Nach dem humorvollen, leichten Gespräch zwischen Milena Moser und Matto Kämpf – sein Buch mache keinen Sinn, insistierte Letzterer, Moser gelang es trotzdem, ihm einen unterzujubeln – gab es einen Stimmungsumschwung in der Säulenhalle. «Verschattet» empfand Lukas Hartmann denn auch die Stimme Joseph Schmidts, Protagonist in seinem Roman Der Sänger. Gleichzeitig aber war es eine strahlende Stimme, welche dem begnadeten Tenor zu Zeiten des NS-Regimes zu grosser Berühmtheit verhalf, ihn aber nicht vor den Schrecken des KZ zu bewahren vermochte. Kein Leichtes sei es gewesen, genügend Hintergrundwissen und Fachkenntnisse aufzubauen, um es sich erlauben zu können, Schmitts Lebensgeschichte literarisch zu verarbeiten. Es sei letztlich aber nur als Angebot zu verstehen, wie es hätte sein können.
Die Stimme kann also als Transportmittel fungieren, um die Vergangenheit in die Gegenwart zu tragen; durch die Versprachlichung bleibt uns die Vergangenheit erst erhalten, wird sie uns überhaupt zugänglich. Die Stimme ist aber auch ein überaus bedeutsames Erkennungsmerkmal jedes Menschen. Und was erkennt man in der Stimme? Wer ich bin? Wer bin ich?
Die Suche nach der Identität ist auch zentrales Thema in Shelley Kästners Buch Jewish Roulette. Sie führte Gespräche mit rund zwanzig Jüdinnen und Juden und schrieb Nacherzählungen ihrer Geschichten, malte sie zuweilen ein wenig aus oder änderte sie vorsichtig ab. Dabei kamen ganz unterschiedliche Glaubensverständnisse zum Vorschein und beim einen oder anderen stellte sich bei der Konfrontation mit den eigenen Wurzeln Überforderung ein.
Beide Autoren berichten von einer Ambivalenz zwischen Nähe und Distanz zu ihren «wahren» Geschichten. Ein Wechselspiel, das den fremden Stimmen die Möglichkeit gab, sich im freien Raum zu entfalten, um schliesslich in die Sprache der Autorin/des Autors übersetzt und wiedergegeben zu werden. So werden jene Stimmen, welche nicht verklingen dürfen, weitergetragen und erhalten Gehör, worin Hartmann denn auch die Aufgabe des Schriftstellers sieht.