Von der Hochhausspringerin bis zum Eidechsenkind

In der Kunsthalle wurde am Samstagabend die Shortlist des diesjährigen Schweizer Buchpreises diskutiert. Christoph Steier, Philipp Theisohn, Selina Widmer und Shantala Hummler vom Schweizer Buchjahr sitzen bereit, um jedes nominierte Buch zu bewerten und ihre Gedanken dazu zu äußern.

Das Debüt „Die Hochhausspringerin“ der Schriftstellerin Julia von Lucadou wird als erstes betrachtet. Selina Widmer findet das Buch lesenswert, da man in der Geschichte der Hochleistungssportlerin Riva auf viele aktuelle Entwicklungen hingewiesen wird. Außerdem gelinge es dem Text, starke Bilder beim Leser auszulösen, welche zum Weiterlesen antreiben. Doch Christoph Steier fragt sich, wie weit ist Riva von unserer Welt entfernt? Handelt es sich dabei nicht um eine Dystopie? Philipp Theisohn sieht in dem Buch vieles, was schon gewesen ist. In Deutschland wurde das Buch gefeiert. In der Schweiz wurde es bis zu seiner Nominierung nicht wirklich wahrgenommen. Er betont, dass es viele vorherigen Bücher gäbe, welche sich mit der Selbstoptimierung, wie bei Riva, und der allumfassenden Transparenz, auseinandergesetzt haben. Shantala greift auf, dass „Die Hochhausspringerin“ viele sprachliche Innovationen beinhaltet. Es gebe viele Details, welche das Buch lesenswert machen.

Im Gegensatz zu dem Roman von Julia von Lucadou ist „Die Überwindung der Schwerkraft“ von Heinz Helle, eher ein technikfernes Buch. Steier beschreibt es als Überlebensbuch mit wunderbarer Hypotaxe. Auch Selina fand Helles Buch überzeugend. Es zieht einen in einen Strom, welcher einen tatsächlich nahe geht. Derselben Meinung ist auch Shantala, sie findet, dass die Themen berühren und dem Leser gut nahe gebracht werden. Doch sie fragt sich, ob der Protagonist an persönlichen oder doch etwa an politischen und sozialen Problemen scheitert. Philipp Theisohn findet Helles Etwicklung stark. Es beschäftigt sich mit dem deutschen Diskurs und handelt um Schuld und Verantwortung.

Ein weiteres Debüt auf der Liste des Schweizer Buchpreises ist „Hier ist noch alles möglich“ von Gianna Molinari. Shantala beschreibt den starken Minimalismus des Buches. Theisohn ordnet den Text als abstrakten Text ein, wahrscheinlich der abstrakteste auf der Liste der nominierten Bücher. Es handelt sich dabei um literarische Imagination. Shantala erläutert, dass das Buch viele existenzielle Fragen stellt, doch keine Antworten gibt.

Es macht die Imagination stark. Wie auch Philipp Theisohn betont, alles was geschieht, geschieht potenziell.

 

Anders ist das in „Das Eidechsenkind“ von Vincenzo Todisco. Es ist sein erster deutschsprachiger Roman und handelt von einem Kind, welches aus Ripa in die Schweiz umzieht. Doch dies geschieht unangemeldet. Das Kind darf sich nicht bemerkbar machen und entwickelt besondere Fähigkeiten. Das Erlernen und der Alltag des Kindes werden neutral erzählt. Theisohn findet, dass es kaum emphatische Elemente gibt. Der Text sei ein überraschender Text mit einem schönen Erzählkosmos. Hinzufügt er, dass der Text bei weitem das Thema der Schweizer Sozialgeschichte überschreitet. Es beinhaltet alles, aber doch irgendwie mehr. Auch Steier sieht „Das Eidechsenkind“ als Überraschung der Liste. Es weist eine große poetische Qualität auf. Shantala unterstreicht die Aussagen, denn sie findet den Text sehr berührend.

Das letzte Buch auf der Liste ist „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“ von Peter Stamm. Der Roman knüpft an seinen ersten Roman an und ist, wie Theisohn findet, schlank geschrieben. Er betont, dass Stamm sich etwas traut und mit der Autofiktion spielt. Christoph Steier sieht Stamms Text wie alle anderen Texte von Stamm. Selina denkt auch, der Text sei nichts Neues. Trotzdem wollte sie den Roman zu Ende lesen. Dabei stört sie sich aber vor allem an den Frauenfiguren. Auch die anderen sind sich einig, die Umsetzung der Frauenfiguren sei langweilig. Hinsichtlich möglicher fehlender Kandidatinnen und Kandidaten sind sich einig: Die Liste sei gut so, wie sie ist. Für die Kritiker des Schweizer Buchpreises 2018 spezial sind die Bücher von Todisco und Helle literarisch gesehen die Favoriten. Aber auch Stamm werde wohl ins nähere Rennen kommen.

<< Food save statt Food waste >>

Im Verlag rüffer & rub, nah am Zürichsee gelegen, spricht Anne Rüffer mit Claudia Graf-Grossmann über das Buch «Über Reste und zu Taten». Auch eingeladen zum Gespräch wurde Lukas Bühler. Er ist Mitgründer von «Zum guten Heinrich», welche sich für Nachhaltigkeit in der Gastronomie einsetzen. Und genau das ist die Schnittstelle, die Claudia Graf-Grossmann und Lukas Bühler verbindet. Graf-Grossmann schrieb in ihrem Buch beispielsweise darüber, warum optisch nicht einwandfreies Gemüse weggeworfen wird und welche Lebensmittel überhaupt von den Bauern in die Einkaufsläden gelangen. Dabei wird betont, dass dieses Gemüse trotz des unterdurchschnittlichen Aussehens genau dieselben Nährwerte aufweist wie makelloses Gemüse. Also warum wollen Konsumenten dieses Gemüse nicht kaufen?

Lukas Bühler setzt genau das im «Zum guten Heinrich» um. Er nimmt dieses Gemüse den Bauern ab und verarbeitet es. Dadurch sichert er das Gemüse vor dem Abfall.

Auch wenn «Zum guten Heinrich» vegetarisch und vegan ist, verweist Lukas Bühler darauf, dass man auch Suppenhühner hervorragend verarbeiten kann. Diese Hühner werden nur für das Legen der Eier gehalten und nicht für den kommerziellen Verkauf. Doch Suppenhühner sind meistens besser zu verarbeiten als die hochgezüchteten Hühner aus der Massentierhaltung, welche nur für den Verzehr gezüchtet werden und dadurch mit Antibiotika versorgt werden. Um dies nicht zu unterstützen, solle man lokal einkaufen und auf das Bio-Siegel achten.

Doch ist Bio nicht zu teuer? Nein, denn eine 4-köpfige Familie wirft im Jahr Lebensmittel weg, die eine Summe von 2000 Franken betragen. Vermeidet man diese Verschwendung, so kann man sich ohne Probleme auch Biolebensmittel leisten.

Außerdem wird darauf hingewiesen, dass ein Mindesthaltbarkeitsdatum nicht gleichzusetzen ist mit dem realen Ablaufdatum der Lebensmittel. Claudia Graf-Grossmann erläutert, dass die Lebensmittelhersteller das Datum sehr vorsichtig wählen, um auf Nummer sicher zu gehen. Gerade nach Lebensmittelskandalen wie dem BSE-Skandal, ist man vorsichtiger geworden. Also sollte man an den Lebensmitteln riechen und schmecken, wenn sie das Datum erreicht haben. Oft sind sie auch noch lange nach dem Ablaufdatum genießbar.

Und wie können wir Lebensmittel sichern anstatt diese zu verschwenden?

Beide geben ein paar Tipps zur Umsetzung im Alltag:

Schreiben Sie eine Einkaufsliste und vergewissern Sie sich, dass diese Lebensmittel nicht mehr zu Hause vorrätig sind. Kaufen Sie lokal und saisonal ein. Bestenfalls bei einem Bauern aus ihrer näheren Umgebung und entwickeln Sie Ideen, um Lebensmittel zu verarbeiten, wenn sie doch mal übriggeblieben sind. Aus übrigem Gemüse und Nudeln kann man einen tollen Auflauf zaubern. Der Auflauf wird super schmecken und Lebensmittel vor dem Wegwerfen retten.

Auch nach Ende der Diskussion denke ich weiter über das Thema nach. Es beschäftigt mich noch eine Weile und ich nehme mir vor, mehr Lebensmittel zu retten. Jedenfalls werde ich nun auch optisch nicht einwandfreies Gemüse oder Obst kaufen und mich von dem Gedanken verabschieden, dass Lebensmittel immer perfekt aussehen müssen.

Für uns bei Zürich liest:
Michelle Holz

Von Deutschland direkt in die Welt der Schweizer Literatur

Michelle zieht für ihren Master in Germanistik und Politikwissenschaft nach Zürich. Neugierig auf, das was in der Schweizer Literatur gerade im Trend ist. Deshalb besucht sie „5/18 spezial“ mit Tom Kummer und ihren Buchjahr-Kolleginnen Shantala Hummler und Selina Widmer. Sie wird gespannt zuhören, welche Schreibweisen besonders „in“ sind und welche Autoren im Vordergrund stehen.

Außerdem befasst sie sich mit den alltäglichen Dingen des Lebens. Wie viele Lebensmittel werden verschwendet und wie kann man sich selber einbringen um dies zu vermeiden. Sie erwartet Tipps und Tricks, sowie Anregungen und harte Fakten bei der Veranstaltung „Food Saving. Über Reste und zu Taten“.