühstückslesung im Odeon. Ein Protokoll:

8:30 Uhr: Zeitumstellung vergessen. Schockmoment.

10 Uhr: Wir sind eine halbe Stunde zu früh (siehe oben). Am Platz erwartet uns bereits ein Glas Orangensaft. Draussen Kälte und Regen. Immer wieder wollen Unwissende das Odeon betreten, doch nur wer reserviert hat, darf rein.

10:45 Uhr: Das Frühstück (reichhaltig, auch wenn wir zunächst ein Gipfeli zu wenig hatten) wird aufgetragen, die Stimmung unter den Anwesenden hebt sich sogleich.

11 Uhr: Jens Wawrczeck erzählt über das Buch. «Immer Ärger mir Harry» ist ein Roman von Jack Trevor Story, der eigentlich nur aufgrund seiner Verfilmung durch Alfred Hitchcock bekannt wurde. Alle kennen die Story, doch kaum jemand hat das Buch gelesen; in der englischen Originalsprache war es nur noch antiquarisch erhältlich, eine deutsche Übersetzung gab es nicht. Darum hat Wawrczeck seine Schulfreundin Miriam Mandelkow angeregt, eine solche anzufertigen, und hat selbst sogleich eine Hörbuchfassung davon produziert. Nun erscheint der Text auf Deutsch auch in Buchform beim Dörlemann Verlag.

11:15 Uhr: Wawrczeck liest vielstimmig und sehr unterhaltsam aus seiner Adaption vor. Wir hören die Story des mysteriösen Toten Harry, der eines Tages einfach im Wald auftaucht. In der Folge können sich die Bewohnerinnen und Bewohner des angrenzenden Orts kaum entscheiden, wer von ihnen Harry jetzt warum umgebracht hat. Es entspinnt sich ein komödiantischer Kriminalfall mit diversen Slapstickeinlagen und viel Kurzweil. Wir schmunzeln immer wieder.

11:45 Uhr: Das Esskoma macht sich bemerkbar. Noch eine Viertelstunde durchhalten.

12 Uhr: Zeit fürs Mittagessen. Auf geht’s.

Alexandra Wittmer und Simon Leuthold

<< Food save statt Food waste >>

Im Verlag rüffer & rub, nah am Zürichsee gelegen, spricht Anne Rüffer mit Claudia Graf-Grossmann über das Buch «Über Reste und zu Taten». Auch eingeladen zum Gespräch wurde Lukas Bühler. Er ist Mitgründer von «Zum guten Heinrich», welche sich für Nachhaltigkeit in der Gastronomie einsetzen. Und genau das ist die Schnittstelle, die Claudia Graf-Grossmann und Lukas Bühler verbindet. Graf-Grossmann schrieb in ihrem Buch beispielsweise darüber, warum optisch nicht einwandfreies Gemüse weggeworfen wird und welche Lebensmittel überhaupt von den Bauern in die Einkaufsläden gelangen. Dabei wird betont, dass dieses Gemüse trotz des unterdurchschnittlichen Aussehens genau dieselben Nährwerte aufweist wie makelloses Gemüse. Also warum wollen Konsumenten dieses Gemüse nicht kaufen?

Lukas Bühler setzt genau das im «Zum guten Heinrich» um. Er nimmt dieses Gemüse den Bauern ab und verarbeitet es. Dadurch sichert er das Gemüse vor dem Abfall.

Auch wenn «Zum guten Heinrich» vegetarisch und vegan ist, verweist Lukas Bühler darauf, dass man auch Suppenhühner hervorragend verarbeiten kann. Diese Hühner werden nur für das Legen der Eier gehalten und nicht für den kommerziellen Verkauf. Doch Suppenhühner sind meistens besser zu verarbeiten als die hochgezüchteten Hühner aus der Massentierhaltung, welche nur für den Verzehr gezüchtet werden und dadurch mit Antibiotika versorgt werden. Um dies nicht zu unterstützen, solle man lokal einkaufen und auf das Bio-Siegel achten.

Doch ist Bio nicht zu teuer? Nein, denn eine 4-köpfige Familie wirft im Jahr Lebensmittel weg, die eine Summe von 2000 Franken betragen. Vermeidet man diese Verschwendung, so kann man sich ohne Probleme auch Biolebensmittel leisten.

Außerdem wird darauf hingewiesen, dass ein Mindesthaltbarkeitsdatum nicht gleichzusetzen ist mit dem realen Ablaufdatum der Lebensmittel. Claudia Graf-Grossmann erläutert, dass die Lebensmittelhersteller das Datum sehr vorsichtig wählen, um auf Nummer sicher zu gehen. Gerade nach Lebensmittelskandalen wie dem BSE-Skandal, ist man vorsichtiger geworden. Also sollte man an den Lebensmitteln riechen und schmecken, wenn sie das Datum erreicht haben. Oft sind sie auch noch lange nach dem Ablaufdatum genießbar.

Und wie können wir Lebensmittel sichern anstatt diese zu verschwenden?

Beide geben ein paar Tipps zur Umsetzung im Alltag:

Schreiben Sie eine Einkaufsliste und vergewissern Sie sich, dass diese Lebensmittel nicht mehr zu Hause vorrätig sind. Kaufen Sie lokal und saisonal ein. Bestenfalls bei einem Bauern aus ihrer näheren Umgebung und entwickeln Sie Ideen, um Lebensmittel zu verarbeiten, wenn sie doch mal übriggeblieben sind. Aus übrigem Gemüse und Nudeln kann man einen tollen Auflauf zaubern. Der Auflauf wird super schmecken und Lebensmittel vor dem Wegwerfen retten.

Auch nach Ende der Diskussion denke ich weiter über das Thema nach. Es beschäftigt mich noch eine Weile und ich nehme mir vor, mehr Lebensmittel zu retten. Jedenfalls werde ich nun auch optisch nicht einwandfreies Gemüse oder Obst kaufen und mich von dem Gedanken verabschieden, dass Lebensmittel immer perfekt aussehen müssen.