Das «vocabulaire incroyable» auf den Verpackungen von Tiernahrung

Eric Facon beginnt das Gespräch mit Rebecca Gisler auf Französisch. Dann fragt er in die Runde, wer in der Säulenhalle überhaupt mit dem fliegenden Wechsel zwischen Deutsch und Französisch klarkommt. Im Publikum breitet sich ein zustimmendes Nicken aus. Es geht also weiter, oder besser gesagt, erst richtig los. Und zwar mit der ersten, bei diesem Buch wohl zentralsten Frage: «Pourquoi l’oncle?»

Rebecca Gisler ist in Zürich geboren und aufgewachsen, ihre Muttersprache ist aber eigentlich Französisch. Sie studierte literarisches Schreiben gleich doppelt. Einmal auf Deutsch in Biel und einmal auf Französisch in Paris. Die Zweisprachigkeit von Rebecca Gisler hat denn auch zur Folge, dass es zwei Romane von ihr gibt, die beide vom Onkel handeln.

Eine Parallel-Lesung, die funktioniert

Sie hat sich, so Gisler als Antwort auf Facons Frage, mit dem Onkel befasst, weil es über diese Figur viel weniger Literatur gibt, als über andere Familienmitglieder: Mütter, Väter, Grosseltern, Geschwister, Kinder. Der Onkel als Figur hat sie interessiert und sich aus ihrem Schreiben quasi herauskristallisiert. Die Figuren machen das Schreiben und das Schreiben macht die Figuren. Der Onkel lebt in einem grossen Haus in der Bretagne. Seine Nichte, die dort mit ihm lebt, beschreibt ihn und seine kuriosen Gewohnheiten bis ins kleinste Detail.

Nach den ersten Fragen liest Rebecca Gisler aus ihren Büchern, parallel eine Stelle aus «D’oncle» und eine aus «Vom Onkel». Bereits lässt sich erahnen, was am Wechselspiel zwischen diesen beiden Sprachen interessant und anregend sein kann.

Das eigene Buch nochmal neu schreiben

Es ist tatsächlich ungewöhnlich, dass die deutsche Fassung, die nach der französischen erschienen ist, nicht einfach übersetzt, sondern von der Autorin selbst neu geschrieben wurde. Es ist ein Wiederlernen des Deutschen gewesen, ein Spiel aus Hin- & Her-Übersetzen, in dem eine Sprache jeweils als Kontrollinstanz der anderen funktionierte. Am spannendsten wurde es, wenn es zwischen den beiden Sprachen Zweifelsfälle gab. Es ist schon fast ein offenes Geheimnis der Literatur: Das Poetische findet sich im Dazwischen.

Rebecca Gislers Art, auf die Fragen von Facon zu antworten, macht es deutlich: Literatur, wie Gisler sie schreibt, macht Spass. Sie lebt vom Witz und von kuriosen Figuren, wie Eric Facon anfügt. Dass die Chemie zwischen Moderator und Autorin so gut passt, überträgt sich auf die Besucher:innen der Lesung. Voller Energie, Elan und Esprit unterhalten sich die beiden angeregt.

Irgendwie sind doch alle Famililen merkwürdig

Die Absurdität des Textes und die merkwürdigen Figuren entstanden also aus dem ewigen Phantasie-Spiel zwischen Deutsch und Französisch. Ab und an schlummert im Buch aber auch ein Funke Wahrheit. Genau wie die Nichte und der Neffe vom Onkel hat auch die Autorin selbst schon Verpackungstexte von Tiernahrungsprodukten vom Französischen ins Deutsche übertragen. Sie bieten, so Gisler, einen unglaublichen Wortschatz, ein «vocabulaire uncroyable». Als Eric Facon von der Autorin wissen möchte, warum die Familie des Onkels so merkwürdig ist, muss sie lachen. Irgendwie sind doch alle Familien komisch: aus dem Publikum zustimmendes Nicken oder verhaltenes Grinsen.

Zu den Schilderungen der Toilettengänge des Onkels und zu seiner vernachlässigten Hygiene passt auch, was Gisler über ihren Schreibstil erzählt: Jemand hat ihn schon mal als «chasse d’eau» (WC-Spülkasten) beschrieben. Er fliesst beständig, manchmal entsteht ein merkwürdiges Blubbern und der Text ist nie ganz leer, sondern füllt sich immer wieder von neuem.

Ein in allen Belangen passendes Bild und ein erfrischendes, kurzweiliges Gespräch, bei dem ich, fast ohne es zu merken, mein verstaubtes Französisch reaktivieren konnte.

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