Tip topi Flip-Flop

Die grosse Menschenmenge vor der Solothurner Landhausquai-Aussenbühne lässt es vermuten: Hier ist ein Könner am Werk. Dieser Könner heisst Pedro Lenz, der beim Publikum für verdiente Begeisterung sorgt. Lenz, dieser grosse Mann, setzt sich für seine Kurzlesung nicht hin. Er steht in voller Grösse da, wohl zur Freude der Zuschauenden in den hinteren Reihen.

Er spricht in seinem Auftritt aus, was wir uns manchmal so denken – zwischen den grossen Gedanken. In seinen Passagen aus Hert am Sound menschelt es gewaltig. Angefangen bei den „Gschwelti“, die er „gschwind“ machen will, kommt er zu Crèmeschnitten. Über den Zuckerguss dieser Crèmeschnitten kommt er zu einem Radiosender, der die beste Musik spielen soll. Denn dieser Zuckerguss passe so viel besser auf Crèmeschnitten als in die immergleichen Songs auf besagtem Radiosender mit ihrem „Shalala“ und „Shake your body“.

Immer wieder kommt er mit seinen Gedankengirlanden auch auf „Tip topi Flip-Flop“. Er hat solche tip topi Flip-Flop nämlich an den Füssen einer bildhübschen Frau auf der Strasse gesehen und fragt sich, ob seine Mutter nie solche tip topi Flip-Flop gekauft habe. Und wenn ja: wieso nicht? Weil es sind so tip topi Flip-Flop! Schlussendlich kauft er sich selber ein Paar tip topi Flip-Flop und geht damit in der Stadt herum. Auf diesem Rundgang begleitet ihn die Frage, warum wir so viel „Längizyti“ haben, wo das Leben doch so kurz sei.

Oder er entdeckt einen Zettel, auf dem ein Hund vermisst wird. Dieser Zettel hängt jedoch unglücklicherweise im Glasfenster eines asiatischen Take-aways, was einen ungewollten Gedankenstrom in Gang setzt. Hat man da nicht mal was gelesen von Asiaten, die dem Grillieren von Hunden nicht ganz abgeneigt seien? Also weiter zu den Shops auf dem Weg zum Bahnhof, die dann dummerweise aber doch wieder Hot-dogs verkaufen. Ungeschickt.

Diese Gedankenströme, bei denen ein Geistesblitz auf den nächsten folgt, werden von Lenz in einem für das Berndeutsche fast unvorstellbaren Tempo mit wippendem Fuss und locker schwingendem Körper vorgetragen. Das Lachen des Publikums folgt deshalb stets etwas zeitverzögert – aber es folgt mit Sicherheit. Und das nicht nur, weil der Redner in Berndeutsch referiert. „Mir löi si chalt, di chalte Kafi“, fügt er zwischen zwei Gedanken noch an. Was er hier geboten hat, lässt jedoch keinen kalt.

Olivia Meier, Selina Widmer

Nach dem Recyclinghof zu IKEA

Jens Steiner eröffnet den Literaturtage-Freitag mit seiner Lesung aus Mein Leben als Hoffnungsträger. Trotz der frühen Stunde füllt sich der Landhaussaal schnell mit interessierten Zuhörenden. Sie werden mit einem lebendigen, humorvollen Autor belohnt. Steiner ist ein Meister darin, seinem Text Leben einzuhauchen. Vor allem die Vertonung von zwei Figuren, der beiden Portugiesen Arturo und João, sorgt für Erheiterung. Leise Lacher ziehen sich durch beide Vorlese-Passagen. Laut herauszulachen – das traut sich das zurückhaltende Schweizer Publikum zwar nicht. Doch Steiners Humor kommt beim Publikum gut an und sorgt – von den hinteren Reihen aus gesehen – für ein Panorama von sanft ruckelnden Rücken.

Von den lobenden Worten seines Gesprächspartners Lucas Gisi beschwingt, schafft Steiner eine einladende Atmosphäre. Er lässt sich auch durch ein knisterndes Mikrofon und einen an ihm herumfummelnden Techniker nicht beirren. Das Publikum dankt es ihm mit wohlwollender Aufmerksamkeit.

Steiners Protagonist Philipp arbeitet auf einem Recyclinghof. Von ihm ausgehend spricht Gisi mit Steiner über die Konsumgesellschaft, die sich in grotesker Weise im Recyclinghof widerspiegelt. Steiner schreibt in einem entschleunigenden Stil von der alternativen Lebensweise Philipps, der sich der Leistungsgesellschaft mit Trägheit zu entziehen versucht. Er beschreibt Philipp als „trägen Idealisten“, der Aktivismus zeigt, indem er sich Zeit lässt. Gesellschaftskritik wird mit Gesellschaftssatire verwoben, Konflikte werden mit hintergründigem Humor einfach stehengelassen.

Zur Ursprungsidee seines Romans befragt, gesteht Steiner, dass er darauf jeweils nur unbefriedigende Antworten finden kann. Es ist wie mit alten Freunden: um eine bestimmte Ebene der Vertrautheit zu erreichen, muss man vergessen, wann man sie kennengelernt hat. Ebenso müssen sich die Ursprünge seiner Ideen verwischen, damit er sich intensiv mit ihnen auseinandersetzen kann. Zum Beispiel, indem er ein Praktikum auf einem echten Recyclinghof absolviert. Dort beobachtete er die Fortsetzung der Konsumwelt. Man muss schliesslich zuerst „Platz schaffen, bevor man eine Woche später wieder zu IKEA fährt“, so Steiner.

Olivia Meier, Foto: Selina Widmer