Milena Moser im Land ihrer Söhne

Nachdem Milena Moser am Freitagmittag im SRF Tagesgespräch bereits über ihre neue Heimat und den Vergleich zur Schweiz gesprochen hatte, durften Michelle Holz und Laura Barberio am Nachmittag ein sehr persönliches Gespräch mit der Autorin führen. Sie besucht die Schweiz mittlerweile nur noch zwei Mal pro Jahr und arbeitet den Rest ihrer Zeit in Santa Fe an ihrem neuen Buch. Ein Zwiegespräch zweier Kulturen soll es werden und wird bei ihrem neuen Verlag Kein & Aber erscheinen. Mit uns sprach sie aber auch über die Entstehung von Land der Söhne.

Sie sind ja momentan hier zu Besuch in der Schweiz, wo Ihre Familie und ihre Kinder nach wie vor leben. Sind sie hier im Land Ihrer Söhne?

Lacht Der ist gut, den hab ich noch nie gehört. Es ist noch lustig: Meine Kinder lesen eigentlich meine Bücher nicht unbedingt, aber als ich Land der Söhne angekündigt hatte, hat mein jüngerer Sohn seinen Bruder angerufen und gesagt: „Lino, hast du gesehen, wie das Buch heisst? Land der Söhne?“ Aber sie haben dann schnell gemerkt, dass es nicht autobiografisch ist.

Sie sprechen immer wieder vom Gefühl der Freiheit, das Sie in der Schweiz immer vermisst haben und nun in Santa Fe gefunden haben. Die Freiheit spielte für Sie beim Schreiben von „Land der Söhne“ eine wichtige Rolle und hat als Thema auch Eingang in den Text selber gefunden. Was bedeutet Freiheit für Sie persönlich?

Für mich privat heisst Freiheit einfach, dass ich mich selber sein kann. Wie auch immer das aussehen mag. In meinem Fall ist das nichts Spektakuläres, aber ich empfinde das in der Schweiz nicht so. In der Schweiz empfinde ich mich als jemand, der ständig irgendwo anstösst und aneckt. Vielleicht auch zu unrecht, aber das ist einfach mein Lebensgefühl. Im politischen Sinne ist die Freiheit in Amerika natürlich auch nicht unproblematisch, aber da hab ich eine Sondersituation als Schweizerin. Mir kann nicht so viel passieren: Wenn ich ausgeschafft werde, komme ich zurück in dieses wunderschöne, sichere Land. Deshalb stehe ich nicht so unter Druck wie andere meiner Freunde.

Die Geschichte von Luigi beginnt in den 1940er Jahren, als er als kleiner Junge aus dem Tessin in die USA kam. Aus welchem Grund haben Sie sich genau für diesen Ausgangspunkt entschieden?

Es gibt ein Vorbild für die Schule im Buch, die Los Alamos Ranch School for Boys. Diese war von 1917 bis 1943 geöffnet und wurde dann verdrängt vom Manhattan Project, das dann die Räumlichkeiten übernommen hat. Viele ehemalige Schüler dieser Schule haben über die Missbräuche des Schulleiters gesprochen, aber ich wollte das ganz klar fiktionalisieren. Wenn man diesen Hintergrund kennt, kann man die Verbindung zu dieser Schule vielleicht erahnen, aber er ist bestimmt nicht offensichtlich. Aus diesem Grund habe ich die Geschichte auch geografisch von Los Alamos nach Española versetzt. Ich habe auch zeitlich eine Verschiebung unternommen. Indem ich den Beginn der Geschichte in die 40er Jahre legte, konnte ich außerdem auch noch die Jetztzeit integrieren, ohne eine zusätzliche Generation berücksichtigen zu müssen.

Im Tagesgespräch haben Sie bereits erwähnt, dass Luigi, die erste Figur war, die für Sie feststand. Wie hatten Sie die Idee für Luigi und die anderen Charaktere?

Ich war in Santa Fe und wartete darauf, dass sich mir meine Geschichte aufdrängt. In dieser Zeit wurde ich von unterschiedlichen Seiten immer auf Los Alamos angesprochen. Das Thema verfolgte mich fast schon. Dann stiess ich auch noch auf eine Fernsehserie über das Manhattan Project. Da ich auch ein bisschen an solche Zeichen glaube, habe ich mich schliesslich dazu entschieden, diesen Ort einmal zu besuchen. Im Ortsmuseum hatte es dann eine kleine Nische mit Fotos von dem Gebäude und den Kindern und den Pferden, die davor standen. In der Bildbeschreibung hiess es, dass die Schule gegründet wurde, um den verweichlichten amerikanischen Mann von dem übermächtigen Einfluss seiner Mutter zu befreien und ihn in einer frauenlosen Gesellschaft aufwachsen zu lassen. Als ich das gelesen habe, hatte ich so etwas wie einen elektrischen Schlag und ich sah sofort das Bild dieses Jungen mit seiner Mutter im Zug, die ihn in die Schule bringt. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich allerdings noch nicht, dass dieser Junge Luigi ist. Es war wie ein Film und plötzlich hörte ich, dass die Italienisch miteinander reden. Sind die aus dem Tessin? Ich habe null Bezug zum Tessin und trotzdem sprachen die Italienisch. Trotz mehreren Versuchen, diese Figuren zu Deutschschweizern zu machen, gelang es mir nicht. Nachdem ich mich lange bei Luigi aufgehalten hatte, kam sein Sohn dazu und anschliessend irgendwann Sofia. Entlang der Generationen.

Sie sagen, dass im Verlaufe der Zeit immer mehr Figuren hinzugekommen sind. Wie wird aus diesen einzelnen Charakteren eine zusammenhängende Geschichte? 

Ich widme mein Schreiben immer dem, der gerade am lautesten ist in meinem Kopf und so entsteht eine total chaotische erste Fassung. In einer Version war die Geschichte auch einmal zeitlich linear strukturiert, indem ein Jahrzehnt nach dem anderen beschrieben wurde. Natürlich wäre das leserfreundlicher gewesen, aber ich dachte, ich muss die Geschichte auf gut Schweizerisch «zöpfeln».

Sie sagen, diese neugewonnene Freiheit sei für Ihren Schreibprozess sehr wichtig gewesen. Was hat sie in der Schweiz denn an diesem grenzenlosen Schreiben gehindert?

Meine Kreativität hat sich einfach den Platz genommen, der noch frei war. Aber ich spürte, dass da noch mehr war, was einfach keinen Platz hatte, weil ich mich ständig verzettelt habe. Neben Kolumne, Radio und Theater blieb das Schreiben an sich «sehr dünn ausgewallt». Nachdem ich das alles aufgegeben hatte, kam das Schreiben mit einer Wucht zurück. Für mich ein sehr schönes Erlebnis, das ich nicht missen möchte. Vorher hatte ich noch nie ein Buch geschrieben, das von mehreren Generationen handelte oder das nicht in der Jetztzeit spielt. Nicht das ich das nicht wollte, aber das wäre mir gar nie in den Sinn gekommen, weil ich die innere Freiheit dazu nicht hatte. Wer weiss, vielleicht schreibe ich als nächstes einen Fantasyroman. Ich habe irgendwie so das Gefühl, es ist alles möglich, wohingegen ich mich vorher in einem festgesteckten Rahmen bewegte. Auch dass es praktisch keine Frauenfiguren gibt, ist völlig neu für mich und ist mir zuerst aber gar nicht aufgefallen.

Lesen Sie überhaupt noch Schweizer Literatur?

Ich lese natürlich vor allem auf Englisch und habe deshalb auch nicht so viel Ahnung davon, was momentan im Literaturbetrieb in der Schweiz so los ist, aber so richtig drin war ich eigentlich sowieso nie. Schon meine ersten Bücher habe ich in Eigenverlag veröffentlicht und so war ich nie wirklich in der „Literaturszene“. Ich hatte immer das Gefühl, meinen eigenen Spielplatz zu haben. Meine ersten Bücher hatten dann auch fürchterlich schlechte Kritiken, aber irgendwie ging es dann trotzdem. Ich seh mich dennoch immer irgendwie als aussen.

Sie sagen ja, dass es zu Ihnen gehört, dass Sie schon immer Geschichten im Kopf hatten, die Sie dann aufschreiben. Wann haben Sie eigentlich damit angefangen, Geschichten zu schreiben?

Ich wuchs in einem Schriftstellerhaushalt auf, daher war es für mich nicht so besonders. Meine Mutter erzählt gerne, dass ich als Dreijährige vor mich hin gekritzelt hätte und sie mich gefragt hätte, was ich da mache. Ich antwortete: Ich schreibe ein Buch. Ein Buch über eine Preiselbeere. Ich hatte noch alte Kinderbücher meiner Mutter, zum Beispiel Die braven und die schlimmen Beeren von Ida Bohatta. Das sind so kitschige Zeichnungen von so kleinen Mädchen, die dann so riesige Röckchen haben und das hat mir gefallen. Schon ganz früh war dann für mich absolut klar, dass das Schreiben vom Lesen kommt. Ich bin eine süchtige Leserin und habe schon früh gemerkt, dass ich auch selber eine Geschichte erzählen kann und nicht darauf angewiesen bin, dass zum Beispiel noch ein zweiter Band auf das Lieblingsbuch folgt. Man kann ihn einfach selber schreiben. Als Kind habe ich dann alle meine Lieblingsbücher um- und nachgeschrieben. Mit 20 habe ich dann angefangen, längere Geschichten zu schreiben. Nach sechs Jahren erfolgloser Suche nach einem Verleger war dann mein erstes veröffentlichtes Buch Gebrochene Herzen auch bereits das vierte Manuskript. Unterdessen kann ich die ersten drei auch nicht mehr auffinden, da ich auch so oft umgezogen bin.

Was ist momentan ihr Lieblingsbuch?

Ich habe zwei absolute Lieblingsbücher. Nein, drei, die ich immer wieder lese, aber nicht aus dem neuen Programm. Das eine ist Arbeit und Struktur von Wolfgang Herrndorf, das eine ist Fremde Signale von Katharina Faber. Und dann lese ich immer wieder gern Mein Name ist Eugen von Klaus Schädelin. Das ist eigentlich ein Kinderbuch aus den 50er Jahren und widerlegt alles, was man der Schweizer Literatur so vorwirft. Es ist so schwer, so behäbig, es hat keinen Humor. Es ist eines der anarchischsten Kinderbücher, die es überhaupt gibt. Das ist super. Und das sind die drei Bücher, die ich immer wieder lese und die mehr sind als „nur Literatur“. Es ist fast so ein moralisches, spirituelles – das ist ein grosses Wort – aber ein tröstliches Gerüst, an dem ich mich festhalte.

Können sie auch Bücher mehrmals hintereinander lesen?

Ja, wenn ich sie wirklich liebe. Manchmal hat man doch sowas wie ein Gefühl, dass das Buch für einen selbst geschrieben wurde. Was ich auch wahnsinnig gerne lese, sind die Tagebücher von Max Frisch. Ich kann von Max Frisch nicht weiter entfernt sein, aber ich fühle mich ihm in seinen Reflexionen über das Schreiben total verbunden. Und denke oft: ja, genau. Ich habe das auch oft in meinen Kursen verwendet, um den Lernenden beizubringen: Hört mal, jeder hat seins, sogar Max Frisch hatte ein Tagebuch auf dem Höhepunkt seiner Karriere.

Aber Sie hatten nie Zweifel, dass die Kreativität mal nicht mehr da ist?

Doch, aber die Geschichten versiegen nicht. Natürlich habe ich immer Zweifel, ob ich die Geschichte so erzählen kann, wie sie erzählt werden will oder muss oder ob ich der Geschichte gerecht werde. Das sind immer wieder Zweifel, vor allem während ich im Prozess noch drin bin. Irgendwann kommt der Punkt, an dem ich merke, „okay, das ist es“. Take it or leave it, aber während der Arbeit – klar, da zweifelt man dauernd. Das gehört dazu.

Aber das hatten sie auch gesagt, dass Sie am Ende einen anderen Luigi hatten, als sie vorher im Kopf hatten.

Ich habe einfach Luigi als Kind kennen gelernt und ihn begleitet. Ich habe mitgefühlt, als er von einem Schulleiter missbraucht wurde und dann habe ich auch gesehen, wie er alle Hilfsangebote ausschlägt. Als mir dann klar wurde, dass er selbst seinen Sohn missbraucht, hat mir das wirklich mein Herz gebrochen. Das war völlig klar, die Geschichte muss so sein – die Geschichte kann nicht irgendwo anders durch -, aber das war wirklich schlimm für mich.

Aber Sie können das dann nicht für sich abändern?

Nein, eben das geht dann nicht. Ich muss ja die Geschichte erzählen, welche da ist. Mir ist das schon klar, dass die aus meinem Kopf kommt. Dass das meine Geschichte ist. Aber es fühlt sich wirklich so an, als wäre die Geschichte eigentlich fertig. Sie zeigt sich mir Satz für Satz für Satz für Satz, und ich bin vielleicht 2 bis 3 Sätze hintendrein, aber ich sehe nicht das Ganze. Ich kann das nicht nach meinem Geschmack verändern.

Es ist so faszinierend, wie Sie von den Figuren sprechen, als wären sie Menschen, die mit uns am Tisch sitzen könnten. Wie kommen diese Geschichten zu Ihnen?

Mit dem Schreiben sind sie da und dann ist irgendwo auch so ein Luigi dabei. Dann kommt ein Gio und dann bin ich plötzlich in den 70er Jahren. Dann muss ich denken: Okay, dann breche ich hier ab und folge den Bildern in meinem Kopf. Ich habe eine Freundin, sie ist auch Schriftstellerin. Wir reden manchmal dann über die Figuren und dann sagt sie: „Die Verenice macht mir Sorgen“, und ich sage irgendwie, „ja, der Luigi mir auch“. Wenn uns jemand zuhören würde, würde er denken: Ihr habt ja einen traurigen Freundeskreis. Verkehrt ihr nur mit Neurotikern und Kriminellen? Aber nein, das sind unsere Figuren. Das ist eben so und es lässt sich schwer erklären.

Haben Sie jetzt keine Probleme auf deutsch zu schreiben, wenn sie die ganze Zeit im englischsprachigen Raum leben?

Nein, das ist für Deutschschweizer Autoren anders. Wir schreiben sowieso schon in einer fremden Sprache. Und ich glaube: Die Autoren, die wirklich so schreiben wie sie denken und reden – für die ist das sicher schwieriger.

Wäre es für Sie demnach keine Option, ein Buch auf Schweizerdeutsch zu schreiben?

Nein, das hat mich nie interessiert.

Gibt es Informationen zum nächsten Buch? Wir haben gehört, dass es das Cover schon geben soll.

Ja, nicht mehr. Ich hab in einer Nacht und Nebelaktion den Verlag gewechselt und das Buch erscheint jetzt nicht mehr bei Nagel & Kimche, sondern bei Kein und Aber. Der neue Verlag macht einen eigenen neuen Umschlag, aber es wird in dem Stil sein.

Verraten Sie uns, worum es in dem neuen Buch gehen wird?

Es wird um den Tod gehen. Es heisst „Die Toten haben das schönste Leben“. Das Buch handelt vom mexikanischen Totenbrauch „día de los muertos“. Die meisten kennen den Brauch von James Bond, einer der Filme hat in Mexiko City mit einem Umzug mit riesigen Skeletten begonnen. Die Kultur beruht auf der Vorstellung, dass – nicht wie im Christentum, wo man erst ein guter Mensch sein muss, um in den Himmel zu kommen – nach dem Tod alles möglich sei. Das ist ein sehr weltliches Paradies. Da wird auch gegessen und Tequila getrunken und man hat Sex mit diesen Skeletten. Also mir ist es sehr fremd, aber ich finde es einfach extrem tröstlich. Das Buch ist in gewisser Weise auch eine Kulturgeschichte, weniger ein Roman.

Unterstützt ihr Freund Victor Sie dabei und erklärt Ihnen den Brauch und was dahintersteckt?

Ja, er ist auch Mitautor. Wir geben das Buch zusammen raus.

Ist es das erste Mal, dass Sie ein Buch zusammen rausgeben?

Ja, ich schreibe es und ich interviewe ihn auf englisch. Dann schreib ich das auf und lese es ihm wieder vor. Das geht hin und her und ist natürlich auch eine Vertrauensfrage.

Es ist aber schön, dass ihr Partner auch Interesse dran hat. Denn es gibt ja bestimmt auch oft Partner, die mit all den Figuren und Geschichten nicht so viel anfangen können.

Ich hatte endlich mal Glück… Späte Liebe ist sehr schön. Ich hatte auch schon andere Beziehungen, in denen das ein Problem war. Ich habe eigentlich immer aus meiner Erfahrung heraus gesagt: Es kann nur einen Künstler in einer Beziehung geben. Victor ist Künstler und es geht prima. Ich glaube, es geht mehr um die Konstellation.

Schreibt er selber auch Bücher?

Nein, er ist bildender Künstler.

Sie haben ja den Verlag gewechselt und sie haben oft darüber gesprochen, dass sie die Freiheit als Inspiration sehen, als Schaffensquelle. Verlage haben immer einen gewissen Einfluss – können die Verlage einen vielleicht zurückhalten?  

Ich darf einfach nichts über die Umstände des Verlagswechsel sagen. Aber Nagel & Kimche hat vor zwei oder drei Wochen eine Pressemitteilung herausgegeben. Den Rest kann man sich zusammen reimen, ohne das ich jetzt zu viel sage.

Wie viel wird auf Verlagsseite noch an einem Buch geändert, bis das fertige Manuskript vorliegt?

Das Lektorat ist sehr wichtig. Wie der Verlag heisst oder wo das Büro ist, das ist nicht so wichtig. Wichtig ist, wer ist mein Lektor, meine Lektorin? Das ist etwas ganz Persönliches. Bei „Land der Söhne“ etwa hatte ich den Schluss noch nicht fix und habe ihn nach dem Gespräch mit dem Lektor nochmal umgeschrieben. Zunächst habe ich mich dagegen gewehrt, aber dann habe ich gemerkt, dass er vielleicht schon recht hat. Das kann manchmal weiter gehen und manchmal weniger weit. Aber letzten Endes habe ich natürlich da auch das letzte Wort. Bei „Land der Söhne“ gab es etwa den Einwand, es sei einfacher, wenn chronologisch erzählt würde. Aber ich wollte die Geschichte so erzählen. Beim Umschlag oder beim Titel ist die Vorstellung des Verlags freilich bestimmend.

Das Interview mit Milena Moser wurde von Michelle Holz und Laura Barberio geführt.

 

Le temps d’un café avec Rinny Gremaud

C’est sous un soleil tant attendu, au bord de l’Aare, qu’humblement, Rinny Gremaud nous a accordé un entretien pour nous parler des conditions qui ont entouré la rédaction de son premier roman, Un monde en toc. De formation journalistique, elle s’expose avec sincérité et nous avoue les difficultés qu’elle a rencontrées pour passer du format de l’article à celui du roman. Elle nous raconte avec humour l’aventure qui se cache derrière les mots de son dernier roman, incisif, ironique et (trop) vrai, paru en mars 2018 aux éditions du Seuil. C’est un charmant moment d’échange et de convivialité que nous vous proposons dans cet article, à lire muni d’un capuccino.

 

Mon dernier livre, Un monde en toc, est un projet qui m’est venu en tête à la suite d’un constat : où qu’on aille, Dubaï, Casablanca, Edmonton, Kuala Lumpur, on retrouve les mêmes enseignes commerciales, les mêmes boutiques, on peut même retrouver à des milliers de kilomètres, exactement le même modèle de jeans qu’on a laissé chez soi. Du coup, je me suis interrogée sur ce qui pousse encore les gens à se déplacer ; on peut faire le tour du monde sans vraiment se sentir dépayser, ni percevoir de véritables changements visuels, ce qui crée une sorte d’absurdité du déplacement.

J’ai entrepris ce voyage avec derrière la tête le projet d’en faire un reportage comme le veut ma formation de journaliste. Évidemment, le choix de mes destinations est arbitraire, il a été régi par des contraintes de temps, d’argent, mais aussi, par la volonté de refléter une diversité climatique, économique et culturelle. L’Amérique du Nord a une culture très proche de la nôtre, tandis que pour la Malaisie, par exemple, on se retrouve plongé dans un univers culturel hétérogène, à la fois très influencé par la Chine, tout en ayant une culture musulmane. Quant à Dubaï, il me semblait essentiel d’y faire escale dans le cadre d’une étude de la « génétique commerciale ». Il y a énormément d’autres villes que j’aurais souhaité visiter, comme Mexico, mais comme je l’ai dit, j’ai dû faire des choix en fonction du temps et des moyens que j’avais à ma disposition. J’avais comme critère obligatoire la présence de méga malls, puisque j’espérais pouvoir y passer plusieurs jours sans trop m’y ennuyer. J’ai bien conscience que mes choix ne sont ni fondés ni exhaustifs, et que mon itinéraire de voyage se justifie difficilement sur le plan de la recherche.

Je suis vraiment partie en excursion avec la volonté d’en faire un reportage. Ce n’était pas prémédité que le résultat de mon expérience prenne la forme d’un roman ; c’est le résultat d’une série de hasards et d’échecs aussi. J’étais arrivée à un moment de ma vie de journaliste où j’avais l’ambition de m’essayer à des formats plus grands. Cependant, mes observations tout au long de mon voyage étaient insuffisantes pour remplir les exigences d’un vrai travail d’enquête, je ne me sentais pas de légitimité journalistique. Je tenais quand même à sauver ce projet, et c’est pour cette raison que j’ai opté pour un format qui m’accordait plus de liberté. Enfin, ça c’est une des raisons que j’invoque lorsqu’on me demande pourquoi un roman. A vrai dire, je ne pense pas que le récit de ce voyage-là, sans regard subjectif pour le cadrer, intéresserait grand monde. Le sujet traité s’accommode bien d’une voix personnelle. C’est un travail sur l’ennui, sur la laideur et sur la monotonie du paysage ; si je me cache derrière un regard distant et objectif, le traitement du sujet en devient désagréable et il est probable que personne ne le lise. J’ai ressenti le besoin de m’investir, et de donner au lecteur ce que je voulais qu’il voie.

Toutes les rencontres que j’ai couchées sur papier m’ont marquée, c’est un grand travail de deuil de faire le tri entre ce qui aura sa place dans le roman et ce qui sera laissé de côté. Je fonctionne un peu comme un chasse-neige, je récolte tout ce que je peux, et je fais le tri par la suite. Je ne prends pas de notes pendant le voyage, seulement des mots-clés, illisibles pour quelqu’un d’autre que moi. J’utilise énormément la photographie, mais ce sont de vilaines photos qui ne sont pas destinées à être montrées, elles servent à me rappeler seulement ce que je voulais montrer, mais aussi l’état d’esprit dans lequel j’étais lorsque j’ai pris le cliché. On ne peut pas prévoir ce sur quoi on va tomber ; il y a des rencontres qui ne m’ont servi à rien, et d’autres qui étaient vraiment inattendues et extraordinaires. Il y a des portraits d’entrepreneurs que je n’ai pas fait, de peur qu’ils ressemblent trop à d’autres portraits, je voulais éviter des redites. Aussi, je crois au pouvoir de fiction du monde réel, j’aime le hasard, ne pas savoir ce qu’on va rencontrer sur sa route, comme cette découverte improbable d’une femme qui passait sa vie entière dans les malls. C’était inespéré, on pourrait écrire un livre uniquement sur le vide intersidéral de sa vie. Il y a des récits potentiels partout.

Avec le choix du titre on pourrait s’attendre à une violente critique du système capitaliste, et il donne d’emblée une couleur au livre, une clé de lecture. Ce n’était pas mon intention, je n’avais qu’un titre de travail lorsque je l’ai envoyé à mon éditeur, c’était « Centres commerciaux ». Sa première suggestion lors des premières phases de relecture a été de le renommer « malls ». Puis, dans un troisième temps, il a extrait le titre final d’un passage du livre, du dialogue que j’entretiens avec un touriste chinois dans l’avion. J’ai fait un gros effort pour ne pas avoir un regard surplombant, je ne voulais pas d’un discours dénonciateur et hautain. Ça ne collerait pas avec ce que je suis au fond ; j’ai de l’empathie pour les gens et non pas du mépris, même pour des personnes qui sont à des années-lumière de mes valeurs, je ne ressens pas l’envie de les juger. J’ai consciemment fait en sorte de respecter ce que je voyais et garder une forme d’objectivité. C’est important pour moi de conserver un regard critique non seulement sur ce que je vois, mais sur moi-même aussi, qui suis-je pour juger ? Ensuite, concernant les touristes, on retrouve dans le roman quelques passages où je les juge, notamment à Bangkok, mais dans ce cas-ci je me permets de les juger car ils viennent du même univers culturel que moi, et partagent les mêmes valeurs. Dans le cas des touristes chinois, il y a une barrière culturelle qui m’empêche de tout saisir de leurs coutumes, je dois appliquer un relativisme culturel. La seule exception était Dubaï, je le dis dans mon livre, je n’ai personnellement aucune empathie pour cette ville ni pour ses touristes.

Les décalages horaires étaient violents, les flottements et moments d’apesanteur décrits dans le roman découlent de cet état de fatigue. Ça m’a rappelé ces longs moments d’attentes dans la nuit pendant mon adolescence, ces états de fatigue qu’on a tous déjà connu. J’ai évolué comme l’œil d’une caméra, sans être investie dans la vie des gens que je rencontrais, j’observais simplement leur quotidien sans m’y ancrer. J’avoue qu’une chose que j’aime particulièrement dans le voyage c’est disparaître, m’évincer de ma vie quotidienne, fuir, ne plus avoir à paraître. La vie quotidienne me pèse, dans le sens où il y a sans cesse une tâche dans laquelle s’investir. L’apparence est très pesante aussi, cette espèce de devoir social de conversation. Même si toutes ces choses sont plutôt agréables, je ressens le besoin de m’en échapper parfois. C’était un voyage produit de la fuite, de la mélancolie, un voyage de tradition romantique, qui consiste à se perdre, à mourir un peu.

Je sais désormais qu’un livre ne s’écrit pas d’une traite, j’ai renoncé au fantasme qu’on pouvait plonger dans un projet et voir les pages défiler avec fluidité. Mon voyage date de 2014 et le roman n’est paru qu’en mars 2018 ; ça représente un processus de 4 ans dans son ensemble. La première version écrite est restée en suspens, puis sont venues ma démission et ma grossesse qui s’est avérée très prenante. Pour finir, je n’en pouvais plus de traîner ce livre derrière moi, je suis parvenue à dégager du temps pour le mener à bien. Puis c’était rapide entre le moment où le livre est arrivé dans les mains de l’éditeur et le moment où il l’a publié. Ecrire un livre a été une aventure pour moi, je me retrouve plongée dans un univers qui détonne complétement du monde journalistique auquel je suis habituée. En plus, j’avais l’impression, avant de tenter l’expérience moi-même, que les personnes qui écrivaient des livres avaient un grand égo, qu’il y avait une quête de prestige derrière toute publication. Je me suis rendu compte que si je l’ai fait, c’est surtout pour tenter quelque chose de nouveau. Grâce à mon roman j’ai fait de très belles rencontres et découvertes, j’ai fait des tournées de lectures en Slovaquie, par exemple, dans des classes de filles qui apprennent le français. Au moment où le livre est lu, il prend de la valeur. Me lancer dans le roman aura vraiment été une expérience formidable. Je suis vraiment surprise en bien des nouveaux horizons que j’ai découverts, mais on appuie ses fictions sur des expériences vécues, et pour avoir de la matière à traiter, il faut d’abord oser se sortir de sa zone de confort.

 

Déborah Badoux

Weil Hirne wie Tauben sind

Matto Kämpf kennt man witzig und makaber. Der Berner Oberländer, der Märli-Onkel. Auch in seinem neusten Buch Tante Leguan ist der Humor spitzig, kitzelt also, wenn er sanft streicht und schmerzt bei jedem Stich. In Solothurn liest er aus seinem Roman und plaudert mit der Schriftstellerin Milena Moser. Das Kamishibai-Theater bebildert eines seiner Kinderbücher, und dann muss er sich auch noch ein Interview gefallen lassen. Er spricht über Humor, Tod und wieso seine Werke sind, wie sie sind. 

Ich hab Sie gestern beim SRF-Gespräch mit Milena Moser im Publikum gesichtet. Für heute war ein Schriftsteller-Dialog mit Ihnen geplant. Wollten Sie Ihr Gegenüber vorab ausspionieren?

Nein, aber ich habe gedacht, ich erfahre vielleicht noch etwas über das Buch. Man hat ja schon die Angst, dass so ein Gespräch komplett abstürzt. Dann hätte ich auf etwas zurückgreifen können.

Für das Gespräch sind Sie ja einander zugewiesen worden. Hat das funktioniert?

Es war angenehm, ich finde das Buch wirklich sehr gut. Sie ist routiniert darin, auf der Bühne über ihre Bücher zu reden und den Leuten zu erklären, wie sie denn schreibt. Daher eine angenehme Bühnenpartnerin.

Zu Beginn haben Sie aus Mosers Buch Land der Söhne und Moser aus Ihrem Buch Tante Leguan gelesen. Haben Sie in Ihrem Text etwas Neues gefunden durch die Weise, wie er von Moser gelesen wurde? Vielleicht ein wenig dem Text entgegen gelesen?

Man kann sich nicht vorstellen, wie Leute den Text lesen. Als ob er nicht von einem selber wäre. Man fragt sich: Ist das jetzt gut – oder schlecht? Es wird spontan ganz anders betont. Ich habe nach zwei-, dreimal lesen so einen Duktus, der bei allen Lesungen identisch bleibt. Heute dachte ich: Ah shit, Leute lesen es ja doch anders.

Als Erzähler haben Sie doch eine einprägsame Stimme. Wie war es, damit einen fremden Text zu lesen?

Ich hatte den Text am Nachmittag schon geübt – also nicht laut. Ich wollte ihn nicht in meinen Stil übertragen, nicht so lustig, so quirlig. Eher wie ein Schauspieler im Radio, sachdienlich gut lesen.

Zitate der Verlagswebsite. Kanton Afrika: «Ein erstaunlich langer Text von Matto Kämpf – fast schon Literatur.» Heute Ruhetag: «Ein erstaunlich dickes Buch von Matto Kämpf – fast schon ein Klassiker!» Jetzt also Tante Leguan, 152 Seiten, schon wieder ein Quasi-Epos. Schieben Sie bald die ruhige Kugel bei den Romanciers?

Das ist schon das Maximum. Satire erschöpft sich doch schnell mal und man hat verstanden, worum es geht. Man kann sie wegschicken und Kreise machen lassen, aber irgendwann ist dann auch gut. Es gibt Bücher, wie bei Moser, die könnte ich nie schreiben – unmöglich. Vielleicht müsste ich zu vier Jahren Haft verurteilt werden. Wenn ich frei bekommen würde und keine Mini-Kühe basteln müsste, dann vielleicht einen Berner-Oberland-Roman über 27 Generationen.

Sie schreiben Postkarten, Kinderbücher, Kolumnen, Erzählungen, machen Spoken-Word bis Film, Musik und Comedy. Wie entscheiden Sie sich für eine Form?

Ich bin so ein Ideenkünstler. Ein Dokument in meinem Compi, das heisst Lager, in das kommt alles rein. Ideen, Sätze, Situationen, Dialogstellen, Dialoge. Die haben erst noch keine Funktion. Und wenn ich mir etwas vornehme, schaue ich das durch und denke, dass der Satz doch die Lena sagen könnte. Meist ist es ein freies Sammeln, wenn ich unterwegs bin. Aber nur vor dem Compi kommt nichts, höchstens ein besseres Adjektiv. Und sobald man im Bus ist, einkaufen geht oder auf dem Weg zum Altglascontainer, dann passiert etwas. Das Hirn braucht Futter wie Tauben.

Viele Ihrer Ideen schöpfen Sie aus einem Fundus aus Sagen, Märli, auch geschichtlichen Ereignissen. Kennen Sie die einfach, oder wo sammeln Sie die ein?

Sagen und Märli sind eine faszinierende Form, um zu erfinden. Das hat etwas Altehrwührdiges, das in Stein gemeisselt ist. Ich behaupte dann, ein grosses Murmeli hat im Berner Oberland die Welt erschaffen. Ein grosses Gebiet sind auch die alten griechischen Sagen, die hab ich nie nachgelesen, aber die höre ich viel. Zum Abwaschen griechische Sagen.

Dem steht Tante Leguan mit einer beinahe schon alltäglichen Handlung entgegen. Wieso das?

Erst war da die Idee dieses Mittdreissiger-Gefühls. Dann hab ich plötzlich die drei Journalisten vor mir gesehen. Die reden über Sachen, die sie gesehen haben, ob sie es scheisse finden oder nicht. Ein lustiges Thema, aber eigentlich geht es mehr um den Groove. Alle, die über das Buch reden, sind Kulturjournalisten. Die fragen, wo mein Problem sei und bestehen darauf, dass es gar nicht so sei. Die drei könnten aber auch an einem anderen Ort arbeiten und wären genau gleich. Halbbatzig Schule geben oder schlechte, halbbeliebte Dozenten.

Zitat aus Tante Leguan: „faul, zynisch, melancholisch und scharfsinnig. – Wie wir.“ Sie mit Mitte dreissig?

Jaja, es ist doch einfach ein Groove, den man zelebriert. Viele Freunde haben mittlerweile seriöse Berufe und Familie, aber sobald man abends mit Bier auf dem Balkon sitzt, fällt man in diesen Groove zurück. Man schimpft über Politiker und findet eigentlich alles scheisse. Wie früher.

Auch bei Ihren Vortragsarten kann man von wirtschaftlicher Diversifikation sprechen. Diashow, Fake-Radiosendung, mit Musik und Film, heute auch als Bildtheater. Sind Wasserglaslesungen fade?

Jein. Bei Lesungen, wie in einer Kantonsbibliothek mit Neonlicht und ohne Bühnencharme, hatte ich nach einer halben Stunde oft das Gefühl, dass ich jetzt wieder nach Hause verschwinden möchte. Aber im Vertrag steht dann halt 60 Minuten. Und dann fand ich es super, einfach nach einer halben, dreiviertel Stunde das Licht auszuschalten und so Bilder anzuschauen. Dann kucken die Leute mich nicht mehr so an. So habe ich dann die erste Diashow-Lesung erfunden.
Früher, als ich vielleicht 20 war, konnte die meisten Autoren nur sehr schlecht lesen. Das war überhaupt kein Kriterium. Bei einer Max Frisch-Buchtaufe hat er irgendwie zehn Minuten gelesen, dann redete er noch sehr lange mit dem Verleger und dann gab’s Apéro. Heute liest man länger und besser, routinierter, weil es ein wichtiger Teil geworden ist.

Bei einer Diashow zeigen Sie ausgestopfte Giraffen, hobbymässig von Ihrem Vater. Nächstes Dia: Leichenkeller, auch vom Vater ausgestopft. Gibt es etwas, worüber Sie nur ernst schreiben würden?

Nein. Ich würde über etwas Ernstes schreiben. Es gibt nichts Lustigeres als den Tod. Ein grosser Erzeuger von Komik. Nicht, dass es lustig ist zu sterben, aber eine Beerdigung ist ja voller Komik. Alles so erhaben, wie man sich benimmt. Das hat so etwas Hilfloses im Verhalten. Man kann über alles mit Humor schreiben.

Und was ist so reizvoll am Humor?

Darunter liegt vielleicht eine Art Sinnsuche. An Konzepte von Lebenssinn oder Religion glaube ich nicht, aber wenn man eine amüsierte Grundstimmung hat, ist man doch einfach glücklich und zufrieden. Wenn mir etwas Lustiges in den Sinn kommt, bin ich wieder versöhnt mit der Welt.
Als ich vielleicht 17 war, lief Monty Python schon in der x-ten Wiederholung. Die haben eine 20-minütige Show gemacht, auf ORF mit deutschen Untertiteln. Jede Woche habe ich die gekuckt. Wenn man Kunst machen will, dachte ich, dann so. Lustig, aber auch absurd. Sketche hören mittendrin auf, dann kommt was komplett anderes, und wenn ihnen nichts mehr einfällt, fällt von oben ein grosses Gewicht herunter. So wollte ich Kunst auch machen; wenn schon.

Wie Monty Python arbeiten auch sie viel mit anderen. Als Die Eltern, als Gebirgspoeten. Unterscheidet es sich stark vom Arbeiten alleine?

Bei Gebirgspoeten sitzen wir alle zusammen vor einem Laptop, damit man nicht alleine zuhause rumsitzt. Es ist lustig, wie man auf andere Ideen kommt. Man schreibt was, das dann jemand falsch versteht. Auch schon Zugfahren ist alleine langweilig. So hat man Treffpunkt Bahnhof Bern und fährt irgendwo gemeinsam hin. Ist sozial einfach interessanter.

Also auch ein wenig wie Ihre drei Charaktere in Tante Leguan

Ein lustiges Reisegrüppli.

Wenn die drei hier sässen, würden Sie ihnen etwas raten?

Ob sie noch ein Bier wollen. Die wären in irgendeinem Sofa versunken, abgesunken. Am Rauchen und Tapas bestellen.

Abschlussfrage: Was ist der letzte Satzfetzen, der Ihnen geblieben ist, den Sie behalten haben?

Grad heute hat Milena Moser gesagt, mit meinem Buch hätte sie drei lustige Abende gehabt. Als ich darauf antworten wollte, haben Sie grade mein Mikrofon stumm geschaltet. Den Satz schreib ich mir noch auf, als kleines Bonmot:

Immer wenn man lacht, will man sich doch einfach kurz nicht umbringen.

 

 

Autorenfoto; (c) Der gesunde Menschenversand GmbH (ohne Sprechblase).

Worte wider die Vergänglichkeit

Im Gespräch mit dem Schweizer Buchjahr erzählt Schriftsteller Rolf Hermann von der produktiven Kraft seiner Todesphobie, dem zwiespältigen Begriff der Heimat und der fragilen Grenze zwischen Realität und Fiktion.

In Deinem Prosadebüt Flüchtiges Zuhause versammelst Du Erzählungen rund um das Aufwachsen im Wallis. Das Wallis erscheint dabei immer wieder als Fixpunkt, als das heimelig Vertraute. Ist Flüchtiges Zuhause etwa ein Heimatroman?

„Heimatroman“ ist ein schwieriger Begriff. Ich würde sagen, es ist ein Herkunftstext, oder vielmehr ein Band, der Erzählungen zu Dingen versammelt, die mir sehr vertraut sind. Das Konzept „Heimat“ ist politisch aufgeladen. Ich hoffe, den Begriff mit meinen Erzählungen aus der unschönen Ecke herausziehen zu können, die Heimat als etwas Ausgrenzendes konzipiert. Ich halte es für absurd, diesen Begriff als Argument für das Ziehen von Grenzen in der politischen Debatte anzuführen. Für mich steht Heimat für etwas Grenzüberschreitendes, Pluralistisches. Vielleicht wäre es ohnehin sinnvoll, den Begriff der „Heimat“ mit dem Plural „Heimaten“ zu ersetzen. Ich selber habe mehrere Heimaten und die sind alle offen und laden Menschen zum Verweilen ein.

Bereits der Titel Deines Erzählbandes verweist auf das Flüchtige, sich Auflösende. Welche Rolle spielt das Motiv der Vergänglichkeit für Dein literarisches Schaffen?

Die Vergänglichkeit ist für mich ein wichtiger Impetus fürs Schreiben. Mit den Worten, mit dem Schreiben versuche ich diesem unaufhaltsamen Prozess etwas entgegenzusetzen. In meinen Texten kommen immer wieder Figuren vor, die von Menschen inspiriert wurden, die mir nahestehen oder nahegestanden sind. Durch meine Texte kann ich diesen Menschen ein längeres Leben verleihen und ihnen in einer unglaublichen Intensität nahekommen – auch wenn sie bereits verschwunden sind.

Wird das Schreiben als Versuch, der Erosion durch die Zeit etwas entgegenzusetzen, in Deinem Erzählband nicht auch demontiert in der Figur der Grossmutter? Grossmutter hängt das Schreiben mit dem Alter schliesslich an den Nagel, weil sie ihre eigene zittrige Schrift nicht mehr lesen kann. Wie endet dieses Kräftemessen zwischen Zeit und Literatur?

Das Schöne ist ja, dass die bereits geschriebenen Gedichte der Grossmutter bleiben und dass so in ihnen auch die Stimme der Grossmutter weiterlebt. Der Schreibprozess kommt unweigerlich irgendwann zu einem Ende, das Geschriebene aber überdauert – so ist zumindest meine Hoffnung.

Zurück zur Flüchtigkeit: Wie kann Flüchtigkeit literarisch eingefangen werden?

Ich versuche die Flüchtigkeit in meiner Literatur nicht zu benenne, sondern heraufzubeschwören. Zum Beispiel, indem ich eine Autofahrt beschreibe, in der man Dinge vorbeiflackern sieht. Sie leuchten auf und verschwinden sogleich wieder. Ein anderes Instrument, das ich einsetze, sind Zeitsprünge, welche den Alterungsprozess der Figuren sichtbar machen. Du hast das Gefühl, gestern noch hättest du im Juniorenteam Fussball gespielt – dabei liegt das schon dreissig Jahre zurück. Seitdem ich Vater bin, ist auch die eigene Kindheit wieder präsenter geworden – manchmal sogar beinahe physisch fassbar. Diese Momente wollte ich festhalten und schauen, was das mit mir macht.

Also schreibst Du auch in erster Linie für Dich selbst und gar nicht unbedingt für ein Publikum?

Nein, ich schreibe immer mit dem Gedanken an ein Publikum. Ich will, dass die Leute meine Texte lesen und sich darin zum Teil wiedererkennen können. Literatur soll einen Moment des Berührtseins herstellen. Schreiben nur für mich, das scheint mir undenkbar. Dass ich aber Sätze bewusst umformuliere, um den Erwartungen des Publikums gerecht zu werden, kommt nicht vor. Vielmehr versuche ich der Geschichte, die erzählt werden will, gerecht zu werden.

Um noch einmal auf das zentrale Motiv der Vergänglichkeit zu sprechen zu kommen: Woher rührt Deine intensive Beschäftigung mit dem sich Verflüchtigenden?

Aufgrund eines Schreibstipendiums wohnte ich während drei Monaten auf dem Tübinger Stadtfriedhof, im ehemaligen Friedhofswärterhäuschen. Dort war ich quasi permanent von Toten umzingelt, was prägend war. Die Thematik der Vergänglichkeit beschäftigt mich aber bereits viel länger: Seit ich fünf oder sechs Jahre alt bin, habe ich eine Art Todesphobie. Die Einsicht, dass alle Dinge endlich sind, ist für mich manchmal kaum auszuhalten.

Trotz diesem düsteren Aspekt der Vergänglichkeit, wird in Flüchtiges Zuhause aber auch ein unglaublich idyllisches Familienleben geschildert. Soll das die Leser*innen gar etwas neidisch machen?

Nein, überhaupt nicht. Ich hatte einfach das Glück, inmitten einer lieben Familie aufzuwachsen. Trotzdem gibt es in den vorliegenden Erzählungen Stellen, die schwierige, ungerechte Dinge leise problematisieren – etwa die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Meine Grossmutter hat feministische Manifeste gelesen und über Jahre hinweg das Fehlen des Frauenstimmrechts angeprangert. Nicht plakativ, aber immer wieder möchte ich solche Momente in meinen Erzählungen spürbar machen.

Die Grossmutter hat ja auch immer eine Sehnsucht nach der weiten Welt ausserhalb des Dorfes. Hat die Beschaulichkeit eines Bergdorfes bisweilen etwas Beengendes?

Für mich hatte sie das nicht, obwohl man im Wallis der 70er Jahre relativ abgeschlossen von der Aussenwelt war. Aber in diesem kleinen, von Bergen umschlossenen Raum war immer auch die Möglichkeit einer anderen Welt präsent: Ich bin direkt an der Sprachgrenze aufgewachsen. Nach einer Autofahrt von zehn Minuten haben die Leute französisch gesprochen und in diesen Stimmen rückte plötzlich sogar Paris ganz nahe.

Du selbst bist zum Studium nach Iowa gegangen, aber dann auch wieder zurückgekehrt – unter anderem sogar auf die Alm, um Schafe zu hüten.

Ja, das war ein völlig verrücktes Unterfangen damals, dieses Pendeln zwischen den Welten. Die Schafe waren wieder bei ihren Besitzern im Tal und zwei Tage später flog ich nach Iowa. Und dort wurde mir bewusst, dass einem eine Landschaft tatsächlich auch physisch fehlen kann. Iowa ist völlig flach. Diese Bewegung des steilen Hinauf- und Hinuntergehens, das ich als Schafhirt täglich stundenlang getan hatte, hat mir in Iowa gefehlt. Ich war glücklich, als ich dann etwas ausserhalb der Ortschaft, wo ich damals wohnte, einen kleinen Staudamm entdeckte, den ich von Zeit zu Zeit erklimmen konnte.

Der Erzählband macht ja auch das sinnlich Erfahrbare sehr stark: Als Leser*in sieht man etwa das Bergpanorama ganz plastisch vor sich.

Ja, diese visuelle Komponente ist mir wichtig. Ich versuche mit Worten einen Raum erfahrbar zu machen. Wenn meine Hörer*innen mich nach einer Lesung ansprechen und erzählen, dass sie das Gefühl hatten, direkt mit mir durch die Berge zu gehen, freut mich das enorm. Beim Schreiben versuche ich mich so genau zu erinnern, dass ich das Gefühl habe, ich könnte mich mit geschlossenen Augen durch die beschriebene Landschaft bewegen.

Du schreibst ja unter anderem auch Spoken Word Texte. Wie unterscheiden sich diese von Deinen Texten im vorliegenden Erzählband?

Der Unterschied liegt primär in der Länge. Ausserdem erscheinen meine Spoken Word Texte immer in einer zweisprachigen Fassung. Einerseits auf Walliserdeutsch, andererseits auf Hochdeutsch. Auch Leute, die das Walliserdeutsch nicht sprechen, sollen so einen Zugang dazu erhalten. Die Herausforderung ist aber unabhängig vom Genre immer dieselbe: Wie kann ich einen emotionalen Kurzschluss zwischen Text und Leser*innen herstellen?

Flüchtiges Zuhause enthält ja durchaus sehr autobiographische Einflüsse. Während der Lesung hier in Solothurn, im Landhaussaal, wurde das ja bereits angesprochen. Du hast aber auch betont, dass es immer ein fiktionales Element gebe. Wie spielt das ineinander hinein?

Man kann bei meinen Erzählungen nie genau sagen, was erfunden ist und was sich wirklich zugetragen hat. Ich habe beim Schreiben auch plötzlich gemerkt, dass das eigentlich gar keine Rolle spielt. Hin und wieder bin ich geliebten Menschen in der Fiktion näher gekommen, als es mir in der Realität möglich war. Das Schreiben bot mir auch die Möglichkeit, mich von Menschen, die ich geliebt habe und die bereits verschwunden sind, noch einmal zu verabschieden. So lande ich automatisch in der Fiktion. Und in dieser Fiktion entsteht für mich auch jene Nähe, die vielleicht unter die Haut geht.