Malerei, Musik und die Ermordung des Commendatore

Zürich liest schenkt dem Übersetzen die Beachtung, die es verdient. Gestern Abend sprach die renommierte literarische Übersetzerin Ursula Gräfe über die Fallstricke, Probleme und Freuden, die das Übersetzen von Haruki Murakamis zweibändigem Roman Die Ermordung des Commendatore mit sich bringt. Die Agentur des Autors gestattete freilich keine öffentliche Lesung aus dem Original – was zu verschmerzen war. Verstanden hätten es vermutlich ohnehin nur die wenigsten.

Ursula Gräfe sitzt bereits eine Viertelstunde vor Beginn in ihrem Sessel. Sie schaut neugierig ins Publikum, wir schauen neugierig zurück. Allen – inklusive Gräfe selbst – scheinen voll Begeisterung auf das zu warten, was der Abend bringen wird. Die Lichter werden abgeblendet, Applaus setzt ein. Jetzt geht’s los.

Gräfe gibt eine kurze Zusammenfassung des Künstlerromans, der Malerei, Musik und Literatur miteinander verknüpft. Im Zentrum steht ein typischer Murakami-Charakter: ein Porträtmaler, 36 Jahre alt, zufrieden mit seinem Leben – bis seine Frau ihn verlässt und er keine Unterkunft mehr hat. Ein Freund biete ihm daher das ehemalige Haus seines Vaters an, der auch ein Maler war. Dort vernimmt der neue Gast zunächst seltsame Geräusche, wird fortan dann immer tiefer in die Mysterien dieses Ortes hineingezogen und stösst schlussendlich auf ein Bild des alten Malers mit dem Titel «Die Ermordung des Commendatore». Gräfe führt aus, dass es sich bei diesen Schauerelementen nicht allein um eine besondere Spielart des magischen Realismus handle, sondern dass sich diese sich auch der japanischen Erzählkultur verdanken, auf der Murakami stilistisch aufbaut. Freilich zeichne sich dieser Stil durch seine Deutlichkeit aus, er sei gleichwohl nicht oberflächlich oder gar ungebildet. So sei das Sujet des Romans bei genauer Betrachtung mit dem literarischen Topos Don Giovannis verbunden, der ebenfalls einen alten Commendatore ersteche.

Die Klarheit von Murakamis Stil komme der Aufgabe der Übersetzerin natürlich sehr entgegen, so Gräfe, mache es aber zugleich zu einem Gebot, seine Texte in der Übersetzung nicht zu salopp klingen zu lassen. Die erhitzten Diskussionen, die sich über solchen Fragen entwickeln können, verdeutlicht Gräfe anhand eines Einspielers aus dem Literarischen Quartett, das sich angesichts von Murakamis Roman Gefährliche Geliebte zu Kategorisierungen von «nicht literarisch anschaulich» und «literarisches Fastfood» bis hin zu «von ungewöhnlicher Zartheit» versteigt. Gräfe behauptet, dass in jeder dieser Einschätzungen eine Wahrheit zu finden sei, das verdanke sich dem hybriden Charakter von Murakamis Sprache. (Glücklicherweise handelte es sich in diesem Fall nicht um ihre eigene Übersetzung.) Interessant wird es im Falle einer Neu-Übersetzung, die Gräfe übernommen hat, nämlich die von Südlich der Grenze, westlich der Sonne. Im Unterschied zur alten Übersetzung, die sich von der amerikanischen Ausgabe ableitete, ist Gräfe vom japanischen Original ausgegangen: Die japanische und die deutsche Sprache erschienen ihr näher zueinander zu stehen als die englische. Freilich liest sie andere, bereits erschienene Übersetzungen ebenfalls auch immer parallel.

Eine «Verdeutschung» des Romans sei dabei naturgemäss nicht zu umgehen, «gelungen» sei eine Übersetzung jedoch dann – so Gräfe auf meine Frage hin -, wenn die deutschen LeserInnen das gleiche Gefühl beim Lesen vermittelt bekämen wie die japanischen. Bisweilen wird das nur durch Kompensationsleistungen möglich: Vielleicht geht irgendwo etwas verloren, vielleicht wird irgendwo anders etwas gewonnen. Zum Schluss merkt Gräfe noch an, dass sie beim Übersetzen die gleiche Erfahrung wie die späteren LeserInnen machen möchte; deswegen lese sie das Buch nicht erst einmal durch, sondern fange einfach von vorne an.

Insgesamt war dies eine eindrucksvolle, zukunftsträchtige Veranstaltung, die zurecht mit viel Applaus bedacht wurde. Möge man der Kreativität der ÜbersetzerInnen auch in Zukunft in Zürich die Beachtung schenken, die sie verdient.

„Bitte, lies doch noch mal vor!“ – Verleihung Zürcher Kinderbuchpreis, Take 2

Sowohl die Kinder- als auch die Fachjury waren sich dieses Jahr einig: Die deutsche Schriftstellerin Kirsten Boie sollte für ihr Buch Ein Sommer in Sommerby den Zürcher Kinderbuchpreis 2018 bekommen. Und so geschah es am gestrigen Freitag.

Während die Kinder sich mühen zu zuhören, und Ulrike Allmann, Vorsteherin der Fachstelle Bibliotheken, da viel Verständnis für hat, wurde ganz enspannt mit der Preisverleihung im Zentrum Karl der Grosse angefangen. Kinder und Erwachsene waren zusammen da, die Atmosphäre gemütlich und aufgeschlossen.
Allmann weist daraufhin, dass der Preis nicht nur eine Anerkennung für das Schreiben der Schriftstellerin, sondern auch ein wichtiges Instrument der Leseförderung sei. Die Kinder würden heutzutage viel zu wenig vorgelesen. Dazu komme, dass Eltern oft in dem Labyrinth der Bücher nicht mehr wissen, welche Bücher sie für ihre Kinder zu kaufen sollen. Der Zürcher Kinderbuchpreis könne den Eltern deshalb eine wichtige Orientierungshilfe geben.

Nach der Einführung erklärten sowohl die beiden Kinder Thomas & Florina, die Teil der Kinderjury waren, als auch die Fachjury ihre Wahl von Ein Sommer in Sommerby. Boie setze mit diesem Buch einen Gegenpol zu dem schnellen, modernen Leben: Im Buch wird von drei Kindern erzählt, die zu ihrer Großmutter gebracht werden. Die Großmutter lebt auf dem Land, hat kein Internet und sogar kein Telefon. Wie sollten die Kinder damit umgehen? Kirsten Boie las während der Veranstaltung einiges vor und es war fantastisch. Die Zuschauer lächelten und hörten andächtig zu. Dass die Botschaft so verpackt sei, dass sie ankomme, sei einer der wichtigsten Gründe für die Wahl gewesen. Und so hatte Thomas zum Schluss nur noch eins an Boie zu sagen: „Machen Sie weiter so!“

 

«Zürich liest»:
Sanne Jacobs

Aus den Niederlanden nach Zürich umgezogen, um Zürich liest ’18 richtig mitzuerleben und darüber zu schreiben: Sanne Jacobs, Studentin des Studiengangs Übersetzen mit einer Vorliebe für die deutsche Sprache.

Und wie kann sie am besten den literarischen Vorzug der neuen Generation der Schweiz kennenlernen? Ja, natürlich, wenn man bei der Verleihung des Zürcher Kinderbuchpreises anwesend ist! Jetzt schon begeistert und neugierig fühlt sie sich wieder als ein Kind.

Hat sie endlich ihre Masterarbeit über die japanisch-deutsche Schriftstellerin Yoko Tawada und die Abenteuer des Übersetzens fertig, ist sie bereits wieder auf dem Weg in den Fernen Osten. Freitag besucht sie Murakami übersetzen – Ursula Gräfe über die Arbeit an «Die Ermordung des Commendatore». Wie hat Gräfe die Übersetzungsprobleme, die sich zwischen zwei so verschiedene Sprache unbedingt hervorzeigen, überwunden?