Wenn sich Lyrik und Essen vereinen

Wir treten ein. «Sie haben vegetarisch bestellt, oder?» Ja, wir sind im Restaurant. Ein viergängiges Menu erwartet uns, das mit fünf Lesungen von Liebesgedichten verflochten wird.

Der Abend findet im Zürcher Restaurant Münsterhof statt, mit dem Thema Liebe, Erotik, Genuss – und Essen. Die Gäste sitzen an zwei langen Tischen. Doch als man Platz nimmt, bemerkt man ihn, an einem kleinen mit Büchern gedeckten Tisch an einer Ecke: René Grüninger, der die Gedichte leidenschaftlich vorlesen wird. Ein Gemälde aus dem 14. Jahrhundert, das an der Wand des Restaurantsaals hängt und die Themen Essen und Erotik zusammenbringt, hat ihn auf die Idee des Abends gebracht.

Als die Lesung beginnt, herrscht die reinste Stille im Raum, alle hören aufmerksam zu. Durch den Abend nimmt uns René Grüninger auf eine literarische Reise mit, auf der man Else Lasker-Schüler, Bertolt Brecht, Jacques Prévert und vielen anderen begegnet. Die Gedichte folgen aufeinander, manchmal melancholisch, manchmal explizit erotisch. Während der Lesung ist die Stimmung intim, bei jedem evoziert das Vorgelesene etwas anderes. Hände berühren sich, Knie treffen sich, Augen schließen sich. Hinten in der Küche fällt ein Messer zu Boden, wie um wachzurufen, dass bald der nächste Gang folgt. Tatsächlich dauern diese Runden nur zehn bis fünfzehn Minuten. Um die literarischen Klammern zu schließen, äußert sich René Grüninger humorvoll über diese Abwechslung von literarischen Entremets und kulinarischen Gängen: «Und jetzt, sind Sie wieder hungrig? Klatschen wir, damit der nächste Gang kommt!» Jedoch bleibt René Grüninger auf der Insel der Literatur und isst nicht mit. Er erklärt lächelnd, dass er schon gegessen habe, und liest für sich, in Vorbereitung auf die nächste Lesung.

Nach den literarischen Entremets wird die Stimmung gesellig, man spricht miteinander. «Haben Sie sich den Namen des ersten Dichters notiert?», werde ich gefragt. Tatsächlich ist der schöne Moment der Lesung flüchtig: Die Namen der Gedichte werden nur mündlich genannt. Die Begeisterten probieren vor dem nächsten Gang, diese Flüchtigkeit in Namen und Worten festzuhalten.

So verläuft der Abend: Erich Fried, Kurt Tucholsky, Sappho und sogar die Bibel treffen sich mit Tartar, Selleriesuppe und Gemüsestrudel, und die Begegnung fruchtet: wir kehren erfreut nach Hause, mit beglücktem Magen und geschärften Sinnen.

Wenn sich Sprache und Musik vereinen

Bessa Myftiu und Elina Duni sind ursprünglich aus Albanien. Bessa Myftiu ist Schriftstellerin und schreibt Dichtung und Romane. Ihre Tochter, die Jazz-Sängerin Elina Duni, singt aus ihrem letzten Album Partir, das traditionelle  Balkan-Lieder, aber auch eine eigene Komposition beinhaltet.

Die Mutter liest Texte, die Tochter singt, spielt Gitarre oder Schlagzeug. Die Kombination der beiden Künstler ist schlichtweg grossartig, das Ganze ist mehr als die Summe seiner beiden Teile. Auf der Bühne verschmelzen beide Künstlerinnen zur Einheit. Sie treten abwechselnd auf, jedoch scheint immer ein Kontakt zwischen den beiden zu bestehen. Die ausgeführten Kunstformen antworten aufeinander. Die Musik illustriert Myftius` Worte, sie bringt deren Emotionen und eine Ahnung von der albanischen Kultur ans Licht. Das Gesprochene und das Gesungene haben keine fixierte Grenze. Mal singt Elina Duni flüsternd, mal heftiger, als Echo der mütterlichen Stimme. Auch Bessa Myftiu erklärt, wie wichtig die Musikalität der albanischen Sprache für sie ist. Auf Albanisch oder Französisch liest sie Gedichte und Abschnitte des Romanes Confessions des lieux disparus. Sie erzählt mit Witz und Schalk von Schönheit, Liebe und dem Schreiben.

Das Publikum ist aufmerksam, man hört zu und lächelt. Weil es gleichzeitig berührend, melancholisch, witzig und schlau ist.