Wie aus Frustration ein Supergerhard entstand

Obwohl die Literaturtage bald zu Ende gehen, finden sich zahlreiche Besucher im Theatersaal ein. Anaïs Meier liest aus ihrem ersten Roman Mit einem Fuss draussen vor. Die Erwartungen sind hoch.

Meier setzt sich und nimmt mit ihrer Präsenz sofort den ganzen Saal für sich ein. Als sie zu sprechen beginnt, unterlegt plötzlich ein Brummen über den Lautsprecher ihre Worte. Das wirkt dramatisch. Im Nachhinein kann man dieses Brummen durchaus als Vorankündigung zu einer göttlichen Unterhaltung deuten. Die Autorin lebt bei der Lesung den Charakter ihrer Hauptfigur Gerhard. Supergerhard, wie er sich auch gerne selbst nennt, ist wie sie im besten Alter, wie Meier mehrfach betont. Ihre Mimik und Tonfall machen den schrulligen Protagonisten auf der Bühne lebendig. Die Zuschauer:innen lachen immer wieder über die Aussagen oder Beobachtungen von Gerhard, der eben nicht so spricht, wie man es aus Romanen gewöhnt ist. Und deshalb hat Meier dieses Jahr auch den Förderpreis Komische Literatur erhalten.

Wie ist Meier überhaupt auf die Idee zu diesem Roman gekommen? «Meine besten Jahre habe ich an Ludwigsburg verschwendet», meint sie trocken. Ihr wurde während dem Studium gesagt, dass sich niemand für die «Asozialen» (ein Wort, mit dem sie absolut nicht einverstanden ist) interessiere. Da fehle die Fallhöhe. Ihr Kommentar dazu: «Fallhöhe? Who cares! Mir geht es am A*** vorbei, wie es einem Professor in seiner Lebenskrise geht.» Probleme sind bei Menschen wie Gerhard, die am Rande der Gesellschaft stehen, viel existenzieller.

Darum hat Meier auch Gerhard erschaffen: «Gerhard war schon immer ein bisschen ein Spezieller. Auch in der Schule.» Obwohl er als weisser, heterosexueller Mann zu den Privilegierten gehören würde, steht er dennoch am Rande der Gesellschaft. Diese Zusammensetzung lenkt weniger vom Grundprinzip Ausgrenzung ab, als wenn die Hauptfigur auch noch eine Frau, people of color oder homosexuell gewesen wäre. Denn wäre es bei Gerhard besser gelaufen, könnte er jetzt auch Banker sein. Meier ist der Ansicht, dass das Phänomen der Ausgrenzung im menschlichen Wesen verankert ist. Eine Art Herdendenken bei Menschen, welches Andersartige ausschliesst: «Menschen benehmen sich daneben.» Es ist ihr darum wichtig, dass Gerhard nicht angestarrt wird, seine Würde verliert oder man über ihn lacht. Humor hilft aber dabei, aufzustehen und weiterzumachen.

Au cœur bestial des langues

Suivre les traces des bêtes au fil des mots, au fil des récits, au fil des poèmes. Esquisser des rencontres sauvages et nous transporter dans la jungle de la littérature. C’est l’ambition de la revue Viceversa, qui a eu l’occasion de présenter son 16ème volume (intitulé « La part sauvage / Wildewege / Per sentieri selvaggi ») à un public sagement assis dans la cérémonieuse salle des fêtes de l’hôtel-restaurant La Couronne (un lieu contrastant d’ailleurs fortement avec le thème de l’après-midi !). À cette occasion, se sont mêlées les voix de trois autrices (Rebecca Gisler, Julia Weber et Flurina Badel) et d’une traductrice (Anna Allenbach), l’ensemble orchestré par la responsable de la revue, Ruth Gantert. Une expérience pour le moins inhabituelle et surprenante : entrer en contact avec les quatre langues nationales en même temps, quelle puissance !

C’est à la lecture de deux récits et de quelques poèmes composant le volume que « La part sauvage », un intitulé pourtant bien mystérieux, a pris tout son sens. Certes, il y avait les récits et les poèmes, qui ont propulsé l’imaginaire du public dans des lieux hostiles et inexplorés. Mais il y avait surtout ces quatre langues, ces quatre identités, ces quatre cultures qui ont dansé et tourbillonné dans la salle de La Couronne. Textes lus, textes entendus, textes projetés… de quoi habiller l’espace, aussi bien physique que mental, au carrefour des vivacités. Voilées dans leurs ambiguïtés, ces langues se sont parfois révélées farouches : comment traduire le sens exact d’un terme, provenant d’une langue qui ne se laisse que peu dompter ? Pour écouter ces langues parler, il était nécessaire de se laisser bercer par leurs particularités et ne pas vouloir à tout prix y chercher du sens, lâcher ce contrôle obnubilant qui emplit notre quotidienneté.

« La part sauvage », c’est un appel, une invitation à découvrir l’Autre, comprendre son cadre de référence, et ne pas forcément y chercher une correspondance um jeden Preis. Laisser parler le lingue, les laisser nous emmener, les laisser s’emparer de nos impissamaint.

Pour vous engouffrer dans la « La part sauvage » de la littérature :

En français, aux éditions Zoé.

En allemand, au Rotpunktverlag.

En italien, aux Edizioni Casagrande.

Für Stefan

In der Radio SRF Livesendung «Literaturfenster» stellte Julia Franck ihr Buch «Welten auseinander» in der dicht bestuhlten Cantina del Vino vor. Den Begriff «Buch» verwendet sie bewusst, denn ein Roman ist es für sie nicht: zu wenig Fiktion. Zu präsent sind die Elemente, die die Autorin direkt aus ihrem Leben übernommen und in die Geschichte gesetzt hat. Deshalb bezeichnet die Autorin ihr Werk lieber als «archäologische Arbeit».

Lange hat es gedauert, bis wir wieder etwas Neues von Julia Franck lesen durften – 11 Jahre Publikationspause. Warum? Weil das autofiktionale Buch schmerzhafte Themen und Erlebnisse behandelt, über die sie vor 10 Jahren noch nicht hätte schreiben können, da sie sie noch nicht genug damit auseinandergesetzt hatte. Es sind Themen wie Scham, Brüche, Verlust und Trauer. «Es ist eine Reifefrage», meint Franck.

«Welten auseinander» erzählt die Geschichte der ersten 23 Jahre der Autorin. Es ist die Geschichte der Flucht aus der DDR in ihrer Kindheit, die Unbeständigkeit ihres Lebens als Aussenseiterin in Westdeutschland und die Geschichte von Stefan, ihrer ersten und einzigen grossen Liebe. Stefan, den sie durch einen schweren Fahrradunfall verloren hatte, Stefan für den sie diese Geschichte erzählt.

Der Verlust Stefans war für Julia Franck deshalb so traumatisch, weil sie mit allen ihren gemeinsamen Erinnerungen zurückblieb. «Ich war plötzlich alleine mit unserer Geschichte. Die Person, mit der ich sie teilte, war unwiderruflich verschwunden, ich hatte die alleinige Verantwortung über unsere Geschichte. Das kann man nicht. Deshalb erzähle ich diese Geschichte für ihn.»

«Das steht mir nicht zu»

Zwanzig Minuten vor Beginn der Lesung reicht die Schlange bis weit die Treppe zum Landhaussaal hinunter. Und das, obwohl draussen die Sonne scheint. Julia Franck liest aus ihrem neuesten Werk Welten auseinander vor, bei dem absichtlich das Label «Roman» fehlt.

Denn es handelt sich um Autofiktion. Autofiktionale und reale Erlebnisse werden umkreist, die Dramaturgie ist durch Motive geprägt. Die Autorin selbst findet Autobiografien nämlich langweilig. Wer will denn schon alles nochmals in geschriebener Form erleben? Bereits als Kind braucht Franck die Flucht in die Literatur als einen schnellen Weg, um Figuren aus sich selbst zu erschaffen. Im Buch vermischen sich also wahre Erlebnisse von Franck mit den erfundenen der Erzählerfigur Julia.

Zwei Themen beherrschen das Gespräch und die Lesung. Einerseits geht es um die starken Frauenfiguren, die sich den Erwartungen der Gesellschaft ihrer Zeit widersetzen. Die Grossmutter beispielsweise ist in den 1930er Jahren als Steinmetzin tätig und studiert an der Kunsthochschule, bis sie aufgrund ihrer jüdischen Abstammung ins Exil nach Italien muss. Dort verliebt sie sich und bringt zwei uneheliche Kinder auf die Welt. Als ihr Liebster im Krieg fällt, muss sie sich mit den Kindern alleine durchschlagen. Die Grossmutter legt auch später noch grossen Wert darauf, dass man sich nützlich macht. Das prägt die Enkelin. Aber erst als Julia selbst früh ihre grosse Liebe verliert, finden Grossmutter und Enkelin wieder zueinander. Verlust gehört quasi zur Familiengeschichte und macht Grossmutter, Mutter und Enkelin zu «Schwestern im Geiste».

Das zweite grosse Thema ist die Armut und Unzulänglichkeit. Als Julia und ihre Zwillingsschwester acht Jahre alt sind, wendet sich die Mutter von der Grossmutter ab und flieht von Ostberlin in den Westen. Aufgrund ihrer Armut kann die Familie nur auf einem verlotterten Bauernhof leben, auf dem die Mutter alles wiederverwertet. Um ihre Kinder kann sie sich hingegen nicht kümmern. Die beiden Mädchen klettern barfuss auf Bäume und tragen kurze Hosen. Obwohl sie Deutsche sind, werden sie von den Anwohnern als Exotinnen wahrgenommen. Für Julia ist das eine schwierige Zeit, in der sie Schande, Armut und Ausgrenzung erlebt.

Franck reflektiert über den Unterschied zwischen Armut im Westen und Armut im Osten. Die Anonymität der Grossstadt Ostberlin fehlt und macht die Unzulänglichkeit und Scham der jungen Julia deutlich. «Das steht mir nicht zu», denkt Franck als Kind oft. Schon als Säugling kommt sie in verschiedene Pflegefamilien an verschiedenen Orten. Franck ist deshalb der Ansicht, dass sie schon vor dem ersten Bewusstsein ein Fremdheitsgefühl entwickelt hat. Dieses führe dazu, dass sie sich stets nützlich machen und nicht auffallen will. So ist sie auch dankbar, dass die Sozialhilfe ihr schliesslich ein Studium ermöglicht. Das ist es schliesslich, was Francks Werk ausmacht. Im Buch ist trotz allem keinerlei Bitterkeit zu finden. Franck tritt in die Fussstapfen ihrer Vorfahrinnen und ist selbst eine starke Frau.

Lost in Translation

Hussein Mohammadi – ein richtiges Multitalent. Er schreibt, malt, zeichnet, spielt Theater, während er hauptberuflich aber als Hydraulikmechaniker arbeitet.
Der gebürtige Afghane wuchs im Iran auf. Seine ersten beiden Romane wurden von der iranischen Regierung zensiert. Erst sein dritter Roman «Symphonie der Liebe» konnte erscheinen. 2013 floh er in die Schweiz, wo er mehrfach als Schauspieler auf der Bühne stand. Sein Märchen «Die saubere Brille» wurde vom Radio SRF ausgestrahlt. Besonderes Aufsehen erregte er mit seiner Ausstellung «Ein Bild – Eine Geschichte», wo er seine Kurzgeschichten mit dazugehörigen selbstgemalten Gemälden präsentierte.

Seine Solothurner Werkschau präsentierte dem Publikum einen Querschnitt aus seinem Werk. Mohammadi schreibt zwar auf Persisch, las aber dennoch die deutsche Übersetzung. Den Anfang machte ein Ausschnitt aus seinem neuesten Buch «Scheherazades Erbe», das im Herbst erscheint. Es erzählt Geschichten illegaler Liebesbeziehungen in Afghanistan. Wie der Titel vermuten lässt, liess er sich von den «Märchen aus 1001 Nacht» inspirieren. Jedes Kapitel erzählt eine andere Geschichte und die Handlungen laufen gegen Ende des Romans zusammen. Als der Moderator Mohammadi auf die Verbindung zur Märchensammlung anspricht, bemerkt der Autor verschmitzt: «Scheherazade brauchte 1001 Nächte für 1001 Geschichten – In Afghanistan passieren 1001 Geschichten in einer Nacht.»
Anschliessend gibt Mohammadi noch eine Kostprobe aus einer seiner Kurzgeschichten und einem Text zu seinen Erlebnissen auf der Flucht.

Im Iran herrscht Zensur – das schränkte Mohammadis Schreiben ein, da er viele Themen nicht behandeln durfte. Hier in der Schweiz hat er alle Freiheit, die er sich wünschen kann, doch er ist noch immer zögerlich, denn hier herrscht für ihn Selbstzensur. «Mein Kopf ist noch nicht frei», meint er auf die Frage nach seiner Schreiberfahrung in der Schweiz. «Ich kann und will (noch) nicht über alles schreiben.»

Glauser und Simenon am Strand

Die Ausgangslage von Ursula Haslers neuem Roman Die schiere Wahrheit ist faszinierend: Es treffen an einem warmen Sommertag an der französischen Atlantikküste die beiden bekannten Krimiautoren Georges Simenon und Friedrich Glauser aufeinander. Sie kommen ins Gespräch, reden darüber, was es für einen guten Krimi alles braucht und erzählen dann gleich gemeinsam einen solchen innerhalb von Haslers Buch. Die Besucher*innen ihrer Lesung durften durch einige vorgetragene Passagen sowie historische Stimmungsbilder auf der Leinwand Einblick in die Romanwelt bekommen.

Zwar fand ein solches Treffen der beiden Schriftsteller nie statt, es wäre im Jahr 1937 aber tatsächlich möglich gewesen. Über diese historische Möglichkeit stolperte Hasler wegen gleich mehrere glücklicher Zufälle. Sie selbst besucht den Badeort, in dem die Handlung ihres Romans spielt, selbst jedes Jahr. Dabei fand sie heraus, dass Glauser ebenfalls einmal in der Region war. «Wunderbar. Ich konnte mir vorstellen, wie glücklich Glauser über seine Freiheit hier gewesen sein musste und dachte mir: Dazu mache ich was.» Anschliessend fand sie an einer Ausstellung heraus, dass auch Simenon im selben Jahr an eben diesem Ort hätte sein können und so war das Ausgangsszenario geboren.

Hasler erzählt, dass sie sich noch nie darüber Gedanken gemacht habe einen Kriminalroman zu schreiben, aber das Zusammentreffen der beiden Autoren forderte dies. Dabei stellte sie fest, dass es gar nicht so einfach ist, einen Krimi zu schreiben, da in einem solchen gleich zwei Geschichten verknüpft werden: Einerseits der Tatvorgang des Verbrechens und was dazu führte; andererseits die Handlung der Verbrechensaufklärung. Als Autor müsse man sich auch während des Schreibprozesses entscheiden, wann man welche Indizien der Leserschaft geben will. Die Autorin stellte während des Schreibens fest, wie froh sie darüber war, mit dem Computer schreiben zu können, was andere Krimiautoren in der Vergangenheit nicht konnten. Ausserdem stellte sich eine weitere Hürde in den Publikationsweg ihres Romans. Ursprünglich sollten darin nämlich (in leichter Konkurrenz) Wachtmeister Studer und Maigret ermitteln. Jedoch stellte sie nach Fertigstellung des Buches fest, dass Simenons Figuren markenrechtlich geschützt sind. Deshalb musste sie den gesamten Roman umschreiben. Nun ermittelt eine völlig neue Frauenfigur, welche Hasler für Simenon erfindet.

Obwohl zu Beginn der Lesung von der Moderation betont wurde, dass Hasler wegen des grossen Lobes für ihr Buch an die Solothurner Literaturtage eingeladen wurde, verhafteten die Fragen der Moderation zum Roman auf den beiden bekannten Autorenfiguren und das Gespräch drehte sich folglich vor allem um Glauser und Simenon. Deshalb ging der literarische Wert von Haslers Roman unter – obwohl er durchaus da gewesen wäre.

Das «vocabulaire incroyable» auf den Verpackungen von Tiernahrung

Eric Facon beginnt das Gespräch mit Rebecca Gisler auf Französisch. Dann fragt er in die Runde, wer in der Säulenhalle überhaupt mit dem fliegenden Wechsel zwischen Deutsch und Französisch klarkommt. Im Publikum breitet sich ein zustimmendes Nicken aus. Es geht also weiter, oder besser gesagt, erst richtig los. Und zwar mit der ersten, bei diesem Buch wohl zentralsten Frage: «Pourquoi l’oncle?»

Rebecca Gisler ist in Zürich geboren und aufgewachsen, ihre Muttersprache ist aber eigentlich Französisch. Sie studierte literarisches Schreiben gleich doppelt. Einmal auf Deutsch in Biel und einmal auf Französisch in Paris. Die Zweisprachigkeit von Rebecca Gisler hat denn auch zur Folge, dass es zwei Romane von ihr gibt, die beide vom Onkel handeln.

Eine Parallel-Lesung, die funktioniert

Sie hat sich, so Gisler als Antwort auf Facons Frage, mit dem Onkel befasst, weil es über diese Figur viel weniger Literatur gibt, als über andere Familienmitglieder: Mütter, Väter, Grosseltern, Geschwister, Kinder. Der Onkel als Figur hat sie interessiert und sich aus ihrem Schreiben quasi herauskristallisiert. Die Figuren machen das Schreiben und das Schreiben macht die Figuren. Der Onkel lebt in einem grossen Haus in der Bretagne. Seine Nichte, die dort mit ihm lebt, beschreibt ihn und seine kuriosen Gewohnheiten bis ins kleinste Detail.

Nach den ersten Fragen liest Rebecca Gisler aus ihren Büchern, parallel eine Stelle aus «D’oncle» und eine aus «Vom Onkel». Bereits lässt sich erahnen, was am Wechselspiel zwischen diesen beiden Sprachen interessant und anregend sein kann.

Das eigene Buch nochmal neu schreiben

Es ist tatsächlich ungewöhnlich, dass die deutsche Fassung, die nach der französischen erschienen ist, nicht einfach übersetzt, sondern von der Autorin selbst neu geschrieben wurde. Es ist ein Wiederlernen des Deutschen gewesen, ein Spiel aus Hin- & Her-Übersetzen, in dem eine Sprache jeweils als Kontrollinstanz der anderen funktionierte. Am spannendsten wurde es, wenn es zwischen den beiden Sprachen Zweifelsfälle gab. Es ist schon fast ein offenes Geheimnis der Literatur: Das Poetische findet sich im Dazwischen.

Rebecca Gislers Art, auf die Fragen von Facon zu antworten, macht es deutlich: Literatur, wie Gisler sie schreibt, macht Spass. Sie lebt vom Witz und von kuriosen Figuren, wie Eric Facon anfügt. Dass die Chemie zwischen Moderator und Autorin so gut passt, überträgt sich auf die Besucher:innen der Lesung. Voller Energie, Elan und Esprit unterhalten sich die beiden angeregt.

Irgendwie sind doch alle Famililen merkwürdig

Die Absurdität des Textes und die merkwürdigen Figuren entstanden also aus dem ewigen Phantasie-Spiel zwischen Deutsch und Französisch. Ab und an schlummert im Buch aber auch ein Funke Wahrheit. Genau wie die Nichte und der Neffe vom Onkel hat auch die Autorin selbst schon Verpackungstexte von Tiernahrungsprodukten vom Französischen ins Deutsche übertragen. Sie bieten, so Gisler, einen unglaublichen Wortschatz, ein «vocabulaire uncroyable». Als Eric Facon von der Autorin wissen möchte, warum die Familie des Onkels so merkwürdig ist, muss sie lachen. Irgendwie sind doch alle Familien komisch: aus dem Publikum zustimmendes Nicken oder verhaltenes Grinsen.

Zu den Schilderungen der Toilettengänge des Onkels und zu seiner vernachlässigten Hygiene passt auch, was Gisler über ihren Schreibstil erzählt: Jemand hat ihn schon mal als «chasse d’eau» (WC-Spülkasten) beschrieben. Er fliesst beständig, manchmal entsteht ein merkwürdiges Blubbern und der Text ist nie ganz leer, sondern füllt sich immer wieder von neuem.

Ein in allen Belangen passendes Bild und ein erfrischendes, kurzweiliges Gespräch, bei dem ich, fast ohne es zu merken, mein verstaubtes Französisch reaktivieren konnte.

Die Heldinnen der Sowjetunion

Der Landhaussaal ist bis zum Platzen gefüllt, als Sasha Marianna Salzmann am Samstagnachmittag zum Gespräch über ihren* neusten Roman Im Menschen muss alles herrlich sein zu Gast ist. Salzmann, die sich selbst als nicht-binär definiert, ist Theaterautor*in, Essayist*in und Dramaturg*in und hat nach ihrem* Debüt Ausser sich (2017) nun ihr* zweites Buch veröffentlicht.

«Kennen Sie das, wenn Ihnen jemand eine Anekdote erzählt und Sie denken, dass Sie sie verstehen aber irgendwie doch nicht?» Auf einer Geburtstagsparty ihrer* Mutter, kam Salzmann die Idee zu Im Menschen muss alles herrlich sein. Der Roman schildert die Schicksale von vier Frauen während und nach dem Zerfall der Sowjetunion. Der Fokus liegt dabei auf der Spannung zwischen Generationen und der Frage danach, was man über seine Familie wissen kann und möchte. Für ihren* Roman hat Salzmann die Freundinnen der Mutter interviewt, um Stoff für die Anlage ihrer Figuren und die geschichtlichen Hintergründe einer Zeit, die sie selbst nicht so genau kennt, zu recherchieren. «Schlussendlich ist es ein Mutter-Tochter Roman geworden.» Dabei stellen die Figuren fragen, die Salzmann selbst auch beschäftigten, etwa, wieso man in der Ukraine eigentlich Russisch spricht.

Dass Salzmanns Roman auch aktuelle Konflikte tangiert, steht dabei jedoch nicht im Zentrum der Erzählung. «Alle Frauen die ich interviewt habe, kommen aus Orten, die heute Kriegsgebiet sind und damals schon Kriegsgebiet waren. Die Frauen wollten aber in erster Linie gar nicht über den Krieg sprechen. Sie sind alle Superheldinnen für mich, ihre Lebensgeschichten sind Heldengeschichten.» Salzmann stellt die Lebensgeschichten ihrer* Protagonistinnen den klassischen, männlichen Helden der Sowjetunion entgegen und schreibt so eine Geschichte für die «wahren Heldinnen der Sowjetunion».

Besonders spannend ist der Aspekt mythischer Motive und Figuren in Salzmanns Roman, wie etwa der des Ciguapa, einer dominikanischen Mythengestalt. Um dem heteronormativen Denken der Sowjetunion im Roman entgegenwirken zu können, baute Salzmann mythische Gestalten in ihren Text ein. «Mythen, das ist mein queerer Moment im Buch. Sie zeigen, dass man eine Situation immer verlassen kann, dass man nirgends sein muss. Sie sind das queere Element, das ich unbedingt einbauen wollte.» Wichtige Themen anzusprechen, starken Frauen zuzuhören, die selbst nichts von ihrer Stärke wissen, überhaupt zu fragen: das ist es, was Sasha Marianna Salzmann zu einer wichtigen Stimme der Literatur macht.

Elle s’est mariée à la culture

En entrant dans la Säulenhalle du Landhaus, peu avant 16h ce samedi, les visiteurs et visiteuses étaient accueillis par une Boutheyna Bouslama en robe de mariée. Une musique festive et un bouquet complétaient le portrait de cette cérémonie. Cette manifestation est bel et bien un engagement, une véritable union entre Boutheyna Bouslama et la culture.

Un bouchon de champagne explose rapidement, surprenant l’auditoire présent sur les lieux. La témoin de cette union se lance alors dans la lecture d’une lettre de Boutheyna Bouslama en guise « d’anecdote dossier », passage obligé et attendu de toute cérémonie de ce type. C’est après cette première lecture que l’autrice elle-même se lance dans le récit de son histoire personnelle, qui mène à ses épousailles avec la culture.

De son expulsion de Suisse à sa consécration dans la ville de Soleure pour son film, À la recherche de l’homme à la caméra, tout y passe. Elle démontre le manque de reconnaissance de la culture comparé à l’économie ou aux sciences, elle discute son rapport à la mémoire en prenant les exemples de ses innombrables chaussures ou encore de la bibliothèque de ses parents, son premier rencart avec la culture qu’elle épouse aujourd’hui, lors de son second passage à Soleure. Les lectures des lettres de Boutheyna Bouslama se terminent sous les applaudissements généreux et nourris de la salle, conquise par sa personnalité attachante.

La place laissée à la discussion, importante, s’avère également des plus précieuse. La question des raisons qui l’ont amenée à mimer un mariage pour sa manifestation surgit comme une fulgurance. C’est pour elle un moyen de montrer qu’elle se trouve dans un moment de joie, qu’elle se sent appréciée et qu’il s’agit là d’un des plus beaux jours de sa vie. La richesse de la culture est également discutée par l’autrice et le modérateur. Lors de son expulsion de Suisse en 2014, dès la fin de ses études à la HEAD, ses contributions culturelles n’ont aucunement été prises en compte, sous prétexte que celles-ci ne relevaient ni de l’économie, ni de la science. Il existe donc une réelle dichotomie entre les apports culturels et leur reconnaissance. Dans le public, quelqu’un questionne avec pertinence l’enjeu des limites, des frontières et des marges dans l’œuvre de Boutheyna Bouslama. C’est parce qu’elle se situe dans ces marges, malgré elle, qu’elles sont si présentes dans son œuvre.

La lecture se conclut ensuite par des remerciements chaleureux de l’autrice envers le personnel technique qui l’a suivie dans son envie de performance, puis, comme dans tout mariage qui se respecte, la mariée procède au lancer de bouquet.

Leçon d’Histoire, d’engagement et de charisme : Nétonon Noël Ndjékéry

En sortant de l’événement qui a mis en lumière Nétonon Noël Ndjékéry (auteur de Il n’y a pas d’arc-en-ciel au paradis), les phrases ébahies, conquises, admiratives, foisonnent : un bouleversement littéraire et humain, un admirable engagement, une aura intimidante vite nuancée par des traits d’humour. Comme lorsqu’il prétend, n’ayant pas pu faire d’études en Histoire, «être un historien raté» et «se rattraper à l’époque en faisant l’historien du dimanche».

Ses touches d’humour, bien que plaisantes au cours de la discussion, ne remettent aucunement en doute l’évidence de son talent et de son érudition. L’auditoire captivé prend alors connaissance des grands noms qui l’ont inspiré : sont entre autre cités Malek Chebel (auteur de l’Esclavage en Terre d’Islam) et Joseph Ki-Zerbo (auteur de l’Histoire générale de l’Afrique noire). Ce dernier a particulièrement marqué Ndjékéry avec l’idée de « se réapproprier notre histoire ».  

Même si c’est un peu frustrant car on aimerait pouvoir retenir tous les noms que l’auteur cite – et en cela il réussit brillamment à nous rendre désireux d’affuter notre connaissance de l’Histoire – le constat principal relevé par Ndjékéry est percutant : on ne parle pas de la traite transsaharienne. Et l’auteur l’a subi comme un fossé qu’il fallait combler. Son livre Il n’y a pas d’arc-en-ciel au paradis s’attaque donc à un tabou, à un « trou noir autour de l’esclavage transsaharien ». Lorsque la discussion laisse place à la lecture d’un extrait, le public retient toujours son souffle car les mots relèvent d’une puissance intimidante et marquante, à l’image de leur auteur.

En plus de son érudition impressionnante – car de tête il cite fréquemment de multiples ouvrages, des articles de journaux et des reportages récents pour étayer son propos – Ndjékéry livre une part plus intime de lui-même. À la salle attentive, il confie que le récit d’attaques esclavagistes baignait déjà son enfance et qu’il était lui-même mis en garde contre elles. Lorsque le modérateur évoque la place de l’utopie dans son œuvre, en référant notamment à «la Case du savoir» sur l’île flottante où se réunissent certains protagonistes, l’auteur reconnait cette part d’utopie et ajoute une anecdote personnelle : quand il était petit on lui disait « il ne faut jamais éteindre les rêves, sinon ça risque d’épaissir les nuits et d’obscurcir les jours ».

À un moment, Ndjékéry dit être très ému de nous parler et l’auditoire prend très bien conscience de cette authenticité qui se livre à lui. Le présentateur exprime alors la pensée du public conquis : « on prend tellement de plaisir à vous écouter… ». Et c’est vrai, la discussion avec Nétonon Noël Ndjékéry est une leçon d’Histoire, d’engagement et de charisme. Même s’il demeure une place pour l’utopie, ce roman n’est pas optimiste, il dénonce la réalité : « c’est une histoire, une mémoire qui saigne encore ! » Une problématique d’une mordante actualité.

Je me considère très enrichie par cette rencontre et me vois touchée par la gentillesse de l’auteur qui accepte d’échanger quelques mots avec moi à la fin de l’événement, avant de vite rejoindre sa place pour la dédicace (rythme du festival oblige, la bulle complice de la discussion vécue ensemble malheureusement s’estompe). Je réalise alors avoir déjà côtoyé cet auteur par le passé, puisqu’il a été le témoin de mariage de mon oncle et de ma tante, tchadienne elle aussi.

C’est avec joie que je conserve cette pensée inattendue : les Journées littéraires de Soleure, c’est aussi redécouvrir des connaissances de jadis en tant qu’auteurs talentueux et inspirants aujourd’hui.