Scriptus resurrectus oder die Metaphysik des Schriftkörpers

Am Anfang war das leere Blatt und der Gedanke war die Schrift und die Schrift war der Gedanke. Und so füllte sich zirkelnd das Blatt. Voll und rund ist auch die Sonntagsmatinée zu «Schreiben als Denken», die in einvernehmlichem Beschluss des Bezugspunktes dieses Gesprächs enden wird: Schreiben ist Denken. Schreibend, denkend, an diesem Vormittag aber vorwiegend im gesprochenen Trialog wird diese Schlaufe in folgender Formation abgeschritten: Christine Lötscher vertritt als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der Universität Zürich den akademischen Standpunkt, während Bettina Spörri als Buchautorin und Leiterin des Aargauer Literaturhauses ein eher praxisorientiertes Schlaglicht auf die Thematik wirft. Geleitet wird das Gespräch von Sandro Zanetti, seines Zeichens Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Zürich und Experte für den Schriftkörper.

Der Einstieg in jene Materialität des Schreibens führt über persönliche Schreibreminiszenzen: Lötscher tippte sich die Finger an Mutters Schreibmaschine wund, Spoerri verarbeitete Erinnerungen an das metallische Scheppern des Tastenaufschlags in ihren Erzählungen und Zanetti erinnert schmerzlich an das schweisstreibende Nachzeichnen von Lettern im Schönschreibunterricht. Damit wird die Dialektik der Heiligen Dreifaltigkeit des scribere aufgefächert: Körper, Griffel und Geist. Im Schreiben wird Denken folglich mit einer Materialität unterfüttert, die nicht nur Mittel zum Zweck ist, sondern dieses entscheidend formt – bis zu dem Punkt, wo kein Punkt mehr greift und sich das Denken schreibend selbst schöpft.

Diesen Prozess wiederum können die DiskutantInnen nur mit dem Rückgriff auf eine Semantik der Mystik beschreiben: So kommt es, dass Texte durch die Materialität des Schreibens «wie von Zauberhand» entstünden, meint Bettina Spoerri, und Lötscher schildert, wie sie zu der Erleuchtung kam, dass die Maschinen es sind, die schreiben. Die Materialität des Schreibens scheint beständig bedroht von verhüllenden Mystifizierungen, selbst der körperliche Akt bleibt in den Schilderungen Lötschers und Spoerris ein Martyrium, der Pfad zur Erkenntnis ein Leidensweg. Unwillkürlich liefert Zanetti die Causa dafür sogleich nach: Das Schreiben berge ein Versprechen, das im Sinne einer Zukunftsoffenheit als konstitutives Moment lockt. Der Verheissung einer Anapher – unbekannt, unbewusst, unkontrollierbar – sind alle drei schwerstens verfallen. In einem solchen Ausmass, dass die Frage, inwiefern und in welchem Umfang sich denn genau das Schreiben materialisiert, im metaphysischen Nebel wenig konturreich abdriftet.

Als Abschluss befriedet Lacan, denn der zieht (fast) immer, das weiss auch Zanetti. Jener habe den Abbruch einer Behandlung in sein Methodikinstrumentarium als therapeutische Massnahme einverleibt, die den Reflexionsmotor am Laufen halten solle. So verabschiedet Zanetti das Denken in die Freiheit und wir rattern folgsam weiter.

Shantala Hummler und Fabienne Suter

Von Fruchtdetektiven und der trüben Unterwasserwelt New Yorks

Am Sonntagabend debattierten die NZZ-Redaktoren Claudia Mäder, Martina Läubli und Thomas Ribi mit Literaturprofessor Philipp Theisohn über lesenswerte Bücher der Saison. Beim ausverkauften «Literarischen Terzett» im NZZ-Foyer wurden nicht nur Bücherempfehlungen ausgesprochen, sondern auch grundlegende und durchaus kritische Fragen diskutiert, welche die neuen Bücher betreffen: Wie viel detailliebende Beschreibungen verträgt ein Roman, ohne überladen zu wirken? Was verrät Autorinnen und Autoren, welche ihr Handwerk am Literaturinstitut in Biel gelernt haben? Was ist überhaupt Geschichte? Und ganz allgemein: Was gefällt?

«Mit den Himbeeren stimmte etwas nicht.» Mit diesem Satz beginnt der in naher Zukunft spielende Roman von Eckhart Nickel. In Hysteria wird eine Welt beschrieben, welche durch die starke Rückkehr zur Natur geprägt ist und in welcher «Fruchtdetektive» eine wichtige Funktion einnehmen. Es ist dies ein Roman, welcher auf dem Biomarkt beginnt und da auch endet. Da stellt sich die Frage, inwieweit wir möglicherweise selber schon in dieser näheren, vom Öko-Totalitarismus geprägten Zukunft leben. Die Debattierenden waren sich jedenfalls einig, dass Nickels Roman wahrlich einen Lesegenuss darstellt.

Geteilter Meinung war man hingegen bei Eric Vuillards Die Tagesordnung. Das Buch wurde von den Diskutierenden, ähnlich wie in bisherigen Rezensionen, sehr ambivalent aufgenommen. Auf knapp 120 Seiten unternimmt Vuillard den Versuch, zu erklären, wie es zum Zweiten Weltkrieg kommen konnte. Einzelne Szenen fügen sich zu einer scheinbaren Erklärung des grossen Ganzen zusammen. Die Tagesordnung liest sich bisweilen wie eine Art Geschichtsbuch. Es sind hier allerdings Episoden in Hinterzimmern der grossen Politiker beschrieben, welche die historischen Begebenheiten formen. Dies führte die Diskutierenden zu der Frage, was denn Geschichte überhaupt sei. Aber bei derart bedeutsamen Fragen konnte nicht lange verweilt werden, war die Zeit für die Diskussion doch knapp bemessen.

Mit Gianna Molinaris Hier ist noch alles möglich wurde des Weiteren ein Buch besprochen, welches den Anwesenden womöglich am ehesten ein Begriff war, ist es doch eines der Bücher, welches auf der Shortlist des Schweizer Buchpreises steht und von den Medien hoch gelobt wurde. Das literarische Terzett befasste sich durchaus kritisch mit dem Roman und der Frage, wie viel Konstruiertheit ein solcher denn verträgt. Zur Sprache kam unter anderem das Literaturinstitut in Biel, wo Molinari ihr Handwerk gelernt hat. Die Frage, ob bei solchen Romanen von «Institutsprosa» gesprochen werden darf, konnte lediglich angeschnitten werden.

Mit Jennifer Egans neustem Roman Manhattan Beach kam ein zweites Mal ein Text zur Sprache, welcher sich mit der Vergangenheit beschäftigt. Der historische Roman ist im New York der Dreissiger- und Vierzigerjahre situiert und vereint unterschiedliche Genres. Thema des Buches ist die Kriegszeit, die Emanzipation der Frauen, die Mafia oder auch, und vor allem, das Tauchen in der trüben Unterwasserwelt des Hafens. Und dies ist noch längst nicht alles. Egan hat gründlich recherchiert und in ihrem Roman eine immense Stoffauswahl verarbeitet. Die Debattierenden waren sich einig, dass Egan womöglich zu viele Details in die Geschichte einzuflechten versucht hat. Mit dem Resultat, dass der Text bisweilen überladen wirkt.

Das Festival Zürich liest ist für dieses Jahr wieder Geschichte. Aber die Zürcherinnen und Zürcher lesen weiter. Nun ist es an den Besuchern des Festivals, sich auf die lesenswerten Bücher der Saison einzulassen und sich selber eine Meinung zu den Werken zu bilden.

Von Steaks, Salatköpfen und nassen Stiefeln

Journalistische Texte von heute eignen sich morgen allenfalls noch zum Salatköpfe einzupacken oder nasse Stiefel auszustopfen. Mit dieser harten Ansage eröffnet der «NZZ am Sonntag»-Redaktor Manfred Papst die Veranstaltung Zwischen Facts und Fiction – wenn JournalistInnen Romane schreiben. Als journalistische Literaten oder literarische Journalisten sassen Simone Meier, Christine Brand, Res Strehle und Sacha Batthyany auf der Bühne und diskutierten zur Frage: Warum, wann und wie schreiben Journalisten Romane?

Fest steht: Jeder Mensch sehnt sich nach ein bisschen Ewigkeit. Und die findet bekanntlich zwischen Buchdeckeln statt. Wie kommen jedoch Journalisten zum literarischen Schreiben und wie schaffen sie den Spagat zwischen dem journalistischen Tagesgeschehen und dem literarischen Schaffen?

Eine Antwort könnte sein: Man rutscht da so rein. So ist es Christine Brand gegangen. Sie arbeitete lange bei der NZZ am Sonntag, wo sie darauf spezialisiert war, über Kriminalverbrechen zu schreiben. Aus dieser Erfahrung heraus verfasste sie shliesslich einen Band mit wahren Kriminalgeschichten, bis sie schliesslich den Sprung zum fiktiven Kriminalroman wagte und heute als freie Autorin lebt und schreibt. Sie las aus ihrem aktuellen Buch Stiller Hass. Das nächste ist jedoch bereits fertig geschrieben.

In den literaturbetrieblichen Abläufen sieht sie auch die Nachteile des literarischen gegenüber dem journalistischen Schreiben. Für sie als ungeduldigen Menschen – wie sie von sich selber sagt – dauert insbesondere der Prozess von der Fertigstellung bis zur Veröffentlichung eines Buches viel zu lange. Dafür fühlt man sich beim literarischen Schreiben oft alleine mit sich und seinen Texten, was auf einer Zeitungsredaktion nie der Fall ist.

Dies bestätigt auch Simone Meier, deren zweiter Roman Fleisch 2016 bei «Kein und Aber» erschienen ist. Meier arbeitet zu 80% als Journalistin bei Watson und beschreibt den Journalismus als parasitäres Schreiben, da man sich stets an Geschichten anderer bedient. Literatur hingegen stelle eine grosse Freiheit dar, übe jedoch auch mehr Druck aus, da viel mehr Personen in den Prozess bis zum fertigen Buch involviert sind, und man zudem auch nicht einfach nachträglich noch Fehler korrigieren kann, wie dies im Online-Journalismus der Fall ist. Und doch darf man den Zeitpunkt nicht verpassen, das literarische Werk auch loszulassen, denn man könne ein Steak schliesslich auch zu lange braten.

Für die Schmortechnik beim Schreiben plädiert dafür Res Strehle, dessen Debütroman Salinger taucht ab im Frühjahr dieses Jahres erschienen ist. Den Romananfang dazu hatte er bereits vor 30 Jahren geschrieben. Als Journalist bei der WOZ hält er sich gerne an Facts und behauptet von sich, keinen komplett fiktiven Roman schreiben zu können.

Im Grenzbereich zwischen Facts und Fiction bewegte sich auch Sacha Batthyany mit seinem ersten autobiographischen Roman Und was hat das mit mir zu tun?. Es überrascht nicht, dass für ihn als Journalist bei der NZZ am Sonntag ein Zeitungsartikel (über seine Grosstante, Gräfin Margit Thyssen-Batthyány) der Auslöser für den Griff zur literarischen Feder war.

Ob Facts als Fiction, oder Fiction als Facts: Im Endeffekt geht es doch einfach  ums Schreiben und ums geschriebene Wort. Sowohl im Journalismus, als auch in der Literatur.

Auf Augenhöhe mit der Autorenfotografin Ayse Yavas

Seit 20 Jahren fotografiert Ayse Yavas Autorinnen und Autoren. Von A wie Nadj Abonji über B wie Bichsel und H wie Hohler zu S wie Stamm und Z wie Zweifel hatte sie alle vor ihrer Kamera und ist somit DIE Autoren-Fotografin der Schweizer Literaturszene. Oder, wie es Festivalleiter Martin Walker treffend formuliert: «Ich persönlich bin der Meinung, dass man Bücher schreiben kann und die auch in renommierten Verlagen veröffentlichen kann – aber Schriftsteller ist man erst, wenn man von Ayse fotografiert wurde.»

Fotografiert wurde von ihr auch Judith Keller, die bei Ayse Yavas Vernissage der Ausstellung einer Auswahl an Autorenporträts im Festivalzentrum anwesend war. Sie erzählt, wie schön es sei mit Ayse zusammenzuarbeiten und wie angenehm das Shooting verlaufen ist, da sie dabei nicht mal gemerkt hat, dass sie überhaupt fotografiert wurde, weil die Bilder in einer vertrauten Atmosphäre entstanden sind, wo oft mehr gesprochen als fotografiert wurde.

Diese personenbezogene Herangehensweise zeichnet auch Yavas Stil aus. Ihr geht es nicht nur um den Kopf und darum ein Bild zu bekommen. Sie interessiert sich wirklich für den Menschen dahinter, und möchte ihn auch richtig wahrnehmen können. Das Fotografieren sei dabei ein gegenseitiges Beobachten und auch eine Begegnung auf Augenhöhe.

In den 20 Jahren, in denen Ayse Yavas ihren Beruf als Autorenfotografin ausübt, hat sich nach ihrem Empfinden vieles im Literaturmarkt verändert. Die literarische Gegenwart drängt immer mehr zum Bild – und das Autorenfoto ist präsenter denn je. Gerade bei den jungen Autorinnen und Autoren, den im visuellen Zeitalter Geborenen also, sei eine Veränderung zu beobachten, konstatiert Yavas. Diese junge Generation lässt sich viel lieber fotografieren, da sie es auch gewohnt sei, sich darzustellen und zu inszenieren.

Dazu merkt Keller jedoch an, dass sie sich nicht überlegt, wie ihr Bild am Ende aussehen soll. Wenn man von Yavas fotografiert wird, kann man diese Entscheidung vollends aus der Hand geben – wodurch die Bilder dadurch auf eine für sie überraschende Weise erfrischend natürlich werden.

Am Ende der Veranstaltung im Karl liest Keller noch einige Texte vor und signiert ihren Erstling Die Fragwürdigen. Fragwürdig bleibt dabei nur eines: Was lebt länger: die Texte – oder die Bilder, die uns die Schriftsteller hinterlassen?