Ein technoider Text mit Herz

Li Mollet setzte in der Textwerkstatt Skriptor fünf Kolleg*innen unveröffentlichte Lyrik zur Diskussion vor. Nicht alle waren sich in der Wertung der Texte einig. Teilweise flogen sogar richtig die Fetzen.

Donat Blum moderierte den Anlass als eine Runde von «Kolleg*innen» und eben nicht «Kritiker*innen» an. Vielleicht begründet das, warum bei der Auseinandersetzung mit Li Mollets unveröffentlichter Lyrik nicht immer ein sachlicher Ton gewählt wurde. Als Expert*innen äusserten sich fünf Lyrik-Schaffende kritisch zu 15 Siebenzeilern aus einem geplanten Werk, die Mollet zunächst einmal vorlas. Dass die Veranstaltung per Zoom stattfand, war dabei ein Vorteil. Die Gesichter der Zuhörenden waren gut sichtbar und als Teilnehmerin reizte es, die Reaktionen zu deuten. Ob ein Lächeln hie und da späteres Lob am Text schon verraten würde? Oder ob es auch Stirnrunzeln, einen desinteressierten Blick in die Kamera geben würde?

Das Lächeln täuschte bei den meisten nicht. So teilte nach der Lesung Ruth Loosli als erste ihren durchwegs positiven Eindruck mit den anderen. Die Seeländerin verstand Mollets Entwurf als anregender Lückentext. Sie sprach von Wurzeln, die die Texte für sie schlagen würden und der sich dadurch aufsprengenden Oberfläche. Für sie gehe es in den Texten um Existenzfragen und den menschlichen Spieltrieb. Wer sich über den seinerseits lyrisch ausformulierten Texteindruck freute, wurde von Thilo Krause aus der wohlwollenden Atmosphäre jäh herausgerissen.

Der hatte nicht gelächelt beim Zuhören. Er machte von Anfang an klar, dass ihm die Texte nicht gefallen. Mollets Lyrik misslinge der Versuch, über das Anekdotische hinauszukommen. Das lyrische Du, das in allen Texten vorkommt, breche mit Allgemeinplätzen in die Szenen hinein und zerstöre jegliches Potenzial, sich in den Texten zu orientieren. Krause forderte: Mehr Ich, weniger Du. Das Du interessiere nicht.

Nicht nur den unbeteiligten Zuschauer*innen war dieser Stimmungswechsel wohl etwas zu heftig, auch die Moderation schaltete sich hier kurz ein und presste Krause dann doch noch ein gutes Votum heraus: Einige Sätze seien ganz schön. Und zwar diejenigen, die nichts wollen würden. Germanist und Lyriker Wolfram Malte Fues übernahm in der Diskussion – wohl eher unverhofft – die Rolle des Gegenspielers von Krause. In einer Detailanalyse nahm er einen Siebenzeiler Mollets auseinander und zeigte dabei die Vielschichtigkeit ihrer Sprache. Er machte deutlich: Sie will nicht nur, sie kann. Mit der Arbeit am Text ging es gefühlt endlich zur Sache.

Endlich wurde in dieser Textwerkstatt über knifflige Details gesprochen. Dass es dabei um einen Pilz und dessen Aussehen gehen würde, hätten sich die Zuschauenden wohl aber nicht gedacht. Ob Morchel oder Lorchel mit braunem oder beigem Hut bis zum Vorwurf – auch hier von Krause – dass Mollet den Pilz doch sicher verwechselt oder ahnungslos beschrieben habe, kurzum: die Diskussion wurde absurd. Mollet, die sich das Ganze ungefragt anhören musste, konnte nur darüber lachen.

Überhaupt fand wenig Dialog und Arbeit an den Texten statt. Die Veranstaltung drohte besonders zu Beginn eher in einen Austausch von persönlichen Leseeindrücken abzusinken. Die waren durchaus spannend, aber ganz ungelegen kamen die bissigen Kommentare von Krause deshalb doch nicht. Immerhin regte er an – und auf.

Er werde bewusst polemisch, gab er vorweg, als er auf die Wahl der Lyrikform in Siebenzeilern einging. Das diene doch höchstens der Coolness. Die Sätze seien absolut beliebig, ausserdem fokussiere Mollet viel zu stark auf das tell und ignoriere damit den Leitsatz show, don’t tell. Leonor Gnos liess sich davon nicht provozieren und lobte die Sprunghaftigkeit der Texte. Musikredaktor und Lyriker Claudio Landolt ging zwar zunächst mit Krause mit und gab zu, dass er sich nach der ersten Lektüre verloren gefühlt habe. Auf den zweiten Blick habe er sich aber verliebt. Es sei ein «technoider Text mit Herz», der von wunderschönen Nebensächlichkeiten mit zärtlicher Grausamkeit erzähle.

Fues blieb nicht so ruhig. Er feuerte kräftig zurück und meinte nur: «Wenn wir schon polemisch sein wollen, dann richtig.» Die Idee des show, don’t tell sei doch völlig veraltet. Literatur ziele auf einen Diskurs ab, sie solle die «Verhältnisse zum tanzen bringen» und nicht Dinge unmissverständlich beschreiben. Dazu habe man schliesslich die Wissenschaft.

Am Ende der Veranstaltung brachte sich dann auch noch das Publikum ein und Mollet erhielt das letzte Wort. Ihre Zurückhaltung während der gesamten Diskussion war teilweise fast nicht auszuhalten. Mehr Redezeit von ihr wäre wünschenswert gewesen. Fast schon bereute es die Zuschauerin, dass sie Krause nicht in gleichem Ton begegnet war. Ihre selbstbewusste Zurückhaltung aber passte zu den vorgelegten Texten: Die brauchen Zeit, schaffen intime Denkräume und lassen bei aller Ernsthaftigkeit und politischer Sprungkraft immer auch ein Lächeln zu.

Was Mollet nun konkret von dieser Diskussion mitnehmen soll, das blieb für die Zuschauenden zusammenfassend unklar. Eins lässt sich jedoch sagen: Über diese Lyrik lässt sich streiten.

Noch ein Schluck Bier

Rauh, dreckig und nur mit Humor zu ertragen: Simone F. Baumanns erste Graphic Novel «Zwang» zeigt eine unangenehme Welt. Mit ihrem Alter-Ego, einer Grosstadt-Antiheldin, führt die Zürcher Comiczeichnerin in albtraumhafte Szenen. Ihr geht es nicht darum, die Welt zu ändern. Sie will am liebsten mit ihrer Katze auf dem Schoss zeichnen können und dazwischen ab und an in den Supermarkt huschen. So beschreibt sie sich im Gespräch mit Anette Gehrig. Darin geht es um langweilige Superhelden, «Grüsel-Werner» und Underground Comics.

«Noch ein Schluck Bier», so leitet Simone F. Baumann die Lesung aus ihrer im April erschienenen Graphic Novel «Zwang» ein. Den brauchen die Zuschauenden auch, als es in der ersten Kurzgeschichte aus dem Band ziemlich schnell zur Sache geht: Die Protagonistin wird von ihrem Therapeuten gefragt, ob sie denn ihr eigenes Gehirn auch krank fände. Sie bejaht vorsichtig und meint dann, dass sie ja aber nur dieses eine hätte.

«Wie es wohl wäre mit einem anderen Hirn?», fragt Baumann an dieser Stelle der Lesung dazwischen. Überhaupt liest sie frei von der Leber, sie beschreibt, was zu sehen ist. Dazwischen kommentiert sie die Bilder spontan. Die Idee für das krankhafte Hirn kam von Baumanns Eltern. Die hätten ihren Lebensstil als Künstlerin damit zu begründen versucht, dass sie damals im Brutkasten einen Hirnschaden erlitten haben soll. Und genau diesen absurden Vorwurf verarbeitete Baumann in der Geschichte. Vom Therapeuten fährt die erwachsene Protagonistin darin direkt ins Spital. Dort gehört sie hin, denkt sie sich. Neben die Frau mit der Schere im Auge und dem Mann, der es nicht mal mehr ins Gebäude reingeschafft hat. Sie geht hinein und wird von Krankenschwestern in einer Zwangsjacke in den XXL-Inkubator gesteckt. Danach geht es zurück in den Mutterleib. Kurzerhand stopfen sie die Schwestern in den Bauch einer Frau, die gerade erst geboren hat. Rasch hängt nur noch der Stiefel raus. So schnell kann es gehen bei Simone F. Baumann.

Ihr Zeichenstil wirkt oft so brutal wie das Dargestellte. Die Kontraste sind scharf, die Texte kurz und einfach, die Gesichter hässlich. Die Protagonistin ist in diesen Welten auf der Suche, sie will eine Lösung finden, einen Platz für sich in dieser Gesellschaft, in der sie sich als Fremdkörper fühlt. So erklärt Baumann die Grundstimmung der Bilder.

Ganz ernst nehmen kann man die Szenen in ihrer Absurdität nicht, sonst wären sie kaum zu ertragen. Ganz ernst nimmt sich auch Baumann selbst nicht. Ihre Augen leuchten im Gespräch. Sie lacht viel und ist genauso wie ihre Figuren auch in ihren Antworten salopp und kurz angebunden. Warum ihre Protagonistin keine Superheldin ist, das erklärt sie damit, dass die Looser doch die Interessanten seien und Superhelden «das Langweiligste, was es gibt». Die Geschichte über den «Grüsel»-Werner, der von ihrer ersten WG in Zürich zusammen mit einem 80-Jährigen Typen mit Pornokalendern am Kühlschrank erzählt, tut sie lachend ab. Sie habe es nur zwei Monate ausgehalten.

Angefangen hat Baumann als 18-Jährige mit komplett selbst hergestellten und vertriebenen Comicheften. Die Idee dahinter war, immer das Neuste zeigen zu können. Noch immer erscheint alle zwei Monate ein Heft in ihrer Reihe 2067. Abonnieren kann man es nur per Mail, eine Webseite hat Baumann nicht.

So gern man dieser jungen, unangepassten Künstlerin zuschaut, die ihren Kopf abstützt oder beim Sprechen auf der Gummierbse in ihrer Hand rumdrückt; die Chemie zwischen ihr und Gehrig stimmt nicht. Da hilft auch das Bier auf dem Tisch nicht. Die Lockerheit fehlt auf Seiten der Moderation. Die konzentriert sich einen Grossteil des Gesprächs auf die grossen Themen der Autofiktion und die künstlerischen Vorbilder Baumanns aus der Underground-Comicszene. Sie scheint die Antworten, die sie will, durchweg nicht zu bekommen – auch nicht, als gegen Ende des Gesprächs dann das Thema Zwang zur Sprache kommt, das titelgebend für die Graphic Novel ist. Angekündigt war im Programm eine Künstlerin, die ihre Erfahrungen mit Zwangsstörungen verarbeitet. Im Gespräch redet Gehrig um den heissen Brei herum, wenn sie nach Zwängen der Gesellschaft fragt. Baumann nimmt den Faden dennoch auf und spricht vom zwanghaften Verhalten der Protagonistin, das in einigen Geschichten verhandelt wird. Eine davon liest sie als Abschluss dann auch noch.

Und damit zum Fazit des Abends: Am besten sprachen die Zeichnungen von Baumann für sich. Oder wie die Künstlerin selbst über sich sagte: Sie will nichts und macht einfach. Und was sie da macht, wirkt jung, echt und relevant.

Uner Team in Solothurn:
Katja Lindenmann

ist ein Fantasy-Kind und macht sich ihre Hände am liebsten an Blumenerde oder alten Handschriften dreckig. Sie studiert mit Leidenschaft Geschichte und macht den TAV-Literaturmaster. Am liebsten bewegt sie sich um die Abgründe der Menschheit herum – es schwindelt ihr, wenn sie hinabsieht, aber Hinschauen findet sie Pflicht.

Katja Lindenmann liebt Lyrik, Bachmann und jetzt, wo ihr Harry Potter von J.K. Rowlings TERF-Attitüde versaut wurde, braucht sie neuen Stoff zum Träumen von Utopia. Ob sie in Solothurn fündig wird?