Sportarsch- und Katzengeschichten

Köstlich und leicht verdaulich war das Gespräch zwischen Matto Kämpf und Milena Moser zur Mittagszeit, wohlgemerkt «ohne störende Moderation» und auf Schweizerdeutsch. Moser las zum Einstieg die ersten beiden Seiten aus dem Buch Tante Leguan ihres Gegenübers vor – wobei sie vorausgeschickt hatte, zu verklemmt für seinen Text zu sein, die unschicklichen Wörter, welche für allgemeine Belustigung sorgten, dann aber doch auskostete. Nachdem Kämpf vice versa aus Mosers Buch Land der Söhne gelesen hatte, zeigte man sich für den Moment doch etwas verloren, so ganz ohne Wortführer. Man fing sich aber, unterhielt sich über die zuweilen problematische Liebe zu den eigenen Romanfiguren, liess sich über die hohen Papierpreise aus, schmiedete Pläne, Bäume pflanzen zu gehen, wurde zwischenzeitlich etwas ernster und sprach übers Seelezertrampeln, verweilte dann einige Zeit beim Thema Katzen (Moser machte deutlich, dass es schlimmer sei, eine fremde Katze zu füttern, als mit dem besten Freund seines Partners ins Bett zu gehen) und Kämpf gab ein scheinbar sinnloses, mit Gewalt endendes Grimm-Märchen zum Besten, bevor man schliesslich darauf zu sprechen kam, dass es eine Zumutung sei, sich nur mit einem Leben zufrieden geben zu müssen. Zum Glück kann die Literatur auch diese Grenze sprengen. Schliesslich wurde das Publikum zum Fragestellen ermutigt und Kämpf beharrte auch auf Nachfrage darauf, dass sein Buch keinen Sinn habe. Aber 25.- Franken kostete. Moser widersprach: Sein Buch beschere etwa drei schöne Abende, es habe also Sinn und sei es wert, gelesen zu werden.

Erheitert und gut gelaunt trat das Publikum in die Nachmittagssonne hinaus…

Stimme und Suche

Nach dem humorvollen, leichten Gespräch zwischen Milena Moser und Matto Kämpf – sein Buch mache keinen Sinn, insistierte Letzterer, Moser gelang es trotzdem, ihm einen unterzujubeln –  gab es einen Stimmungsumschwung in der Säulenhalle. «Verschattet» empfand Lukas Hartmann denn auch die Stimme Joseph Schmidts, Protagonist in seinem Roman Der Sänger. Gleichzeitig aber war es eine strahlende Stimme, welche dem begnadeten Tenor zu Zeiten des NS-Regimes zu grosser Berühmtheit verhalf, ihn aber nicht vor den Schrecken des KZ zu bewahren vermochte. Kein Leichtes sei es gewesen, genügend Hintergrundwissen und Fachkenntnisse aufzubauen, um es sich erlauben zu können, Schmitts Lebensgeschichte literarisch zu verarbeiten. Es sei letztlich aber nur als Angebot zu verstehen, wie es hätte sein können.
Die Stimme kann also als Transportmittel fungieren, um die Vergangenheit in die Gegenwart zu tragen; durch die Versprachlichung bleibt uns die Vergangenheit erst erhalten, wird sie uns überhaupt zugänglich. Die Stimme ist aber auch ein überaus bedeutsames Erkennungsmerkmal jedes Menschen. Und was erkennt man in der Stimme? Wer ich bin? Wer bin ich?

Die Suche nach der Identität ist auch zentrales Thema in Shelley Kästners Buch Jewish Roulette. Sie führte Gespräche mit rund zwanzig Jüdinnen und Juden und schrieb Nacherzählungen ihrer Geschichten, malte sie zuweilen ein wenig aus oder änderte sie vorsichtig ab. Dabei kamen ganz unterschiedliche Glaubensverständnisse zum Vorschein und beim einen oder anderen stellte sich bei der Konfrontation mit den eigenen Wurzeln Überforderung ein.

Beide Autoren berichten von einer Ambivalenz zwischen Nähe und Distanz zu ihren «wahren» Geschichten. Ein Wechselspiel, das den fremden Stimmen die Möglichkeit gab, sich im freien Raum zu entfalten, um schliesslich in die Sprache der Autorin/des Autors übersetzt und  wiedergegeben zu werden. So werden jene Stimmen, welche nicht verklingen dürfen, weitergetragen und erhalten Gehör, worin Hartmann denn auch die Aufgabe des Schriftstellers sieht.

Nicht zu kurz gekommen

Es sei ein Aufgehoben- und Verlorensein, eine Heraus- und Überforderung, ein Einsinken und Fortstraucheln, ein Ha! Mit einem „höchstverstörten ABC“ fasste Stefan Humbel seine Leseerfahrung der Gedichtbände „Zwiegesicht“ und „Mund und Amselfloh“, Ersteres von Ernst Halter und Zweiteres von Sascha Garzetti, zusammen. An Stränge habe der Moderator beim Lesen denken müssen. Stränge, welche die Gedichte verbanden und den Leser zuweilen aus dem Wortmaterial zu retten vermochten. Dann war die Rede von der Verdrehung von Erwartungen – eine sich selbst erfüllende Prophezeiung? Das Kürzen sollte nämlich Thema des Gespräches sein. Doch wenig wollte man anscheinend darüber reden. Weil es zu schmerzhaft ist? Wohl kaum, denn stattdessen berichtete Garzetti von seinem Grossvater, der zuletzt nur noch Eis ass, bevor er aus dem Leben schied und er las ein Gedicht vor, geschrieben in jener eisigen Zeit, als seine Grossmutter im Krankenbett lag. Tiefschürfend und präzise sind seine Worte. „Unvergesslichkeiten“, nennt Halter solche Erinnerungen und erzählte davon, wie er als Achtjähriger die kalte Leiche seines Grossvaters im Sarg geküsst hat. Alles Erfahrungen, die in ihren Gedichten wiederauftauchen würden. Zwingend jedoch transformiert. Nicht zuletzt, weil jedes Wort nur eine Metapher darstelle und darüber hinaus seinen eigenen Willen habe. Immer tiefer fühlte man sich als ZuhörerIn hineingezogen in den Kosmos der Sprache, der umso eigenwilliger werde, je mehr man sich mit ihm und in ihm beschäftige, wie Halter meinte. Eine Warnung? Zwanzig Jahre habe er schon an einem Gedicht geschrieben, so Halter, doch er sah es gerne gedeihen. Er lächelt, lächelt viel. Seinen um viele Jahre jüngeren Gesprächspartner ermutigt er denn auch, keine Hemmungen davor zu haben, die eigenen Gedichte auch nach deren Publikation noch zu überarbeiten, schliesslich sei das Schreiben ein wunderbarer Entwicklungsprozess. Ein weiteres persönliches Hilfsangebot für Schreibende oder solche, die es gerne werden würden, reicht Garzetti ein: Er liest, bevor er schreibt. Und wann schreibt man nun? Wann meldet sich ein Gedicht? Humbels Fragen werden indirekt beantwortet: Halter liest zwei Gedichte über Beginne. Und macht Lust auf mehr. Auch gibt er ein Gedicht wieder, das sich tatsächlich noch reimt. Oder wie Halter es nennt: Eine gebundene Rede, in der sich die Wörter sinnvoll Antwort geben. Und dann wurde das Thema „Kürzen“ doch noch gestreift: Wenn der Schreibprozess einmal seinen Anfang genommen hat, was treibt ein Gedicht an und wann hört es auf? Garzetti kann immerhin eine Teilantwort geben: Er verspüre schlichtweg einen Zwang zur Verdichtung gewisser Dinge. Wortwörtlich. Manches müsse hochkonzentriert in einem Gedicht Ausdruck finden. Dabei ergebe sich die Form einfach, manche Gedichte fallen länger, manche kürzer aus; überdies haben für ihn Rhythmus und Klang grössere Bedeutung als der Inhalt eines Gedichts. Halter schiebe seinen Gedichten auch keinen Riegel vor. Das mache nur unglücklich. Ein Gedicht sei dann zu Ende, wenn es zu Ende sein will. Manchmal ist es nach wenigen Zeilen erschöpft und manchmal möchte es länger sein. Über kurz oder lang fand man also doch noch zum Thema. Auf jeden Fall boten die beiden Lyriker einen überaus spannenden Einblick in ihr Schaffen.

Unser Team in Solothurn: Tatjana Kühne

Die Arbeit am Wort ist kein leichtes Unterfangen. Doch selten ist dem fertigen Text sein mühsamer Entstehungsprozess abzulesen. Dieser und andere Hintergründe interessieren Tatjana, Studentin der Geschichts- und deutschen Literaturwissenschaft an der Universität Zürich, mehrfach krisengezeichnete Verfasserin von 12- bis 15-seitigen Seminararbeiten sowie Autorin einer Unzahl zu langer und/oder nicht beendeter Textstücke, zerstückelter Texte und eines tatsächlich schmalen Buches.

Auch Lyrik zu kürzen wird zuweilen schmerzhaft sein. Und wer 21 Interviews in Texte verpackt hat, kann bestimmt ein Lied von Schwierigkeiten am Schreibtisch singen. Der Autor des Sängers muss es fast tun, wenn er über Stimme spricht.

Tatjana ist also gespannt auf Antworten auf die vielen Wies und Warums hinter fertigen Texten und sucht sie in der Textwerkstatt und in Gesprächen zwischen Literaturschaffenden.