Geschichten aus dem Holzkoffer

Bunte Buchstaben hängen gross in der Luft, Kissen, Märchenbücher und Malstifte bedecken kaleidoskopartig die niedrigen Tischchen im Raum, der von einem diffusen Gelächter durchflutet wird. Im zweiten Stockwerk des JuKiLiversum der Literaturtage Buchhandlung findet sich inmitten literarischer Hektik eine wundersame Oase. Hier wird keine Ernsthaftigkeit gepriesen, keine Textstelle minutiös betont oder analysiert – es ist ein Ort, an dem der ursprünglichste Teil des Menschen sein zuhause findet. Ein Ort für Kinder.

«Lueg, do chasch anesitze und Geschichtli lose», nimmt die Kinderhortleiterin einen kleinen Jungen zur Hand und weist zur winzigen Bühne, auf der ein Holzkoffer steht.

«Wötsch anesitze?», fragt sie ihn. 

Im nahezu vergessenen klassischen Lagerfeuerstil wird hier Mira Gysis Geschichte Die Geiss, die alles weiss von der Leseanimatorin Franziska Honegger präsentiert und zwar mittels eines Kamishibai-Bildtheaters. Das japanische Kompositum aus kami (dt.: Papier) und shibai (dt.: Schauspiel) bezeichnet ein traditionell japanisches Papiertheater in einem Holzkoffer.

Vor der kleinen Theateraufführung teilt Franziska Honegger den Kindern kleine Stoffsäckchen aus, in die sie hineingreifen müssen, um die Protagonisten des Theaterstücks zu befühlen. Hineingucken gilt nicht.  Ein Gummitier mit einem langen Fortsatz. Es sind kleine Mäuse! Grossäugig blicken die Kinder auf die Bühne, als schon das nächste Säckchen verteilt wird. Eine Geschichte, in der die Figuren wahrhaftig spürbar werden.

Die Protagonisten stehen fest – «Muus, Schneck, Geiss, Chatz». Die Geiss (Ziege) ist die wichtigste Figur. Es ist die Geiss, die alles weiss. Ein Dutzend Bilder erzählen von ihrer Entdeckungsreise auf dem Bauernhof, während Honegger den Papierfiguren ihre Stimme leiht. Die Geschichte ist durchwegs interaktiv gestaltet, fortwährend schlüpft Honegger aus ihrer Erzählerrolle und durchbricht die illusorische Geschlossenheit eines klassischen Theaterstücks. Freilich existiert nur eine einzige Wand, die Wand auf der die Szenen Bild für Bild ersetzt werden. Zu jedem Bild werden die Kinder gefragt, was sie auf der Miniaturbühne sehen.

(Franziska Honegger mitten in ihrer Performanz)

«Chäs-chatz», ruft plötzlich ein blondlockiges Mädchen in der vordersten Reihe. Die Eltern im Hintergrund lachen auf.

Zum Schluss öffnet Honegger einen braunen Flechtkorb und reicht den Kindern kleine, mit Laken überdeckte Tupperwaredosen mit Lebensmitteln aus dem Bauernhof. Was die Kleinen genau erschnuppert haben, das fragt man sie am besten selbst. Im Kamishibai-Bildtheater, zweiter Stockwerk des JuKiLiversum der Literaturtage Buchhandlung…

Literarisches Flanieren: Kurzlesung von Arno Camenisch

Ein kurzer Schreckmoment erfasst das Publikum als Arno Camenisch schon nach der Hälfte der Zeit verschmitzt und in schönstem Bündnerdeutsch verkündet, wer wissen wolle, wie es nun mit den beiden „Philosophen im Schnee“, Georg und Paul, weitergeht, müsse sich eben sein Buch kaufen. Es sei ja schliesslich bald wieder Weihnachten. Und ich komme nicht umhin, ihm beipflichten: Es ist auch wirklich lesenswert, hörenswert aber noch vielmehr, was die beiden Liftwarte einander vom Pfarrerssohn, gesegneten Skiern und ausbleibendem Schnee zu erzählen haben. Gesegnete Skier? „Miar machend das so.“

Dann macht Camenisch zur Freude der Zuschauer_innen das, was er am besten kann und trägt einen seiner Spoken-Word-Texte auf Deutsch und Rumantsch vor, in dem er Ilanz – oder Glion – kurzerhand zum Zentrum der Welt macht. Auf der Bühne kommt der dichte Sog der rhythmischen Sprache zu seiner vollen Entfaltung. Das erklärt vielleicht auch, warum die Meinungen über sein Buch unter uns Studierenden weit auseinandergingen. Mit seiner Stimme im Ohr liest sich Der letzte Schnee ganz anders.

Wie es denn wäre

Es ist sehr heiss im übervollen Theatersaal und Thilo Krause erzählt vom Sommer. Er berichtet von überreifen Brombeeren – schwarz und schimmlig, von Kindern, die im Freien spielen – durstig und trunken zugleich. Und er nimmt uns mit nach Sardinien, wo er jedes Jahr für einige Monate mit seiner Familie wohne und in ein anderes Leben hineinschnuppere: Wie es denn wäre. Das sardische Meer sei ein geträumtes, heisst es in einem Gedicht, mehr abwesend als anwesend. Es zeige sich in den Anzeichen von Sturm, erscheine in den Spiegeln des Ferienhauses. Von der Fülle, die auf ein bevorstehendes Gewitter verweisen kann, berichten andere Gedichte. Da ist zum Beispiel das Glas, voll mit Milch. Und die Kinder, die eine Sprache sprechen, die sie später nicht mehr verstehen werden, stehen in der Fülle, am Anfang des Lebens.

Thilo Krause verweist auf den Lyriker William Carlos Williams, der in seinen Gedichten von den Dingen spreche und den Alltag auffange. Auch er brauche die Dinge, um eine Welt zu evozieren. Die Dinge, die viel beständiger seien als wir, nehmen uns bei sich auf. Wie der alte Plüschhund, den Krause als kleines Kind geschenkt erhalten hat und jetzt genauso konform im Bett seines Kindes liege, wie früher in seinem. Als wären die Zeit und das Alter an ihm vorbeigegangen.

Auf den Plätzen in Sardinien fand sich Thilo Krause zwischen merkwürdigen Menschen, die in ihrer Weise alle schliefen. Auch hier wird die Hitze drückend und macht träge, doch lauscht das Publikum mit grosser Aufmerksamkeit Krauses Worten: Man hätte eine Stecknadel fallen hören, meinte der Moderator am Schluss.

Z-W-E-T-S-C-H-G-E-N-K-N-Ö-D-E-L-T-A-G

Für ihren Roman Tauben fliegen auf erhielt sie 2010 sowohl den Deutschen als auch den Schweizer Buchpreis. Vor einigen Tagen gewann sie nun für ihren dritten Roman Schildkrötensoldat den ZKB-Schillerpreis. Doch Melinda Nadj Abonji ist nicht nur erfolgreiche Buchautorin, sondern auch Performancekünstlerin. Zunächst scheinen die einleitenden Klänge ihres langjährigen Bühnenpartners Jurczok 1001 ungewohnt, fast unpassend. Doch sobald Melinda Nadj Abonji zu lesen beginnt, ist man mittendrin. Die beiden Stimmen überlagern sich und schaffen einen fliessenden Übergang von der Klangkunst zur rhythmisch-lyrischen Sprache, derer sich Nadj Abonji bedient. Ihre Lesung beginnt gleich am Anfang von Schildkrötensoldat, bei Zoltán Kertész, einem jungen Mann aus einem Dorf im heutigen Serbien. Es ist die Region, aus der die Autorin selbst stammt.  Der Roman wird nicht nur mehrstimmig vorgetragen, er ist es auch selbst. Die Perspektiven von Zoltán und seiner Cousine Anna, die in der Schweiz lebt, wechseln sich ab. Erzählt Ersterer auf eine sinnlich-poetische Weise, wirkt Letztere eher analytisch.

Zoltán erzählt vom Zwetschgenknödeltag, dem Tag, an dem er in voller Fahrt vom Motorrad seines Vaters fiel. Der Tag, an dem er zum ersten Mal das sogenannte „Schläfenflattern“ hatte. „Der Anfang vom Ende“, so sein Vater, der ihn seine Enttäuschung  deutlich spüren lässt.
Dann steht Anna in Jugoslawien an Zoltáns Grab. Sie möchte nicht bemitleiden, sie möchte verstehen. Und sie möchte wissen, wann sein Sterben begonnen habe.
War es, als Zoltáns Eltern ihn während des Jugoslawienkriegs zur Armee schickten, um „zu einem richtigen Mann“ zu werden? War es in der Kasernenküche, wo Zoltán dem Spott der Kameraden ausgeliefert ist? War es die Vorstellung des Kriegs selbst? Oder die ihn umgebende „Militarisierung der Köpfe“, auf die Melinda Nadj Abonji vergangenen Freitag am Podium Balkan-Kriege – wie geht die Literatur damit um? bereits angesprochen hatte?
„Das Schlachten und Zerstören und Töten wird uns in die Wiege gelegt, in unser Hirn gesät, bevor wir überhaupt denken können.“, so Jenő, Zoltáns einziger Freund.

Jurczoks Klänge vermischen sich mit Melinda Nadj Abonjis Stimme, die beiden Medien überlagern sich, was eine gewisse Sogwirkung erzeugt, eine Atmosphäre, die nicht erlaubt, wegzuhören. Die Mehrstimmigkeit steht in eindrücklichem Kontrast zum Verstummen des Protagonisten in der Handlung und unterstützt zugleich die lyrische Ausdrucksweise seiner Gedanken.

Was man hier gesehen hat, war nicht nur eine Lesung, sondern eine Performance zweier Künstler, welche dem Roman nicht nur gerecht wird, sondern ihn um entscheidende Facetten bereichert. Zoltáns Konservierung der Sprache in lyrisch-rhythmischen Ausdrücken wird auf eine neue Ebene geführt. Wo die Ausdrücke begrenzt sind, beginnt die Musik. Und wo die Sprache verstummt, bleibt der Klang zurück.

L’idée du bureau vide

Janvier. Un mois, froid, enneigé. Mais c’est à la fois le titre du nouveau roman de Julien Bouissoux et le nom du caractère principal.

Bouissoux débute avec une discussion, avant de nous lire un extrait de son ouvrage. Tout au début, la modératrice, Nathalie Garbely, nous raconte qu’elle a trouvé le roman extraordinaire et que, dès les premières lignes, elle était prête à se laisser emmener n’importe où.

Le public lui aussi est-il prêt à ça? Il semble que oui, d’après les visages intrigués, les sourires bienveillants. On verra bien. Il faut d’abord qu’il nous raconte de quoi il s’agit.

Le roman parle d’un homme, Janvier, qui a été oublié dans son bureau. Comme il reçoit toujours de l’argent, il se rend encore tous les jours sur son lieu de travail. Il vient pour arroser ses plantes, pour lire quelques journaux. C’est donc un roman qui a comme thème l’absurdité du héros. Même si c’est là un thème bien connu, Bouissoux trouve les moyens de le retravailler et de lui donner un nouveau visage. L’inutilité, l’oubli – Janvier les incarne parfaitement. Mais il prend de plus en plus de libertés dans son quotidien. Il fait ce qu’il aime: rien de spécial en vérité.

Avec une voix chaleureuse, très agréable à écouter, Bouissoux nous lit un extrait de son roman. Très fluide, un peu timide. Il demande au public si on l’entend, malgré sa „voix qui porte pas tellement“. Oui, tout le monde l’entend. Mieux qu’il le pense. On l’entend, on l’écoute avec un grand plaisir.

Lorsque on lui demande comment le processus d’écriture se passe chez lui, il répond que le début est souvent violent. Mais après un moment, une routine et des moments sympas s’installent. „Dans une bonne journée, j’écris quatre pages. Pas plus. C’est du jus de cerveau, après il y en a plus.“ En plus, Bouissoux s’est détaché de l’obligation de toujours écrire dans son bureau : il aime même l’idée que celui-ci reste vide. Tout en contraste avec Janvier.

Quand l’entretien touche à sa fin, une dame demande s’il ne pourrait pas encore nous lire un extrait, parce qu’elle trouve que le texte est vraiment beau. On est d’accord.

Ein ruhiges Fliessen

Während draussen die Aare gelassen vor sich hinfliesst, machen sich drinnen im Landhaussaal sowohl Publikum wie auch der Mann der Stunde, Christian Haller, in schweizerischer Ordentlichkeit für die Lesung bereit. Fein säuberlich legt eine Frau ihr „Öpfelpütschgi“ in ein Papiertaschentuch, eine andere zupft die über den Stuhl gehängte Jacke des Vordermanns zurecht und Christian Haller öffnet seine schwarze Umhängetasche, aus der er sorgsam seinen neuen Roman Das unaufhaltsame Fliessen hervorzieht.

Nach Die verborgenen Ufer ist dies der zweite Teil einer geplanten Trilogie, in der Haller seinen Weg zum Schriftsteller nachzeichnet. Der Roman wirkt fast noch ordentlicher als die Vorbereitungen zur Lesung. Jeder vorgelesene Ausschnitt ist darauf ausgelegt, sein Stück zum Werdegang des Autors beizutragen. Das Fliessen hin zu seinem Ziel war trotz verschiedener Rückschläge dann eben doch unaufhaltsam.

Zunächst wäre da die Begegnung mit der Witwe des bisher zu wenig beachteten Schriftstellers Adrien Turel. Fasziniert vom anarchischen Denken, das er in den Manuskripten des Verstorbenen antrifft, beschliesst Haller, sich um dessen Nachlass zu kümmern. Durch die Beschäftigung mit den Texten kommt es bei Haller zu einer ersten ernsthaften Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften. Später wird er Zoologie studieren. Wie Haller im Gespräch mit Karin Schneuwly bekanntgibt, hatte die Naturwissenschaft und insbesondere das wissenschaftliche Schreiben einen grossen Einfluss auf seine Arbeit als Schriftsteller. Dadurch habe er gelernt, sich einfach und klar auszudrücken. Ein Schreiben, das ohne Redundanzen zum Kern der Sache vordringen soll.

Literarischen Input erhält Haller im Anschluss an ein Abendessen mit Georg Kreisler. Der bereits gestandene Künstler erklärt sich dazu bereit, Hallers Texte zu lesen und ihm ein schonungsloses Feedback zu geben. Brieflich teilt Kreisler ihm mit, dass er ihn „leider ermutigen muss“ weiterzumachen. Das Publikum lacht. Der Altmeister schafft es auch noch über seinen Tod hinaus, für Unterhaltung zu sorgen.

Schliesslich kommt Haller auf die Globuskrawalle zu sprechen. Eine Schlacht, wie Haller beschreibt, zwischen Demonstranten und Polizisten, bei der sich der angehende Autor in die Rolle des Beobachters gedrängt sieht. Anstatt nach einem Pflasterstein zu greifen, um diesen gegen die Polizisten zu schleudern, entschliesst er sich dagegen. Und das obwohl er ein guter Werfer sei. Er war sogar so gut, dass es er eine Spezialausbildung im Militär als Handgranatenwerfer machen durfte. Erneutes Lachen macht sich im Publikum breit. Doch – wen wundert’s – Haller will lieber mit Worten und Sprache um sich werfen und nicht mit Pflastersteinen.

Im anschliessenden Gespräch nimmt Karin Schneuwly eine Frage auf, die auch dem ersten Kapitel vorangestellt ist: „Wo stehe ich heute auf meinem Weg, vier Jahre nach dem Entschluss, Schriftsteller zu werden?“ Sie fragt ihn, wie er diese Frage heute beantworten würde. Er sei angekommen, ansonsten hätte er sich auch gar nicht dazu in der Lage gefühlt, eine Autobiographie zu schreiben, in der er seinen Weg zum eigenen Schaffen Revue passieren lässt. Das merkt man. Es ist die Biographie eines arrivierten Schriftstellers, der am Ende seiner Suche angelangt ist. Das Fliessen in die Schriftstellerei zeigt sich in jeder der beschriebenen Stationen. Mitgerissen wird man dabei als Leser jedoch nicht. Zu harmonisch und verklärt wirkt Hallers Blick auf seinen Werdegang. Das Lesen gleicht mehr einem sanften Treibenlassen. Das ist in Ordnung, mehr aber auch nicht.

Comme un air d’apocalypse

« Si, comme le Vésuve à Pompéi, Fessenheim avait été un volcan, c’est dans cette frénésie immobile que la nuée nous aurait tous saisis. » Les cendres auraient matérialisé l’ampleur de la radioactivité, invisible conséquence de la catastrophe nucléaire.

C’est d’une certaine manière ce qui s’est produit aujourd’hui midi, au Stadttheater de Soleure. Le programme annonçait « Thomas Flahaut – Lecture musicale ».

La solitude habituelle de la lecture a fait place à la multitude, et le silence au bruit : la voix de Thomas, la guitare d’Antoine, son frère, et les spectateurs réunis pour les écouter. Ostwald, pour l’occasion, devient Quitter Pompéi, plus poétique, plus musical dirons-nous. Les répétitions, les reprises que l’écrit a tendance à condamner y sont mises à l’honneur. La lecture de Thomas les appuie et les nuance, leur donne une dimension nouvelle, déconstruit par moments la phrase pour la reconstruire plus tard, au rythme de sa main qui – comme un chef d’orchestre – ne cesse de battre la mesure.

En plus de se matérialiser sur la scène, le texte se transforme en dialogue. La guitare s’arrête par instants et laisse résonner les mots, seuls. D’autres fois, c’est l’inverse. D’autres fois encore, les deux coexistent et composent un texte inédit, renforcé par la collaboration des mots et des notes.

Les mains d’Antoine courent sur le manche de sa guitare électrique. Elles l’abandonnent parfois un instant et s’approchent du sol, bidouillent l’une des nombreuses pédales d’effet qui jonchent les pieds du musicien, puis regagnent les cordes. Ce va-et-vient est loin d’être anodin. Mieux que ça, il est essentiel. Tantôt il mime le monde, reproduisant le hurlement de l’alarme annonçant l’évacuation de Belfort ; tantôt il construit l’espace, prend le relais de l’imagination du lecteur et figure, musicalement, l’ambiance apocalyptique d’un Est français catastrophé.

Quelques incidents techniques ponctuent la performance des frères Flahaut. La balance des volumes n’est pas optimale, des interférences venues d’on ne sait où perturbent l’uniformité du son, quelques larsens se font entendre. Thomas s’arrête, énervé, la tension est palpable. Il demande à l’ingénieur du son de faire quelque chose, reprend sa lecture ; la tension demeure. C’est alors que je me rends compte de ce qui vient de se passer. Dans le microcosme du Stadttheater de Soleure, la micro-catastrophe technique vient de reproduire, toutes proportions gardées, la catastrophe de Fessenheim. Le public est irradié et c’est dans un climat post-apocalyptique – le meilleur possible – que retentiront désormais les mots de Thomas Flahaut.

Tip topi Flip-Flop

Die grosse Menschenmenge vor der Solothurner Landhausquai-Aussenbühne lässt es vermuten: Hier ist ein Könner am Werk. Dieser Könner heisst Pedro Lenz, der beim Publikum für verdiente Begeisterung sorgt. Lenz, dieser grosse Mann, setzt sich für seine Kurzlesung nicht hin. Er steht in voller Grösse da, wohl zur Freude der Zuschauenden in den hinteren Reihen.

Er spricht in seinem Auftritt aus, was wir uns manchmal so denken – zwischen den grossen Gedanken. In seinen Passagen aus Hert am Sound menschelt es gewaltig. Angefangen bei den „Gschwelti“, die er „gschwind“ machen will, kommt er zu Crèmeschnitten. Über den Zuckerguss dieser Crèmeschnitten kommt er zu einem Radiosender, der die beste Musik spielen soll. Denn dieser Zuckerguss passe so viel besser auf Crèmeschnitten als in die immergleichen Songs auf besagtem Radiosender mit ihrem „Shalala“ und „Shake your body“.

Immer wieder kommt er mit seinen Gedankengirlanden auch auf „Tip topi Flip-Flop“. Er hat solche tip topi Flip-Flop nämlich an den Füssen einer bildhübschen Frau auf der Strasse gesehen und fragt sich, ob seine Mutter nie solche tip topi Flip-Flop gekauft habe. Und wenn ja: wieso nicht? Weil es sind so tip topi Flip-Flop! Schlussendlich kauft er sich selber ein Paar tip topi Flip-Flop und geht damit in der Stadt herum. Auf diesem Rundgang begleitet ihn die Frage, warum wir so viel „Längizyti“ haben, wo das Leben doch so kurz sei.

Oder er entdeckt einen Zettel, auf dem ein Hund vermisst wird. Dieser Zettel hängt jedoch unglücklicherweise im Glasfenster eines asiatischen Take-aways, was einen ungewollten Gedankenstrom in Gang setzt. Hat man da nicht mal was gelesen von Asiaten, die dem Grillieren von Hunden nicht ganz abgeneigt seien? Also weiter zu den Shops auf dem Weg zum Bahnhof, die dann dummerweise aber doch wieder Hot-dogs verkaufen. Ungeschickt.

Diese Gedankenströme, bei denen ein Geistesblitz auf den nächsten folgt, werden von Lenz in einem für das Berndeutsche fast unvorstellbaren Tempo mit wippendem Fuss und locker schwingendem Körper vorgetragen. Das Lachen des Publikums folgt deshalb stets etwas zeitverzögert – aber es folgt mit Sicherheit. Und das nicht nur, weil der Redner in Berndeutsch referiert. „Mir löi si chalt, di chalte Kafi“, fügt er zwischen zwei Gedanken noch an. Was er hier geboten hat, lässt jedoch keinen kalt.

Olivia Meier, Selina Widmer

Der Geschichtenerzähler

Auf dem Zeitplan vor der Aussenbühne beim Landhausquai ist Robert Prosser mit seinem Roman Phantome angekündigt. Das Rednerpult jedoch ist leer. Das Publikum wird langsam nervös, hektisch spricht eine Mitarbeiterin der Literaturtage ins Telefon: „Robert, du hättest jetzt eine Lesung.“ Kein guter Start für den österreichischen Autor? Keineswegs, das Warten lohnt sich! Denn das Buch, das auf dem Tisch des Aussenpodiums liegt, bleibt zu: Der Autor rezitiert zwanzig Minuten lang aus seinem Roman. Auswendig. Robert Prosser spricht rhythmisch mit hartem, rollenden R. Seine Hände kreisen vor dem Gesicht, sie betonen jedes Wort.

In seinem Buch schildert Prosser den Jugoslawienkrieg und dessen Folgen in der heutigen Zeit. Sein Blick ist erhoben, er schaut direkt ins Publikum und erzählt vom verbotenen serbischen Dreifingergruss, vom Begräbnis eines dreifarbigen Pferdes, das vergiftet worden ist und der rechten Hand eines Cousins. Diese wurde in einem Massengrab in der Nähe von Srebrenica gefunden und sei ein Platzhalter geworden für die ganze Person.

Der Roman ist dreigeteilt: den ersten und letzten Teil bilden Monologe von einem Graffitikünstler und einem Kriegszeitzeugen. Unterbrochen werden sie von einem Bericht von Krieg, von Flucht und dem Aufbruch in ein neues Leben in Wien.

Nach zwanzig Minuten ohne einmal zu stottern oder aus dem Takt zu fallen, klatscht das Publikum den verdienten Beifall, der lange anhält. In den abflachenden Applaus hinein merkt Prosser noch an: „Ich habe zwei Namen verwechselt. Doch da ich zu Beginn den falschen nannte, wollte ich nicht mehr wechseln, um sie nicht zu verwirren. Nur dass Sie beim Lesen des Romans nicht überrascht sind.“ Den Roman lesen – das kann man nur jedem empfehlen.

Olivia Meier, Maya Olah

Von Siegertypen und Wortrückseiten

Schnell lockert sich die Stimmung im Solothurner Stadttheater, als der Kulturjournalist Pablo Haller mit einem wohlkalkulierten Versprecher über Gion Mathias Caveltys Genese der Menge ein kollektives, schockiert-belustigtes Glucksen abschmeicheln kann: «…isch 1974 gebore, hät in Fribourg studiert – italienischi und rätoromanischi Gschicht, äh, Sproch. Rätoromanischi Gschicht, wohrschinli gäbs nideso vill.»

Der im weissgestreiften, schwarzen Anzug sitzende Metalfan Gion Mathias Cavelty reagiert daraufhin mit vorgeblicher Entrüstung, indem er, das Mikrofon in der Hand, eine ausholende Geste gen Haller andeutet.

Gewiss, dies ist eine Vorstellung sondergleichen, einzig die beiden Scheinwerfer und vielleicht die kleine Bühne bewahren die belustigten Zuschauer vor dem Eindruck, sie wohnten einem gemütlichen Plauderstündchen bei. Gewidmet ist die Lesung jedoch Gion Mathias Caveltys neustem Schelmenstück, äh, Buch – Der Tag, an dem es 449 Franz Klammers regnete. Mit väterlich-jovialer Erzählstimme trägt Cavelty Kapitel für Kapitel aus seinem «höchst fiktiven Roman» vor und blickt dann und wann mit einem verschwörerischen Blick ins Publikum, das betört an seinen Lippen hängt. Es ist vornehmlich Cavelty selbst, der nebst all den wunderlichen Abenteuern Franz Klammers – dem Zufallsmord an Jesus Christus, Ausführungen über Templer, Nationalsozialisten und die endgültige Absurdität der Welt – massgeblich das Kolorit der Veranstaltung bestimmt. Kunstgerecht trifft Cavelty all die Höhen und Intonationen des österreichischen Dialekts seiner Figuren, eine humoristische Kulmination überholt die andere, bis – und da huscht nahezu unmerklich ein schelmisches Grienen über Caveltys Gesicht – er bedächtig das letzte Wort seiner Lesung vorliest.

Da zaubert Haller schon seinen nächsten Gag aus dem Hut, oder besser gesagt ein Replikat von Franz Klammers Goldmedaille und überreicht sie dem Autor. Man lacht, Cavelty beisst ins Gold.

(Cavelty im Genuss eines Goldstücks.)

Wie einnehmend Cavelty auch sein kann, dergestalt ernst spricht er auch darüber, was ihn literarisch bewegt. Nonsens sei für Cavelty die höchste Kunst der Literatur: ein «hermetisches Prinzip, das eigentlich besagt, das Obere ist das Untere», führt Cavelty aus. Und auch spezifisch auf seinen Roman bezogen offenbart er dem Publikum, er habe sich seit Langem schon intensiv mit dem «Geist» der Gnosis auseinandergesetzt. Einem festgefahrenen, doktrinistischen System das Gegenteil aufzuzeigen, das sei immerzu Caveltys Drang gewesen.

Franz Klammer sei wahrhaftig ein Idol für Cavelty und sein Buch verlangte nach einem absoluten Siegertyp, es endet ja schliesslich auch im «Totaltriumph von Franz Klammer», verrät uns der Autor. Eine Figur, sagt Cavelty, die ihm zwar am weitesten entfernt ist (er selbst behauptet ja, er sei das Gegenteil eines Sportlers), ist auch die Leitfigur, die ihn seit seiner Kindheit faszinierte. Franz habe nämlich etwas Unfassbares geschafft – er reduzierte sein Leben auf einen einzigen Satz: «Schifoan und sunst nix».

Das Wort beinhalte, so fabuliert Cavelty achtungsvoll und allmählich raunend, eine Magie, nach der man nicht einfach so greifen kann; das Wort werde lebendig. Und da zeigt sich vielleicht doch eine Parallele zu Franz Klammer, denn wie seinen Skirennfahrer, so interessierte Cavelty auch im Grunde eines. Für ihn ist es die Frage:

«Was befindet sich auf der Rückseite des Wortes?»