Glauser und Simenon am Strand

Die Ausgangslage von Ursula Haslers neuem Roman Die schiere Wahrheit ist faszinierend: Es treffen an einem warmen Sommertag an der französischen Atlantikküste die beiden bekannten Krimiautoren Georges Simenon und Friedrich Glauser aufeinander. Sie kommen ins Gespräch, reden darüber, was es für einen guten Krimi alles braucht und erzählen dann gleich gemeinsam einen solchen innerhalb von Haslers Buch. Die Besucher*innen ihrer Lesung durften durch einige vorgetragene Passagen sowie historische Stimmungsbilder auf der Leinwand Einblick in die Romanwelt bekommen.

Zwar fand ein solches Treffen der beiden Schriftsteller nie statt, es wäre im Jahr 1937 aber tatsächlich möglich gewesen. Über diese historische Möglichkeit stolperte Hasler wegen gleich mehrere glücklicher Zufälle. Sie selbst besucht den Badeort, in dem die Handlung ihres Romans spielt, selbst jedes Jahr. Dabei fand sie heraus, dass Glauser ebenfalls einmal in der Region war. «Wunderbar. Ich konnte mir vorstellen, wie glücklich Glauser über seine Freiheit hier gewesen sein musste und dachte mir: Dazu mache ich was.» Anschliessend fand sie an einer Ausstellung heraus, dass auch Simenon im selben Jahr an eben diesem Ort hätte sein können und so war das Ausgangsszenario geboren.

Hasler erzählt, dass sie sich noch nie darüber Gedanken gemacht habe einen Kriminalroman zu schreiben, aber das Zusammentreffen der beiden Autoren forderte dies. Dabei stellte sie fest, dass es gar nicht so einfach ist, einen Krimi zu schreiben, da in einem solchen gleich zwei Geschichten verknüpft werden: Einerseits der Tatvorgang des Verbrechens und was dazu führte; andererseits die Handlung der Verbrechensaufklärung. Als Autor müsse man sich auch während des Schreibprozesses entscheiden, wann man welche Indizien der Leserschaft geben will. Die Autorin stellte während des Schreibens fest, wie froh sie darüber war, mit dem Computer schreiben zu können, was andere Krimiautoren in der Vergangenheit nicht konnten. Ausserdem stellte sich eine weitere Hürde in den Publikationsweg ihres Romans. Ursprünglich sollten darin nämlich (in leichter Konkurrenz) Wachtmeister Studer und Maigret ermitteln. Jedoch stellte sie nach Fertigstellung des Buches fest, dass Simenons Figuren markenrechtlich geschützt sind. Deshalb musste sie den gesamten Roman umschreiben. Nun ermittelt eine völlig neue Frauenfigur, welche Hasler für Simenon erfindet.

Obwohl zu Beginn der Lesung von der Moderation betont wurde, dass Hasler wegen des grossen Lobes für ihr Buch an die Solothurner Literaturtage eingeladen wurde, verhafteten die Fragen der Moderation zum Roman auf den beiden bekannten Autorenfiguren und das Gespräch drehte sich folglich vor allem um Glauser und Simenon. Deshalb ging der literarische Wert von Haslers Roman unter – obwohl er durchaus da gewesen wäre.

Bedrohte Arten im Buchhandel

Es ist ein paradoxes Bild, das sich im Gespräch zur Bibliodiversität und dem Beitrag von unabhängigen Verlagen dazu abzeichnet: Weil so viel diverse Literatur produziert wird, geht das Diverse im Mainstream unter. Christiane Schmidt vom Rotpunktverlag stellt dabei fest: «Ich sehe im Literaturmarkt schon bedrohte Arten.» Darunter fallen beispielsweise Sachbücher und Lyrikbände.

Wer kennt es nicht: Man geht durch eine der grossen Buchhandlungen und ist beinahe erschlagen von den vielen Regalen voller Bücher. Da ist bestimmt schon einigen Bücherwürmern durch den Kopf geschossen: Too many books, too little time. Nie im Leben könnte man all diese Bücher nach ihrem Inhalt prüfen, geschweige denn vollständig lesen. Damit Bücher gekauft werden, müssen sie zuerst ins Bewusstsein der Kund*innen geraten. Da das Feuilleton immer weiter schrumpft und dabei weniger Platz für Rezensionen bleibt, liegt es oft besonders an den Buchhandlungen ihren Kund*innen die Titel nahezulegen. «Buchhändler sind unsere Verbündeten», hält Claudio Barandun aus der Verlagsleitung der Edition Moderne fest. Besonders diejenigen Buchhändler*innen kleinerer Buchhandlungen, welche um ein weitläufiges Sortiment bemüht sind. Doch unter all den vielen Neuerscheinungen die Perlen zu finden ist schwierig. Gerade weil den Buchhändler*innen eine solch zentrale Rolle für die Büchervielfalt zugesprochen wurde, waren sich die Gesprächsteilnehmer*innen darüber einig , das jemand von dieser Seite des Literaturbetriebs eigentlich ebenfalls an diesem Gespräch teilhaben sollte.

Auch auf die wichtige Rolle der Person der Autorin und des Autors wurde von den Gesprächsteilnehmer*innen hingewiesen. Deren Bekanntheit nimmt ebenfalls Einfluss auf die Wahrnehmung der Bücher und werde durch Veranstaltungen wie die Solothurner Literaturtage gefördert. Deshalb war es leider ein wenig schade, dass Julia Weber, die Autorin in der Runde der Gesprächsteilnehmer*innen, eher wenig zu Wort kam. Sie hielt trotzdem fest: «Ich lebe vor allem von den Veranstaltungen. Auftritte nehmen zwar viel Platz ein, aber ich mache es gerne.»

Schlussendlich geht es aber auch bei Literatur leider doch meistens ums Geld. «Bücher aus Kalkül machen, bringt es nicht», hält Claudio Barandun fest, «Aber natürlich sind wir ökonomischen Zwängen unterlegen.» Die diversen Fördergelder nehmen alle Verlage gerne an und sie sind auch auf sie angewiesen. Ausserdem steuern die Förderbeiträge zur Diversität der Bücher bei. Beispielsweise gäbe es beinahe keine Übersetzungen von Westschweizer oder Tessiner Literatur, würden diese nicht gefördert werden. Dass diese Fördergelder aber nicht ausreichen, darüber sind sich alle Gesprächsteilnehmer einig. Deshalb meint Schmidt: «Bücher müssten dringend teurer werden.» Das geht aber leider nicht so einfach. Den die Schweiz als Teil des deutschsprachigen Raumes, ist auch vom Eurokurs und den Buchpreisen im Ausland abhängig. Um dort konkurrenzfähig zu bleiben, können die Preise der Situation der Verlage nicht angepasst werden. Erwin Künzli von der Verlagsleitung des Limmat Verlags bringt es folgendermassen auf den Punkt: «Entweder man verliert den deutschen Markt oder Geld in der Schweiz.»

Teil des deutschsprachigen Raums zu sein, birgt aber auch Vorteile. Denn obwohl oft davon ausgegangen wird, dass Schweizer Literatur auch bloss in der Schweiz gelesen wird, weiss Christiane Schmidt: «Interessante Bücher werden auch in Deutschland und Österreich gelesen.» Und interessant kann Schweizer Literatur bestimmt sein, wie Künzli ergänzt: «Das Lokale darf nicht mit dem Provinziellen verwechselt werden.»

Unser Team in Solothurn:
Noëlle Lee

Noëlle gehört zu jenen Sünderinnen, die zuerst das Ende eines Buches lesen. Das tut sie einerseits, um sich mental auf allfällige Traumata vorbereiten zu können, andererseits aber auch, weil es sie immer interessiert, wie eine Geschichte konstruiert ist und was alles darin zusammenfliesst, um zu ihrem Ende zu führen. Deshalb kann sie den Blick hinter die Kulissen – oder in diesem Fall wohl besser hinter die Buchdeckel und Zeilen – in Solothurn kaum erwarten und freut sich, über ihre dortigen Funde zu bloggen.

Noëlle studiert auf Masterstufe im Hauptfach Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaften und im Nebenfach TAV (Theorie – Analyse – Vermittlung).