Nicht gegen, sondern für etwas schreiben

Im ziemlich vollen Landhaussaal hat Yael Inokai aus ihrem dritten Roman Ein simpler Eingriff vorgelesen. Während von aussen leise flippige Saxophonklänge in den Saal drangen, erhielt das Publikum einen ersten Eindruck der sterilen Klinik, von der der Roman handelt.

Wie bereits ihr letzter Roman Mahlstrom (2017) spielt auch ihr neuster Roman in einer Art Mikrokosmos ohne eindeutige Raum- und Zeitmarker. Ein kleiner begrenzter Raum wie ein Dorf oder eben eine Klink eignen sich besonders gut, um gesellschaftliche Strukturen und Hierarchien literarisch «im Lupenprinzip» – wie es Yael Inokai beschreibt – zu bearbeiten. Die fehlenden Raum- und Zeitmarker machen den Roman zudem anschlussfähig an diverse historische, gegenwärtige sowie kunftige Geschehnisse. So soll der Roman auch der Tatsache gerecht werden, dass «viele Dinge nicht in Stein gemeisselt sind.» In den aktuellen politischen Diskussionen um feministische Errungenschaften wie das Recht auf Abtreibung wird dies offensichtlich.

Es wäre eine andere Geschichte geworden, wenn ich anstatt von einer Krankenschwester von einer Pflegefachfrau geschrieben hätte.

Yael Inokai

Dass die Hauptprotagonistin und ihre Zimmer- und Arbeitskollegin in der Klinik als Krankenschwestern arbeiten, kann allerdings als zeitlicher Marker verstanden werden. Die Angabe, dass das Buch in der Nachkriegszeit spielt, war vor allem aus markttechnischen Gründen gefordert und erleichterte die Pressearbeit, wie Yael Inokai augenzwinkernd bemerkt. Für die Geschichte selbst ist dieser Hinweis letztlich irrelevant. Die veraltete Berufsbezeichnung der Krankenschwester hingegen vermittelt ein bestimmtes Bild der Pflegearbeit und ist gerade im Begriff Schwester anschlussfähig. Daher wäre es nicht die gleiche Geschichte, wenn anstatt Krankenschwester ein anderer Begriff wie Pflegefachfrau verwendet worden wäre.

Dass sich im kalten Setting der Klinik eine Liebesgeschichte entwickelt, hat sich im Schreiben «organisch ergeben – und hätte dann auch nie anders sein können». Besonders interessiert hat die Autorin dabei, wie die beiden Frauen aus ihrem gemeinsamen Zimmer und den unterdrückenden Strukturen der Klinik herausfinden. Starke Gefühle, gegen die mit einem operativen Eingriff in der Klinik vorgegangen wird und gegen die die Hauptprotagonistin ankämpft, sind dabei entscheidend: Das Aufbegehren der Protagonistinnen gegen diese Strukturen wird von inneren Gefühlen ausgelöst, die eine transformatorische Energie entwickeln. Dass auch Veränderungen aus dem Innern einer Institution zu einem Umdenken führen können, bezweifelt Yael Inokai jedoch – die Hauptfiguren in Ein simpler Eingriff haben wohl auch nicht die Kraft dazu.

Wie sich die Protagonistinnen am Schluss des Romans stattdessen emanzipieren, wurde als Cliffhänger stehen gelassen. Auf die Frage, ob sie gegen Autoritäten anschreibe, meinte Yael Inokai, dass sie vielmehr für etwas schreibt – wofür genau, wurde allerdings ebenfalls offen gelassen. Auch dies solle das Publikum beim Lesen des Romans selbst herausfinden.

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