Lost in Translation

Hussein Mohammadi – ein richtiges Multitalent. Er schreibt, malt, zeichnet, spielt Theater, während er hauptberuflich aber als Hydraulikmechaniker arbeitet.
Der gebürtige Afghane wuchs im Iran auf. Seine ersten beiden Romane wurden von der iranischen Regierung zensiert. Erst sein dritter Roman «Symphonie der Liebe» konnte erscheinen. 2013 floh er in die Schweiz, wo er mehrfach als Schauspieler auf der Bühne stand. Sein Märchen «Die saubere Brille» wurde vom Radio SRF ausgestrahlt. Besonderes Aufsehen erregte er mit seiner Ausstellung «Ein Bild – Eine Geschichte», wo er seine Kurzgeschichten mit dazugehörigen selbstgemalten Gemälden präsentierte.

Seine Solothurner Werkschau präsentierte dem Publikum einen Querschnitt aus seinem Werk. Mohammadi schreibt zwar auf Persisch, las aber dennoch die deutsche Übersetzung. Den Anfang machte ein Ausschnitt aus seinem neuesten Buch «Scheherazades Erbe», das im Herbst erscheint. Es erzählt Geschichten illegaler Liebesbeziehungen in Afghanistan. Wie der Titel vermuten lässt, liess er sich von den «Märchen aus 1001 Nacht» inspirieren. Jedes Kapitel erzählt eine andere Geschichte und die Handlungen laufen gegen Ende des Romans zusammen. Als der Moderator Mohammadi auf die Verbindung zur Märchensammlung anspricht, bemerkt der Autor verschmitzt: «Scheherazade brauchte 1001 Nächte für 1001 Geschichten – In Afghanistan passieren 1001 Geschichten in einer Nacht.»
Anschliessend gibt Mohammadi noch eine Kostprobe aus einer seiner Kurzgeschichten und einem Text zu seinen Erlebnissen auf der Flucht.

Im Iran herrscht Zensur – das schränkte Mohammadis Schreiben ein, da er viele Themen nicht behandeln durfte. Hier in der Schweiz hat er alle Freiheit, die er sich wünschen kann, doch er ist noch immer zögerlich, denn hier herrscht für ihn Selbstzensur. «Mein Kopf ist noch nicht frei», meint er auf die Frage nach seiner Schreiberfahrung in der Schweiz. «Ich kann und will (noch) nicht über alles schreiben.»

Hommage an die vergessenen Held*innen einer stillen Revolution

Sagt Ihnen der Name Martin Disteli etwas? Könnten Sie Heinrich Zschokke in seinem historischen Kontext verorten? Oder wüssten Sie, weshalb Augustin Keller als Protagonist in einem der wichtigsten Fortschrittkämpfe der Schweiz gilt? Vielleicht beantworten Sie alle diese Fragen mit einem verlegenen Nein. Dann geht es Ihnen ähnlich wie mir vor der Veranstaltung Revue einer Revolution. Der thematische Rahmen dieser Veranstaltung bildet das 2021 erschienene Sachbuch Projekt Schweiz. Vierundvierzig Porträts aus Leidenschaft, das eben diese und 41 andere vergessene Akteur*innen der stillen Schweizer Revolution ins Rampenlicht stellt.

Die Schweiz als Schauplatz einer Revolution –  mittendrin ihre Revolutionär*innen, die alle auf ihre Art massgeblich zum Fortschritt beigetragen haben. Fragwürdigerweise sind so einige dieser Namen nicht im kollektiven Wissen des Schweizer Durchschnittbürgers vertreten. Diesem «Problem» haben sich Stefan Howald, Bettina Eichin, Hans-Ulrich Jost, Jo Lang, Lucien Leitess und Matthias Zschokke angenommen. Daraus entstand ein umfangreiches und ambitioniertes Projekt, das sie dem Publikum am Freitagabend vorgestellt haben. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Projekt Schweiz bildet 44 Schweizer Persönlichkeiten ab, die alle zur Entwicklung einer modernen und fortschrittlichen Schweiz beigetragen haben. Darin finden sich sowohl historische Analysen, Essays aber auch Illustrationen und zeitgenössische Porträts. Ein Anliegen des Projektes war es insbesondere auch – und das hebt Herausgeber Stefan Howald in seiner festlichen Vorrede hervor –, subjektive, persönlich gefärbte Porträts abbilden zu können, eben Porträts aus Leidenschaft, so der Titel. Gerade das ist es, was dem Buch seinen besonderen Charakter verleiht.

Nicht nur im Buch, sondern auch bei der Vorstellung des Projektes am Freitagabend kam diese persönliche Bindung zwischen Persönlichkeit und Porträtist besonders zum Tragen. Auf der Bühne in der Säulenhalle Solothurn stellten uns fünf von den insgesamt vierundvierzig Porträtisten ihre Beschäftigung mit ihren persönlichen Schweizer Held*innen vor. Einen Einblick boten die fünf nicht nur in ihre minutiöse wissenschaftliche Recherche, sondern liessen auch ihre emotionale Bindung zu den Figuren durchblicken. So wurde das Publikum mitgenommen auf eine bewegende Reise zwischen erster Berührung und totaler Hingabe für ihre Held*innen. Für den Glanzpunkt der Veranstaltung sorgte Bettina Eichin, die Leben und Wirken von Sibylle und Peter Ochs vorstellte – mit Blick auf die sozialen und politischen Errungenschaften, aber auch mit mahnendem Ton, diese Errungenschaften heute nicht zu vergessen. Die Revolution sei ein fortlaufender Prozess, der bis heute bestehe und nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart geschieht. Ein wenig Pathos und Moral waren hier genau am richtigen Platz.

Auch wenn an diesem Abend «nur» fünf der insgesamt vierundvierzig Porträts gezeigt werden konnten, wurde das verfolgte Ziel des Projektes erreicht. Wohl so manche*r Besucher*in verliess die Veranstaltung mit neuem (oder aufgefrischtem) Wissen zur Schweizer stillen «Revolution», die eben auch als Projekt verstanden werden kann. Eine moderne Schweiz, die sich öffnet und nicht gegen aussen abschliesst. Projekt Schweiz gibt diesen Errungenschaften richtigerweise seine Bühne, denn «was ist schon von einem Land zu halten», so der Herausgeber, «das so mit ihren grossen Figuren umgeht, die an dessen Wiege standen?»