«Mängisch hani Iifäll»

Wenn man mit zwei Minuten Verspätung die vielen Treppen zum Gespräch «Im Bett mit Michael Fehr» erklimmt, muss sich die Orientierung lediglich am Klang der Stimmen ausrichten. Und auch wenn man dann in einer Ecke ohne Blick aufs Geschehen auf dem Fussboden sitzt, wird die Wahrnehmung hauptsächlich aufs Gehör beschränkt. Was erst unerfreulich scheint, stellt sich schnell als bereichernd heraus: Denn wie könnte man besser in Michael Fehrs Alltagswahrnehmung eintauchen und seinen nahezu spirituellen Ausführungen zur Literatur und Bildern folgen, als mit dem reduzierten Sehsinn, der auch ihn zeichnet?

Wenn er erwache, sagt Michael Fehr, bleibe er häufig noch für einen Moment liegen, um sich zu sammeln. In der Senkrechte fallen nämlich die Erinnerungen an seine Träume sofort ab, und weil er sie gerne in seinem Schreiben verarbeitet, gilt es, sie festzuhalten, solange sie noch da sind. Auch gestört will er nicht werden, wenn er dann aufgestanden ist. Sonst wird nämlich ins Unbefleckte, das ihm nach dem Schlafen anhaftet und beim Kreieren von Geschichten sehr hilfreich ist, «einfach reingeregnet».

Das Bett ist im Gespräch steter Ausgangspunkt der literarischen Diskussionen – und das nicht ohne Grund: Auch in der Erzählung «Der hundertjährige Holzboden» aus Fehrs jüngstem Buch «Hotel der Zuversicht» wird dem Bett eine zentrale Stellung zugewiesen. Es ist der Ort, an dem man die Ruhe geniessen kann, geschützt vor dem turbulenten Leben fernab der Bettkante. Michael Fehr kennt sie selbst, diese beiden Welten. Und er geniesst beide, braucht zum Kreieren aber vor allem die Ruhe. Bei der Ruhe höre man auch den Sound besser, aus dem sich Geschichten ergäben, sagt Fehr. Es gäbe nämlich, zitiert er den Meister eines nepalesischen oder indischen Klosters, einen Sound auf der Welt, der für sich selbst existiert und nicht gemachter Natur sei. Wenn man ihm zuhört, diesem Sound, findet man zur Manifestation, die der Mensch dann mit seinen feinen Werkzeugen in Artikulation verwandeln kann.

Bei Fehr wirken die kurzen Geschichten, die sich aus der Artikulation ergeben, sehr visuell, obwohl er selbst nur eingeschränkt sieht. Das liege bis zu einem gewissen Grad daran, dass wir immer das begehren, was wir nicht haben, sagt er. Dort kann er hineinträumen, was er möchte, ohne stark von der Realität beeinflusst zu werden. Er setzt auch auf die Bildkraft, die er generiert, wenn die Enden seiner Geschichten vorschnell eintreten. Die kurzen Erzählungen sollen Anfänge sein, aus denen die Lesenden bei Bedarf eine fertige Geschichte imaginieren können.

Während Michael Fehr seine spannenden Sichtweisen ausführt, wird rege gekommen und gegangen. Dabei knarrt der Boden des Künstlerhauses, als wäre er mindestens hundert Jahre alt, und verschluckt die Sätze des Autors kurzzeitig. Auch die Stühle stöhnen, und spätestens als jemand aus den vorderen Reihen laut Fotos zu schiessen beginnt, sehnt man sich nach Ruhe und fühlt sich dem Ich-Erzähler aus «Der hundertjährige Holzboden» plötzlich sehr nahe.

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