Kein Streit

„Joute de traduction“ heisst die Veranstaltung, an der eine Übersetzerin und ein Übersetzer in den Ring treten und ihre jeweilige Wortwahl verteidigen sollen. Die übersetzten Textpassagen stammen aus Levin Westermanns Gedichtsammlung 3511 Zwetajewa. Valentin Decoppet und Raphaëlle Lacord treffen sich zum Duell und werden sich um Worte streiten, so die Erwartung.

Doch der Moderator Yves Raeber warnt vor: Der Ausdruck „rompre une lance“, „eine Lanze brechen“, könne man ja auch auf zwei Arten verstehen. Einen Gegner töten, könne es heissen, auch aber eine Lanze brechen für jemanden, als Zeichen des Respekts und der Freundschaft. Freundschaftlich geht es zwischen den beiden die ganze Stunde über zu. Was als „joute“, als Turnier oder Wettstreit angelegt ist, wird eher zum freundlich-vorsichtigen Abtasten.

Die beiden Parteien geraten sich einfach nicht so richtig in die Haare. Im zweiminütigen Verteidigungstakt bringen sie Argumente an, weshalb sie einen gewissen Textauszug so übersetzt haben, wie sie ihn übersetzt haben. Wie haben die beiden zum Beispiel „Urzustand“ übersetzt? Die Spannung steigt, die Blicke sind auf die Leinwand gerichtet. Dann erscheint der Text, Decoppet und Lacord lesen ihre Vorschläge vor. Lacord hat sich für „l’état premier“ entschieden, während Decoppet „l’état originel“ bevorzugte. Doch dies bleiben Vorschläge, und oft können sie die Übersetzung des anderen auch ganz gut nachvollziehen.

Raeber versucht immer mal wieder, das Feuer zu entfachen und sie zum Streit anzustiften: „Maintenant il faut tout donner!“, „Jetzt müsst ihr alles geben!“, betont er gegen Ende nochmals. Immer noch kein Streit. Vielleicht heisst alles zu geben in der Übersetzung auch einfach nicht, das Beste zu finden und auf Gedeih und Verderben zu verteidigen, sondern das Gute immer wieder umzudrehen, von allen Seiten her anzuschauen und zu befragen.

Tip topi Flip-Flop

Die grosse Menschenmenge vor der Solothurner Landhausquai-Aussenbühne lässt es vermuten: Hier ist ein Könner am Werk. Dieser Könner heisst Pedro Lenz, der beim Publikum für verdiente Begeisterung sorgt. Lenz, dieser grosse Mann, setzt sich für seine Kurzlesung nicht hin. Er steht in voller Grösse da, wohl zur Freude der Zuschauenden in den hinteren Reihen.

Er spricht in seinem Auftritt aus, was wir uns manchmal so denken – zwischen den grossen Gedanken. In seinen Passagen aus Hert am Sound menschelt es gewaltig. Angefangen bei den „Gschwelti“, die er „gschwind“ machen will, kommt er zu Crèmeschnitten. Über den Zuckerguss dieser Crèmeschnitten kommt er zu einem Radiosender, der die beste Musik spielen soll. Denn dieser Zuckerguss passe so viel besser auf Crèmeschnitten als in die immergleichen Songs auf besagtem Radiosender mit ihrem „Shalala“ und „Shake your body“.

Immer wieder kommt er mit seinen Gedankengirlanden auch auf „Tip topi Flip-Flop“. Er hat solche tip topi Flip-Flop nämlich an den Füssen einer bildhübschen Frau auf der Strasse gesehen und fragt sich, ob seine Mutter nie solche tip topi Flip-Flop gekauft habe. Und wenn ja: wieso nicht? Weil es sind so tip topi Flip-Flop! Schlussendlich kauft er sich selber ein Paar tip topi Flip-Flop und geht damit in der Stadt herum. Auf diesem Rundgang begleitet ihn die Frage, warum wir so viel „Längizyti“ haben, wo das Leben doch so kurz sei.

Oder er entdeckt einen Zettel, auf dem ein Hund vermisst wird. Dieser Zettel hängt jedoch unglücklicherweise im Glasfenster eines asiatischen Take-aways, was einen ungewollten Gedankenstrom in Gang setzt. Hat man da nicht mal was gelesen von Asiaten, die dem Grillieren von Hunden nicht ganz abgeneigt seien? Also weiter zu den Shops auf dem Weg zum Bahnhof, die dann dummerweise aber doch wieder Hot-dogs verkaufen. Ungeschickt.

Diese Gedankenströme, bei denen ein Geistesblitz auf den nächsten folgt, werden von Lenz in einem für das Berndeutsche fast unvorstellbaren Tempo mit wippendem Fuss und locker schwingendem Körper vorgetragen. Das Lachen des Publikums folgt deshalb stets etwas zeitverzögert – aber es folgt mit Sicherheit. Und das nicht nur, weil der Redner in Berndeutsch referiert. „Mir löi si chalt, di chalte Kafi“, fügt er zwischen zwei Gedanken noch an. Was er hier geboten hat, lässt jedoch keinen kalt.

Olivia Meier, Selina Widmer

Nach der Lesung zu uns: Interview mit Jens Steiner

Jens Steiners Roman Mein Leben als Hoffnungsträger spielt auf einem Recyclinghof. Es geht ums Wegwerfen, ums mehr oder weniger legale Wiederverwerten und schliesslich um die Frage, was Protagonist Philipp leisten will oder nicht. Selina Widmer traf den Autor zum Gespräch.

Sie hatten am Freitagmorgen schon eine Lesung ihres neuen Romans Mein Leben als Hoffnungsträger. Sie haben sehr lebendig gelesen. Sind Sie einfach talentiert, oder ist das hart erarbeitet? 

Ich habe als Student schon Theater gespielt, das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass mir die mündliche Form der Literatur auch wichtig ist. Es ist auch wichtig fürs Schreiben, das Lautlesen, ich mach das ständig beim Schreiben, vor allem in der Schlussphase lese ich oft laut. Da hört man noch viele Dinge, oder sieht man auch viele Dinge, auch syntaktische Fehler und so. Dinge, die mit dem Zusammenhang zu tun haben, mit der Dramaturgie – auf allen Ebenen entdeckt man Fehler, wenn man laut liest. Deshalb ist es ein Arbeitsinstrument. Und dann kommt der Aspekt dazu, dass ich einfach sehr gerne Leuten vorlese.

Lesen Sie dann auch für sich laut, um sich vorzustellen, wie es für den Leser ist, den Text vor sich zu haben?

Natürlich. Ich lese für mich laut, zum Redigieren des Textes, und immer auch in Hinblick auf die Leser.

Was ist für Sie hier in Solothurn an den Literaturtagen der Höhepunkt?

Dieses Jahr mache ich so viele Sachen, und die sind alle ganz spannend. Ich bin mit einem Kinderbuch hier, ich habe Montag bis Mittwoch aus meinem Kinderbuch vorgelesen. Und heute habe ich aus diesem Hoffnungsträger-Buch vorgelesen und die meisten meiner Freunde finden: Das ist doch der Höhepunkt des Ganzen. Aber das finde ich jetzt nicht unbedingt. Ich mache ganz viele spannende Sachen, gerade vorhin hatten wir ein Gespräch über Kinderliteratur, am Samstag bin ich bei Skriptor, da diskutieren verschiedene Leute über einen unveröffentlichten Text. Ich kann also nicht sagen, dass es einen Höhepunkt gibt.

Und von den Kollegen und Kolleginnen, hören Sie sich da was an? 

Ich versuche es. Ich habe heute so viel, dass ich noch nicht weiss, wie viel ich jetzt noch schaffe. Ich habe auch nicht gut geschlafen letzte Nacht. Aber ich werde sicher noch dazu kommen, das interessiert mich sehr, Lesungen von Kollegen anzuhören.

Sie haben aber jetzt noch keine Liste der Veranstaltungen, die Sie unbedingt besuchen möchten?

Zwei, drei, so. Ich nehme mir nicht zu viel vor. Wen ich sicher nochmals hören will, ist Judith Keller. Da will ich unbedingt hin. Dann ist da noch eine Lyrikwerkstatt, wo ich auch hingehen möchte. Ich finde Werkstattgespräche für mich fast interessanter als die Lesungen.

Diskussionen, an denen es ums Schreiben geht, also.

Ja genau, ums Schreiben.

Haben Sie dieses Jahr ein Buch für sich entdeckt, lesender Weise? Oder sind sie eher am Schreiben als am Lesen?

Nein, nein, ich lese schon auch immer, aber ich lese nicht so viele Neuerscheinungen. Ich schaff’s einfach nicht. Weil die Bücherstapel mit alten Büchern, die bleiben immer gleich gross, oder es kommt sogar noch mehr dazu. Ich habe aber vor zwei Wochen tatsächlich eine Neuerscheinung gelesen, von Monika Maron. Munin oder Chaos im Kopf heisst das Buch. Ich habe viele Jahre nicht mehr Monika Maron gelesen, und ich bin begeistert, ich find’s sehr schön, dass ich die Autorin quasi wiederentdeckt habe. Ich habe zwanzig Jahre nichts mehr gelesen von ihr, und es ist ein sehr schönes Buch. Auch ein sehr zeitbezogenes Buch, ich finde es spannend, was für Themen sie da aufnimmt. Dass wir uns gegenseitig ständig stressen und zu nahe kommen, uns empören über die anderen, dass wir ständig gereizt sind, keine Grenzen mehr haben im öffentlichen Raum. Diese Dinge, die heute doch sehr aktuell sind, nimmt sie auf sehr interessante Weise auf.

Mit ihrem Buch Mein Leben als Hoffnungsträger, hatten Sie da ein spezielles Erlebnis, beim Schreiben oder bei Lesungen?

Ein spezielles Erlebnis gab es nicht, nein. Aber ganz interessant finde ich, dass alle Zuhörer eine eigene Geschichte vom Recyclinghof zu erzählen wissen. Alle kennen das und alle begreifen erst beim Lesen meines Buches, was da so drinsteckt. Man geht da ja in der Regel hin und so schnell wie möglich wieder weg. Und erst bei meinen Lesungen merken die Leute: Ah, da sind ja noch ganz spannende Geschichten dahinter. Da ist viel mehr, über das man nachdenken kann, und das finde ich ganz schön. Der Recyclinghof ist ja sonst eher ein Nicht-Ort.

Sie beschreiben diesen Recyclinghof sehr genau. Haben Sie auch schon da gearbeitet?

Ich wollte das, habs tatsächlich versucht. Aber das ist heute nicht mehr so einfach, zumindest da, wo ich es versucht habe, in der Stadt Zürich. So einen kleinen Sommerjob da zu bekommen, das ging dann nicht. Aber ich habe oft dagestanden. Ich war einfach da und hab‘ zugeschaut. An verschiedenen Orten, vor allem da wo ich lebe, aber auch in Deutschland und Österreich. Es funktioniert überall ungefähr gleich.

Philipp, der Hauptcharakter Ihres Buchs, der auf dem Recyclinghof arbeitet, ist er für Sie der typische Vertreter der Generation, die in den 90er Jahren geboren ist, also wir hier?

Auf diese Diskussion will ich mich eigentlich lieber nicht einlassen. Denn ich finde es auch ärgerlich, dass wir Älteren die ganze Zeit die junge Generation definieren, wir sagen Generation X, Generation Y, Generation was weiss ich. Und meistens ist es eben gerade nicht so, wie wir meinen. Wir liegen meistens falsch mit unseren Urteilen, finde ich. Aber um jetzt doch noch darauf einzugehen: Ich finde, dass dieser Philipp eher untypisch ist für die Generation. Ich nehme die Leute zwischen zwanzig und dreissig eher so wahr, dass sie sehr ambitioniert sind und früh schon wissen, was sie wollen. Da ist Philipp das Gegenbeispiel. Aber ich möchte das nicht so einengen auf diese Diskussion. Ich wollte keine These aufstellen über diese Generation.

Finden Sie denn selber, dass Ihr Roman sehr gesellschaftskritisch ist, oder sehen Sie ihn auf einer anderen Ebene angesiedelt?

Ich finde, die Leser müssen das selber entscheiden. Natürlich sehe ich viele dieser Aspekte kritisch an. Ich glaube, das spürt man schon als Leser, dass ich auch ziemlich angeekelt bin von dieser hirnlosen Verschwendung. Aber man hat heute als Autor tatsächlich das Problem: Wie betreibe ich Gesellschaftskritik? Tatsächlich wollte ich es ursprünglich eher dokumentarisch anlegen. Die Anfangsabsicht war, einfach nur zu beobachten und das niederzuschreiben. Wer kommt, was bringen sie, wann gehen sie. Aber ich bin beim Schreiben dann plötzlich abgedriftet. Ich hatte dann irgendwann Lust, diese persönliche Geschichte des jungen Mannes zu erzählen. Aber das war am Anfang nicht die Absicht. Ich wollte eher im Sinne der Dokumentation kritisch sein.

Aber dann wollten Sie doch noch, dass die persönliche Geschichte dazutreten kann?

Ja, weil die auch in einem Zusammenhang mit dem Geschehen auf dem Recyclinghof steht. Es sind ja zwei Themen, die im Buch miteinander einhergehen: Wegwerfgesellschaft und Leistungsgesellschaft. Da ist Philipp doppelt betroffen. Als Mitarbeiter auf dem Recyclinghof und mit seiner Biographie, mit der Frage: Will ich meine Biographie gestalten oder will ich mich einfach treiben lassen? Verweigere ich mich aktiv, oder sage ich einfach, ich geh meinen kleinen Weg und kümmere mich nicht? Das sind die Fragen, die da zusammenkommen.

Ganz grundsätzlich, wie gehen Sie an ein Buchprojekt heran?

Mit ausprobieren, mit verschiedenen Textfragmenten, die ganz lose nebeneinander wachsen. Ich kann nicht nur vom Konzept her denken, sondern ich muss das schreibend entwickeln. Der konzeptuelle Gedanke und das Schreiben entwickeln sich Seite an Seite, da gibt es kein systematisches Vorgehen.  Zum Beispiel die Figuren: Manchmal kommen sie von selber, manchmal muss man sie aber auch konzipieren.

Wo schreiben Sie denn am liebsten? 

Ich habe bis vor kurzem immer in Universitätsbibliotheken geschrieben. Das wird allerdings zunehmend schwieriger, weil es immer weniger Platz hat. Jetzt habe ich aber seit zwei Jahren ein Atelier, das ich von der Stadt Zürich miete, subventioniert, für fünf Jahre, dann muss ich wieder raus. Das ist wirklich toll und ich versuche das zu geniessen, es ist am See, in der Roten Fabrik. Aber in zweieinhalb Jahren muss ich eine neue Lösung finden. Und zuhause finde ich es immer schwierig. Rausgehen und wo anders schreiben ist schon gut.

Wussten Sie schon immer, dass Sie mal schreiben möchten?

Ich habe schon auch davon geträumt, als Kind und Teenager. Aber mein familiärer Hintergrund ist sehr weit von dieser Art Arbeit entfernt. Der Traum war also da, aber es war total unrealistisch. Das hat dann lange gedauert. Ist aber auch nicht schlecht so. Heute gibt es Autoren, die mit Anfang zwanzig ihr erstes Buch publizieren. Ich will ihr Talent nicht in Abrede stellen, aber die haben ja bis dahin noch gar nicht richtig gelebt. Bei mir hat es wie gesagt etwas länger gedauert. Ich habe unterschiedliche Sachen gemacht, ich war Lehrer, und dann habe ich auch als Verlagslektor gearbeitet. Eine Weile lang habe ich dann beides gemacht, als Lektor und Autor gearbeitet. Und dann habe ich gemerkt, dass das in der Schweiz eine schwierige Stellung ist, weil ich da auch Kollegen kritisieren muss. Dann habe ich das aufgegeben, und seit viereinhalb Jahren mache ich jetzt nur das. Bücher schreiben.

Denken Sie, dass Sie auch ein Hoffnungsträger sind?

Ich hoffe es eigentlich nicht. Ich bin der Träger meiner Hoffnung, dass ich kein Hoffnungsträger bin.

Vielen Dank, Herr Steiner, dass Sie sich für das Gespräch Zeit genommen haben.

Blumen wachsen aus dem Kopf

Der Platz vor der Aussenbühne Landhausquai füllt sich, Menschen reihen sich in die Sitzreihen ein und bilden stehend weitere Reihen um die bereits bestehenden herum. Gespannt schauen alle in Richtung Rednerpult, noch ist niemand da. Dann kommt sie und liest. Melinda Nadj Abonji trägt aus ihrem neuen Buch Schildkrötensoldat vor.

Sie entführt uns in eine andere Welt – in vielerlei Hinsicht. Einerseits ist es die Welt von Serbien im Jahr 1991. Andererseits ist es die Welt des wunderbar phantasievollen jungen Mannes Zoli, der so gar nicht zum Militärdienst passt, den er absolvieren sollte. Er spricht von seinem Unfall, als er vom Motorrad seines Vaters gefallen ist. In Worten, die nur so sprudeln vor Poesie. Er spricht von Blumen, die aus seiner Wunde im Kopf herauswachsen und die dann plötzlich doch keine Blumen mehr sind, sondern Vögel. Er sieht die Welt auf seine ganz eigene Art. Blumen, Vögel, Farben, alles scheint er stärker wahrzunehmen als seine Mitmenschen, vor allem als seine Eltern.

Die grobe Sprache des Vaters steht im krassen Kontrast zu Zolis feiner Wahrnehmung. Zoli erzählt sehr assoziativ und unruhig. Als ob alles raus müsste, mit einem Schwall. Nadj Abonji betont den Rhythmus dieser drängenden Sprache mit unterstreichenden Handbewegungen auf dem Tisch. Das Publikum ist gebannt. Für zwanzig Minuten sind wir dank Melinda Nadj Abonjis farbenstarken Worten in einer anderen Welt.

Nach dem Recyclinghof zu IKEA

Jens Steiner eröffnet den Literaturtage-Freitag mit seiner Lesung aus Mein Leben als Hoffnungsträger. Trotz der frühen Stunde füllt sich der Landhaussaal schnell mit interessierten Zuhörenden. Sie werden mit einem lebendigen, humorvollen Autor belohnt. Steiner ist ein Meister darin, seinem Text Leben einzuhauchen. Vor allem die Vertonung von zwei Figuren, der beiden Portugiesen Arturo und João, sorgt für Erheiterung. Leise Lacher ziehen sich durch beide Vorlese-Passagen. Laut herauszulachen – das traut sich das zurückhaltende Schweizer Publikum zwar nicht. Doch Steiners Humor kommt beim Publikum gut an und sorgt – von den hinteren Reihen aus gesehen – für ein Panorama von sanft ruckelnden Rücken.

Von den lobenden Worten seines Gesprächspartners Lucas Gisi beschwingt, schafft Steiner eine einladende Atmosphäre. Er lässt sich auch durch ein knisterndes Mikrofon und einen an ihm herumfummelnden Techniker nicht beirren. Das Publikum dankt es ihm mit wohlwollender Aufmerksamkeit.

Steiners Protagonist Philipp arbeitet auf einem Recyclinghof. Von ihm ausgehend spricht Gisi mit Steiner über die Konsumgesellschaft, die sich in grotesker Weise im Recyclinghof widerspiegelt. Steiner schreibt in einem entschleunigenden Stil von der alternativen Lebensweise Philipps, der sich der Leistungsgesellschaft mit Trägheit zu entziehen versucht. Er beschreibt Philipp als „trägen Idealisten“, der Aktivismus zeigt, indem er sich Zeit lässt. Gesellschaftskritik wird mit Gesellschaftssatire verwoben, Konflikte werden mit hintergründigem Humor einfach stehengelassen.

Zur Ursprungsidee seines Romans befragt, gesteht Steiner, dass er darauf jeweils nur unbefriedigende Antworten finden kann. Es ist wie mit alten Freunden: um eine bestimmte Ebene der Vertrautheit zu erreichen, muss man vergessen, wann man sie kennengelernt hat. Ebenso müssen sich die Ursprünge seiner Ideen verwischen, damit er sich intensiv mit ihnen auseinandersetzen kann. Zum Beispiel, indem er ein Praktikum auf einem echten Recyclinghof absolviert. Dort beobachtete er die Fortsetzung der Konsumwelt. Man muss schliesslich zuerst „Platz schaffen, bevor man eine Woche später wieder zu IKEA fährt“, so Steiner.

Olivia Meier, Foto: Selina Widmer