Ein Buch, das das Zeug zum Klassiker hat: So stellt Moderatorin Nadja Brügger Ariane Kochs Debütroman «Die Aufdrängung» vor. Die junge Baslerin schrieb bisher vor allem fürs Theater und im Kollektiv. Dieser erste Soloflug ist ein Theaterbesuch zwischen zwei Buchdeckeln. So ambig diese Beschreibung klingt, so vielseitig sind auch die Themen, die der Roman streift, und so dehnbar die Aussagen, die er macht.
In einer verstaubten Kleinstadt lebt die Ich-Erzählerin in einem riesigen Haus mit zehn Zimmern, von denen sie nur neun bewohnt. Sie scheint sich nichts mehr zu wünschen, als dieses statische Leben endlich zu verlassen. Dennoch hat sie für diesen Wunsch noch nie einen Finger gerührt, und so ist sie trotz ihres jungen Alters zu einem regelrechten Fossil geworden. Als sie einen geheimnisvollen Gast bei sich aufnimmt, der ebenso gut Mensch wie Tier sein könnte, beginnt sich das altbekannte Umfeld plötzlich zu wandeln. Nicht nur die Zitronen verlieren ihren Geschmack, auch Kälte und Krankheit halten Einzug. Der Gast bringt die langersehnte Veränderung in ihre Welt. Lang totgeglaubten Dingen haucht er mit seiner Präsenz pulsierendes Leben ein. Trotzdem entwickelt die Erzählerin eine wachsende Abneigung gegenüber dem Auswärtigen und versucht, ihn mit einem starren Regelwerk in seinem Aktionsradius einzuschränken. Und so stellt sich zunehmend die Frage, wer sich hier wirklich dem anderen aufdrängt: Gast oder Gastgeberin? Mit erstaunlich viel Witz wendet sich Ariane Koch der durchaus tragischen Thematik von Gastlichkeit und Ablehnung gegenüber dem Fremden zu. Damit greift sie einen Diskurs auf, der in unserer Gesellschaft den Status von ständiger Omnipräsenz innehat. Mit der gewählten Figurenkonstellation und Szenerie schafft Koch eine Bühne für Fragen nach Migration, Integration und Machtverhältnisse.
Als die Moderatorin den Bann des Zuhörens bricht, fällt auf, dass auch das Publikum gerade in einen begrenzten Raum der Vorstellung und Bedeutung geführt wurde. Denn durch die Macht, als einzige über eine Stimme zu verfügen, hat die Ich-Erzählerin die absolute Kontrolle darüber, wie Lesende die erzählte Welt wahrnehmen. Doch die Grenzen sind wie diejenigen im Buch flexibel und lassen sich überwinden. Sobald sich die Leser*innenschaft bewusst wird, dass sie die Kontrolle über den Deutungsraum hat, fallen die Schranken. Die Geschichte lässt sich in diverse Kontexte setzen und nimmt dadurch – wandelbar, wie sie ist – immer wieder neue Gestalten an.
Zoé Richardet, Julia Brunner