Die Erfindung von Welten. Populismus in Literatur und Politik

Demokratie unter Druck. Die Macht des Populismus.

Freitag, 14.5.2021, 16 Uhr, Podiumsgespräch

Populismus ist nicht neu, bereits in der griechischen Antike gab es Demagogen, und besonders schreckliche Zeugnisse findet man im letzten Jahrhundert. Was ist so attraktiv an dieser Art des Politisierens? Und warum entscheiden sich viele Wähler*innen trotz besseren Wissens auch aktuell für populistische Politker*innen?

Die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen, Professorin für Anglistik an der Universität Zürich, diskutierte mit der russischen Autorin Maria Stepanova, dem Schweizer Schriftsteller Jonas Lüscher und mit Nanad Stanjanović, Politologe und SNF-Professor an der Universität Genf.

Die Frage, mit der Moderatorin Elisabeth Bronfen die Podiumsdiskussion beginnt, ist so einfach nicht  zu beantworten: Wie lautet die Definition von Populismus?

Einig sind sich die drei Gesprächsteilnehmenden in zwei Punkten: Es gibt keine abschliessende Klärung des Begriffs. Und eine Gemeinsamkeit sind die grossen Versprechungen, die Populist*innen machen.

Leere Versprechungen

Leere Versprechungen seien das, meint Maria Stepanova. Populist*innen würden Instinkte und die primären Gefühle ihrer Anhänger*innen mit Versprechen bedienen, die nicht eingelöst werden können. Jonas Lüscher spricht vom Versprechen der Reinheit und der Einfachheit. Es sei enorm wichtig, immer wieder zu versichern, dass es ein «Wir» des inneren Zirkels und ein «Sie» ausserhalb gebe. Nanad Stanjanović nennt diese Gemeinsamkeit die «Idee einer imaginären Gemeinschaft»; ein antielitärer Diskurs sowie die Versprechung eines homogenen Volkes seien dafür typisch.

Ein wichtiger Aspekt der Attraktivität des Populismus sei, dass er sowohl in den Bereich der Politik wie in denjenigen der Literatur gehöre, antwortet Maria Stepanova auf die Frage, was denn der Reiz ausmache. Die Populist*innen kreieren unglaublich schöne Welten. Im Gegensatz zu Politiker*innen, die sich nach wie vor bewusst sind, dass eine Wahrheit besteht und Versprechungen da sind, um eingelöst zu werden, hätten Populisten gar keine Absicht, Versprechungen zu halten.

Etwas prosaischer kommt die Erklärung von Lüscher und Stanjanović daher: Es geht auch hier ums liebe Geld. Entweder ist es der Politiker selber, der möglichst viel Geld aus dem Staat abziehen will, oder die Anhänger versprechen sich, aufgrund der politischen Entscheide mehr Geld in der Tasche zu haben. Und damit räumt Lüscher auch gleich mit einem Klischee auf: Es sind eben nicht nur die Enttäuschten, sozial Abgehängten und Ungebildeten, die Populistinnen und Populisten anhängen. Oft ist es der Mittelstand, der aus Selbstinteresse trotz genauer Kenntnisse über moralisch verwerfliche Handlungen und Aussagen, die populistischen Politiker*innen wählt. Maria Stepanova spricht dann auch von einer «populistischen Gesellschaft», in der wir leben, in der weder die Politikerpersönlichkeiten noch deren Wähler*innen homogen sind.

«Trotzdem»

Das Erstaunliche ist, dass viele Menschen trotz ihres Wissens um die Inszenierung populistische Parteien wählen. Die Selbstinszenierung, das politische Theater, das auf Affekte und Gefühle abzielt, ist oft völlig transparent, und trotzdem machen die Menschen mit.

Die Erklärungsversuche der Diskussionsrunde wirken teilweise hilflos: Auf der Theaterbühne kann man alles behaupten, meint Lüscher, die Vereinbarung mit dem Publikum sei gerade die, dass es mitgehe. Die Demagogen in der Antike belegten, erklärt hingegen Stanjanović, dass es sich um ein altes Phänomen handle, das offenbar einem Teil der Bevölkerung seit je entspricht.

Maria Stepanova argumentiert wieder literarisch: Wie die olympischen Götter übertreten gewählte Politiker*innen offiziell bevollmächtigt Regeln; der Reiz des Verbotenen wirkt attraktiv auf die Gefolgschaft.

Common Ground

Mit der Frage, wie denn ein Common Ground aussehen könnte, ein Miteinander, das ohne Polittheater und leere Versprechungen bestehen kann, führt die Moderatorin das Gespräch in die Schlussrunde.

Und nach den bisher eher erwartbaren und wenig griffigen Beiträgen wird’s nun konkreter.

Nanad Stanjanović leitet das Projekt «demoscan», das versucht, die Demokratie auf eine Art zu beleben, die wiederum in der Antike ihren Ursprung hat. Das Projekt wählt per Los eine Gruppe von Menschen aus, die die Gesellschaft in ihrer Vielfalt spiegelt. Diese etwa 25 Menschen diskutieren über ein politisches Thema und verfassen danach einen Bürgerbrief, der danach andere Menschen informieren wird. Mit dieser Methode soll einerseits die Demokratie, der Gedanke der Gleichheit aller und dass sich alle am politischen Prozess beteiligen, weitergedacht werden; andererseits soll diese Methode der Gefahr, dem Populismus mit technokratischer und elitärer Politik zu begegnen, entgegengehalten.

Jonas Lüscher weist darauf hin, dass sich mit einer Politik des Common Ground Probleme der Zukunft nicht lösen lassen. Es brauche vielmehr den Streit und die Debatte.

Die Schlussworte von Maria Stepanova klingen versöhnlich: Sie appelliert an die Menschen, sich selber, den anderen und deren Meinung respektvoll und achtsam zu begegnen und die Qualität der freundlichen Begegnung zu schätzen.

So einfach wäre es?

Nachdem doch eher Hilflosigkeit gegenüber der Macht des Populismus das Gespräch geprägt hat, ist Maria Stepanovas Appell ein hoffnungsvoller, aber vielleicht auch ein zu schöner Wunsch.

Zugeschaut und zugehört hat: Martina Albertini

Maria Stepanova, Nach dem Gedächtnis, Suhrkamp Verlag, Berlin 2018
Jonas Lüscher/Michael Zicky (Hrsg.), Der populistische Planet, C.H. Beck, München 2021

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