Mord & Totebeinli

An diesem Donnerstag Abend steigen wir hinab in die Tiefe, auf die Ebene der Toten. Nach einer kurzen Tramfahrt gehen wir zu Fuss eine vielbefahrene, hell erleuchtete Strasse entlang, bis der Torbogen des Friedhof Forums plötzlich vor uns aufragt. Dahinter erwartet uns eine andere Welt: In dichter Dunkelheit erstreckt sich der Friedhof. Wir entdecken einen Pfad aus Kerzen, der zu einer Treppe führt und steigen hinab in den Untergrund, zu Isabel Morf und ihren mörderischen Begleitern.

Die Zürcher Krimiautorin liest an diesem Abend zwei unveröffentlichte Kurzgeschichten. Die erste, Totebeinli, erzählt von einem ziemlich morbiden Leidmahl, bei dem das Publikum auch nicht leer ausgeht: Passend zum Thema darf es während der Lesung an den kleinen ‹Beinli› des entsprechenden Weihnachtsgebäcks knabbern. Isabel Morfs gutes Gespür für Atmosphäre bemerke ich an an diesem Abend immer wieder: Von der an eine Grabkammer erinnernden Location zu Witzen über den Halszither-Musiker Beat de Roche, der anfangs einfach nicht auftauchen will (natürlich möglich, dass er ermordet wurde) bis zu Morfs Poncho, der selbstverständlich immer zum Lesestoff passen muss (von schwarz passend zur Beerdigung in Kurzgeschichte Nr. 1 zu aschgrau in Nr. 2) ist alles perfekt inszeniert. Die Geschichten selbst sind zwar nicht allzu unheimlich aber dafür urkomisch und voll bissig schwarzem Humor. Vor allem als in Kurzgeschichte Nr. 2 plötzlich ein rachsüchtiges Aschehäufchen Vergeltungspläne gegen seine Mörderin namens Ehefrau ausheckt, gibt es einige Lacher. Das ist umso ironischer, da das Publikum an diesem Abend fast ausschliesslich aus Frauen besteht. Den Grund dafür vermag ich mir nicht wirklich zu erklären – solange an der Sache mit dem Aschehäufchen nicht doch etwas dran ist…

Aus dem Tagebuch eines Aschehäufchens

Es dunkelte schon themengerecht ein, als wir beim Friedhof Sihlfeld ankamen. Vor allem die Männertoilette war alles andere als einladend. Eine steile, enge Treppe führte hinab zu einem Raum, der durch neonblaues Licht erleuchtet war. Erinnerte an einen Horrorfilm, nun war ich auf jeden Fall so richtig eingestimmt für die Lesung im Friedhof-Forum, das sich direkt unter der Erde befindet.

Der Kellerraum war restlos gefüllt. Die Leute beschäftigten sich gerne mit dem Makaberen, das sei ein Bedürfnis, sagte mir Christine Süssmann, seit 2012 verantwortlich für Kultur und Kommunikation im Friedhof-Forum der Stadt Zürich. Heute lud das Forum zur Lesung mit der Schweizer Autorin Isabel Morf, inklusive musikalischer Begleitung durch Beat de Roche an der Emmenthaler Halszither. Das Instrument ist notabene für traditionelle Ländlermusik konzipiert, der Musiker gefiel heute aber durch Adaptionen von Kurt Weils Moritat von Mackie Messer, dem Godfather-Thema oder Nancy Sinatras „Bang, Bang“.

Ab der ersten Minute war klar, dass es hier nicht darum ging, dem Publikum einen Schrecken einzujagen. Der Fokus lag viel mehr auf Galgenhumor und Amüsement, jedoch mit der richtigen Prise Ernsthaftigkeit, die beim Tod immer mitschwingt.

Item, die Autorin hatte zwei unveröffentlichte Friedhofsstorys im Köcher und trug sie mit viel dramaturgischem Gespür vor. In beiden Kurzerzählungen ging es um Familienfehden, Geld und Rache. Das erstaunt eigentlich nicht weiter. Die zweite Geschichte war an Originalität aber kaum zu überbieten und spielte nicht auf, sondern unter der Erde: Ein Aschehäufchen in einer Urne, einst ein kräftig gebauter Schreiner, sinniert darüber, wie er sich an seiner Ex-Frau/Witwe rächen kann, weil sie ihn wegen des lieben Geldes hinterrücks ermordete. Die Moral der beiden Geschichten mit vielen unerwarteten Wendungen: «Alles kommt zurück im Leben».

Und so war es dann doch eine sehr lebendige Veranstaltung an einem Ort, der eigentlich anderes vermuten lässt.

 

Für uns bei «Zürich liest»:
Thomas Büeler

Bei Zürich liest betritt Thomas Büeler als Blogger Neuland.

Und dieses Neuland hat zwei Seiten. Einerseits begibt er sich in die düsteren Gebiete, genauer gesagt: in den Untergrund und lauscht den Schauergeschichten von Isabel Morf im Friedhof Forum. Da ist aber auch eine Sonnenseite, wo Kinder lachen und spiel…äh lesen. Passend dazu verfolgt er die Verleihung des Zürcher Kinderbuchpreises. Das scheint jetzt auf den ersten Blick nicht so ganz zusammenzupassen. Wobei, als Kind mochte er Gruselgeschichten auch schon.

Thomas Büeler studiert Germanistik und Geschichte in Zürich und absolviert parallel dazu die Ausbildung zum Lehrdiplom für Maturitätsschulen. Nebenbei arbeitet er in der Migros.