„When you say X, the bot says Y“

Prolog

Definition Chatbot: Ein textbasiertes, autonomes Computerprogramm, das für Dialoge und Chatinteraktionen konzipiert wurde.

Definition Turingtest: Ein von Alan M. Turing entwickelter Test, der entscheiden soll, ob eine Maschine dem Menschen intellektuell ebenbürtig sei. Gelingt es der Maschine (bzw. Programm) den Menschen zu überzeugen, sie sei keine Maschine, gilt der Turingtest als bestanden.

Definition Eastereggs: Besondere Botschaften, Interaktionen und Meldungen, die von Designern und Programmierern in ihren Computerprogrammen versteckt wurden.

Die Reise beginnt – Chatbots und ihre Figurenzeichnung

Nur langsam trudeln die letzten Besucher in den schwach beleuchteten Seminarraum des Zukunftsateliers ein, als die Türen geschlossen werden und sich alle Blicke nach vorne richten, während das Geflüster abklingt. Der Raum ist mehrheitlich weiss, gar steril und vor allem verheissungsvoll modern; einzig die Backsteinwand wispert von vergangenen Tagen des alten Landhausgebäudes. Noch ahnt man nichts. Der Moderator Roland Fischer begrüsst heute zwei der erfolgreichsten Chatbotdesigner – Jacqueline Feldman und Steve Worswick.

So verwundert es nicht, dass der Einstieg unkonventionell und somit erfrischend ausfällt. Man beginnt prompt mit einer Skype-Direktübertragung. Marione Sardone, die Hauptverantwortliche für die Microsoft-Sprachassistentin Cortana Deutschland befindet sich am Ende der Leitung. Cortana sei kein Bot, stellt Sardone als Erstes klar, bei Microsoft nenne man sie «Digitale Assistentin». Die Kontinuität im Verhalten sei das oberste Gebot bei der Programmierung. Direkt spricht sie von Charakterzügen der Assistentin. So dürfe sie nicht kumpelhaft sein oder anzügliche Witze vorbringen, vielmehr müsse sie konstant in der User-Interaktion sein und angenehm: «Es ist eine vertrauensbildende Massnahme», so Sardone.

So weit, so gut. Doch nun schreiten wir durch die Pforten der Paradoxie und erfahren, dass Cortana noch einen Schritt weitergeht. In ihrem Design wurden echte Menschen zum Vorbild genommen. Ihr Charakter besteht aus vier Kerneigenschaften, nennen wir sie die vier Tugenden: Hilfsbereitschaft, Neutralität, positive Einstellung und Transparenz. Auf gar keinen Fall jedoch dürfe sie einen Menschen simulieren. Letztendlich sei Cortana eine helfende künstliche Intelligenz (AI) mit einem differenzierten kulturellen Verhalten. Eine japanische Cortana unterscheide sich somit von einer brasilianischen, unterstreicht Sardone.

Nicht menschlich, jedoch mit Persönlichkeit – so lautet also kurz die Devise. Und um ja keine «Sympathiepunkte» zu verlieren, darf Cortana auch auf die Frage «Soll ich duschen?» hin keine Antwort verweigern. Wahrlich, menschlich ist Cortana nicht.

Genderless is the new black

Gegen menschliche Chatbots entschied sich auch die junge New-Yorkerin Jacqueline Feldman, die unter anderem als Autorin, Journalistin, Übersetzerin und Chatbotdesignerin tätig ist. In ihrer jüngsten Arbeit entwickelte und skriptete sie (d.h. erstellte Dialoge) innerhalb von vier Monaten KAI, einen Bot für «consumer banking tasks». Während der Botentwicklung untersuchte Feldman die Sprachassistentin Amazon Alexa in ihrem Interaktionsverhalten und kam zum Schluss, Alexa sei «sublime, latent christian and feminine». Für Feldman schlicht nicht vertretbar. Ihre Lösung war ein «genderless» bot, der sich als «it» bezeichnet. In englischer Sprache überzeugend, in der deutschen könnte man «es» überdenken.

Der literarische Hintergrund Feldmans ermöglichte es ihr schliesslich, eine «botlike» Persönlichkeit des Bots zu entwerfen, der sich seiner Roboternatur bewusst ist und stets auf diese verweist. Er ist textbasiert und ein Sammelsurium menschlicher Idiome. Stellt der User themenabweichende Fragen, so entstehen Dialoge, die man als «Eastereggs» bezeichnen kann:

Human: «Do you ever sleep?»

KAI: «This does not compute, as the humans say.»

….

KAI: «My knowledge is specific, not general. What’s the best banking question?»

(KAI ist zu finden unter: https://kasisto.com/kai/)

Ist Skynet schon Realität? Nicht wirklich.

Als Letztes wird Steve Worswick vorgestellt, der Schöper des Chatbots Mitsuku. Worswick ist ehemaliger Technomusik-Produzent und wurde im Jahr 2005 von Mousebraker angestellt, den Chatbot Mitsuku zu programmieren. Ihm allein gelang es im Ein-Mann-Job, sich von Bots wie Alexa oder Cortana abzusetzen. Mit seinem Chatbot gewann Worswik drei Mal den Loebnerpreis, denn Mitsuku war in der Lage, den Turingtest zu bestehen.

(Entwicklung von Mitsuku seit 2005. Mitsuku ist zu finden unter: www.pandorabots.com)

Gleichwohl sind Worswicks Worte ernüchternd und zerstören das Spiegelkabinett der Technologie-Idealisierung – der Mensch erwarte, mit C3P0 zu sprechen, doch die Technologie sei schlicht noch nicht da. Ein Chatbot sei nichts anderes als: «When you say X, the bot says Y», klärt Worswick auf. Bis heute, also 13 Jahre später, erweitert Worswick lediglich den Sprachkorpus des Chatbots, die Software sei nämlich immer noch dieselbe. Trotz allem unterstelle ihm seine Frau heute noch im Jux, er verbringe mehr Zeit mit Mitsuku als mit ihr.

Fazit

Die Chatbotdesigner Feldman und Worswick sind sich einig, Chatbots sind mehr Literatur als ein einfaches Programm. Mit der Zeit wohnt ihnen eine Persönlichkeit inne, die sich durch «Glitches» und abweichende Antworten bemerkbar macht. Und um nochmals alle Verschwörungstheoretiker zu beruhigen: Eine «super intelligence» hat man heute noch nicht zu befürchten. Diese Zukunft liegt noch fern.

„Die Dinge, die mich umgeben.“ – Anja Kampmann und Thilo Krause im Gespräch

Naturlyrik. Der schlichte Veranstaltungstitel hält, was er verspricht und scheint im ersten Moment das Klischee einer verstaubten Gattung zu bestätigen: Beim Betreten des Säulensaals fühlen wir uns sehr jung.

Das Gespräch beginnt mit einer theoretischen Verortung: Anja Kampmann beschreibt Naturlyrik als Auseinandersetzung mit der sinnlich erfahrbaren, vielschichtig gemachten Welt. Thilo Krause, ganz unironisch als „Lyriker und Wirtschaftsingenieur“ vorgestellt, antwortet auf die Frage nach einer Begriffsbestimmung der Naturlyrik mit einem Abriss der ganzen Tradition und bemängelt im Scherz die Kürze des Wikipedia-Eintrags dazu, den er zur Vorbereitung auf das Gespräch konsultiert habe.

Die Veranstaltung soll dem Eindruck des Altbackenen trotzen, der dem Genre anhaftet. Naturlyrik müsse eben nicht eskapistisch sein. Wir verbrächten ohnehin den Grossteil unserer Zeit in menschgemachten Landschaften. Lyrik über solche könne gerade zeit- und ortsspezifische Ordnungen von einer konkreten, sinnlichen Erfahrung her reflektieren. Was findet also heute in der Naturlyrik alles Platz? Vieles. Und eben nicht nur Natur, zumindest nicht im engen Sinn. In Kampmanns und Krauses vorgetragenen Gedichten werden keine blühenden Schäfchenwiesen beschrieben, sondern der Great Pacific Garbage Patch – ein Abfallfeld im Pazifik so gross wie Eurasien – und Tauben, die unter Autobahnbrücken nisten.

Das Prinzip des Gesprächs, die Autoren Gedichte des jeweils anderen auswählen und kommentieren zu lassen, hätte Potential, erweist sich aber in diesem Fall als etwas repetitiv. Beider Gedichte sind mit einem aufmerksamen Blick für das häufig nur beiläufig Registrierte der alltäglichen Umwelt geschrieben. Sie sind aber wegen ihrer sprachlichen Dichte auch sperrig, und wenn man sie – im Gegensatz zu den Vortragenden – nicht ohnehin schon kennt, fühlt man sich, als belausche man nur zufällig eine Diskussion unter Freunden, der man nur halb folgen kann.

Das Ping-Pong-Spiel von Lesen und Kommentieren kommt zu einem Ende, als Anja Kampmann kurz vor Ablauf der Zeit den „Gleichstand“ verkündet. Unser Fazit fällt durchzogen aus: Die Texte haben gezeigt, dass die Gattung auch im Zeitalter von Umweltproblemen durchaus noch Relevanz hat, über das passende Format zur Vermittlung dieser lässt sich streiten.

Simon Härtner, Marco Neuhaus, Julia Sjöberg

„Every sentence can be a sentence.“

„Jeder Satz kann ein Urteil sein“, gibt Melinda Nadj Abonji am Diskussionspodium im Solothurner Landhaussaal zu bedenken. Thema der Diskussion: „Die Balkan-Kriege – Wie geht die Literatur damit um?“ Einigkeit besteht unter den Podiumsteilnehmenden schnell darin, dass ein dokumentarischer Zugang zum Scheitern verurteilt ist, wenn auch aus ganz verschiedenen Gründen:

Robert Possner, der aus dem Tirol stammt, hatte zu Beginn gar keinen persönlichen Bezug zu den Jugoslawien-Kriegen. Diesen musste er für sein Buchprojekt Phantome zunächst durch Reisen, ausführliche Interviews und Recherchen erarbeiten. Seine Anekdoten lassen durchblicken, dass es selbst als Unbeteiligter kaum möglich ist, im Angesicht dieser Ereignisse eine emotionale Distanz zu wahren.

Ganz anders liegen die Dinge bei Jeton Neziraj, dessen schriftstellerische Tätigkeit durch das Schreiben von propagandistischen Texten im Dienste der kosovarischen Armee ihren Anfang nahm. Als unmittelbar Betroffener besteht die Herausforderung für ihn darin, die Distanz zum Geschehen zu gewinnen, die für klischeefreies, multiperspektivisches Schreiben notwendig ist. Das ermöglicht ihm eine gewisse Freiheit im Umgang mit dem Thema, obwohl er heute noch mit Morddrohungen von Nationalisten zu kämpfen hat.

Melinda Nadj Abonji nimmt in gewisser Hinsicht eine Zwischenposition in dieser Konstellation ein. Als in der Schweiz lebende Schriftstellerin mit Wurzeln in der Vojvodina nahm sie durch Berichte von Verwandten und Medien Anteil am Kriegsgeschehen. Damalige deutschsprachige Pressestimmen haben ihrer Meinung nach aber gerade wegen distanzloser Übernahme unreflektierter Schlagwörter vor dem Kriegsgeschehen versagt. Entsprechend warf sie die Frage ein, wie man überhaupt über den Krieg berichten könne ohne die Anmassung, über das Geschehen verfügen zu können. Die Sätze sollen eben keine Urteile sein.

Was kann die Literatur also leisten? Ihr Potential als Erziehung wird zwar bezweifelt – „We never learn“, sagt Jeton Neziraj. Dennoch geht Melinda Nadj Abonji davon aus, dass die Literatur Utopien aufzeigen kann.

Angesichts dieser sehr verschiedenen literarischen und biografischen Perspektiven ist es schade, dass es im Verlauf der Diskussion zu erstaunlich wenig Interaktion kam. Auch die Texte wurden gegenseitig kaum kommentiert. Die Zugänge schienen eher nebeneinander zu existieren, nur gelegentlich fanden Wortwechsel zwischen den Autor_innen selbst statt. Fazit: Obwohl die Frage im Veranstaltungstitel erwartungsgemäss nicht abschliessend beantwortet wurde, erhielt das Publikum Einblick die Rolle der Literatur im Kontext von Brutalität, Gewalt und der „Militarisierung der Köpfe“.

Mia Jenni, Marco Neuhaus, Julia Sjöberg, Fabienne Suter

Flaniermeile – Färöer-Inseln 1:0

Wie unpassend die Szenerie einer Kurzlesung doch sein kann. Die Solothurner Sonne lässt das Publikum vor der Aussenbühne am Landhausquai schwitzen. Verena Stössinger jedoch liest in ihrem Roman Die Gespenstersammlerin von einem kalten Ort. Von Astrid nämlich, die sich für eine Auszeit in den hohen Norden zurückgezogen hat, wo Nebel, Kälte und Dunkelheit die Szenerie bestimmen.

Astrid sammelt Geschichten. Geschichten von Trollen, Meerfrauen und Selbstmördern, die sich in Seehunde verwandeln. Sie will diese Sagen in einem Buch vereinen, deshalb hat sich in einem historischen Haus auf den Färöer-Inseln eingenistet. Auf die Gespenster und ihre Sagen, die im Roman immer wieder auftauchen, wartet man bei Stössingers Lesung jedoch vergeblich. Sie liest den Romananfang, der zwar Einblick gewährt in ihren feinen, unaufdringlichen und atmosphärischen Schreibstil, mit dem es ihr aber nicht gelingt, das Publikum zu fesseln, das zahlreich erschienen ist.

Vielleicht ist die lebendige Altstadtgasse, an der sich Festivalbesucher wie Einheimische tummeln und für einen Geräuschpegel sorgen, bei dem Stössingers leise Stimme fast untergeht, der falsche Ort für einen ersten Eindruck. Die Lesung im Stadttheater am Samstag um 10.00 Uhr wäre womöglich eine bessere Möglichkeit, diese Autorin und ihren gelungenen Roman kennenzulernen …

 

Literatur-Unterhaltung auf zwei Beinen

Beim Schlendern durch die Solothurner Gassen bleiben wir an einem Autor hängen. Wobei Autor untertrieben ist – dieser Marko Miladinovic ist ein wahrer Performer.

Trotz zweisemestrigem Italienischkurs verstehe ich abgesehen von einzelnen Wörtern zwar nur wenig. Das ist aber scheinbar überhaupt nicht nötig. Von Miladinovics Stimme, seiner ganzen One-Man-Show wird man automatisch in den Bann gezogen. Sein sonorer Klang, dazu das musikalisch anmutende Italienisch – das hat eine hypnotisierende Wirkung und verleitet viele Schaulustige zum Verweilen, obwohl sich wohl mancher fragt, was uns dieser Auftritt denn genau sagen soll.

Miladinovic selbst verstummt zum Schluss. Eine computererzeugte Frauenstimme ertönt aus einem unterm Tisch versteckten Radio und lässt uns wissen, dass der Autor nicht mehr sprechen könne, der Fuss eines Pfarrers verstopfe seinen Mund. Tatsächlich: Der Künstler dreht sich zum Publikum, zwischen seinen Zähnen blitzen nur noch die Zehen eines Plastikfusses hervor. In diesem Sinne: Buon appetito!

Nicht nur ein Nicaragua-Buch

Der Saal des Stadttheaters ist voll – hektisch werden noch die letzten Plätze gesucht und Menschen drängeln sich entschuldigend in die Reihen. Der Erstling der Solothurnerin Regula Portillo mit dem poetischen Namen Schwirrflug interessiert. Sei es, weil sie gerade ein Heimspiel hat oder aber auch, weil ihr Roman Nicaragua behandelt. Nicaragua – eines dieser mittelamerikanischen Länder, das weit entfernt ist, wovon man wenig weiss und wo seit Wochen News generiert werden: Die Rentenreform des neuen alten Präsidenten Daniel Ortega wird nicht goutiert.

Daniel Ortega sei ein Bindeglied in ihrem Roman, meint Portillo, die selber einige Zeit in Nicaragua gelebt hat. Schwirrflug braucht ein solches Bindeglied, denn er spielt zu zwei verschiedenen Zeiten. Im Imperfekt werden die Erlebnisse von Ruth und Markus in den 80er Jahren in Nicaragua geschildert. Im Präsens das Wandeln der Töchter Alma und Judith auf den Spuren ihrer Eltern damals. Die Bindeglieder finden die Kinder nach dem Tod ihrer Eltern in Dokumentationen vom Dachboden und durch die Befragung von Bewohner_innen eines nicaraguanischen Dorfes.

Ohne grosse Effekthascherei liest Portillo aus ihrem Buch. Ihre Sprache und Wortwahl sind klar, die Dialoge bestechen durch ihre Alltäglichkeit und die Figurenzeichnung offenbart eine respektvolle Annäherung an die Thematiken des Romans. Die Falle der pathetischen Revolutionsdarstellung oder deren Bashing umgeht sie geschickt.

„Dies ist ja nicht nur ein Nicaragua-Buch“, sagt sie, womit sie den Nagel auf den Kopf trifft. Während ihrer Lesung wird klar, dass sie es schafft, in einem Band unaufgeregt Themen wie Gleichberechtigung, gut gemeinten Kolonialismus und den Verlust der Eltern respektvoll zu thematisieren.

Nach der schnellen Lesungsstunde ist klar: Die Lust zum Weiterlesen wurde bei vielen von uns aus dem Publikum geweckt.

Mia Jenni

Finde die Zukunft II

„Wir suchen die Ausstellung vom Zukunftsatelier zu Chatbots, die sollte hier im Foyer sein.“ – „Eine Sekunde. – Mammi, säg mol, weisch du wo die Uusstellig isch?“

Noch lassen Exposition und Zukunft auf sich warten. In der Zwischenzeit plaudern wir mit unseren analogen Gesprächspartnerinnen, die hilfsbereit und engagiert an den Solothurner Literaturtagen mitwirken: Nicole Jenni und ihre Tochter Lea.

Nicole, wie lange arbeitest du schon bei den Solothurner Literaturtagen?

Seit 4 Jahren.

Auf welche Veranstaltung freust du dich besonders?

Ich bekomme gar nicht so viel mit, weil ich immer mit der Kasse am rumspringen bin. Ich bin hier Ansprechperson und mein Telefon ist auf laut, darum ist das nicht so gut, wenn ich hier drinnen sitze. Aber die Eröffnung gestern war total cool und ich finde die vielen Leute, die sich für die Literaturtage interessieren, einfach sehr spannend. Auch wenn ich kaum Zeit habe, um an eine Lesung zu gehen, bleibt es interessant

Was für Begegnungen machst du bei deiner Arbeit?

So spontane Begegnungen wie jetzt mit euch. Das ist jetzt gerade ein gutes Beispiel dafür, wie wir behilflich sein, etwas abklären können und Fragen beantworten können, die auftauchen. Manchmal sind es auch Geschichten, die entstehen, wenn man mit jemandem ins Gespräch kommt. Das ist wirklich sehr schön.

Gibt es irgendetwas, das dir besonders gefällt an der Arbeitsatmosphäre der Solothurner Literaturtage?

Wir sind ein mega cooles Team. Die meisten sind jung – ich bin zwar die Älteste – und wir sind ein aufgestelltes, motiviertes Team. Das ist wirklich super.

Lea, wie lange bist du schon bei den Solothurner Literaturtagen dabei?

Seit 3 Jahren. Im ersten Jahr sind wir mit der Klasse hierhergekommen. Auch jetzt arbeitet eine ganze Gymnasiumklasse an den Literaturtagen, um Geld für die Maturareise zu verdienen. Später habe ich dann über meine Mutter wieder an den Literaturtagen arbeiten können.

Hast du denn Zeit, um Lesungen zu besuchen?

Wenn ich nicht im Lernstress bin, ja. Die letzten paar Jahre habe ich nicht so viel nebenbei gesehen, weil ich noch viel für die Schule zu tun hatte. Aber eigentlich finde ich es schön, wenn man neben der Arbeit Zeit findet, um Veranstaltungen zu besuchen und ich habe mir für dieses Jahr vorgenommen, dies zu machen.

Was für Veranstaltungen hast du dir denn vorgenommen?

Es gibt eine Veranstaltung über den Balkankrieg, dort möchte ich reinsitzen. In der Schule haben wir Tauben fliegen auf von Melinda Nadj Abonji gelesen, die an dem Podium dabei sein wird. Das Buch hat mir sehr gefallen und dadurch, dass wir es in der Schule analysiert haben, bekommt man einen anderen Einblick in ein Buch.

Herzlichen Dank an Nicole und Lea für die Bereitschaft, spontan Rede und Antwort zu stehen.

Interview: Shantala Hummler, Foto: Artiom Christen

Zwischen Lastwagen und Heiligen

Die Restbestände des gestrigen Apéros könnten immer noch Adam Schwarz‘ Stimme beeinflussen. So entschuldigte sich der Autor vor der Kurzlesung seines Debütromans Das Fleisch der Welt. Davon war aber nichts zu hören. Einzig vorbeifahrende Lastwagen unterbrachen die gespannte Stille im Publikum vor der Aussenbühne beim Landhausquai. Adam Schwarz leitete die heutige Serie von Kurzlesungen auf der Solothurner Aussenbühne ein, zu der sich trotz des begrenzten Platzes bereits zahlreiche Zuhörende versammelt hatten.

So wenig wie das Geschehen abseits der Bühne zu kontrollieren war, so fremdbestimmt scheinen auch die Figuren des Romans zu sein. Niklaus von Flüe, der heiliggesprochene Schutzpatron der Schweiz, zog sich von Gott berufen in die Einsiedelei zurück. Sein ältester Sohn Hans, der sich während der Abwesenheit des Vaters ans erdengebundene Bauernleben gewöhnt hatte, wird im Roman von der plötzlichen Rückkehr des Vaters überrascht. Dieser fordert seinen Sprössling dazu auf, ihn auf einer erneuten Pilgerreise zu begleiten. Widerwillig nimmt der Sohn den Vorschlag des Vaters an. Erzählt wird aus der Perspektive des Sohns, der sich in seinen Handlungen stark von seinem Vater beeinflusst zeigt. Genau so abhängig von einer übermächtigen Figur ist auch von Flüe selbst.

Das gegensätzliche Vater-Sohn-Gespann begibt sich auf eine Reise gegen Westen, bei der die unterschiedlichen Welten von transzendenter Hingebung und immanenter Erdgebundenheit aufeinanderprallen. So auch in dem Ausschnitt, den Adam Schwarz am Landhausquai liest: Hier werden Menschen mit Kohlköpfen und nicht etwa mit geistigen Entitäten verglichen. Ebenso wird das Wunder der Geburt durch die blutverschmierte Realität entmystifiziert. Und so werden auch wir als Zuhörende gleich zu Beginn der Literaturtage von womöglichen geistigen Höhenflügen direkt auf den Boden der dreckigen Realität zurückgeholt. Ein gelungen witziger und kurzer Einstieg für unsere literarische Pilgerfahrt nach Solothurn.

Simon Härtner, Fabienne Suter 

Finde die Zukunft I

Entschuldigung, wo ist hier schon wieder die Zukunft?

Der Brücken viele, zu wenige der Wege, schlendern wir der Zukunft entgegen. Unser erstes Ziel: die Ausstellung des Zukunftsateliers zu Chatbots.

So denken wir zumindest.

Irrwege, wo immer wir hingehen. Just im letzten Moment erblicken wir aus den Augenwinkeln die imposanten Gemäuer des Landhauses. Ermuntert betreten wir die grossräumige Eingangshalle, von Hinweisschildern keine Spur. Wir suchen weiter, die Treppen hoch, da umschmeichelt aromatischer Kaffeeduft unsere Nasen, während sich unser Blick an dem verlorenen Lichtkegel im schattigen Foyer festmacht.

Chatbot says: error 404 – future not found.

Die Zukunft glänzt durch Abwesenheit. Oder alles Programm? Die totale Digitalisierung.

Dann der Lichtblick: zwei goldene Engel.

Fortsetzung folgt…

Artiom Christen und Shantala Hummler 

Nach dem Recyclinghof zu IKEA

Jens Steiner eröffnet den Literaturtage-Freitag mit seiner Lesung aus Mein Leben als Hoffnungsträger. Trotz der frühen Stunde füllt sich der Landhaussaal schnell mit interessierten Zuhörenden. Sie werden mit einem lebendigen, humorvollen Autor belohnt. Steiner ist ein Meister darin, seinem Text Leben einzuhauchen. Vor allem die Vertonung von zwei Figuren, der beiden Portugiesen Arturo und João, sorgt für Erheiterung. Leise Lacher ziehen sich durch beide Vorlese-Passagen. Laut herauszulachen – das traut sich das zurückhaltende Schweizer Publikum zwar nicht. Doch Steiners Humor kommt beim Publikum gut an und sorgt – von den hinteren Reihen aus gesehen – für ein Panorama von sanft ruckelnden Rücken.

Von den lobenden Worten seines Gesprächspartners Lucas Gisi beschwingt, schafft Steiner eine einladende Atmosphäre. Er lässt sich auch durch ein knisterndes Mikrofon und einen an ihm herumfummelnden Techniker nicht beirren. Das Publikum dankt es ihm mit wohlwollender Aufmerksamkeit.

Steiners Protagonist Philipp arbeitet auf einem Recyclinghof. Von ihm ausgehend spricht Gisi mit Steiner über die Konsumgesellschaft, die sich in grotesker Weise im Recyclinghof widerspiegelt. Steiner schreibt in einem entschleunigenden Stil von der alternativen Lebensweise Philipps, der sich der Leistungsgesellschaft mit Trägheit zu entziehen versucht. Er beschreibt Philipp als „trägen Idealisten“, der Aktivismus zeigt, indem er sich Zeit lässt. Gesellschaftskritik wird mit Gesellschaftssatire verwoben, Konflikte werden mit hintergründigem Humor einfach stehengelassen.

Zur Ursprungsidee seines Romans befragt, gesteht Steiner, dass er darauf jeweils nur unbefriedigende Antworten finden kann. Es ist wie mit alten Freunden: um eine bestimmte Ebene der Vertrautheit zu erreichen, muss man vergessen, wann man sie kennengelernt hat. Ebenso müssen sich die Ursprünge seiner Ideen verwischen, damit er sich intensiv mit ihnen auseinandersetzen kann. Zum Beispiel, indem er ein Praktikum auf einem echten Recyclinghof absolviert. Dort beobachtete er die Fortsetzung der Konsumwelt. Man muss schliesslich zuerst „Platz schaffen, bevor man eine Woche später wieder zu IKEA fährt“, so Steiner.

Olivia Meier, Foto: Selina Widmer