Der Traum einer vielfältigen Literaturkritik

Verschwindet die Literaturkritik? Ist sie eine Kunstform? Wie sieht die Zukunft aus? Diesen Fragen gehen die Teilnehmer*innen des Branchengesprächs zur Literaturkritik nach.

Wer ist dabei? Tabea Steiner kennt die Literaturkritik aus unterschiedlichen Perspektiven – als Schriftstellerin, Literaturfestivalveranstalterin der Literaare und natürlich als Leserin.
Manuela Hofstätter ist gelernte Buchhändlerin und Bloggerin bei lesefieber.ch, wo sie regelmässig Buchbesprechungen veröffentlicht.
Anne Pitteloud ist Autorin, Journalistin und selbst Literaturkritikerin, die sich im Speziellen der Literatur der Romandie widmet.
Erwin Künzli ist Verleger beim Limmat Verlag und liest somit vor allem die Kritiken, die über die von ihm verlegten Bücher geschrieben werden.
Moderiert und geleitet wird das Webinar von Nicolas Couchepin, Präsident des A*dS und Fabiola Carigiet, Vorstandsmitglied des A*dS.

Definition von «Literaturkritik»

Vorab muss erstmal die Frage geklärt werden, was denn Literaturkritik sei. Manuela Hofstätter hat die passende Antwort aus dem Duden parat: Eine Kritik hat wissenschaftliches Fundament und soll ihren Erscheinungsbereich in einer renommierten Zeitschrift erhalten. Doch, wie allen schnell klar wird, fällt der letzte Teil zunehmend weg. Die Medienlandschaft verändert sich. Leser*innen haben andere Gewohnheiten, sie suchen ihre Inspirationsquellen im Internet, bei Blogs oder Podcasts. Gerade dies könnte, so Hofstätter, als Erfolg abgebucht werden. Sie selber findet aber eher, dass sie keine Kritikerin ist, die Rezensionen schreibt, sondern sieht sich eher als Sprachrohr der Autor*innen. Deshalb veröffentlicht sie auch Buchbesprechungen, also fasst die Bücher zusammen und gibt im Fazit ihr persönliches Feedback dazu ab. Dabei fokussiert sie sich auf jene Bücher, die sie wirklich mag und bespricht andere gar nicht erst. Allerdings würde sie sich einen kritischeren Blick durchaus wünschen.

Dies bringt Fabiola Carigiet dazu, einen Blick in die Vergangenheit zu wagen: Da habe es ja noch jene Kritikerpäpste wie Werner Weber oder Marcel Reich-Ranicki gegeben. Fehlten die heute nicht? Erwin Künzli erläutert, dass die Ursprünge der Literaturkritik in der Erziehung der Leserschaft lägen. Dieser Anspruch wurde aber nie aufgegeben. Nur würden heute unglaublich viele Bücher herausgegeben, da wertete die Literaturkritik bereits bei der Auswahl und schaffe so einen gewissen Kanon. Künzli freut sich aber auch, dass neue Bereiche wie die Germanistik die Literaturkritik für sich entdeckt haben. Ja, da freue ich mich, als Schreiberin dieses Textes, ansonsten hätte ich nie einen Kurs zur Literaturkritik an der Universität belegen können.

Tabea Steiner sieht, dass der Raum für Literaturkritik immer kleiner werde, auch jener für Verrisse, was sie als Germanistin bedauere. Andererseits findet sie es aber auch spannend, wie das Feld immer breiter werde. Es sei sehr divers und durch die Sozialen Medien wie Instagram könnten nun viel mehr Menschen mitreden. Aber auch die Buchhändlerin habe vielleicht einen Tipp oder eine Person aus dem Lesekreis schlage spannende Lektüre vor. Die Literatur werde zu einem gesellschaftlichen Diskurs, wobei immer noch dieselben Bücher besprochen würden und gerade die Lyrik zu kurz komme. Sie wünscht sich eine Emanzipation für das Feuilleton, dass die den Mut finden, nicht nur jenes aus den sozialen Medien zu besprechen. Anne Pitteloud hakt hier ein und bemerkt, dass sie versuche, genau dies zu tun. Sie schreibe über Bücher, die eher vergessen würden und nicht bekannt seien.

Literaturkritik als Kunstform

Ob Literaturkritik eine Kunstform sei, fragt Nicolas Couchepin. Für Anne Pitteloud ist dies ganz klar der Fall. Man müsse schliesslich schreiben können und versuchen, die Gefühle in Worte zu fassen. Das sei nicht einfach und gelinge nicht allen. Auch Tabea Steiner spricht von der Literaturkritik als Kunstform und meint, gerade deswegen sollten auch experimentelle Bücher besprochen werden. Sie weiss aber auch, dass die Branche unter grossem Druck stehe und nicht genügend finanzielle Mittel habe. Deshalb wirft Steiner die Frage in den Raum: Steigt die Wertschätzung, wenn die Schweiz einen Literaturkritikpreis hätte?

Und nun, was wünschen sich die Teilnehmer*innen für die Zukunft?
Wenn Anne Pitteloud es sich erträumen könnte, behielte sie ihre Freiheit, hätte aber mehr Mittel, Ressourcen und Raum zur Verfügung.
Manuela Hofstätter wünscht sich mehr Geschriebenes, mehr Zeitschriften und neue Wege der Unterstützung.
Erwin Künzli sieht, dass die Zeitungen kein Geld mehr haben und wünscht sich deshalb, dass die Werbung zurück zu der Zeitung gehe und sich diese wieder mit den Leser*innen verbündete. Eine Konsolidierung des Papiers gewissermassen.
Tabea Steiners Traum ist es, dass die Kritik so vielfältig werde wie die Literatur. Das breite Nebeneinander, denn es habe als Leser*in doch auch etwas Schönes, sich über ein Buch aufzuregen.

Das Fazit dieses Morgens lautet, dass alle die Kritiken in den Feuilletons sehr schätzen, jene aber mehr und mehr verschwinden, da die Medienlandschaft sich wandelt. Eine Zwickmühle also. Aber der Hoffnungsschimmer, das die Literaturkritik nicht ganz vom Erdboden verschluckt wird, bleibt.