Deutliche Stimmen im Sprachengewirr

Das zwölfköpfige Autorinnen und Musikerkollektiv «Bern ist überall» macht schon länger von sich reden. Dieses Jahr haben die Mitglieder sich Unterstützung aus dem Kosovo geschnappt und kurzerhand eine Tournee organisiert – durch den Kosovo und die Schweiz, CD-Produktion inklusive. Am frühen Samstagabend sind Blerina Rogova Gaxha, Antoine JaccoudShpëtim Selmani und Ariane von Graffenried, musikalisch unterstützt durch Adi Blum am Akkordeon zu Gast im sogar theater und performen zusammen.

Vielsprachigkeit und Vielstimmigkeit. Ganz im Zeichen davon steht die gut einstündige Performance der Fünfertruppe. Das Schöne daran: Jede und jeder von ihnen hat eigene Beiträge – und immer wieder spannen mehrere von ihnen zusammen, um gewisse Stücke gemeinsam vorzutragen. Dabei stellen sie unter Beweis: Das Ganze ist weit mehr als die Summe der Einzelteile. Wie wichtig diese Einzelteile indes sind, zeigt sich schon bald.

Ganz links auf der Bühne steht Antoine Jaccoud. Seine Texte, mehrheitlich englisch oder französisch, trägt er mit leiser Stimme und einem leisen Schmunzeln im Gesicht vor. Er ist der fein lakonische Polemiker des Abends: «We got to heaven, but there were no virgins there. Not a single one. We waited for a while, maybe they were late, but they didn’t come.»

Rechts neben ihm Blerina Rogova Gaxha. Auch sie mit feiner Stimme, aber mit viel persönlicher anmutenden Texten. Mal über ein «Ich», mal über andere Menschen: «Lieber Gott, vergib mir. Ich will sterben zwischen ihren Beinen. – Ali sang über die Liebe».

Ariane von Graffenried, rechts von ihr, deckt mit ihren Texten ein breites Spektrum an Themen ab. Ihr «unique selling point» ist ganz klar die Vielsprachigkeit: «I mim Gring dräit aus im Chreis, à la télé louft Kosova RTK eis».

Shpëtim Selmani ist – zumindest nach seinen Texten zu Urteilen – der politischste der vier. Mit wilder Frisur und Brille redet er über die kosovarische Regierung, über das Heilige – über das, was ihm daran lieb und fremd ist. Sein vielleicht schönstes Bild des Abends: «Kosovo ist ein Holzapfel, der im geröteten Hals eines Deutschen feststeckt.»

Ein Abend der deutlichen Stimmen und der vielen Sprachen also, bei dem die Sprachbarriere zuweilen sogar bereichernd wirkt. Blerina Gaxha und Shpëtim Selmani tragen ihre Texte auf Albanisch vor. Zwar gibt es Übertitel, die das Verständnis erleichtern, doch es gibt noch einen anderen Effekt: Bei einer Sprache, deren Wörter man nicht versteht, achtet man sich beim Zuhören gezwungenermassen viel mehr auf Rhythmen, Reime und die Melodie.

Für uns bei «Zürich liest»:
Sarah Mühlebach

Verschiedener Jobs wegen pendelt Sarah Mühlebach fast täglich von der Zürcher Homebase in die Luzerner Heimat. Heimisch fühlt sie sich im durch die Gegend sausenden Zug ebenso wie in den eigenen vier Wänden «füüf Minute vom HB empfärnt». Hauptsache es gibt Kaffee und die Möglichkeit für ein regenerierendes Nickerchen.  Etwas weiter weg, nämlich „acht stumpfo züri empfernt“, befindet sich der Protagonist in der gleichnamigen Mundart-Novelle des Zürchers Dominic Oppliger. Im sogar theater wird sich Sarah Mühlebach von dessen rasantem Sprechfluss berieseln lassen und ist besonders gespannt darauf, wie Antoine Chessex mit amplifiziertem Saxophon auf Oppligers Sprachperformance reagiert. Dem Zusammenspiel von Worten und Tönen ist sie bereits am Mittwoch Abend auf der Spur. Dann nämlich besucht sie die sprach-überschreitende «Lecture-chant» unter dem vielversprechenden Titel «Deux voix pour dire l’exile» der in Albanien geborenen und in Genf lebenden Schriftstellerin Bessa Myftiu zusammen mit ihrer Tochter, der Jazzsängerin Elina Duni. Am Sonntag schliesslich verspricht «Kosovë is everywhere», das neueste Projekt des Spoken-Word-Ensemble Bern ist überall, ein vielstimmiges Fest der Sprachen mit Textkunstwerken in der inoffiziellen 5. Landessprache der Schweiz.

Sarah Mühlebach studiert Kunstgeschichte im globalen Kontext mit Nebenfach Germanistik. Daneben betreibt sie einen Offspace für zeitgenössische Kunst in Luzern und schreibt für das 041-Kulturmagazin Artikel über Ausstellungen, die sie noch nicht gesehen hat.