Literarisches Flanieren: Kurzlesung von Arno Camenisch

Ein kurzer Schreckmoment erfasst das Publikum als Arno Camenisch schon nach der Hälfte der Zeit verschmitzt und in schönstem Bündnerdeutsch verkündet, wer wissen wolle, wie es nun mit den beiden „Philosophen im Schnee“, Georg und Paul, weitergeht, müsse sich eben sein Buch kaufen. Es sei ja schliesslich bald wieder Weihnachten. Und ich komme nicht umhin, ihm beipflichten: Es ist auch wirklich lesenswert, hörenswert aber noch vielmehr, was die beiden Liftwarte einander vom Pfarrerssohn, gesegneten Skiern und ausbleibendem Schnee zu erzählen haben. Gesegnete Skier? „Miar machend das so.“

Dann macht Camenisch zur Freude der Zuschauer_innen das, was er am besten kann und trägt einen seiner Spoken-Word-Texte auf Deutsch und Rumantsch vor, in dem er Ilanz – oder Glion – kurzerhand zum Zentrum der Welt macht. Auf der Bühne kommt der dichte Sog der rhythmischen Sprache zu seiner vollen Entfaltung. Das erklärt vielleicht auch, warum die Meinungen über sein Buch unter uns Studierenden weit auseinandergingen. Mit seiner Stimme im Ohr liest sich Der letzte Schnee ganz anders.

„Die Dinge, die mich umgeben.“ – Anja Kampmann und Thilo Krause im Gespräch

Naturlyrik. Der schlichte Veranstaltungstitel hält, was er verspricht und scheint im ersten Moment das Klischee einer verstaubten Gattung zu bestätigen: Beim Betreten des Säulensaals fühlen wir uns sehr jung.

Das Gespräch beginnt mit einer theoretischen Verortung: Anja Kampmann beschreibt Naturlyrik als Auseinandersetzung mit der sinnlich erfahrbaren, vielschichtig gemachten Welt. Thilo Krause, ganz unironisch als „Lyriker und Wirtschaftsingenieur“ vorgestellt, antwortet auf die Frage nach einer Begriffsbestimmung der Naturlyrik mit einem Abriss der ganzen Tradition und bemängelt im Scherz die Kürze des Wikipedia-Eintrags dazu, den er zur Vorbereitung auf das Gespräch konsultiert habe.

Die Veranstaltung soll dem Eindruck des Altbackenen trotzen, der dem Genre anhaftet. Naturlyrik müsse eben nicht eskapistisch sein. Wir verbrächten ohnehin den Grossteil unserer Zeit in menschgemachten Landschaften. Lyrik über solche könne gerade zeit- und ortsspezifische Ordnungen von einer konkreten, sinnlichen Erfahrung her reflektieren. Was findet also heute in der Naturlyrik alles Platz? Vieles. Und eben nicht nur Natur, zumindest nicht im engen Sinn. In Kampmanns und Krauses vorgetragenen Gedichten werden keine blühenden Schäfchenwiesen beschrieben, sondern der Great Pacific Garbage Patch – ein Abfallfeld im Pazifik so gross wie Eurasien – und Tauben, die unter Autobahnbrücken nisten.

Das Prinzip des Gesprächs, die Autoren Gedichte des jeweils anderen auswählen und kommentieren zu lassen, hätte Potential, erweist sich aber in diesem Fall als etwas repetitiv. Beider Gedichte sind mit einem aufmerksamen Blick für das häufig nur beiläufig Registrierte der alltäglichen Umwelt geschrieben. Sie sind aber wegen ihrer sprachlichen Dichte auch sperrig, und wenn man sie – im Gegensatz zu den Vortragenden – nicht ohnehin schon kennt, fühlt man sich, als belausche man nur zufällig eine Diskussion unter Freunden, der man nur halb folgen kann.

Das Ping-Pong-Spiel von Lesen und Kommentieren kommt zu einem Ende, als Anja Kampmann kurz vor Ablauf der Zeit den „Gleichstand“ verkündet. Unser Fazit fällt durchzogen aus: Die Texte haben gezeigt, dass die Gattung auch im Zeitalter von Umweltproblemen durchaus noch Relevanz hat, über das passende Format zur Vermittlung dieser lässt sich streiten.

Simon Härtner, Marco Neuhaus, Julia Sjöberg

Unser Team in Solothurn: Julia Sjöberg

Julia Sjöberg studiert an der Universität Zürich Germanistik und spanische Linguistik. Praktika in zwei Zürcher Verlagen weckten bei ihr die Neugier für die verschiedenen Nischen des Literaturbetriebs. Nun freut sie sich darauf, an den Solothurner Literaturtagen Schriftsteller live zu hören und dabei Neues zu erkunden und Bekanntes wiederzuentdecken. Sie ist vor allem auf die unterschiedlichen Formate jenseits der klassischen Autorenlesung gespannt.