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Panta Rhei(n)

Von der Schaffhauser Schifflände bis zur Quelle beim Bündner Bergsee: In seinem neusten Bändchen erzählt Franz Hohler von seinen Wanderungen rheinaufwärts. Erneut entdeckt er die Freude am Spazieren und versucht seine Leser:innen damit anzustecken.

Von Ronja Holler
23. Februar 2023

Vorbei an Apfelbaumwiesen, flügelschlagenden Kormoranen und lärmenden Autobahnen führt das Rheinufer den Autor. In seinem jüngsten Wurf Rheinaufwärts verspürt Franz Hohler einmal mehr merkbar Freude am Entdecken der kleinen Dinge, erklärt historische Zusammenhänge und beobachtet seine Umwelt ganz genau. Während der Fluss zu Beginn seiner Spaziergänge noch ein flaschengrüner, begradigter Strom ist, mäandriert er in Richtung Quelle türkisblau durch die Berge des Bündnerlands. Über eine Zeitspanne von zweieinhalb Jahren erstrecken sich Hohlers Wanderungen; Corona, der Krieg in der Ukraine und schweizweite Unwetter markieren den Lauf der Zeit. Der Autor plaudert im Schritttempo direkt aus seinem Leben, erzählt von seinen Lesungen, macht Kommentare zum fortschreitenden Alter und lässt uns am Schalk seiner Frau teilhaben. Zudem erfahren wir, dass er wöchentlich mit seiner Enkelin Cello spielt und sich am Ende seiner Streckenabschnitte gerne einen Cappuccino im Bahnhofbistro gönnt. Es kommt einem beinahe so vor, als würde man ihn gut kennen – pünktlich zu seinem 80. Geburtstag schenkt er den Lesenden so einen sehr persönlichen Einblick in sein Leben.

Zum Autor

Franz Hohler, geboren 1963 in Biel, lebt als Autor, Kabarettist und Liedermacher in Zürich. Hohlers umfangreiches Werk umfasst Prosastücke, Dramen, Kinder- und Hörbücher. Als als Regisseur und Drehbuchautor hat er in vielzähligen Film- und Fernsehproduktionen mitgewirkt. Hohler wurde mit zahlreichen Preisen und Auszeichnungen geehrt, unter anderem mit dem Salzburger Stier und dem Solothurner Literaturpreis.

Bereits 2012 legte Hohler mit Spaziergänge ein Werk vor, in dem er seine Märsche durchs Zürcher Umland schilderte. ‹Gehen› sei eins seiner Lieblingswörter, liess Hohler die Lesenden wissen. Mit dem Schreiben über das Spazieren reiht er sich nun von Neuem in eine Tradition ein, die man insbesondere von Robert Walser und anderen literarischen Flaneuren kennt. Das entspannte Gehen und achtsame Beobachten der Umgebung eröffnen einen gedanklichen Spielraum, der das Abschweifen zu philosophischen Überlegungen ermöglicht. Hohler überträgt diesen Modus auf seinen Text. So liest sich auch Rheinaufwärts leicht, plätschert manchmal fast etwas vor sich hin. Diese Ereignislosigkeit wirkt zuweilen etwas langweilig, doch gerade darin liegt wie beim Spaziergang ihr Reiz. Die Gleichförmigkeit der Erzählung regt zum eigenen Denken an – dass man beim Lesen abschweift, ist also durchaus als gewollt zu verstehen. Hinzu kommt das beinahe schon meditative Fliessen des Rheins, das Hohler stimmungsvoll beschreibt: «Der Rhein aber fliesst weiter, ihn kümmert kein Menschenleben und -sterben, seine Hingabe gilt der Schwerkraft, seine Freude ist das Gefälle, sein Ziel ist das Meer».

Man fühlt sich dabei an die Flusslehre des antiken Philosophen Heraklit erinnert, die den Lauf der Zeit und die Dynamik des Seins beschreibt. So wie der Rhein fliesst auch das Leben immer weiter, Form und Umgebung verändern sich. Obwohl Hohlers neustes Büchlein nur 125 Seiten stark ist und nicht viel Spannung bietet, fehlt es also nicht an Tiefgang und Inspiration. Vor allem verspürt man nach der Lektüre direkt Lust, spazieren zu gehen.

Franz Hohler: Rheinaufwärts. 128 Seiten. Köln: Luchterhand 2023. ca. 30 Franken.

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