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Von jedem Tier ein Männchen und ein Weibchen

In ihrem zweiten Roman «Immer zwei und zwei» erzählt Tabea Steiner von den Machtstrukturen religiöser Gemeinschaften, gegen die zwei Frauen aufbegehren – und letztlich zueinander finden.

Von Laila Beata Schneebeli

In Natalis Alltag wechseln sich Care-Arbeit für ihre beiden Kinder mit der Teilzeitstelle als Lehrerin sowie den Verpflichtungen gegenüber der religiösen Gemeinde ab, denen sie und ihre Familie angehören. Die Zeit im Atelier, in dem sie sich an ihrer Kunst mehr abarbeitet als dass sie ihr gelingt, stellt auch keinen beruhigenden Ausgleich dar. Als Natali bei einer Weiterbildung die Theologin Kristin kennenlernt, beginnt das Familienidyll zu zerbröckeln wie ihre Tonfiguren.

Zur Autorin

Tabea Steiner, geboren 1981 in der Ostschweiz, lebt heute in Zürich. Sie studierte Germanistik und Alte Geschichte in Bern. Steiner ist als Literaturvermittlerin, Moderatorin und Veranstalterin tätig. Sie initiierte das Thuner Literaturfestival, ist Organisatorin des Lesefests Aprillen in Bern und amtiert als Jurymitglied der Schweizer Literaturpreise. Mit ihrem Debütroman «Balg» wurde Steiner für den Schweizer Buchpreis 2019 nominiert.
Foto: © Markus Forte

Fremd- vs. Selbstbestimmung

Immer zwei und zwei ist der zweite Roman von Tabea Steiner, die mit ihrem Debüt Balg, das 2019 ebenfalls bei Edition Bücherlese erschien, für den Schweizer Buchpreis nominiert war. Die Thurgauer Autorin überzeugte mit ihrer eindrücklichen Erzählung rund um ein «Problemkind», das in schwierigen Familienverhältnissen aufwächst. Familie spielt auch in ihrem neuen Roman eine Rolle. Darin wagt sich Tabea Steiner mutig an ein herausforderndes Thema: Es ist die Geschichte einer Frau, die sich aus den einengenden Strukturen einer Freikirche zu lösen versucht. Herausfordernd vor allem deshalb, weil eine solche Geschichte schnell Gefahr läuft, stereotype Vorstellungen zu reproduzieren, die eine aussenstehende Person von einer religiösen Gemeinschaft haben kann.

In der engen Welt der Freikirche, in der Natali sich bewegt, sind es die Gesetze und vor allem die Männer, die über das Leben der Frauen bestimmen – wie Manuel, Natalis Ehemann, der ohne sie zu fragen den Urlaub bucht oder von ihr verlangt, ihre Stelle aufzugeben. Oder wie Tobias, der Natalis beste Freundin Rosalie so oft fragt, ob sie ihn heiraten will, bis sie nachgibt. Denn Mann und Frau gehören schliesslich zusammen. Sex vor der Ehe ist Tabu. Und wer sich nicht an die Regeln hält, wird ausgeschlossen.

Kristin hingegen verkörpert den Gegensatz zu dieser Welt: Selbstbestimmung – das, was Natali fehlt. Die freischaffende Theologin ist homosexuell und liest ihre Bibelstellen feministisch. Es scheint naheliegend, dass Natali sich ausgerechnet in Kristin verliebt.

Entlarvte Heuchelei

In den knapp über 200 Seiten beschreibt Tabea Steiner vor allem Alltagsszenen aus dem Leben ihrer Figuren, die sie abwechselnd in den Fokus nimmt. Über deren Innenleben erfährt die Leserin relativ wenig. Das passt zu der oberflächlichen Nettigkeit, mit der die Mitglieder der Freikirche einander begegnen – und zu deren hartnäckigen Weigerung, über die Risse in der Fassade zu sprechen. Und darin liegt auch die grosse Stärke des Romans und von Steiners Sprache: in ihrer Subtilität und darin, was sie nicht sagt. Die eigentliche Handlung der Geschichte wird oft ausgespart, vieles bleibt angedeutet. So schafft es der Roman, die Spannung bis fast zum Schluss zu halten.

«Eigentlich können wir selbst beten»

Ganz ohne Klischees kommt Immer zwei und zwei dann doch nicht aus. Dass Natali ausgerechnet Tonfiguren schafft und sich später als Bildhauerin an einem Alabaster versucht, wirkt im Kontext der Emanzipation aus der Freikirche wie ein etwas fantasieloser Einfall der studierten Germanistin. Die Frau, die sich gegen die patriarchalen Strukturen auflehnt und zur Schöpferin wird – die biblische Analogie ist etwas abgegriffen. Da rutscht Steiners Sprache auch mal ins Pathetische ab:

«Sie holte sich ein Glas Wasser, ging einmal um ihre Kreatur herum, dieses Geschöpf, dessen Flächen mit dem Licht spielten, und ihr fiel auf, dass es schön war.»

Auch der Schluss des Romans mag nicht ganz überzeugen. Manuel und Natali teilen sich die Zeit mit den Kindern auf und feiern gemeinsam Weihnachten, Natali und Kristin sind nun ein Paar und als die beiden Hand in Hand auf der Strasse einer eifrigen Freikirchlerin begegnen, die für sie beten will, erwidert Kristin selbstbewusst: «Eigentlich können wir selbst beten.» Das wirkt alles ein wenig zu glatt. Fast scheint es, als hätte Tabea Steiner gegen Ende den Mut verloren – anstatt das zu Beginn angelegte Konfliktpotenzial auszunutzen, hat sie eine brave Emanzipationsgeschichte geschrieben.

Tabea Steiner: Immer zwei und zwei. 208 Seiten. Luzern: edition bücherlese 2023, ca. 29 Franken.