Im Präsens

Solothurn spielt in Ruth Schweikerts neuem Roman „Tage wie Hunde“ zwei prominente Rollen und eine wichtige. Während der Filmtage 2016 ertastet die Zürcher Autorin zum ersten Mal den Knoten in der Brust, der sich schon bald als aggressivste Form von Krebs herausstellen wird. Gut zwei Jahre später wird sie, auf dem Weg zur Genesung, den Solothurner Literaturpreis entgegennehmen. Zwei prominente Wendepunkte, von denen an diesem Freitag im vollen Landhaussaal nur am Rande die Rede ist. Aus den in sieben bangen Tagen, einer Erschöpfungsgeschichte also, erzählten Reflexionen ihrer Krankheit hat Ruth Schweikert vor allem Szenen ausgewählt, die an Rilkes Diktum vom grossen, mitten unter uns wohnenden Tod gemahnen. Als Schatten fällt er auf den Besuch in der geliebten Trattoria im Arbeiterquartier, auf das  nächtliche Zusammensein im Atelier des Mannes, den Besuch der Familie im Sanatorium. Als grelle Fratze blitzt er auf im ambivalenten Gefühl, im übergriffigen Verhalten eines Busfahrers oder dem Gefallenwollen gegenüber einem behandelnden Arzt doch „das eigene verloren geglaubte Begehren als Zukunftsversprechen“ zu spüren.

Ruth Schweikert liest kraftvoll, steuert zielsicher die in eine erhellende Konstellation tretenden Textstellen an, lässt auch durchscheinen, dass ihr sehr persönliches, in fast zweieinhalb Jahren komponiertes Buch auch andere Seiten hat. Ihrer „Meditation über die Sterblichkeit“ sei auch das Unbehagen darüber eingeschrieben, mit Bekanntwerden der Diagnose auf die Rolle der Kranken festgelegt zu werden. Die Sprünge, das lustvolle Verweilen am Detail, der streunende, nicht nur an den Krankengeschichten anderer Betroffener Halt suchende Erzählgestus erscheinen vor diesem Hintergrund als ebenso überzeugende poetologische wie lebensnotwendige Strategie. Bedeutsam auch die Einsicht, weder der allzu stringenten Deutung der „Krankheit als Metapher“ noch dem nichtssagenden Deutungsverbot der Postmoderne aufsitzen zu wollen. Bezüge sind da, etwa zum stets um Stärke ringenden Vater, zur Scham als gesellschaftlich forcierter Schrumpfvariante der Schuld, zum Imperativ der Selbstoptimierung, zur eigenen sozialen und künstlerischen Rolle. Die Konstellation, die daraus entstehen könnte, ist allerdings keineswegs „da“, sondern erst noch, durchaus tastend, Sackgassen in Kauf nehmend, zu erschreiben.

Die erstmalige Wahl des Präsens erscheint da nur logisch. Unter Schmerzen zwar, aber notwendigerweise wird das „geliebte Imperfekt“ preisgegeben. Kein blosses Erinnerungsbuch habe sie schreiben wollen, so Schweikert, sondern die „Vergegenwärtigung als Nachdenken über die blosse Erinnerung hinaus“ habe das Projekt vorangetrieben. Das Ergebnis ist offener und fragiler, teils auch härter und fassungsloser als das an diesem Abend Vorgetragene.

Das führt zur dritten, scheinbar marginalen Solothurn-Episode des Buches. Von einer ebenfalls rekonvaleszenten Freundin lesen wird dort, ganz am Rande, die bedauernde, aber unmissverständliche Notiz, Solothurn sei ihr derzeit „noch zuviel“. Gefolgt von einer Einladung zum Abendessen im kleineren Rahmen.  Ruth Schweikert war und ist Solothurn, wie diese erfreuliche Rückkehr zeigte, nicht zuviel. Und so demonstriert gerade das, was an diesem Abend vom Buch nicht auf die Bühne zu bringen war, aufs Schönste die zwei Seiten gelungener Literatur: Ihrer geselligen, festlichen Seite ist immer schon ex negativo ein „Zuviel“ eingeschrieben, das des kleineren Rahmens der Lektüre bedarf. Die lange Schlange am Büchertisch liess darauf schliessen, dass auch diese Botschaft angekommen war.

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