Wie ernst nimmt Josephine Berkholz Lyrik?

Sehr ernst. Das ist nicht nur Fatima Moumouni bewusst, die den Veranstaltungstext verfasst hat, sondern jetzt auch mir. Berkholz findet Lyrik fantastisch, und wie sie selbst verdeutlicht: die Konkretheit und Vieldeutigkeit dabei. Ein Gedicht kann konkrete Bilder erzeugen, die aber jede*r anders deuten und die sich auch ändern können.

Josephine Berkholz hat am Literaturinstitut in Leipzig studiert und absolviert nun noch ein Studium der Philosophie in Berlin. Sie kam damit weg vom Poetry Slam hin zu Spoken Word, denn die Texte, die nun entstehen sind doch anders als früher. Sie versucht die verschiedenen Textsorten zusammenzubringen und nicht immer klar voneinander zu trennen. Berkholz hat Lust herauszufinden was geschieht, wenn sie beispielsweise Musik und Lyrik zusammenführt. Daraus kann ein Gedicht mit Beat entstehen oder sie experimentiert mit einer Loop Station. Extra für die Solothurner Literaturtage hat Berkholz sich von ihrem akademischen Unistoff inspirieren lassen und neue Worte geschrieben. Die Hausarbeit für die Universität ist allerdings noch nicht fertig, doch das Projekt wurde zu einer Vorstudie dafür und lässt Berkholz die Frage, die sie beschäftigt, auf eine andere, neue Art anschauen.

Es handelt sich hierbei um die Frage, ob wir mit der Natur verbunden sind. Berkholz stellt sich vor, wie es wäre, wenn alle Ozeane ineinanderflössen oder dass wir im Grunde den Atem des Waldes einatmen. Dabei hatte Josephine Berkholz auch einen Lyrik Ohrwurm im Kopf, den sie bei Maren Kames, einer deutschen Lyrikerin, aufgeschnappt hat: “Zu gleichen Teilen bin ich der Landschaft ausgesetzt wie die Landschaft mir“.
Landschaftsbilder ploppen auf, kaputte und ganze. Sie wirft mit Worten um sich, sie vermehren, wiederholen sich, explodieren fast. Und ich denke: Doch, Josephine Berkholz ist das Experiment mit der Loop Station gelungen.

Als eine von zehn Veranstaltungen fand die Spoken Word Performance analog statt. Ich sass allerdings zu Hause vor dem Laptop. Die Freude von Josephine Berkholz, endlich wieder vor Publikum auftreten zu dürfen, habe ich trotzdem gespürt und mich gefreut, dass ich ihren Worten und Gedanken lauschen konnte, die politisch, kritisch und philosophisch sind.

Ilia Vasella: Windstill

Regula Walser, Mitglied der Programmkommission an den Solothurner Literaturtagen, führt ein Gespräch mit Ilia Vasella, die mit «Windstill» ihr Romandebüt vorlegt. Die in Zürich und Frankreich lebende visuelle Gestalterin und Dozentin mag Perspektivenwechsel. Beruflich vollzog sie einen solchen Wechsel einerseits von der Gestalterin zur Autorin, andererseits prägen wechselnde Perspektiven auch ihren Erstlingsroman.

«Windstill» spielt in einem leicht heruntergekommenen Schloss in Südfrankreich am Rand der Pyrenäen. Der Künstler Pierre unterhält diesen idyllisch-verwunschenen Ort als Ferienherberge, wo bunt zusammengewürfelte Familien ihre leichten Sommertage verbringen. Diese Idylle wird jäh zerschlagen, als Marie eines Morgens vor dem Frühstück mit dem Wäschekorb in den Händen unglücklich auf das Rohr eines Sonnenschirms fällt und auf der Stelle stirbt.

Die Reaktionen auf das Unfassbare werden auf den folgenden knapp 160 Seiten aus verschiedenen Warten geschildert. Wie reagieren Menschen in einem surrealen Moment fernab jeglicher Erfahrungen und Routinen? Das Spektrum reicht von überforderter Teilnahmslosigkeit flüchtiger Ferienbekannter bis zur fassungslosen Erstarrung von Maries Lebenspartner Franz.

Das Changierende der Perspektiven, auch das Mosaik aus Rückblenden und Vorausdeutungen sei eine komplexe Arbeit gewesen, erläutert Vasella im Gespräch mit Walser. Das Collagieren sei dabei durchaus inspiriert vom Metier der visuellen Gestaltung. Sie interessiere sich für gestalterische Komplexität, was hier auch zum Zweck gehabt habe, die verschiedenen Distanzen der Figuren zum einschneidenden Todesereignis abzubilden.

Dass der Roman sich durch eine Bildfülle und atmosphärische Dichte auszeichnet, ist auch Regula Walser aufgefallen, die von einer filmisch anmutenden Bilderfolge sprach. Die Autorin bestätigte den Eindruck, da für sie im Arbeitsprozess das Visuelle, das Atmosphärische Vorrang vor der Figurenzeichnung habe. Erst nach und nach füllten die Figuren die Orte, die für sie die Ausgangslage der Geschichte bilden.

Thematisch interessiert Vasella in «Windstill» die fehlenden Angebote der Gesellschaft, wie mit dem Tod umzugehen sei. Man verfüge über wenig Mittel im Umgang mit dem Tod, die damit verbundenen Rituale stammten alle aus der Religion und Relikte davon würden noch praktiziert, aber sie passten heute nicht mehr so richtig. Entsprechend skurril wirkt denn auch die vorgelesene Szene, in der Marie noch am Ferienort aufgebahrt wird.

Regula Walser gelingt es, im Gespräch mit Ilia Vasella den Debütroman aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten, ganz im Sinne des multiperspektivisch angelegten Romanprojekts. Es bleibt aber die Frage im Raum stehen, ob der kurze Text den Urgesteinen von Themen – Tod und Erinnerung – in dieser Montage in irgendeiner Form gerecht werden kann. Zu schwer wiegen sie im Verhältnis zum fragmentarischen Werk, in das man hier einen Einblick erhalten hat. Verstärkt wurde dieser Eindruck dadurch, dass Vasella als Roman-Novizin in der Lesung noch etwas gezwungen wirkt. Ob aufgrund der Stückwerk-Zersplitterung oder den Umständen der Lesung – die Tragweite des Stoffes vermochte nicht ganz durchzudringen.

Auf der anderen Seite – um beim Multiperspektivischen zu bleiben – wird der Tod von den Kindern des Romans mit einer, wie es Vasella ausdrückt, fast unverschämten Selbstverständlichkeit hingenommen. Das Leben muss weitergehen, wie die Sätze, die Vasella in einer flüchtigen Schwebe habe halten wollen. Darin liegt vielleicht ein Angebot, wie mit dem tabuisierten Tod umgegangen werden kann. Die Dinge im Fluss halten, es muss weitergehen. Nur: So neu ist dieser Gedanke nicht.