«Es passieren Dinge» auf dem Zürichberg und dem Zürichsee

Draussen ist es kalt und regnerisch. Als ich das Schiff bereits 20 Minuten vor Beginn der Veranstaltung betrete, bin ich bei weitem nicht die erste an Bord. Dankbar nehme ich die Tasse Kaffee entgegen, welche mir sogleich angeboten wird. Im überdachten und beheizten Schiff ist es angenehm warm. Die meisten Passagiere sprechen über die Lesungen und Veranstaltungen, welche sie schon besucht haben oder noch besuchen möchten. Die Angebote des verbleibenden Wochenendes sind zahlreich, die Zeit jedoch ist begrenzt. Ein effizientes Zeitmanagement scheint gefragt zu sein.

Die Tische sind weiss eingedeckt und der Apero steht bereit, als das Schiff vom Theatersteg ablegt. Im Zentrum steht ein erhöhter Tisch mit zwei Stühlen. Hier sitzen Verena Rossbacher und Christine Lötscher. Letztere übernimmt die Moderation der Lesung zu Rossbachers neustem Roman. In «Ich war Diener im Hause Hobbs» berichtet Christian, ehemals Diener der Anwaltsfamilie Hobbs, im Rückblick über seine Anstellung bei der wohlhabenden Familie vom Zürichberg. Dabei lässt er seine Gedanken auch zurück in seine Jugendzeit schweifen, welche er im österreichischen Feldkirch verbracht hat. Rossbacher ist ebenfalls in Österreich geboren, lebte dann lange Zeit in Zürich und ist inzwischen in Berlin zuhause. Als Studentin arbeitete Rossbacher selber als Hausmädchen in einer wohlhabenden Familie des Zürichbergs. Die Anstellung als Diener sei also auch in der heutigen Zeit nicht unüblich. Rossbacher spricht von einer «Parallelwelt», welche man im normalen Alltag gar nicht richtig wahrnehme. Aus der Literatur kenne man die «Dienerperspektive» durchaus. Während ihrer Zeit als Dienstmädchen habe sie beispielsweise Robert Walsers Der Gehülfe gelesen.

Ausdrucksstark liest Verena Rossbacher Passagen aus ihrem Roman vor, während das Schiff gemütlich über den Zürichsee tuckert. Die Passagiere nippen an ihrem Weisswein und lachen ob der Ausdrucksweisen und Beschreibungen des Ich-Erzählers Christian. Trotz des tragischen Anfangs des Romans (ein Toter) sowie einer Portion Familiendrama, Täuschung und Verheimlichung, ist die Geschichte sehr humorvoll erzählt. Humor ist für Verena Rossbacher ein bedeutender Bestandteil dieses Romans. Christine Lötscher spricht von einer «emotionalen Achterbahnfahrt», welche die Leser während der Lektüre erleben. An Rossbachers neustes Buch müsse man mit scharfem Auge und wachem Kopf herangehen. Nicht alles ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. So spielt Rossbacher denn auch mit unterschiedlichen Genres. Aber zu viel soll dann doch noch nicht verraten werden. «Es passieren Dinge», sagt Christine Lötscher, worauf die Passagiere lachen. Das Schiff legt an und wir sind wieder in der Realität angelangt. Ich hätte Verena Rossbacher gerne noch etwas länger zugehört.

Vom Word-Dokument zum Buch oder Aus dem Leben eines Zwiebelfisches

Im schönsten Saal vom Karl wollen wir innert zwei Stunden herausfinden, wie ein Buch entsteht. Dass das ein unmögliches Unterfangen ist, machen uns Ulrike Groeger und Patrizia Grab, Herstellerinnen im Rotpunktverlag, schon zu Beginn klar. Trotzdem erhaschen wir einen flüchtigen Einblick in die Welt der Buchherstellung.

Groeger und Grab sind wahre Multi-Talente. Als Herstellerinnen müssen sie nicht nur organisatorische und kaufmännische sondern auch technische und gestalterische Fähigkeiten aufweisen. Eingebunden in das Verlagsteam stehen sie in Kontakt mit externen Partnern wie Autoren, Lithografen oder Druckereien. Sie holen Angebote ein, kalkulieren und versuchen die Ideen umzusetzen, die sie sich leisten können.

Anhand des Beispiels «Wandern in der Stadt Zürich» wird uns nähergebracht, wie ein Buch hergestellt wird. Man beginnt mit dem, was potenzielle Leser*innen als erstes wahrnehmen: dem Umschlag. Dieser birgt oft grosses Diskussionspotenzial, nicht nur an den Verlegerkonferenzen sondern auch in Absprache mit den Autor*innen. Nach dem Erstellen von Musterkapiteln werden Offerten von Druckereien eingeholt. Der Text, noch immer als Word-Dokument, wird formatiert und mit den Bildern abgestimmt. Diese Arbeit kann viel Zeit in Anspruch nehmen, weshalb mögliche Terminverschiebungen rechtzeitig kommuniziert werden müssen. Dann geht’s ans mühselige Überprüfen, Korrigieren, Abstimmen und Revidieren, bis schliesslich die Daten als PDF an die Druckerei gelangen. Anhand des «Gut zum Druck» werden die letzten Feinheiten überprüft. Läuft hier etwas schief, wird aus einem Kriminalroman schnell einmal ein Kriminaloman. Nach dem Druck gelangt das Buch in die Läden und so im besten Fall in viele Leser*innen-Hände.

Auch unsere Hände werden nach so viel Theorie endlich beschäftigt. Anhand von zahlreichen Anschauungsexemplaren realisieren wir, wie vielfältig die Gestaltungsmöglichkeiten von Typographie, Papier, Bindung und Umschlägen sind. Zum Beispiel das Buch, das in Schleifpapier eingebunden ist, der Gletscherführer mit der SAC-Hüttendecke als Umschlag oder das in der Nacht leuchtende Werk über die Atomenergie.

Zum Schluss erfahren wir endlich, was es mit dem provokativen Veranstaltungstitel «Von Hurenkindern und Umbrüchen» auf sich hat. Dabei geht es nämlich um typographische Gestaltungsfehler, die mit abschreckenden Namen versehen wurden. Neben dem Hurenkind (die letzte Zeile eines Absatzes ist die erste Zeile der neuen Seite) oder dem Deppen-Apostroph treffen wir hier auch auf den Zwiebelfisch. Dieser unsympathische Zeitgenosse hat sich auch in unseren Text eingeschlichen. Findest du ihn?

Um 16.00 Uhr wäre der Workshop eigentlich vorbei. Das Thema ist es aber noch lange nicht. Die hohe Teilnehmerzahl zeigt, wie gross das Interesse am Gegenstand Buch noch immer ist. Das gedruckte Werk ist trotz E-Book nicht tot zu kriegen. Hoffen wir, dass es so bleibt.

Von Fabienne Suter und Olivia Meier

Nächster Halt Mord

Zürich, Extrafahrten-Haltestelle am Bellevue. Direkt gegenüber das Opernhaus, das in den wolkenverhangenen Himmel ragt. Es ist Schauplatz des ersten Tatorts in Severin Schwendeners neuem Buch Schatten und Spiel, dem dritten Teil seiner Zürcher-Krimi-Trilogie. Es wirkt fast inszeniert, als neben uns ein Auto hält mit – wirklich wahr! – einem angeschnallten Skelett auf der Rückbank. Nun sind wir bereit für Schwendeners Mörder-Tram. Wir fahren los, ohne wirkliches Ziel. Abgesehen von Schwendeners selbsterklärter Hoffnung, dass irgendein Fahrgast am Ende sein Buch kaufen wird.

Als Einstieg wird die Hauptfigur des Krimis vorgestellt: Thomas K. Hilvert, Kommandant der Stadtpolizei Zürich. Ihm zur Seite steht sein Assistent Jaun – ein klassisches Ermittlerduo, das Zürich vom zurückgekehrten Serienmörder befreien soll. Die Figuren bleiben also grösstenteils die gleichen, wie in den vorangegangen Bänden der Trilogie. Genauso nahtlos reiht sich Schwendeners Buch in die Krimi-Tradition ein und bedient sich deren Schemata.

Während der Fahrt räumt Schwendener auf mit der romantischen Vorstellung des Autorendaseins. Er schreibt eben nicht von der Muse geküsst im Lehnstuhl bei Kerzenlicht, sondern bedient sich systematischer Vorgehensweisen, die er sich beim Biologiestudium an der ETH aneignete. Auch inhaltlich greift Schwendener auf seine Arbeitserfahrungen bei der Zürcher Biosicherheit zurück, wenn er zum Beispiel den Mörder Drohbriefe mit ominösem weissen Pulver verschicken lässt. Früher verhasste Mindmaps werden nun zum unausweichlichen Arbeitsinstrument. Daraus entsteht eine von A bis Z durchgeplante Handlung, aus der wir einen weiteren Ausschnitt zu hören bekommen.

Nun liest der Autor aus Sicht des Mörders, auch dies ein altbekanntes Mittel zur Spannungssteigerung. Während das Tram langsam den Escher-Wyss-Platz überquert, werden uns die ersten beiden weiblichen Figuren der heutigen Lesung vorgestellt: Oberstaatsanwältin Greta Hertig, die offenbar den falschen Typen geheiratet hat und Reporterin Céline Allensbach, die mit ihrer journalistischen Spürnase Geheimnisse aufdeckt. Eine Frau, die mit dem Dasein im Schatten ihres reichen Mannes zu kämpfen hat und eine aufgeweckte Journalistin – auch das, zumindest auf den ersten Blick, eher eindimensionale Figurenzeichnungen.

Nächster Halt, Endstation Bellevue. Unsere Krimifahrt ist zu Ende. Schwendeners Krimi zeichnet sich aus durch gut durchdachte Handlungsstränge und braucht sich in der zurzeit blühenden Schweizer Krimilandschaft nicht zu verstecken. Zwar hat er den Krimi nicht neu erfunden, sein Lesepublikum wird er aber mit dem dritten Teil seiner Trilogie bestimmt nicht enttäuschen.

Von Fabienne Suter, Laura Barberio und Olivia Meier.

Wal zwischen Birken

„Ida und der Wal“ aus der (Zeichen-)Feder von Rebecca Gugger und Simon Röthlisberger gehört zu den jüngeren Höhepunkten auf dem Kinderbuchmarkt. Im vollbesetzten KOSMOS lesen beide aus der poetisch gezeichneten Geschichte der kleinen Ida, vor deren Baumhaus eines Abend ein grosser Wal, eingeklemmt zwischen Birken, strandet. Der nimmt sie mit auf eine Reise hinter den Mond, auf der behutsam Fragen nach der eigenen Wahrnehmung, der weiten Welt und der eigenen Stellung darin hervortreten. Vor dem grossen Bildschirm mit den Illustrationen gewinnt die Geschichte an Plastizität, die mit Popcorn und der Aussicht auf Sirup ausgestatteten Kindergärtner lauschen aufmerksam. Auch die grösseren Kinder und ihre – praktisch in gleicher Mannschaftsstärke anwesenden – Eltern kommen auf ihre Kosten, als im Anschluss an langen Tischen ein eigenes „Ida“-Poster gestaltet werden kann. Eine grosszügige, zumal gratis angebotene Form der Leseförderung, die das KOSMOS als Knotenpunkt auf der literarischen Landkarte schon für die Kleinsten markiert. Und eine vorzügliche Gelegenheit für alle, deren Familienleben unter dem reichhaltigen Angebot von „Zürich liest“ zumindest für ein Wochenende zu leiden droht – ein gemeinsamer Trip ins KOSMOS liegt eigentlich immer drin.