Weg mit der Zentralperspektive!

Draussen: Die flaschengrüne Aare, eine heitere Stimmung, Sonne, Glacé etc. Drinnen: Eine Podiumsdiskussion zur «Rolle des/der Autor*in in der Gesellschaft». Manch eine*r dürfte sich fragen, ob es zu diesem Thema überhaupt noch etwas Neues zu sagen gibt. Wenig erstaunlich ist es, dass dieses Podium nicht zum Publikumsschlager avanciert. Der Gemeinderatssaal ist zwar gut gefüllt, fasst aber bei Weitem nicht so viel Besucher*innen wie andere Veranstaltungsorte an den Solothurner Literaturtagen. Interessanterweise befinden sich dafür einige Autor*innen im Publikum.

Eröffnet wird das Podium von der Moderatorin Christa Baumberger. Souverän führt sie an das Thema heran und wechselt dabei fliessend vom Deutschen ins Französische. Die Veranstaltung findet bilingue statt; die Teilnehmer*innen sprechen jeweils ihre Sprache, zwei Simultandolmetscherinnen übersetzen. Baumberger hebt hervor, dass sie im Folgenden die historische Perspektive ausklammern und stattdessen das Heute in den Fokus rücken will. Dann gibt sie ihren drei Gästinnen das Wort, die jeweils einen kurzen Text zum Thema vorlesen; nach jeder Lesung folgt eine kurze Diskussion.

Drei Texte, drei Perspektiven
Autorin und Regisseurin Ivna Žic macht den Anfang mit einem Auszug aus ihrer Hamburger Poetikvorlesung. Es ist ein differenzierter, essayistischer Text, den sie vorträgt. «Warum sich nicht wundern über die, die anscheinend seit immer an einem Ort hocken und bleiben?», fragt sie in den Raum und begegnet damit der misstrauischen Neugierde, die Migrant*innen und sog. «Secondos» entgegengebracht wird. Zum Abschluss plädiert sie für eine «Gleichzeitigkeit der Perspektiven, Wege, Orte und Sprachen» – vor allem auch in der Literatur. Die anschliessende Diskussion dreht sich hauptsächlich um das Verhältnis zwischen Sprache und Macht. Žic hebt hervor, dass gerade klare Setzungen und Festschreibungen in der Sprache gefährlich werden können; sie sind zwar leichter zu verstehen und kontrollieren, geben aber nicht die Polyphonie der Wirklichkeit wieder.

Als Zweite bekommt Herausgeberin und Autorin Noémi Schaub das Wort. Sie liest einen lyrischen Text aus Romy Colombes Debut «Quelques fleurs» vor. Colombes Text kommt gleichzeitig sehr poetisch und ausserordentlich kämpferisch daher. Er thematisiert die Dominanz der «alten weissen Männer», und entlarvt die Unterdrücker als Menschen, die in erster Linie Angst vor der tatsächlichen Vielfalt des Lebens hätten. Die anschliessende Kurzdiskussion ist der «Macht der Poesie» gewidmet. Nach Schaub ist politische Sprengkraft der Lyrik vor allem ihrer kondensierten, kompakten Form geschuldet. In der Lyrik, so Schaub, würde nichts verwässert.

Den Abschluss macht Nathalie Garbely, die als Autorin und Übersetzerin tätig ist. Garbely legt einen sehr lyrischen Text vor, der auch die Simultandolmetscher*innen ins Schwitzen bringt. Auf die Schnelle aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt, ist ihr Beitrag – Auszüge aus dem Text «Passer le seuil de la pudeur» – für die nicht-frankophonen Zuhörer*innen leider etwas unzugänglich. Den politischen Inhalten (etwa dem Thema der «droite décomplexée») nähert sie sich in einer sehr bildhaften Sprache. Garbelys Arbeit dreht sich darum, «in den Begriffen selbst Verschiebungen anzubringen und die Sprache zu öffnen», fasst Baumberger zum Schluss zusammen.

Eine abschliessende Antwort?
Was bleibt nun aber nach den ganz unterschiedlichen Texten, die im Laufe des Podiums vorgetragen wurden? Eine Quintessenz ist schwer herauszudestillieren, aber gerade darin liegt wohl der grosse Trumpf dieser Gesprächsrunde: Sie war ein perfomatives Plädoyer für eine Vielfalt der Perspektiven, Sprachen und Herangehensweisen. Tatsächlich wird die anfängliche Frage nach der Rolle des/der Autor*in auch noch einmal explizit durch eine Wortmeldung aus dem Publikum aufgegriffen. Žic antwortet pointiert, dass auch hier eine gewisse Pluralität wünschenswert sei. So gäbe es für sie nicht die Rolle des/der Autor*in in der Gesellschaft. Und wenn sie doch eine Rolle wählen müsste, dann bestünde diese eben genau darin, «die eine Zentralperspektive aufzulösen».

Lost in Translation

Hussein Mohammadi – ein richtiges Multitalent. Er schreibt, malt, zeichnet, spielt Theater, während er hauptberuflich aber als Hydraulikmechaniker arbeitet.
Der gebürtige Afghane wuchs im Iran auf. Seine ersten beiden Romane wurden von der iranischen Regierung zensiert. Erst sein dritter Roman «Symphonie der Liebe» konnte erscheinen. 2013 floh er in die Schweiz, wo er mehrfach als Schauspieler auf der Bühne stand. Sein Märchen «Die saubere Brille» wurde vom Radio SRF ausgestrahlt. Besonderes Aufsehen erregte er mit seiner Ausstellung «Ein Bild – Eine Geschichte», wo er seine Kurzgeschichten mit dazugehörigen selbstgemalten Gemälden präsentierte.

Seine Solothurner Werkschau präsentierte dem Publikum einen Querschnitt aus seinem Werk. Mohammadi schreibt zwar auf Persisch, las aber dennoch die deutsche Übersetzung. Den Anfang machte ein Ausschnitt aus seinem neuesten Buch «Scheherazades Erbe», das im Herbst erscheint. Es erzählt Geschichten illegaler Liebesbeziehungen in Afghanistan. Wie der Titel vermuten lässt, liess er sich von den «Märchen aus 1001 Nacht» inspirieren. Jedes Kapitel erzählt eine andere Geschichte und die Handlungen laufen gegen Ende des Romans zusammen. Als der Moderator Mohammadi auf die Verbindung zur Märchensammlung anspricht, bemerkt der Autor verschmitzt: «Scheherazade brauchte 1001 Nächte für 1001 Geschichten – In Afghanistan passieren 1001 Geschichten in einer Nacht.»
Anschliessend gibt Mohammadi noch eine Kostprobe aus einer seiner Kurzgeschichten und einem Text zu seinen Erlebnissen auf der Flucht.

Im Iran herrscht Zensur – das schränkte Mohammadis Schreiben ein, da er viele Themen nicht behandeln durfte. Hier in der Schweiz hat er alle Freiheit, die er sich wünschen kann, doch er ist noch immer zögerlich, denn hier herrscht für ihn Selbstzensur. «Mein Kopf ist noch nicht frei», meint er auf die Frage nach seiner Schreiberfahrung in der Schweiz. «Ich kann und will (noch) nicht über alles schreiben.»

Über die Herausforderung, hemmungslose Sexszenen zu übersetzen

Ursula Giger – Übersetzerin im Porträt

Zuerst wollte Ursula Giger ablehnen. Da lag dieses 2010 erschienene schwedische Buch vor ihr, dass sie ins Deutsch übersetzen sollte. Gib ihnen, wovon sie träumen des schwedischen Schriftstellers Eli Levén ist ein hartes, grelles, aber auch wichtiges Buch. Es handelt von einem jungen Mann in einem Stockholmer Vorort der 90er Jahre, der sich zwischen den Geschlechtern fühlt. Um zu überleben, verkauft er seinen Körper und nimmt sich, was er kann. Dennoch ist er auf der Suche nach Liebe und sich selbst.

Gerade die expliziten Sexszenen empfindet Giger zunächst als abschreckende Übersetzungshürde. Sie gibt auch zu, dass sie vor der ihr fremden Transgender-Thematik Respekt hat. Gleichzeitig kann sie sich aber nicht vor der Komplexität und Lyrizität des Buches verschliessen. Die bildstarken, wenn auch teils kitschigen Szenen sprechen alle Sinne an. Giger nennt diese Stellen «Blumen, die aufgehen». Sie muss sich selbst verdeutlichen, dass «Übersetzen» nicht «Verstehen» bedeutet, denn es geht um die Sprache. Übersetzer von Krimis müssen schliesslich auch nicht die Mörder im Buch verstehen. So sieht sie das Projekt als eine Herausforderung, der sie sich schliesslich gerne stellt. Ihr kommt dabei zugute, dass sie selbst in den 90er Jahren in Stockholm gelebt hat und so zu gewissen Szenen Berührungspunkte finden kann.

Giger, die auch viele isländische Bücher übersetzt, will jeweils die Orte und Szenen kennen, die in den zu übersetzenden Texten vorkommen. So ist sie neben ihrem Lehrauftrag für Isländisch an den Universitäten Zürich und Basel auch als Trekking-Guide in Island und Grönland unterwegs. Die Übersetzungstätigkeit ist ihrer Meinung nach kein Hobby, sondern nimmt Zeit in Anspruch. Jeder Text benötigt intensive Recherche und Nachfragen. Giger muss den Text zur Seite legen, überlegen und alles sacken lassen. Gerne nimmt sie dann auch die Hilfe ihres Nachbarn, eines Schweden, in Anspruch, mit dem sie Levéns Wortschöpfungen, die im Buch immer wieder vorkommen, diskutiert und allfällige zweite Ebenen der Wörter erforscht. Schnell ist ihr deshalb klar, dass der schwedische Titel (auf Deutsch etwa: «Du bist die Wurzel zu meinen Füssen, die die Welt an ihrem Platz hält») nicht passt. Zu unsexy, zu lang, das funktioniert in der Schweiz nicht. Der deutsche Titel Gib ihnen, wovon sie träumen wurde schliesslich von Levén selbst ausgesucht.

Obwohl das Buch schon etwas älter ist, scheint das Thema aktueller denn je. Die Sprachlosigkeit der Hauptfigur zeigt sich dabei auch in deren Beschreibungsnot und Überforderung im Changieren zwischen Mann und Frau. Ein innerer Kampf um Identität, den jede:r anders führt und der «ins Fleisch hinein geht».

Récits teintés d’absurdes et soleil de plomb

« Nein ! », répond sarcastiquement Michael Fehr lorsqu’on lui demande s’il a un livre préféré. Rire général puis silence du vaste public venu prendre place sur les rangs de l’escalier Saint-Ours, Fehr lance sa première histoire. Les deux fontaines aux abords de l’estrade constituent la toile de fond. Un écouteur à l’oreille, il joue ses textes avec vivacité, l’articulation est méticuleuse, ce qui, en tant que francophone, me facilite la compréhension.

Les performances de Michael Fehr invitent à réfléchir quant à la notion de « texte ». Ses problèmes de vue l’ont contraint à innover, Michael crée ses textes au dictaphone, et ce sont probablement ces mêmes textes que l’oreillette lui chuchote cet après-midi. C’est tout d’abord en ce sens qu’il faut parler de performance plus que de lecture.

« Das ist so eine Geschichte », ainsi conclut-il sa première histoire sous les rires de l’assistance. La seconde histoire est elle aussi pleine d’humour. On y parle de recette de soupe à l’herbe, celle des pâturages. C’est simple et on en trouve partout. Par contre, attention de ne pas oublier le fromage. Ne surtout pas oublier le fromage, car sinon, ce n’est juste pas bon et les gens font de drôles de grimaces.

La troisième histoire, aussi courte que les autres (l’intervention dure quinze minutes) is in english. Le titre en est Blues predator, ce qui me rappelle que Michael Fehr est également musicien. Et ça ne manque pas, voilà que son histoire tourne en un chant blues a capella. La performance se conclut sur les claquements de mains rythmiques des spectateurs.

Glauser und Simenon am Strand

Die Ausgangslage von Ursula Haslers neuem Roman Die schiere Wahrheit ist faszinierend: Es treffen an einem warmen Sommertag an der französischen Atlantikküste die beiden bekannten Krimiautoren Georges Simenon und Friedrich Glauser aufeinander. Sie kommen ins Gespräch, reden darüber, was es für einen guten Krimi alles braucht und erzählen dann gleich gemeinsam einen solchen innerhalb von Haslers Buch. Die Besucher*innen ihrer Lesung durften durch einige vorgetragene Passagen sowie historische Stimmungsbilder auf der Leinwand Einblick in die Romanwelt bekommen.

Zwar fand ein solches Treffen der beiden Schriftsteller nie statt, es wäre im Jahr 1937 aber tatsächlich möglich gewesen. Über diese historische Möglichkeit stolperte Hasler wegen gleich mehrere glücklicher Zufälle. Sie selbst besucht den Badeort, in dem die Handlung ihres Romans spielt, selbst jedes Jahr. Dabei fand sie heraus, dass Glauser ebenfalls einmal in der Region war. «Wunderbar. Ich konnte mir vorstellen, wie glücklich Glauser über seine Freiheit hier gewesen sein musste und dachte mir: Dazu mache ich was.» Anschliessend fand sie an einer Ausstellung heraus, dass auch Simenon im selben Jahr an eben diesem Ort hätte sein können und so war das Ausgangsszenario geboren.

Hasler erzählt, dass sie sich noch nie darüber Gedanken gemacht habe einen Kriminalroman zu schreiben, aber das Zusammentreffen der beiden Autoren forderte dies. Dabei stellte sie fest, dass es gar nicht so einfach ist, einen Krimi zu schreiben, da in einem solchen gleich zwei Geschichten verknüpft werden: Einerseits der Tatvorgang des Verbrechens und was dazu führte; andererseits die Handlung der Verbrechensaufklärung. Als Autor müsse man sich auch während des Schreibprozesses entscheiden, wann man welche Indizien der Leserschaft geben will. Die Autorin stellte während des Schreibens fest, wie froh sie darüber war, mit dem Computer schreiben zu können, was andere Krimiautoren in der Vergangenheit nicht konnten. Ausserdem stellte sich eine weitere Hürde in den Publikationsweg ihres Romans. Ursprünglich sollten darin nämlich (in leichter Konkurrenz) Wachtmeister Studer und Maigret ermitteln. Jedoch stellte sie nach Fertigstellung des Buches fest, dass Simenons Figuren markenrechtlich geschützt sind. Deshalb musste sie den gesamten Roman umschreiben. Nun ermittelt eine völlig neue Frauenfigur, welche Hasler für Simenon erfindet.

Obwohl zu Beginn der Lesung von der Moderation betont wurde, dass Hasler wegen des grossen Lobes für ihr Buch an die Solothurner Literaturtage eingeladen wurde, verhafteten die Fragen der Moderation zum Roman auf den beiden bekannten Autorenfiguren und das Gespräch drehte sich folglich vor allem um Glauser und Simenon. Deshalb ging der literarische Wert von Haslers Roman unter – obwohl er durchaus da gewesen wäre.

Das «vocabulaire incroyable» auf den Verpackungen von Tiernahrung

Eric Facon beginnt das Gespräch mit Rebecca Gisler auf Französisch. Dann fragt er in die Runde, wer in der Säulenhalle überhaupt mit dem fliegenden Wechsel zwischen Deutsch und Französisch klarkommt. Im Publikum breitet sich ein zustimmendes Nicken aus. Es geht also weiter, oder besser gesagt, erst richtig los. Und zwar mit der ersten, bei diesem Buch wohl zentralsten Frage: «Pourquoi l’oncle?»

Rebecca Gisler ist in Zürich geboren und aufgewachsen, ihre Muttersprache ist aber eigentlich Französisch. Sie studierte literarisches Schreiben gleich doppelt. Einmal auf Deutsch in Biel und einmal auf Französisch in Paris. Die Zweisprachigkeit von Rebecca Gisler hat denn auch zur Folge, dass es zwei Romane von ihr gibt, die beide vom Onkel handeln.

Eine Parallel-Lesung, die funktioniert

Sie hat sich, so Gisler als Antwort auf Facons Frage, mit dem Onkel befasst, weil es über diese Figur viel weniger Literatur gibt, als über andere Familienmitglieder: Mütter, Väter, Grosseltern, Geschwister, Kinder. Der Onkel als Figur hat sie interessiert und sich aus ihrem Schreiben quasi herauskristallisiert. Die Figuren machen das Schreiben und das Schreiben macht die Figuren. Der Onkel lebt in einem grossen Haus in der Bretagne. Seine Nichte, die dort mit ihm lebt, beschreibt ihn und seine kuriosen Gewohnheiten bis ins kleinste Detail.

Nach den ersten Fragen liest Rebecca Gisler aus ihren Büchern, parallel eine Stelle aus «D’oncle» und eine aus «Vom Onkel». Bereits lässt sich erahnen, was am Wechselspiel zwischen diesen beiden Sprachen interessant und anregend sein kann.

Das eigene Buch nochmal neu schreiben

Es ist tatsächlich ungewöhnlich, dass die deutsche Fassung, die nach der französischen erschienen ist, nicht einfach übersetzt, sondern von der Autorin selbst neu geschrieben wurde. Es ist ein Wiederlernen des Deutschen gewesen, ein Spiel aus Hin- & Her-Übersetzen, in dem eine Sprache jeweils als Kontrollinstanz der anderen funktionierte. Am spannendsten wurde es, wenn es zwischen den beiden Sprachen Zweifelsfälle gab. Es ist schon fast ein offenes Geheimnis der Literatur: Das Poetische findet sich im Dazwischen.

Rebecca Gislers Art, auf die Fragen von Facon zu antworten, macht es deutlich: Literatur, wie Gisler sie schreibt, macht Spass. Sie lebt vom Witz und von kuriosen Figuren, wie Eric Facon anfügt. Dass die Chemie zwischen Moderator und Autorin so gut passt, überträgt sich auf die Besucher:innen der Lesung. Voller Energie, Elan und Esprit unterhalten sich die beiden angeregt.

Irgendwie sind doch alle Famililen merkwürdig

Die Absurdität des Textes und die merkwürdigen Figuren entstanden also aus dem ewigen Phantasie-Spiel zwischen Deutsch und Französisch. Ab und an schlummert im Buch aber auch ein Funke Wahrheit. Genau wie die Nichte und der Neffe vom Onkel hat auch die Autorin selbst schon Verpackungstexte von Tiernahrungsprodukten vom Französischen ins Deutsche übertragen. Sie bieten, so Gisler, einen unglaublichen Wortschatz, ein «vocabulaire uncroyable». Als Eric Facon von der Autorin wissen möchte, warum die Familie des Onkels so merkwürdig ist, muss sie lachen. Irgendwie sind doch alle Familien komisch: aus dem Publikum zustimmendes Nicken oder verhaltenes Grinsen.

Zu den Schilderungen der Toilettengänge des Onkels und zu seiner vernachlässigten Hygiene passt auch, was Gisler über ihren Schreibstil erzählt: Jemand hat ihn schon mal als «chasse d’eau» (WC-Spülkasten) beschrieben. Er fliesst beständig, manchmal entsteht ein merkwürdiges Blubbern und der Text ist nie ganz leer, sondern füllt sich immer wieder von neuem.

Ein in allen Belangen passendes Bild und ein erfrischendes, kurzweiliges Gespräch, bei dem ich, fast ohne es zu merken, mein verstaubtes Französisch reaktivieren konnte.

À la rencontre d’un récit haut en couleur

L’une coiffée d’un voile et l’autre d’une coupe mulet, Anisa Alrefaei Roomieh et Maeva Rubli siègent aux côtés de la modératrice Judith Schifferle dans l’ambiance feutrée du Kino im Uferbau, entre deux spots à la lumière violette. Une mise en contexte est nécessaire pour comprendre la naissance du projet commun aux deux femmes de Delémont. C’est ici qu’Anisa et sa famille arrivent après avoir fui la guerre en Syrie. Là-bas, elle était professeure d’arabe, langue que Maeva souhaite justement apprendre. Les rencontres passent rapidement des cours d’arabe à des échanges de propos plus existentiels. Anisa est auteure et Maeva, auteure-illustratrice. Les échanges prennent la forme de discussions enregistrées et de poèmes, matière servant de point de départ au projet de publication.

Face à face parait aux Éditions Moderne en 2021. Une première lecture est faite par Anisa en arabe, sa langue d’écriture. Le silence se fait poignant lorsque lui montent les larmes, la gorge se noue et le public frémit. La gravité du propos n’a pas besoin d’être expliquée. Puis Maeva traduit ; ce n’est pas la mort mais la naissance d’un enfant, Marya. Une naissance que l’on pleure, mais pas de larmes de joie. La plaie ouverte des horreurs de la guerre est soudainement palpable. On saisit alors le rapport d’intimité qui lie les deux femmes.

Le récit est celui d’Anisa. Son périple depuis la Syrie, l’abandon des objets qui racontent les jours heureux, l’abandon de son identité. Mais le récit est aussi le symbole d’un possible retour de la parole après la guerre. Et c’est notamment avec le soutien de Maeva que la voix d’Anisa a pu se libérer. C’est là une réalité qu’il faut rappeler : la notion de liberté d’expression ne se comprend pas de la même manière qu’on soit en Suisse ou en Syrie. Le livre apporte beaucoup de réponses, mais il nous prouve surtout qu’on a beaucoup de questions, comme le note Judith Schifferle. Face à face est le récit d’une déchirure identitaire dont les tenants sont la Syrie et la Suisse, qu’Anisa appréhende respectivement comme sa mère et sa mère adoptive.

La poésie visuelle des illustrations est haute en couleur, plus qu’on ne pourrait s’y attendre dans un récit sur la guerre. Mais ce n’est pas l’horreur que l’on veut dépeindre. Il y a évidemment le rouge, en d’énormes tâches ; c’est le sang mais c’est aussi l’amour, la naissance. Ce livre est une manifestation de la vie dans la mort et les couleurs sont nécessaires à rendre compte des émotions contrastés qui caractérisent cette réalité.

Anisa Alrefaei Roomieh et Maeva Rubli travaillent actuellement sur une adaptation visuo-texuelle de leur œuvre commune. L’installation sera visible à Delémont. On pourra y lire les poèmes et y contempler les peintures en grand format.

Die Heldinnen der Sowjetunion

Der Landhaussaal ist bis zum Platzen gefüllt, als Sasha Marianna Salzmann am Samstagnachmittag zum Gespräch über ihren* neusten Roman Im Menschen muss alles herrlich sein zu Gast ist. Salzmann, die sich selbst als nicht-binär definiert, ist Theaterautor*in, Essayist*in und Dramaturg*in und hat nach ihrem* Debüt Ausser sich (2017) nun ihr* zweites Buch veröffentlicht.

«Kennen Sie das, wenn Ihnen jemand eine Anekdote erzählt und Sie denken, dass Sie sie verstehen aber irgendwie doch nicht?» Auf einer Geburtstagsparty ihrer* Mutter, kam Salzmann die Idee zu Im Menschen muss alles herrlich sein. Der Roman schildert die Schicksale von vier Frauen während und nach dem Zerfall der Sowjetunion. Der Fokus liegt dabei auf der Spannung zwischen Generationen und der Frage danach, was man über seine Familie wissen kann und möchte. Für ihren* Roman hat Salzmann die Freundinnen der Mutter interviewt, um Stoff für die Anlage ihrer Figuren und die geschichtlichen Hintergründe einer Zeit, die sie selbst nicht so genau kennt, zu recherchieren. «Schlussendlich ist es ein Mutter-Tochter Roman geworden.» Dabei stellen die Figuren fragen, die Salzmann selbst auch beschäftigten, etwa, wieso man in der Ukraine eigentlich Russisch spricht.

Dass Salzmanns Roman auch aktuelle Konflikte tangiert, steht dabei jedoch nicht im Zentrum der Erzählung. «Alle Frauen die ich interviewt habe, kommen aus Orten, die heute Kriegsgebiet sind und damals schon Kriegsgebiet waren. Die Frauen wollten aber in erster Linie gar nicht über den Krieg sprechen. Sie sind alle Superheldinnen für mich, ihre Lebensgeschichten sind Heldengeschichten.» Salzmann stellt die Lebensgeschichten ihrer* Protagonistinnen den klassischen, männlichen Helden der Sowjetunion entgegen und schreibt so eine Geschichte für die «wahren Heldinnen der Sowjetunion».

Besonders spannend ist der Aspekt mythischer Motive und Figuren in Salzmanns Roman, wie etwa der des Ciguapa, einer dominikanischen Mythengestalt. Um dem heteronormativen Denken der Sowjetunion im Roman entgegenwirken zu können, baute Salzmann mythische Gestalten in ihren Text ein. «Mythen, das ist mein queerer Moment im Buch. Sie zeigen, dass man eine Situation immer verlassen kann, dass man nirgends sein muss. Sie sind das queere Element, das ich unbedingt einbauen wollte.» Wichtige Themen anzusprechen, starken Frauen zuzuhören, die selbst nichts von ihrer Stärke wissen, überhaupt zu fragen: das ist es, was Sasha Marianna Salzmann zu einer wichtigen Stimme der Literatur macht.

«Mängisch hani Iifäll»

Wenn man mit zwei Minuten Verspätung die vielen Treppen zum Gespräch «Im Bett mit Michael Fehr» erklimmt, muss sich die Orientierung lediglich am Klang der Stimmen ausrichten. Und auch wenn man dann in einer Ecke ohne Blick aufs Geschehen auf dem Fussboden sitzt, wird die Wahrnehmung hauptsächlich aufs Gehör beschränkt. Was erst unerfreulich scheint, stellt sich schnell als bereichernd heraus: Denn wie könnte man besser in Michael Fehrs Alltagswahrnehmung eintauchen und seinen nahezu spirituellen Ausführungen zur Literatur und Bildern folgen, als mit dem reduzierten Sehsinn, der auch ihn zeichnet?

Wenn er erwache, sagt Michael Fehr, bleibe er häufig noch für einen Moment liegen, um sich zu sammeln. In der Senkrechte fallen nämlich die Erinnerungen an seine Träume sofort ab, und weil er sie gerne in seinem Schreiben verarbeitet, gilt es, sie festzuhalten, solange sie noch da sind. Auch gestört will er nicht werden, wenn er dann aufgestanden ist. Sonst wird nämlich ins Unbefleckte, das ihm nach dem Schlafen anhaftet und beim Kreieren von Geschichten sehr hilfreich ist, «einfach reingeregnet».

Das Bett ist im Gespräch steter Ausgangspunkt der literarischen Diskussionen – und das nicht ohne Grund: Auch in der Erzählung «Der hundertjährige Holzboden» aus Fehrs jüngstem Buch «Hotel der Zuversicht» wird dem Bett eine zentrale Stellung zugewiesen. Es ist der Ort, an dem man die Ruhe geniessen kann, geschützt vor dem turbulenten Leben fernab der Bettkante. Michael Fehr kennt sie selbst, diese beiden Welten. Und er geniesst beide, braucht zum Kreieren aber vor allem die Ruhe. Bei der Ruhe höre man auch den Sound besser, aus dem sich Geschichten ergäben, sagt Fehr. Es gäbe nämlich, zitiert er den Meister eines nepalesischen oder indischen Klosters, einen Sound auf der Welt, der für sich selbst existiert und nicht gemachter Natur sei. Wenn man ihm zuhört, diesem Sound, findet man zur Manifestation, die der Mensch dann mit seinen feinen Werkzeugen in Artikulation verwandeln kann.

Bei Fehr wirken die kurzen Geschichten, die sich aus der Artikulation ergeben, sehr visuell, obwohl er selbst nur eingeschränkt sieht. Das liege bis zu einem gewissen Grad daran, dass wir immer das begehren, was wir nicht haben, sagt er. Dort kann er hineinträumen, was er möchte, ohne stark von der Realität beeinflusst zu werden. Er setzt auch auf die Bildkraft, die er generiert, wenn die Enden seiner Geschichten vorschnell eintreten. Die kurzen Erzählungen sollen Anfänge sein, aus denen die Lesenden bei Bedarf eine fertige Geschichte imaginieren können.

Während Michael Fehr seine spannenden Sichtweisen ausführt, wird rege gekommen und gegangen. Dabei knarrt der Boden des Künstlerhauses, als wäre er mindestens hundert Jahre alt, und verschluckt die Sätze des Autors kurzzeitig. Auch die Stühle stöhnen, und spätestens als jemand aus den vorderen Reihen laut Fotos zu schiessen beginnt, sehnt man sich nach Ruhe und fühlt sich dem Ich-Erzähler aus «Der hundertjährige Holzboden» plötzlich sehr nahe.

Elle s’est mariée à la culture

En entrant dans la Säulenhalle du Landhaus, peu avant 16h ce samedi, les visiteurs et visiteuses étaient accueillis par une Boutheyna Bouslama en robe de mariée. Une musique festive et un bouquet complétaient le portrait de cette cérémonie. Cette manifestation est bel et bien un engagement, une véritable union entre Boutheyna Bouslama et la culture.

Un bouchon de champagne explose rapidement, surprenant l’auditoire présent sur les lieux. La témoin de cette union se lance alors dans la lecture d’une lettre de Boutheyna Bouslama en guise « d’anecdote dossier », passage obligé et attendu de toute cérémonie de ce type. C’est après cette première lecture que l’autrice elle-même se lance dans le récit de son histoire personnelle, qui mène à ses épousailles avec la culture.

De son expulsion de Suisse à sa consécration dans la ville de Soleure pour son film, À la recherche de l’homme à la caméra, tout y passe. Elle démontre le manque de reconnaissance de la culture comparé à l’économie ou aux sciences, elle discute son rapport à la mémoire en prenant les exemples de ses innombrables chaussures ou encore de la bibliothèque de ses parents, son premier rencart avec la culture qu’elle épouse aujourd’hui, lors de son second passage à Soleure. Les lectures des lettres de Boutheyna Bouslama se terminent sous les applaudissements généreux et nourris de la salle, conquise par sa personnalité attachante.

La place laissée à la discussion, importante, s’avère également des plus précieuse. La question des raisons qui l’ont amenée à mimer un mariage pour sa manifestation surgit comme une fulgurance. C’est pour elle un moyen de montrer qu’elle se trouve dans un moment de joie, qu’elle se sent appréciée et qu’il s’agit là d’un des plus beaux jours de sa vie. La richesse de la culture est également discutée par l’autrice et le modérateur. Lors de son expulsion de Suisse en 2014, dès la fin de ses études à la HEAD, ses contributions culturelles n’ont aucunement été prises en compte, sous prétexte que celles-ci ne relevaient ni de l’économie, ni de la science. Il existe donc une réelle dichotomie entre les apports culturels et leur reconnaissance. Dans le public, quelqu’un questionne avec pertinence l’enjeu des limites, des frontières et des marges dans l’œuvre de Boutheyna Bouslama. C’est parce qu’elle se situe dans ces marges, malgré elle, qu’elles sont si présentes dans son œuvre.

La lecture se conclut ensuite par des remerciements chaleureux de l’autrice envers le personnel technique qui l’a suivie dans son envie de performance, puis, comme dans tout mariage qui se respecte, la mariée procède au lancer de bouquet.