Über die Herausforderung, hemmungslose Sexszenen zu übersetzen

Ursula Giger – Übersetzerin im Porträt

Zuerst wollte Ursula Giger ablehnen. Da lag dieses 2010 erschienene schwedische Buch vor ihr, dass sie ins Deutsch übersetzen sollte. Gib ihnen, wovon sie träumen des schwedischen Schriftstellers Eli Levén ist ein hartes, grelles, aber auch wichtiges Buch. Es handelt von einem jungen Mann in einem Stockholmer Vorort der 90er Jahre, der sich zwischen den Geschlechtern fühlt. Um zu überleben, verkauft er seinen Körper und nimmt sich, was er kann. Dennoch ist er auf der Suche nach Liebe und sich selbst.

Gerade die expliziten Sexszenen empfindet Giger zunächst als abschreckende Übersetzungshürde. Sie gibt auch zu, dass sie vor der ihr fremden Transgender-Thematik Respekt hat. Gleichzeitig kann sie sich aber nicht vor der Komplexität und Lyrizität des Buches verschliessen. Die bildstarken, wenn auch teils kitschigen Szenen sprechen alle Sinne an. Giger nennt diese Stellen «Blumen, die aufgehen». Sie muss sich selbst verdeutlichen, dass «Übersetzen» nicht «Verstehen» bedeutet, denn es geht um die Sprache. Übersetzer von Krimis müssen schliesslich auch nicht die Mörder im Buch verstehen. So sieht sie das Projekt als eine Herausforderung, der sie sich schliesslich gerne stellt. Ihr kommt dabei zugute, dass sie selbst in den 90er Jahren in Stockholm gelebt hat und so zu gewissen Szenen Berührungspunkte finden kann.

Giger, die auch viele isländische Bücher übersetzt, will jeweils die Orte und Szenen kennen, die in den zu übersetzenden Texten vorkommen. So ist sie neben ihrem Lehrauftrag für Isländisch an den Universitäten Zürich und Basel auch als Trekking-Guide in Island und Grönland unterwegs. Die Übersetzungstätigkeit ist ihrer Meinung nach kein Hobby, sondern nimmt Zeit in Anspruch. Jeder Text benötigt intensive Recherche und Nachfragen. Giger muss den Text zur Seite legen, überlegen und alles sacken lassen. Gerne nimmt sie dann auch die Hilfe ihres Nachbarn, eines Schweden, in Anspruch, mit dem sie Levéns Wortschöpfungen, die im Buch immer wieder vorkommen, diskutiert und allfällige zweite Ebenen der Wörter erforscht. Schnell ist ihr deshalb klar, dass der schwedische Titel (auf Deutsch etwa: «Du bist die Wurzel zu meinen Füssen, die die Welt an ihrem Platz hält») nicht passt. Zu unsexy, zu lang, das funktioniert in der Schweiz nicht. Der deutsche Titel Gib ihnen, wovon sie träumen wurde schliesslich von Levén selbst ausgesucht.

Obwohl das Buch schon etwas älter ist, scheint das Thema aktueller denn je. Die Sprachlosigkeit der Hauptfigur zeigt sich dabei auch in deren Beschreibungsnot und Überforderung im Changieren zwischen Mann und Frau. Ein innerer Kampf um Identität, den jede:r anders führt und der «ins Fleisch hinein geht».

Von belämmerten Wölfen und an Pflaumen klebenden Zungen

Die Sprache, ein Protagonist – das gilt sowohl für Joshua Cohens Roman Witz als auch für das Gespräch zwischen Cohens Übersetzer Ulrich Blumenbach und Florence Widmer. Mit viel Humor berichtet Blumenbach davon, wie er die englische Satire ins Deutsche übertrug.

Das 900-seitige Buch voller Anspielungen, Metaphern, Homonymen und Bibel-Persiflagen stellte selbst einen erfahrenen Übersetzer wie Blumenbach vor Herausforderungen. Einerseits galt es auf übergeordneter Ebene den Ton zu treffen, denn die Thematik des Romans erfordert viel Feingefühl. In Witz wehrt sich Cohen gegen die Sentimentalisierung der Erinnerungskultur in Bezug auf den Holocaust, indem er sich der Komik bedient.

Andererseits war es schlicht unmöglich, die Fülle sprachlicher Stilmittel der englischen Version eins zu eins zu übersetzen. Es war Blumenbachs erklärtes Ziel, den gleichen Gesamteffekt zu erzeugen, auch wenn dies teilweise nur durch Kompensation gewisser sprachlicher Figuren an anderer Stelle möglich war. Insbesondere der Umgang mit Bibelzitaten war für Blumenbach und Cohen ein wichtiges Thema. Sie entschieden sich für die Verwendung der Luther-Bibel als Vorlage, um einen möglichst grossen Wiedererkennungseffekt bei den Lesenden zu erzeugen, obwohl die Buber-Rosenzweig Übersetzung stilistisch näher an den hebräischen Strukturen wäre. Für Blumenbach war es in dieser Hinsicht von Vorteil, dass er «erzchristlich» aufgewachsen war und die Bibel sehr gut kennt.

Den Prozess des Übersetzens beschreibt Blumenbach in diesem Fall als linear: «Es macht keinen Sinn, Satz B zu übersetzen, wenn ich Satz A noch nicht verstanden habe.» Das ist dem mäandrierenden Erzählstil Cohens sicherlich angemessen, entspricht aber nicht unbedingt Blumenbachs typischer Herangehensweise und verlangsamt die Übersetzungsarbeit beträchtlich. Etwas schneller ging Blumenbach denn auch die Übersetzung von Irene Disches Roman Die militante Madonna von der Hand. Deshalb nimmt sich Blumenbach am Ende der Veranstaltung noch einige Extraminuten Zeit, die Zusammenarbeit mit Dische und dem Verlag zu loben. Als Übersetzer ist es für ihn eine besondere Freude, wenn seine Überlegungen zur Sprache die Autorin zu neuen Ideen anregen. Das Ergebnis ist ein wahrhaft polyphones Buch.